Mark Twains Huckleberry Finn: die Flussreise


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

25 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Mark Twains Huckleberry Finn: ein kontroverses Jahrhundertwerk

2. Die Flussreise
2.1. Die Beziehung zwischen Huckleberry Finn und Jim – eine Entwicklung?
2.2. Der Kontrast zwischen Fluss und Ufer – die Ethik des Floßes
2.3. Die Darstellung der Südstaatengesellschaft
2.3.1. Die Fehde
2.3.2. King und Duke
2.3.3. Bricksville

3. Die Suche nach der Idylle – der Fluss als Freiheitsillusion

4. Hucks Erlebnisse als mögliche Initiation

5. Der oft kritisierte Schluss – enttäuschte Erwartungen und historische Realität
5.1. Jim verliert seine Würde

6. Abschließende Bemerkungen: Die vergebliche Flucht

7. Literaturverzeichnis

1. Mark Twains Huckleberry Finn: ein kontroverses Jahrhundertwerk

Betrachtet man die Reflexion von Huckleberry Finn in den Schriften der Kritiker, so kann eigentlich nur eines mit Sicherheit gesagt werden: die Kontroverse war stets ein treuer Begleiter dieses Werkes. Während die eine Seite das Buch in einer Reihe mit Klassikern wie Moby Dick oder The Scarlett Letter sieht, es in eine Reihe stellt mit amerikanischen Klassikern, sah sich das Werk bereits kurz nach seiner Veröffentlichung mit so starker Kritik konfrontiert, dass es kurz nach seinem Erscheinen aus den Bücherregalen der öffentlichen Bibliotheken verbannt wurde. Weder dieses Kapitel, noch diese Arbeit können eine vorhandene Kontroverse erschöpfend behandeln, dennoch soll versucht werden, einen kleinen Überblick über die unterschiedlichen Rezensionen des Romans zu bieten.

Wie bereits erwähnt wurde das Buch nur wenige Wochen nach seinem Erscheinen aus den Bibliotheken verbannt. Man fürchtete sich vor der expliziten Sprache, die Twains Hauptakteure verwenden. Sie galt als Gefahr für die Moral jugendlicher Leser. Für die Einen Kritikpunkt, für die Anderen Anlass für höchstes Lob. So ist Ernest Hemingway ausdrücklicher Befürworter des offensiven Sprachgebrauchs: “Hemingway, announcing that ´all modern American literature comes from one book by Mark Twain called Huckleberry Finn, `dismissed the other possible ancestors - ´Emerson, Hawthorne, Whittier, and Company`- for their lack of vulgarity: ´All these men were gentlemen, or wished to be. They were all very respectable. They did not use the words that people always have used in speech, the words that survive in language. Nor would you gather that they had bodies. They had minds, yes. Nice, dry, clean minds.`” (Jehlen, S. 94) Twain benutzt also laut Hemingway als erster die authentische Sprache des Volkes. Diese ist nicht immer schön, ausdrucksstark oder grammatikalisch korrekt, aber authentisch.

Andere Kritiker sind schlicht und einfach begeistert von der gesamten Authentizität des Werkes, und schreiben diesen Aspekt in erster Linie Twains Biographie zu. In den Südstaaten des 19. Jahrhunderts aufgewachsen und mit Gewalt, Lügen und Sklaverei von Kindesbeinen an konfrontiert, kann Twain vielleicht nicht anders, als ein derart realistisches Bild dieser Welt zu zeichnen, wie er es in Huckleberry Finn tut. “In no instance does Twain depart from the physical and social aspects of a life he had known intimately and almost daily from his early boyhood through his years as a cub pilot. No one can carp or quibble over the authenticity of the image of a society captured by Twain in Huckleberry Finn.” (Wiggins, S. 57) An selber Stelle lobt Wiggins den Schreibstil von Twain in den höchsten Tönen: The book also reveals the maturation of one of the finest prose styles in American literature. All the elements of Twain’s style came to their full fruition in this work, and, although there were to be later occasions on which Twain partly repeated his achievement in Huckleberry Finn, there was never to be a sustained effort to match this earlier one.” (Wiggins, S. 57) Dennoch sind nicht alle restlos von dem Werk überzeugt. Auf oft geäußerte Kritik an Gestaltung und Ergebnis des Ausgang des Romans werde ich in einem gesonderten Kapitel am Schluss dieser Arbeit ausführlich eingehen. Darüber hinaus gibt es aber auch Kritiker, die noch weit mehr auszusetzen haben.

So kritisiert William Van O’Connor in einer Essaysammlung Folgendes: The picaresque form is also a clue to the kind of unity the book does have, a melodramatic mixture of reality and unreality and of comedy and of horror. It is frequently theatrical in a good sense of the word. But the unity depends on Huck´s mind, and too often there are bits of action, dialogue, and observation which are not appropriate to him. There are two sorts of theatricality in the novel, melodrama and claptrap.” (Van O´Connor, in: Smith, S.381) Während ein Kritiker also etwas an der Mischung verschiedener Genres oder Erzählperspektiven auszusetzen hat, findet ein anderer diese Mischung gerade wieder reizvoll. There is more vitality and movement; the characters make gestures, change their positions, and do things as they talk more often than was true of the earlier novels.” Wiggins, S. 57.

Tatsächlich erscheint das Werk zumindest formal uneinheitlich. Doch nicht ein bestimmtes Genre gibt der Geschichte einen passenden Rahmen, sondern das Motiv der Flucht, auf der Suche nach persönlicher Freiheit. Auf diesem Weg befindet sich das Werk von Anfang bis Ende, und diese Suche nach möglicher individueller Freiheit in der Gesellschaft bleibt unabhängig von wechselnden Genres der unverwechselbare Überbau.

In dieser Arbeit soll nun in erster Linie auf die Ereignisse der beiden Hauptprotagonisten während ihrer Flussfahrt eingegangen werden.

2. Die Flussreise

Das folgende Kapitel befasst sich mit den Erlebnissen der beiden Hauptakteure während ihrer Reise auf dem Mississippi. Unter anderem soll dabei erörtert werden, ob und wenn ja wie sich die Beziehung der beiden zueinander in irgendeiner Form entwickelt. Darüber hinaus befasst sich das Kapitel mit der Darstellung der Südstaatengesellschaft in Huckleberry Finn, und versucht zu klären, ob es eine besondere „Ethik des Floßes“ geben kann.

2.1. Die Beziehung zwischen Huckleberry Finn und Jim – eine Entwicklung?

Betrachtet man die erste und die letzte Begegnung zwischen Huckleberry Finn und Jim fallen auf den ersten Blick gewisse Parallelen auf. Zu Anfang des Romans steht ein Streich, den Tom Sawyer Jim spielt. Huckleberry Finn ist dabei, wenngleich auch nicht treibende Kraft. Während der anfängliche Spaß noch als harmloser Jungenstreich zu erkennen ist, ist die Dimension des „Streiches“ am Ende des Buches weitaus gravierender: der bereits freie Sklave Jim wird – wieder unter der Federführung von Tom Sawyer - für eine Befreiungsposse der übelsten Art missbraucht, und wieder steht Huckleberry Finn scheinbar teilnahmslos daneben und macht das grausame Spiel mit. Auf den ersten Blick hat sich also nichts geändert, doch der erste Blick ist in diesem Falle äußerst trügerisch.

Das so ungleiche Paar wird durch dieselbe Intention zusammengebracht. Die Flucht vor Autorität ist der Grund für die Flucht der beiden. Huckleberry Finn inszeniert dramatisch seinen eigenen Tod, und kann sich danach frei und ohne Angst vor Repressalien bewegen. Jim gilt nach seiner Flucht als „Runaway Nigger“, der nach seiner Ergreifung mit gravierender Bestrafung rechnen hätte müssen. Durch die Flucht mit einem Floß sind beide von der Gesellschaft – zumindest zeitweise – abgeschottet, wenngleich sie Vertretern dieser Gesellschaft immer wieder begegnen. Jim wird dabei zu Beginn als einfältiger, abergläubischer Mensch dargestellt. „Er wird als stereotyp komische Negerfigur eingeführt, wie sie aus den minstrel shows bekannt war: ignorant, abergläubisch und weiße Verhaltensformen (z.B. die Aktienspekulation) unbeholfen nachahmend. Als er auf Jackson´s Island mit Huck zusammentrifft, gewinnt er rasch andere Züge hinzu: die des treuen, gutmütigen, dankbaren und fürsorglichen Schwarzen, dem Positiv – Stereotyp der Negerbefreiungsbewegung entsprechend (...)“ (Breinig, S. 121) Anfangs jedoch sind die Rollen der beiden Flüchtlinge noch klar verteilt. Der entflohene Sklave ist von dem weißen Jungen abhängig, und muss sich in erster Linie darauf verlassen können, nicht verraten zu werden.

Dennoch beginnt die Beziehung der beiden Flüchtlinge harmonisch. “We laid off all the afternoon in the woods talking, and me reading the books, and having a general good time.” (Twain, S. 80) Die beiden scheinen gut miteinander auszukommen und unterhalten sich über verschiedenen Dinge. Während Huck den Ausflug auf das liegengebliebene Wrack und die Begegnung mit drei skrupellosen Gangstern als Abenteuer auffasst, ist Jim anderer Meinung und hat genug von Abenteuern verschiedenster Art. Daraufhin muss Huck zugeben, dass sein Begleiter nicht unrecht hat. “Well, he was right; he was most always right; he had an uncommon level head, for a nigger.” (Twain, S. 81) Wohlgemerkt wird ist diese Feststellung von zweideutiger Natur. Die Aussage impliziert nämlich deutlich, dass Huck Finn von einem Sklaven soviel praktisches und vernünftiges Denken schlichtweg nicht erwartet hätte. Doch bereits während der nächsten Unterhaltung gehen die Meinungen der beiden weit auseinander. Huck versucht Jim vergeblich, die Weisheit des König Salomon zu vermitteln, doch Jim versteht nur, dass ein Kind in zwei Hälften geschnitten werden soll.

“`Now I want to ast you: what´s de use er dat half a bill – can´t buy noth´n wid it. En what use is is a half a chile? I wouldn´t give a dern for a million un um.´ `But hang it, Jim, you´ve clean missed the point- blame it, you´ve missed it a thousand miles.´” (Twain, S. 82)

Huckleberry Finn gibt das Gespräch daraufhin genervt auf, und auch die Diskussion über die französische Sprache verläuft nicht zu seiner Zufriedenheit. “I see it warn´t no use wasting words – you can´t learn a nigger to argue. So I quit.” (Twain, S. 84) Besonders die Diskussion über das Handeln von König Salomon sollte näher betrachtet werden. Während Huck der Meinung ist, Jim würde die Geschichte nicht verstehen, stellt sich für Jim die Sache ganz anders dar. “Jim´s sensitivity to his children is thus anticipated, and the intensity of Jim and Huck´s respect for each other is reflected. A fool´s argument, Jim´s aggressively simplistic position puts the survival of the baby above the devices of justice; this idea of course, is a version of Huck Finn. Huck will make a similar decision.” (Sloane, S. 65)

Twain benutzt hier die Tradition der minstrel shows, mit Jim in einer ähnlichen Rolle des lächerlichen Schwarzen, um auf spätere Geschehnisse vorzubereiten. Denn auch Huck wird sich später geltendem Recht widersetzen und Jim nicht verraten. So wird durch diese Gespräche bereits angedeutet, wie sich die weitere Beziehung zwischen Huck und Jim entwickeln wird. Bis zu diesem Zeitpunkt sind beide – im Rahmen des möglichen – halbwegs auf gleicher Augenhöhe angekommen, wenn auch für Huck der Unterschied zwischen „Nigger“ und Weißen durchaus klar ist. Dennoch haben sich die beiden auf dem Floß bereits mehr angenähert, als dies an Land jemals möglich gewesen wäre. Doch erst als Huckleberry Finn zum zweiten Mal versucht, Jim einen Streich zu spielen, ist eine richtige Entwicklung auch im Herzen des Jungen erkennbar. Huck Finn und Jim verlieren sich im Nebel, und erst nach längerer Suche findet Huck seinen Begleiter wieder, und beschließt, die Chance zu nutzen, ihm einen neuerlichen Streich zu spielen. Jim reagiert verstört, enttäuscht und zutiefst verletzt.

“`When I got all wore out wid work, en wid de callin´for you, en went to sleep my heart wuz mos´broke because you wuz los´, en I didn´kýer no mo´what become er me en de raf´. En when I wake up en fine you back agin´, all safe en soun´, de tears come en I could a got down on my knees en kiss yo´foot I´s so thankful. En all you wuz thinkin´´bout wuz how you could make a fool uv old Jim wid a lie.´” (Twain, S. 89/90)

Die beschriebene Szene kennzeichnet die entscheidende Wandlung in der Beziehung zwischen Huck und Jim. Huck erkennt, dass er seinen Begleiter tief verletzt hat, und erkennt an, dass auch ein Sklave menschliche Gefühle besitzt, mit denen nicht gespielt werden darf. “It was fifteen minutes before I could work myself up to go and humble myself to a nigger – but I done it, and I warn´t ever sorry for it afterwards, neither. I didn´t do him no more mean tricks, and I wouldn´t done that one if I´d a knowed it would make him feel that way.” (Twain, S. 90) “So Huck finds himself willing to lower himself for the sake of friendship and respect. Huck vows to do no more mean tricks, putting aside the exploitive part of his friendship with Jim and keeping the more adult, caring elements.” (Sloane, S. 67)

Der Weg zurück in die unbeschwerte Welt der Kindheit, in der Streiche harmlos und ohne weitere Konsequenzen waren, ist versperrt. Huck muss an dieser Stelle lernen, dass er eine gewisse Verantwortung für seine Taten übernehmen muss, auch wenn es sich nur um einen in seinen Augen harmlosen Streich gehandelt hat. “His only reward is Jim´s trust: ´Dah you goes, de ole true Huck; de oný white genlman dat ever kep´his promise to old Jim. `It is enough to keep Huck on the path of “wrong” in helping Jim escape.” (Wiggins, S. 65) Dennoch hat sich Huckleberry Finn keineswegs vom Saulus zum Paulus gewandelt. Schließlich ist er auch später während der Reise fest davon überzeugt, etwas Unrechtes zu tun, indem er Jim dauernd versteckt und ihm bei der Flucht hilft. Andererseits kann er Jim auch nicht verraten, obwohl er die Gelegenheit hätte, und sie auch ergreifen will. Schließlich wird er von den Männern die er trifft, explizit aufgefordert, „Runaway Niggers“ zu melden. Huck verrät Jim nicht, doch von der Richtigkeit seiner Tat ist er nicht überzeugt. „They went off and I got aboard the raft, feeling bad and low, because I knowed very well I had done wrong, and I see it warn´t no use for me to try to learn to do right; a body that don´t get started right when he´s little, ain´t got no show – when the pinch comes there ain´t nothing to back him up and keep him to his work, and so he gets beat.” (Twain, S. 95)

[...]

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Mark Twains Huckleberry Finn: die Flussreise
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg  (Institut für Anglistik und Amerikanistik)
Veranstaltung
Hauptseminar: Amerika als literarischer Entwurf
Note
1,7
Autor
Jahr
2003
Seiten
25
Katalognummer
V22867
ISBN (eBook)
9783638261043
Dateigröße
502 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mark, Twains, Huckleberry, Finn, Flussreise, Hauptseminar, Amerika, Entwurf
Arbeit zitieren
Joachim Schmidt (Autor:in), 2003, Mark Twains Huckleberry Finn: die Flussreise, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/22867

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