Die Affinität der Kirchen zum nationalen Obrigkeitsstaat: Der Katholizismus


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

25 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Vom Kulturkampf in Bismarck’scher Ära bis zum Ende des Ersten Weltkriegs

2. Das Zentrum – Demokratische Partei oder vernunftrepublikanisch?
2.1. Innerparteiliche Dilemmata – das Zentrum als heterogene Partei
2.2. Revision oder Erfüllung? – Das Zentrum und der Friedensvertrag von Versailles
2.3. Katholiken und Republik
2.4. Die Abspaltung der Bayrischen Volkspartei vom Zentrum

3. Der deutsche Katholizismus am Ende der Weimarer Republik
3.1. Wechsel im Parteivorsitz 1928 – Beginn der geistlichen Führerschaft
3.2. „Universalismus“ und das Anwachsen von Autoritätsgedanken
3.3. Politischer Richtungswechsel seit der Amtszeit Brünings
3.4. Der Sturz Brünings und die Problematik der Person von Papen
3.5. Das Verhältnis des Zentrums zur NSDAP
3.6. Die Stellung des deutschen Episkopats

4. Das Verhältnis Roms zur Weimarer Republik und zum politischen Katholizismus im Zeichen der Konkordatsverhandlungen
4.1. Länderkonkordate und Reichsnuntiatur als Basis für ein Reichskonkordat
4.2. Pacelli und die Nationalsozialisten
4.3. Das Reichskonkordat nach italienischem Vorbild

Fazit

Literaturverzeichnis

Einleitung

Die Betrachtung der Weimarer Republik beinhaltet auch immer zugleich deren Scheitern zugunsten der Nationalsozialisten. Das Interesse an der ersten deutschen Demokratie ist auch heute noch stark ausgeprägt. Im Aufbau der Bundesrepublik, ihrer Verfassung und Institutionen spiegelt sich der Geist des Untergangs von Weimar wider. Diese historische Erfahrung als Warnung der Geschichte begleitet die politischen Entscheidungen bis in die heutige Zeit. Die im deutschen Grundgesetz verankerte „Ewigkeitsklausel“ zeugt von tiefem Misstrauen des Parlamentarischen Rates in die Bevölkerung. Die Frage, warum es zum Untergang der Weimarer Republik kam, beschäftigt eine Vielzahl von Historikern. In dieser Arbeit soll beleuchtet werden, inwiefern der deutsche Katholizismus zur Aushöhlung von Weimar beigetragen hat. Kann die politische Vertretung der Katholiken im Deutschen Reich, das Zentrum, nach heutigen Maßstäben als staatstragende Partei bezeichnet werden?

Der politische Katholizismus genießt seit der Zeit Bismarcks im Deutschen Reich eine Außenseiterrolle. Die Katholiken wurden als „Reichsfeinde“ bezeichnet, allerdings spielte die Zentrumspartei im Laufe des Kaiserreichs eine immer größer werdende politische Rolle, während die Zusammenarbeit der Konservativen mit den Nationalliberalen zunehmend problematischer wurde.

Zum Ende des Ersten Weltkriegs hatten sich die monarchistischen Ideen fest im katholischen Weltbild verankert. Wie reagierten die Katholiken nun auf die Revolution von 1918 und die neu entstandene Republik? Gemeinhin wird das Zentrum, im Gegensatz zur BVP, als staatstragende Partei bezeichnet. Konnte die Partei diesem Anspruch gerecht werden, obwohl sie prinzipiell ein Sammelbecken katholischer Wähler unterschiedlicher politischer Couleur war? Zum Ende der Republik verkörperte die Zentrumspartei immer stärker autoritäre Tendenzen, namentlich in der Person Brüning, der zwar Politik immer auf dem Wege der Verfassung betreiben wollte, trotzdem aber Regierungsgespräche mit den Nationalsozialisten einging. Kann der katholischen Partei eine Mitverantwortung für die „Machtübernahme“ der NSDAP zugesprochen, oder kann die Annäherung an die Rechtsaußenpartei anders verstanden werden? Ist der abnehmende Widerstand des Zentrums zu den nationalistischen Ideen allein in der traditionellen Nähe zum autoritären Staatsgedanken verankert? Auch muss kurz skizziert werden, wie der deutsche Episkopat der nationalsozialistischen Lehre gegenübersteht.

Ferner stellt sich die Frage, wie die römische Kurie auf die deutsche Republik reagierte. Besonders der Person des Kardinalstaatssekretärs Pacelli, der später als Papst Pius XII. Geschichte schrieb, kann eine gewisse Affinität zu der NS-Partei zugesprochen werden, schließlich schloss er 1933 mit Hitler das Reichskonkordat ab.

1. Vom Kulturkampf in Bismarck’scher Ära bis zum Ende des Ersten Weltkriegs

Das von Bismarck geprägte Wort „Reichsfeinde“ – neben Katholiken auch Sozialisten, Linksliberale, Polen, Welfen und Elsässer einschließend – positionierte den politischen Katholizismus in Form des Zentrums außerhalb der Einheit Deutschlands. Schon seit Reichsgründung 1871[1] manövrierte sich der Katholizismus, der sich kurz vor dem Krieg gegen Frankreich in Westfalen zur Deutschen Zentrumspartei zusammenschloss, durch offensichtliche Annäherung an Wien und somit die „großdeutsche Lösung“ propagierend, ins Abseits, denn wer die preußische Staatsidee ablehnte, stellte konsequenterweise auch eine Gefahr für die nationale Einheit dar, zumindest aus preußisch-protestantischer und liberaler Sicht.[2]

Allerdings vermochte das Zentrum, seine katholische Wählerschaft stärker zu mobilisieren, als es anderen Parteien gelang und, vor allem entscheidend, seine Wählerschaft langfristig zu binden. Die Wahlergebnisse untermauern diese These: im 1. Reichstag 1871 noch drittstärkste Fraktion mit 83 von 382 Mandaten, wurde das Zentrum schon 1884, im 6. Reichstag, stärkste Partei (dieser Zustand hielt im Übrigen mit einer Ausnahme bis zur letzten Reichstagswahl 1912 an) mit immerhin 141 von 397 Sitzen.[3] Auch Reichskanzler Bismarck konnte die Stärke des Zentrums natürlich nicht übersehen, „Friedensverhandlungen“ wurden 1877/78 zwischen Berlin und dem Vatikan geführt, denn „ längst war das Zentrum in Preußen unentbehrlich geworden, um konservativ zu regieren. Durch Patronage katholischer Beamter generös entschädigt, blieb die Partei fortan in Preußen Säule für Thron und Altar.[4]

Doch bis 1878 beschlossen der konservativ-liberal geführte Reichstag und der Bundesrat etliche kirchenpolitische Maßnahmen, um das Zentrum zu zerschlagen. Der Kanzelparagraph (kritische Kommentare Geistlicher von der Kanzel herab wurden mit Amtsentlassung und Freiheitsstrafen geahndet), das Schulaufsichtsgesetz (kirchliche Schulaufseher wurden durch staatliche ersetzt), das Verbot des Jesuitenordens und die Einführung der Zivilehe als allein gültige Form der Eheschließung waren die populärsten Bestimmungen gegen die Katholiken. Allerdings wurden viele dieser Maßregelungen durch die Annäherung zwischen Bismarck und Papst Leo XIII. wieder aufgehoben.[5] Zudem war der „eiserne Kanzler“ zum Ende seiner Amtszeit auf die Unterstützung des Zentrums angewiesen, da die Kluft zwischen Konservativen und Liberalen immer größer wurde. „ (...) Seine beharrliche Opposition [des Zentrums; Anm. d. Verf.] trug mit dazu bei, dass der Kanzler den Kampf schließlich aufgab. Schon bei der Auseinandersetzung um den neuen Kurs in der Zoll- und Wirtschaftspolitik trat es auf Bismarcks Seite, und in der Folge arbeitete es häufig mit der Reichsleitung zusammen.“[6] In der Zeit von 1906 bis 1909 versuchte Reichskanzler Bülow dem „Verdacht“ entgegenzutreten, die Reichsregierung sei politisch von der Zentrumspartei abhängig, drängte diese somit in die Opposition, allerdings näherten sich beide in der Frage um die Reichsfinanzreform wieder an, und die Unterstützung der Politik der Regierung sollte bis Kriegsende anhalten oder zumindest bis 1917, denn in der Friedensfrage und in der Frage der Zukunft des Reiches entstand eine innerparteiliche Kontroverse. Teile des Zentrums, so z. B. Erzberger, traten zusammen mit Linksliberalen und Mehrheitssozialdemokraten für einen Verständigungsfrieden ein, welcher allerdings nicht von der breiten Masse der Anhänger- und Mitgliedschaft getragen wurde. Bereits zu dieser Zeit entwickelte sich die Zentrumspartei vor allem in der Frage der Zukunft Deutschlands zu einer modernen, teilweise demokratieorientierten Partei, die in der Weimarer Republik fast von Beginn an politische Verantwortung übernahm.[7]

Ob das Zentrum in der ersten deutschen Demokratie als staatstragende Partei bezeichnet werden konnte oder doch nur „vernunftrepublikanisch“ im Sinne einer verfassungstragenden Partei war, soll im folgenden erörtert werden.

2. Das Zentrum – Demokratische Partei oder vernunftrepublikanisch?

Mit der Gründung der Weimarer Republik stand der politische Katholizismus in Deutschland vor ganz neuen Aufgaben. Die Frage der innerparteilichen Organisation des Zentrums stand im Raume: Sollte sich die Partei konfessionell öffnen und laut Julius Bachem endlich aus dem Turm heraustreten? Konnte sich die Partei zur Republik bekennen, obwohl die Einheit von „Thron und Altar“ großenteils noch katholisches Fundament war? Und wie konnte die Zentrumspartei eigene Programmatiken in die Nationalversammlung einbringen, um eine deutsche Oktoberrevolution nach russischem Vorbild zu verhindern?[8]

2.1. Innerparteiliche Dilemmata – das Zentrum als heterogene Partei

Zunächst muss, und dies ist für die weitere Entwicklung bedeutend, die innere Struktur des Zentrums näher beleuchtet werden. Dadurch wird deutlich, dass bei einer Partei, deren kleinster gemeinsamer Nenner die Konfession bildet, sonstige Programmatiken und auch die Anhänger- und Wählerschaft fast zwangsläufig heterogen sein müssen. Das Zentrum kann als „ eine konfessionell gebundene Partei mit einer religiös orientierten Werteordnung, mit vorwiegend kulturpolitischen Forderungen und Interessen, die aus einem spezifisch katholischen Milieu (...)“[9] stammen, bezeichnet werden. Der Eintritt in die Weimarer Republik vergrößerte die programmatischen Probleme dadurch, dass zentrale Forderungen des Zentrums, wie die Durchsetzung kirchlicher Freiheiten, erfüllt wurden und die Partei an der Erarbeitung der Weimarer Verfassung großen Anteil hatte.[10] Trotzdem sorgten das Erbe des verlorenen Krieges und die Unterzeichnung des Versailler Friedensvertrages, verbunden mit den Rufen nach Revision, dafür, dass sich das Zentrum kaum als demokratische Partei, sondern vielmehr als Verfassungspartei verstand. Die teilweise konträren politischen Ansichten und dadurch entstandene Flügelkämpfe zwischen Republikanern, Monarchisten, Liberalen und Konservativen konnten zwar durch die häufige Regierungsbeteiligung gemildert, aber nie völlig beseitigt werden.[11] Zu den Differenzen innerhalb der Partei kamen Vorgaben aus Rom, die programmatisch kaum mit den Zielen der Zentrumspartei übereinstimmten und auch hier für Spannungen sorgten. Der Vatikan verlangte im Deutschen Reich den Abschluss eines Reichskonkordats, um zentrale kirchliche Forderungen, wie die Klärung der Schulfrage, durchzusetzen. Führende Zentrumsabgeordnete allerdings waren realistischer als die Kurie und erkannten, dass solche Forderungen kaum realisierbar waren.

2.2. Revision oder Erfüllung? – Das Zentrum und der Friedensvertrag von Versailles

Als im September 1918 General Ludendorff stellvertretend für die Oberste Heeresleitung nach einen sofortigen Waffenstillstand verlangte, zog dieser sich und die OHL aus der Verantwortung. Er führte nicht selbst die Verhandlungen, sondern überließ diese dem Zentrumspolitiker Matthias Erzberger. Die Folgen dieser Entscheidung waren zu diesem Zeitpunkt noch unabsehbar. Auch dachte man in Deutschland, dass die Friedensbedingungen wenig hart ausfallen würden, „ dabei stützte man sich auf die Erfahrung, dass Friedensschlüsse bislang immer eine weitgehend diplomatisch-rationale Angelegenheit gewesen waren. Kaum zuvor war von den Siegern versucht worden, den Verlierer um die Substanz seiner wirtschaftlichen Existenz zu bringen, ihn aus der Völkergemeinschaft auszuschließen, ihn demonstrativ zu erniedrigen. Frühere Friedensverträge waren normalerweise vernünftige Dokumente gewesen (...).[12] Der kurz zuvor mit dem bolschewistischen Russland abgeschlossene Diktatfrieden von Bresk-Litowsk zeigte allerdings, dass die Interessen des Verlierers kein Stück berücksichtigt wurden, im Gegenteil: die Mittelmächte stellten weitgehende territoriale und wirtschaftliche Forderungen an den Besiegten (z. B. die Abtretung des Baltikums und Finnlands). Auch für den Fall des Kriegssieges hatte man in Deutschland bereits Forderungen, die u. a. die Einverleibung Belgiens beinhaltete, ausgearbeitet.[13]

Die Frage, die im Rahmen dieser Arbeit gestellt werden soll, ist: Inwiefern hat sich der Versailler Vertrag auf den politischen Katholizismus in Deutschland ausgewirkt? Oder besser: Wie hat der verlorene Krieg und das „Friedensdiktat“ das Demokratiebewusstsein des Zentrums beeinflusst? Nachdem der deutschen Delegation in Versailles der fertige Entwurf des Friedensvertrages zusammen mit einem Ultimatum von der alliierten Seite vorgelegt wurde – allenfalls drohte eine Wiederaufnahme des Krieges oder gar eine Nord-Süd-Teilung des Reiches (das französische Kriegsziel bestand sogar in einer Auflösung Deutschlands) –, begann in den Kabinettssitzungen und Fraktionsbesprechungen eine hitzige Debatte um die Annahme dieses Vertrages. Nach harten Diskussionen um das „für“ und „wider“ – sogar politische Größen wie die Sozialdemokraten Scheidemann und Ebert plädierten für die Ablehnung – legte der Zentrumsabgeordnete Matthias Erzberger sein ganzes Gewicht in die Waagschale, indem er ein düsteres Szenario von Deutschlands Zukunft ausmalte, falls der Vertrag nicht angenommen würde. Schlussendlich wurden die Friedensbedingungen am 22. Juni mehrheitlich mit 237 gegen 138 Stimmen und fünf Enthaltungen von der Nationalversammlung angenommen.[14]

[...]


[1] Allerdings hatte der Dualismus zwischen Katholizismus und Protestantismus bereits eine lange Tradition, beginnend im 16. Jahrhundert. Besonders im Kgr. Österreich und Kgr. Preußen (namentlich in Maria Theresia und Friedrich II.) manifestierte sich dieser Antagonismus (Schlesische Kriege 1740-42 und 1744-45, Siebenjähriger Krieg 1756-63), der allerdings nicht nur konfessionell, sondern auch durch Hegemonieansprüche beider Königreiche innerhalb des Heiligen Römischen Reiches geprägt war.

[2] Michael Stürmer: Das ruhelose Reich: Deutschland 1866-1918, Berlin 1983, S. 40; 147.

[3] Stürmer, 1983, Abb. siehe Anhang.

[4] Stürmer, 1983, S.229.

[5] Helmut M. Müller: Schlaglichter der deutschen Geschichte, Bonn 31996, S. 186.

[6] Hans Fenske: Deutsche Parteiengeschichte: Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Paderborn/Wien u.a. 1994, S. 130.

[7] Fenske: 1994, S. 130-132.

Vgl. Josef Stegmann: Um Demokratie und Republik. Zur Diskussion im deutschen Katholizismus der Weimarer Zeit, in: Wilhelm Weber (Hrsg.): Jahrbuch für christliche Sozialwissenschaften, Band 10 (1969), S. 101-127, hier: S. 104.

[8] Heinrich Lutz: Demokratie im Zwielicht. Der Weg der deutschen Katholiken in aus dem Kaiserreich in die Republik. 1914-1925, München 1963, S. 70.

[9] Hagen Schulze: Weimar. Deutschland 1917-1933, Berlin 1982, S. 75.

[10] Lutz, 1963. S. 72

[11] Rudolf Morsey: Der Untergang des politischen Katholizismus. Die Zentrumspartei zwischen christlichem Selbstverständnis und ‚Nationaler Erhebung’ 1932/33, Stuttgart/Zürich 1977, S.15-16.

[12] Schulze: 1982, S. 190.

[13] Schulze: 1982, S. 190.

[14] Schulze: 1982, S. 198 ff.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Die Affinität der Kirchen zum nationalen Obrigkeitsstaat: Der Katholizismus
Hochschule
Universität Osnabrück  (Fachbereich Sozialwissenschaften)
Veranstaltung
Die Aushöhlung der Weimarer Republik
Note
1,3
Autor
Jahr
2003
Seiten
25
Katalognummer
V22929
ISBN (eBook)
9783638261548
Dateigröße
622 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Affinität, Kirchen, Obrigkeitsstaat, Katholizismus, Aushöhlung, Weimarer, Republik
Arbeit zitieren
Benjamin Heilmann (Autor:in), 2003, Die Affinität der Kirchen zum nationalen Obrigkeitsstaat: Der Katholizismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/22929

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