Der spanische Föderalismus


Vordiplomarbeit, 2003

35 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Historisch-ethnische Spannungsfaktoren
2.1 Die geschichtliche Entwicklung der territorialen Ordnung Spaniens
2.2 Die historischen Nationalitäten und regionale Diversität

3. Entstehung und Entwicklung des Autonomiestaates
3.1 Die Verfassung und die Konstituierung der Autonomen Gemeinschaften
3.2 Die Bewältigung der regionalen Spannungen im quasi-föderalen System Spaniens

4. Der Autonomiestaat – eine zweckmäßige Lösung?

5. Zusammenfassung

Anhang: I.) Literatur- und Quellenverzeichnis
II.) Die territoriale Gliederung Spaniens

1. Einleitung

Nach dem Ende der franquistischen Diktatur 1975 gelang Spanien der Übergang zu einer parlamentarischen Monarchie, gleichzeitig mit dieser friedlichen „Transition“ zur Demokratie wagten sich die reformerischen Kräfte an die historisch – politisch herausragende Aufgabe der Dezentralisierung des jahrhundertealten Einheitsstaates. Auch 25 Jahre nach Beginn dieses Experiments ist das Ergebnis immer noch offen und die Entwicklung dynamisch; die wissenschaftliche Diskussion über den Föderalisierungsgrad Spaniens, die immer wieder hervortretenden nationalistischen Spannungen und separatistischen Bestrebungen, die auch im Sommer 2003 wieder in terroristischen Anschlägen auf touristische Ziele gipfelten, belegen eindeutig, dass das Modell der Autonomen Gemeinschaften noch weit davon entfernt ist, eine endgültige Lösung für die ethnisch-historischen Probleme Spaniens zu bieten.

Diese Arbeit soll sich mit der Fragestellung auseinandersetzen, wie diese Spannungsfaktoren zu erklären sind und welche Antworten das politische System Spaniens seit der Verfassungsgebung 1978 zu geben versucht hat. Neben der Darstellung der historisch-territorialen Entwicklung und der Betrachtung der ethnisch-kulturellen Regionen auf dem spanischen Staatsgebiet sollen der Prozess der Dezentralisierung und die föderalistischen Mechanismen innerhalb der heutigen politischen Ordnung untersucht werden, um eine Antwort auf die Frage zu finden, ob das quasi-föderale Sondermodell Spaniens eine geeignete Lösung für sein Problem war bzw. ist.

Als Materialbasis dienten die deutschsprachigen Grundlagenwerke von Dieter Nohlen und Andreas Hildenbrand[1] zum Staat der Autonomen Gemeinschaften sowie die Beiträge zu den „Föderalismus-Studien“ von Jutta Kramer[2] und Kirsten Wendland[3]. Aktuellere Fakten und Erkenntnisse lieferten einige Aufsätze und Beiträge jüngeren Datums sowie das „Anuario 2003“ der spanischen Tageszeitung „El País“[4].

2. Historisch-ethnische Spannungsfaktoren

2.1 Die geschichtliche Entwicklung der territorialen Ordnung Spaniens

Die regionalistischen und nationalistischen Spannungen im modernen Spanien können nicht verstanden werden, ohne seine lange und wechselvolle Geschichte der territorialen Ordnung zu beachten.

Spanien zählt zwar einerseits zu den ältesten Nationalstaaten in Europa, aber die staatliche Einheit hat andererseits stets mit einem Missverhältnis aus teilweise übersteigertem Zentralismus und einer hohen ethnisch-kulturellen und sozio-ökonomischen Diversität zu kämpfen gehabt, deren Ursprünge bis in die Antike zurückreichen.

Nach der Besiedlung, Eroberung oder sonstiger Beeinflussung der iberischen Halbinsel durch Phönizier, Kelten, Griechen, Römer und zahlreiche Stämme während der Völkerwanderung stand das Gebiet seit dem frühen achten Jahrhundert unter der Vorherrschaft der Araber.[5] So ist die spanische Geschichte bis zur frühen Neuzeit nach außen geprägt durch die Reconquista, der christlichen Rückeroberung durch die ursprüngliche iberische Bevölkerung, nach innen ist sie die Geschichte zahlreicher eigenständiger regionaler Königreiche, Fürstentümer und Grafschaften, die aufgrund von Eroberung, Heirat oder Verwandtschaft miteinander vereinigt wurden oder zerfielen. Der Preis für die ewigen Kriege, Fehden und militärischen Anstrengungen gegen die Araber, den alle Könige und Fürsten zahlen mussten, waren zahlreiche Privilegien wie Freiheits- und Selbstverwaltungsrechte (die sogenannten fueros municipales), die sie den Land- und Stadtbevölkerungen als Ausgleich für Unterstützungsleistungen gewähren mussten. Diese territorialen Ausnahmen von den königlichen Hoheitsbefugnissen, die man als eine Frühform einer Föderalisierung des spanischen Gebietes bezeichnen könnte, fand ihre Blütezeit im 12. Jahrhundert.[6]

In Konkurrenz zu León, Aragonien, Navarra, Katalonien und den baskischen Gebieten ist es letztendlich das Königreich Kastilien, das sich zur vorherrschenden Zentralmacht entwickelte.

Nach der Vereinigung mit dem Königreich León und dem Versuch der Zentralisierung, Systematisierung und Kodifizierung der unterschiedlichen Rechtstraditionen ab dem 13. Jh. wurde die Macht der kastilischen Könige immer stärker, auch wenn sich der Adel und die Städte gegen den Niedergang der Foralrechte wehrten und die regionalistischen Kräfte als Gegenbewegung zum Zentralismus erstarkten.

Zur politischen und staatlichen Vereinigung der spanischen Gebiete kam es nach der Hochzeit von Isabella I von Kastilien und Ferdinand II von Aragonien – sie erhielten von Papst Alexander VI den Ehrentitel „Katholische Könige“ – 1469 und der Fusion der beiden größten iberischen Königreiche. Katalonien gehörte zu diesem Zeitpunkt zu Aragonien, Navarra wurde kurz danach erobert wurde, und auch die baskischen Gebiet mussten sich der neuen Großmacht anschließen. Mit der Einnahme Granadas 1492 war die christliche Rückeroberung der iberischen Halbinsel und die endgültige Vertreibung der Araber abgeschlossen, und dem schnellen Aufstieg Spaniens zum modernen und mächtigen Nationalstaat stand nichts mehr entgegen.

In gewisser Hinsicht war aber Spanien auch nach der Vereinigung politisch nicht homogen, zwar gab es nur einen Herrscher – den spanischen König – aber die alten Königreiche und Herrschaftsgebiete blieben unter der kastilischen Krone vereint erhalten, inklusive der alten Rechtsordnungen und Verwaltungsinstitutionen. Die königliche Souveränität hatte territorial also jeweils unterschiedliche Reichweiten, und obwohl die Verwaltung zentralistisch vom Real Consejo de Castilla, dem Kronrat, gelenkt wurde, hielten die unterschiedlichen Bevölkerungen an ihren regionalen Traditionen und Besonderheiten fest, und die spanische Einheit ruhte größtenteils nur in der Person des Königs.[7]

Die wirtschaftliche und kulturelle Blütezeit im 16. und 17. Jh., das sogenannte spanische „Goldene Zeitalter“ unter der Habsburger Krone, ging einher mit absolutistischen Tendenzen des kastilischen Königs und der Ausbreitung des kastilischen Rechts auf Kosten der anderen Rechtsordnungen. Noch waren diese Bestrebungen aber nur wenig erfolgreich und trafen auf einen starken Widerstand, sodass mit der Gewährung von regionalen Gegenrechten (Prüfungsrechte, Nichtigkeitsregeln, Prävalenzklauseln, Entschädigungsregeln, Klagerechte) und der Errichtung von Schutzmechanismen mit unterschiedlichsten Eingriffsmöglichkeiten in die königliche Machtsphäre eine vorübergehende quasibundesstaatliche Rechtsordnung entstand. Mit dem Ende der Habsburger Dynastie nach dem Spanischen Erbfolgekrieg und der Herrschaft des ersten Bourbonen Philipp V. (1700 – 1746) kam es jedoch schnell zu einem Ende der regionalen Sonderrechte und zu einem zielstrebigen Zentralisierungsprozess nach französischem Vorbild. Die fueros und regionalen Ständevertretungen (Cortes) wurden fast vollständig abgeschafft, die zweite Hälfte des 18. Jh. stellte den Höhepunkt der königlichen Macht in Spanien dar. Aber die radikale Kastilianisierung und Unitarisierung sowie die Annullierung der mittelalterlichen Sonderrechte tragen den Keim für die bis heute andauernden Autonomie- und Separatismusbestrebungen.[8]

Das 19. Jahrhundert ist in Spanien geprägt von innenpolitischen Unruhen, bürgerlichen Revolutionen und konservativen Restaurationsversuchen. Die erste spanische Verfassung von 1812 sah noch einen zentralisierten Einheitsstaat und eine weitere Vereinheitlichung der Gesetze und Rechtsordnungen vor, sorgte aber mit der Berücksichtigung von baskischen und navarrischen Sonderrechten schon wieder für Konfliktstoff. Für die territoriale Geschichte interessant ist das Jahr 1833, als der königliche Minister Javier de Burgos per Dekret den zentralistischen Verwaltungsapparat perfektionierte und das spanische Gebiet in 49 Provinzen aufteilte, die jeweils von einem Zivilgouverneur als Vertreter der Zentralgewalt an der Spitze geführt wurden und in ihren wesentlichen Strukturen bis heute erhalten geblieben sind. In den Karlistenkriegen 1833 – 1840 erlangte die Frage der Regionen wieder mehr Bedeutung, aber die baskischen und navarrischen Sonderrechte wurden bis auf einige wenige spezifische Privilegien in Zivilrecht, Steuerwesen und Militär beschnitten und die anderen, noch bestehenden fueros verloren ihre Bedeutung. Aber gleichzeitig nahmen das Bewusstsein für die eigene historische Rolle und die regionale Identifikation zu, und das Regionalismusproblem entwickelte eine immer stärkere Dynamik.[9] Laut Fernández – Carnicero ist der besondere, auf emotionaler Basis gegründete regionale Nationalismus in dieser Zeit entstanden, weil Katalonien und das Baskenland mit der Krone und den Cortes als Regionalvertretung traditionell die Dezentralisierung verband und unter einem republikanischen Staatswesen den zentralisierten Einheitsstaat verstand. Diese gegenläufigen Zielvorstellungen von gesamtstaatlichen liberalen und peripheren bürgerlichen Kräften verhinderten die Entstehung eines homogenen spanischen Nationalismus.[10]

Ein bedeutender Einschnitt in der spanischen Geschichte ist der 1. Juni 1873, an dem die 1. Republik ausgerufen wurde. Ihr erster Präsident, Pi y Margall (1824-1901), Jurist und Kämpfer für die Demokratie, hatte schon 1854 in seinem Werk „La reacción y la revolución“ erste föderalistische Denkansätze entwickelt, und auch der Verfassungsentwurf vom 17.7 1873 war von bundesstaatlichem Charakter. Aber interne Streitigkeiten der Republikaner über die Regionenfrage – kantonalistische Genese eines Bundesstaates von unten oder föderalistische Dezentralisierung von oben – verhinderten eine Verkündung der Verfassung. Landesweite Aufstände im Machtvakuum und Unabhängigkeitserklärungen zahlreicher baskischer, katalanischer und andalusischer Gebiete sorgten für chaotische Zustände, und die reaktionären Kräfte nutzten die Zerrissenheit der demokratischen Kräfte zur erneuten Machtergreifung mittels eines Staatsputsches durch das Militär. General Pavía löste am 3.2.1874 das Parlament auf, und mit der Rückkehr der Bourbonen unter Alfons XII. besannen sich die staatlichen Eliten wieder auf autoritäre Prinzipien.

Zum Verhängnis für den spanischen Föderalismus wurde also die Ungleichzeitigkeit von theoretischen Vorstellungen und realpolitischen Umwälzungen. Erst nach dem Scheitern der
1. Republik konnte Pi y Margall seine bundesstaatlichen Ideen weiterentwickeln, in „Las Nacionalidades“ beschrieb er 1876 ein Modell für eine föderalistisch strukturierte Gesellschaft mit regionalen demokratischen Regierungen. Es war das Ergebnis des liberalen Gedankens, das gesellschaftliche Zusammenleben durch Pakte und Verhandlungen zwischen Individuen zu regeln; diese speziell spanische foralrechtliche Tradition hat bis heute überlebt und manifestiert sich in der spanischen Autonomiepolitik.[11]

Der Kampf zwischen bürgerlich-liberalen, sozialistischen und konservativen Kräften erreichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen Höhepunkt. Nach dem Ende der Militärdiktatur von General Primo de Rivera und der monarchistischen Restauration drang die politische Linke auf die Bildung einer Republik, und als die Republikaner bei den Kommunalwahlen 1931 einen überwältigenden Erfolg erzielen, verließ König Alfons XIII das Land. Am 14.4.1931 wird die 2. Republik ausgerufen, und mit der Verkündung der neuen Verfassung am 9. Dezember des selben Jahres begann ein weiterer Versuch, die spanische territoriale Ordnung neu zu organisieren. Die Nachwirkungen der traumatischen Erfahrungen mit den separatistischen Tendenzen in der 1. Republik ließen die Verfassungsgeber aber von einer erneuten bundesstaatlichen Option Abstand nehmen, man entschied sich stattdessen für das sogenannte dispositive Prinzip einer Autonomisierung der Regionen, welches auch den heutigen Staat der Autonomen Gemeinschaften charakterisiert. Aber in diesem „regionalisierbaren“ Zentralstaat war kein Senat vorgesehen, die unitarische Denktradition und die Vorsicht bzw. Skepsis gegenüber der Gewährung regionaler Eigenständigkeit durchzog die gesamte Verfassungsschrift.[12]

Trotzdem gelang es Katalonien 1932 und dem Baskenland 1936, den Autonomiestatus zu erreichen, aber die Verabschiedung des galizischen Statuts in der zweiten Jahreshälfte 1936 kam zu einer Zeit, in der das Ende der 2. Republik schon besiegelt war. Der immer stärkeren Polarisierung der politischen Kräfte und den permanenten parlamentarischen und gouvernementalen Instabilitäten folgten der Spanische Bürgerkrieg von 1936-1939 und die faschistische franquistische Diktatur bis 1975. Der caudillo schaffte die katalanische und baskische Autonomie ab und schuf ein straff organisiertes zentralistisches Regime, welches die sprachlich-kulturellen Identitäten der Basken, Katalanen und Galizier durch Repressionsmaßnahmen auszulöschen versuchte und separatistische Bewegungen teilweise gewaltsam unterdrückte.[13]

2.2 Die historischen Nationalitäten und regionale Diversität

Neben den beschriebenen historisch-politischen Zusammenhängen gibt es aber auch sprachlich-kulturelle und sozio-ökonomische Erklärungsfaktoren für die regionale Diversität in Spanien. Wie schon beschrieben durchlebte das iberische Gebiet zahlreiche kulturelle Einflüsse im Laufe seiner Geschichte. Die verschiedenen kulturellen Erben sind mehr oder weniger starke Nachwirkungen der wechselnden iberischen, keltischen, karthagischen, griechischen, römischen, arabischen und christlichen Vorherrschaft und werden besonders seit dem 20. Jahrhundert wieder verstärkt von den Regionen gepflegt.[14]

Am deutlichsten offenbart sich diese kulturelle Diversität auf der sprachlich – ethnischen Ebene. Neben der gesamtspanischen Amtssprache Kastilisch und seinen zahlreichen dialektischen Varianten, z.B. dem Andalusischen, werden in Spanien noch drei andere eigenständige Sprachen verwendet, das Baskisch, das Katalanisch und das Galizisch. Die Sprachgrenzen stimmen allerdings nicht immer exakt mit der regionalen Gliederung überein, und im Gegensatz zu anderen multiethnischen föderalen Ländern wie Belgien oder der Schweiz sind die drei historischen Regionen, in denen eine andere Sprache gesprochen wird, zweisprachig. Die Ursache dafür liegt in der starken Hegemonie des Kastilischen, gefördert durch die historisch-politische Entwicklung, rigoros durchgesetzt durch die franquistische Diktatur und vorgeschrieben durch die aktuelle spanische Verfassung[15]. Während das Kastilisch von 2/3 der spanischen Bevölkerung als Muttersprache verwendet und von allen verstanden wird, schwankt besonders unter den Jugendlichen die Regionalsprachkompetenz. Zwar ist seit der Transition, also dem Prozess der Demokratisierung, eine wachsende Gleichrangigkeit der Sprachen festzustellen, aber besonders im schriftlichen Bereich ist das Kastilisch immer noch dominierend.[16]

Die sogenannten historischen Nationalitäten Galizien, Baskenland und Katalonien nehmen innerhalb der regionalen Diversität in Spanien eine herausgehobene Position ein. Zwar ist die verfassungsmäßige klare Abgrenzung von „Nationalitäten“ und „anderen Regionen“ umstritten[17], aber hinsichtlich ihrer historischen und sprachlich – ethnischen Sonderstellung bestehen keinerlei Zweifel.

Katalonien, entstanden aus der spanischen Mark Karls des Großen und eine starke Seemacht im Mittelalter und der frühen Neuzeit mit vielen politischen Freiheiten und eigenständigen Institutionen wie einer Ständevertretung (Cortes) und Exekutive (die Generalitat), welche es nach dem spanischen Erbfolgekrieg verloren hatte, begann im 19. Jahrhundert seine Sprache und Kultur wiederzuentdecken. Die nationalistischen Kräfte sahen seit Mitte des 19. Jahrhunderts im Föderalismus die politisch-institutionelle Lösung für die Integration Kataloniens in den spanischen Staat, scheiterten aber wie schon beschrieben mit ihren Vorstellungen. Seit Anfang des 20. Jh. verstärkten sich die nationalistisches Tendenzen und die politische Dimension des Katalanismus trat immer mehr in den Vordergrund. 1912 schlossen sich die Provinzialräte zur „Mancomunidad de Catalunya“ zusammen, bis diese von der Diktatur von Primo de Rivera (1923-1930) aufgelöst wurde. Der linke Katalanismus strebte an, die nationalistische Frage innerhalb einer republikanischen Staatsform zu lösen und unterstützte deswegen die liberalen und sozialistischen Kräfte. Das katalanische Autonomiestatut von 1932 sah eine beschränkte Selbstregierung, Kulturhoheit und das Katalanisch als 2. Amtssprache vor. Das Ende der Generalitat Catalunya kam mit der Niederlage der Republik 1939, unter Franco leisteten die Nationalisten zumindest passiven Widerstand gegen die radikale kastilische Bevormundung. Heute umfasst Katalonien ca. 6% der Fläche Spaniens, hat ungefähr 6 Mio. Einwohner und die romanische Sprache Català wird von 8 Mio. Menschen (teilweise in Valencia, Aragón, Mallorca, Südfrankreich, Sardinien) gesprochen.[18]

Die Herkunft der 2 Millionen Basken ist heute genauso mysteriös wie unter Ethnologen und Sprachwissenschaftlern umstritten. Das Baskisch wird nur von einer halben Million Menschen gesprochen und ist unbekannten Ursprungs. Die spanischen Teile des Baskenlands umfassen ca. 2% der Staatsfläche und konnten seit dem 13. Jahrhundert verbriefte Sonderrechte (fueros) verteidigen, auch wenn sie im 19. Jahrhundert teilweise verlustig gegangen sind (s.o.). Tiefgreifende wirtschaftliche und gesellschaftliche Umstrukturierungen durch den Aufbau einer Schwerindustrie und die Entwicklung einer starken großbürgerlichen Mittelschicht beeinflussten den baskischen Regionalismus im 19. und 20. Jahrhundert, und so wurde das städtische Kleinbürgertum und die agrarische Bevölkerung Träger des starken Nationalismus, der sich gegen die im Zuge der Industrialisierung und Liberalisierung einsetzende Kastilianisierung des Baskenlandes wandte. Die regionalistische Bewegung forderte die Rückbesinnung auf traditionelle sprachliche und kulturelle Besonderheiten sowie die Beibehaltung der traditionell agrarischen Gesellschaftsform; sie kann in gewissem Sinne als antimodern bezeichnet werden. Auch der 1906 gegründete Partido Nacionalista Vasco unterstützte 1931 die linken Kräfte in der Republik in der Hoffnung auf politische Autonomie, aber das baskische Statut konnte erst 1936, kurz vor der Besetzung durch falangistische Truppen, ratifiziert werden. Während der Franco-Diktatur wurde das Baskenland besonders stark und systematisch unterdrückt, was die Entstehung der anfangs friedlichen, später separatistisch-terroristischen ETA (Euskadi Ta Askatasuna – „Baskenland und Freiheit“) als Abspaltung der PNV-Jugend beförderte. Seit der politischen Autonomie des Baskenlandes 1979 verliert die ETA allerdings immer mehr an Rückhalt in der Bevölkerung.[19]

[...]


[1] Nohlen, Dieter / Hildenbrand, Andreas: Spanien. Wirtschaft – Gesellschaft - Politik, Opladen 1992 / Nohlen, Dieter / Gonzáles Encinar, José Juan (Hrsg.): Der Staat der Autonomen Gemeinschaften in Spanien, Opladen 1992.

[2] Kramer, Jutta (Hrsg.): Die Entwicklung des Staates der Autonomien in Spanien und der bundesstaatlichen Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland. El Desarrollo del Estado de las Autonomías en España y la Evolución del Federalismo en la Republica Federal de Alemania. Ein spanisch-deutsches Verfassungkolloqium. Coloquio Constitucional hispano-alemán. Baden Baden 1996.

[3] Wendland, Kirsten: Spanien auf dem Weg zum Bundesstaat? Entstehung und Entwicklung der Autonomen Gemeinschaften, Baden – Baden 1998.

[4] Anuario El País 2003, Madrid 2003.

[5] Nohlen / Hildenbrand: Spanien… S. 174ff.

[6] Wendland, S. 49f.

[7] Wendland, S. 52ff.

[8] ebd., S. 54ff.

[9] Wendland S. 57f.

[10] Fernández – Carnicero González, Claro José: Nacionalismo, Federalismo y Democracia en la Historia Constitucional de España, in: Kramer, S. 27ff.

[11] Wendland, S. 59ff.

[12] ebd., S. 62ff.

[13] Conceição-Heldt, Eugénia da: Dezentralisierungstendenzen in westeuropäischen Ländern. Territorialreformen Belgiens, Spaniens und Italiens im Vergleich, Berlin 1998, S. 51.

[14] Nohlen / Hildenbrand: Spanien… S. 174ff.

[15] Verfassung des Königreiches Spanien (SpVerf), vom 29. Dezember 1978, geändert durch Gesetz vom 27. August 1992 (Art. 13 Abs.2), in: http://www.verfassungen.de/es/verf78-index.htm, Download am 11. August 2003, Art. 3, Abs. 1.

[16] Dieter Nohlen / Andreas Hildenbrand: Regionalismus und politische Dezentralisierung in Spanien, in: Nohlen / Encinar: Der Staat..., S. 14f.

[17] Francisco González Navarro z.B. meint, dass diese Unterscheidung nur mit politischen Erwägungen bei der Verfassungsgebung, nicht aber soziologisch erklärbar ist, da auch andere Regionen in ihrem regionalen Nationalverständnis mit den historischen Nationalitäten vergleichbar sind, in: González Navarro, Francisco: Navarra y la Hierofanía de su Derecho Histórico, in: Kramer, S. 177ff.

[18] Nohlen / Hildenbrand: Regionalismus und politische Dezentralisierung..., S. 16f.

[19] Nohlen / Hildenbrand: Regionalismus und politische Dezentralisierung..., S. 18f.

Ende der Leseprobe aus 35 Seiten

Details

Titel
Der spanische Föderalismus
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft)
Note
1,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
35
Katalognummer
V22727
ISBN (eBook)
9783638259996
ISBN (Buch)
9783638647588
Dateigröße
599 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Föderalismus
Arbeit zitieren
Robert Rädel (Autor:in), 2003, Der spanische Föderalismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/22727

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Der spanische Föderalismus



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden