Sprachkultur und Sprachpolitik in Polen


Seminararbeit, 2004

14 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Hauptteil
1. Zum Verhältnis von Dialekten und Standardsprache
1.1. Der Stadt-Land-Gegensatz
1.2. Die „Neuen Mischdialekte“
2. Die Sonderfälle „Schlesisch“ und „Kaschubisch“
2.1. Das Schlesische
2.2. Das Kaschubische
3. Die Entwicklung des Hochpolnischen in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts
4. Das öffentliche Interesse an der Sprache
5. Sprachpolitik in Polen

III. Schluß

Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Fernab von Nationalismus und Deutsch- oder sonstiger „Tümelei“ wird von Sprachwissenschaftlern, Journalisten und schnell wachsenden „Sprachvereinen“ in den letzten Jahren eine zunehmende Gefährdung der sprachlichen Vielfalt beklagt. Besonders in den hochentwickelten Industriestaaten scheinen die zunehmende Vernetzung und die steigende Mobilität der Bevölkerung, die unterschiedliche Bewertung von Dialekten und Standardsprachen sowie der wachsende Einfluß des Englischen als Lingua franca dazu zu führen, dass sprachliche Unterschiede immer weiter nivelliert werden. Während schon lange in verschiedenen Ländern Warnungen zu hören sind, dass die dialektale Vielfalt zugunsten der jeweiligen übergeordneten Standardsprache schwindet, wird mittlerweile auch deren Bestand von bestimmten Kreisen nicht mehr als völlig gesichert betrachtet. Insbesondere der stetig wachsende Einfluß der englischen Sprache ruft immer mehr Widerspruch hervor. Denn neben der Funktion als „Brücke“ zwischen Sprechern verschiedener Sprachen dringt das Englische über Mischformen („Denglisch“, „Franglais“, „Spanglish“) und zunehmend auch in Reinform in die Kommunikation zwischen Sprechern ein, die eigentlich dieselbe (andere) Sprache sprechen. So hat sich in Deutschland etwa ein Verein Deutsche Sprache e.V. gebildet, der den Einfluß des Englischen zurückdrängen will[1].

Auch in Polen wird über den Zustand der Sprache und die Notwendigkeit zum Schutz derselben diskutiert. Die Sprachkultur in Polen, die Sprachpolitik des polnischen Staates sowie das Verhältnis zwischen der polnischen Standardsprache und den Dialekten sind Gegenstand dieser Arbeit.

II. Hauptteil

1. Zum Verhältnis von Dialekten und Standardsprache

1.1. Der Stadt-Land-Gegensatz

Die ursprünglichen polnischen Varietäten werden traditionell in fünf große Dialekte eingeteilt: Das Masowische, das Kleinpolnische, das Großpolnische, das Schlesische und das Kaschubische; die beiden letzteren sind Gegenstand kontroverser Debatten um ihren Status als Sprachen oder als polnische Dialekte (siehe 2.).

Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es eine klare räumliche Trennung der polnischen Standardsprache und der Dialekte. In der Stadt sprach man Standardpolnisch, auf dem Land Dialekt.[2]

In gewisser Weise ist dies heute noch der Fall. Doch die massiven sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen nach dem zweiten Weltkrieg sowie ein massenhafter Zuzug von Landbewohnern in die Städte (und seit einiger Zeit auch der Umzug von Vertretern der städtischen Intelligenz aufs Land) haben dieses Bild dennoch deutlich gewandelt. Statt einer klaren Trennung zwischen Dialekt (Land) und Standardpolnisch (Stadt) kann heute eher von einer „Bilingualität“ der Landbevölkerung und einem zunehmenden Einfluß der Dialekte auf das städtische Standardpolnische gesprochen werden.

Die „Bilingualität“ der Landbevölkerung ergibt sich vor allem daraus, dass das Standardpolnische die polnische Varietät mit dem höchsten sozialen Prestige ist. Abgesehen davon, dass die Landbevölkerung aus diesem Grund schon an sich das Standardpolnische sprechen können will, ist die Beherrschung der landesweit gültigen Standardsprache mittlerweile zu einem Muß für das eigene soziale Weiterkommen geworden; selbst auf dem Dorf wird sie unerlässlich[3].

Das bedeutet jedoch nicht automatisch, dass die Dialekte an Bedeutung verlieren. In der innerfamiliären Kommunikation wird weiterhin die lokale Dialektform verwendet; ein Versuch, mit Sprechern des eigenen Dialektes Standardpolnisch zu sprechen, würde negativ als Versuch gesehen, die eigene Herkunft zu verleugnen. In der Kommunikation mit einem Fremden, der erkennbar Standardpolnisch oder einen anderen, nicht eng verwandten Dialekt spricht, wird jedoch auf das Standardpolnische „umgeschaltet“. Dabei ist selten ein reines Standardpolnisch zu hören, da die Sprecher jeweilige dialektale Elemente in den wenigsten Fällen vollständig „loswerden“. Das Ergebnis ist ein Substandard als dialektal eingefärbtes Standardpolnisch.[4]

In den Städten war vor dem Krieg relativ reines Standardpolnisch üblich, insbesondere bei der urbanen Intelligenz. Nach dem Krieg erhielten die Städte einen enormen Bevölkerungszulauf vom Land, der sich auch auf die Sprache auswirkte. So versuchten Zuzügler, deren sozialer Status gering war und/oder die keine Bezugspunkte in ihrer neuen Umgebung hatten, sich durch die möglichst schnelle Erlernung des Standardpolnischen schnell zu assimilieren. Dennoch beeinflussten sie auch die Entwicklung des städtischen Standardpolnischen. Einerseits brachten sie unabsichtlich dialektale Elemente in den urbanen Standard ein, andererseits veränderten sie ihn auch dadurch, dass sie sich beim Erlernen der Aussprache oft auf die geschriebene Sprache stützten. Das Resultat ist eine neue Form des Standardpolnischen, die Kurek als „urbanen Substandard“ bezeichnet[5]. Dieser stellt ähnlich wie der ländliche Substandard eine Mischung aus Standardpolnisch und dialektalen Elementen dar, erweitert um Ausspracheelemente, die auf das Schriftbild der Standardsprache zurückgehen.[6]

Alles in allem ist der Substandard, gleich ob in seiner urbanen oder seiner ländlichen Form, heute der am häufigsten genutzte sprachliche Code, gefolgt von den Dialekten. Das reine Standardpolnisch hingegen rangiert nur auf Platz drei.[7]

1.2. Die „Neuen Mischdialekte“

Neben den fünf erwähnten Dialekten gibt es noch einen großen geographischen Bereich, in dem „neue Mischdialekte“[8] gesprochen werden. Diese Gebiete gehörten bis 1945 zum Deutschen Reich. Die neuen Mischdialekte, wie die dort nun vorherrschenden Varietäten von polnischen Sprachwissenschaftlern zusammengefasst werden, ergaben sich aus den massiven Bevölkerungsverschiebungen nach dem Zweiten Weltkrieg, im Zuge derer die deutsche Bevölkerung vertrieben und willkürlich durch Polen, teils auch Ukrainer, Weißrussen oder Litauer ersetzt wurde. In vielen Gegenden, so etwa in Niederschlesien, fand dabei ein fast vollständiger Bevölkerungsaustausch statt. Trotz allem wurden diese neuen Varietäten bisher kaum wissenschaftlich untersucht, so dass über ihre genauen Strukturen und Charakteristika nur wenig bekannt ist.[9]

2. Die Sonderfälle „Schlesisch“ und „Kaschubisch“

Für die schlesischen, vor allem aber für die kaschubischen Mundarten wird kontrovers diskutiert, ob sie nur Dialekte des Polnischen oder aber eigene Sprachen sind. Hentschel schlägt zur Beantwortung dieser Frage die Orientierung an vier Kriterien vor, die in der Tradition der Prager Schule an eine moderne Standardsprache gestellt werden: Sie muß normiert und kodifiziert sein, sie muß polyfunktional sein, sie muß stilistisch differenziert und darüber hinaus verbindlich sein[10]. Je mehr ein sprachlicher Code diese Anforderungen erfüllt, desto mehr ist er als Standardsprache einzustufen.

2.1. Das Schlesische

Das Schlesische zählt ungefähr 1-1,5 Millionen Sprecher, wobei sich diese Zahl auf die Sprecher der polnischen Idiome Oberschlesiens bezieht. In Niederschlesien waren die autochthonen polnischen Idiome schon in der Vorkriegszeit geschwunden[11], und heute werden dort die „neuen Mischdialekte“ gesprochen[12]. Das Schlesisch des Teschener Gebietes wird ebenfalls nicht berücksichtigt, da es wegen seiner engen Bindungen zum mährischen Raum bis heute verschiedene Eigenheiten aufweist[13].

Das Kriterium „Normierung/Kodifizierung“ wird vom Schlesischen eindeutig nicht erfüllt. Es sind nicht einmal Ansätze hierzu zu erkennen. Laut Hentschel besteht das Schlesische

„nach wie vor ausschließlich in der Form eines Diasystems, als Kontinuum von Mundarten, Teildialekten, die untereinander nicht unerhebliche Unterschiede aufweisen“[14].

Was die Polyfunktionalität des Schlesischen anbelangt, so finden sich ebenfalls keine nennenswerten Ansätze. Die Literatur ist beschränkt auf eine reine Mundartliteratur im humoristischen und satirischen Bereich. In den Medien dient das Schlesische eher als folkloristisches Demonstrationsobjekt, „nicht als Metasprache zur Kommunikation über ein breites Spektrum von Sachthemen“[15]. Analog dazu ist auch keine stilistische Differenzierung erkennbar. Ebenfalls analog zu einer fehlenden Kodifizierung fehlt im Schlesischen natürlich auch eine Verbindlichkeit irgendeiner Norm[16].

Aufgrund der Tatsache, dass keines der vier Kriterien für eine Standardsprache auch nur ansatzweise erfüllt wird, kann sicherlich behauptet werden, dass das Schlesische nicht als Sprache zu bezeichnen ist, sondern im Gegenteil eine Ansammlung von Teildialekten bzw. Mundarten darstellt. Dennoch ist für eine überwiegende Mehrheit der Sprecher die jeweilige Mundart das primäre Kommunikationsmittel. Seit dem letzten Jahrhundert ist das Schlesische feste Komponente des städtischen, sogar des großstädtischen Lebens. Im Industrierevier im Oppelner Raum sind Kinder, für die die Mundart das primäre Kommunikationsmittel ist, nur in den Schulen im Zentrum der Großstädte in der Minderheit. Demnach kann trotz einer gewissen Schwächung, die das Gros der polnischen Mundarten erlebt, nicht von einer Gefährdung des Schlesischen gesprochen werden[17].

[...]


[1] Vgl. http://www.vds-ev.de vom 11.01.2004.

[2] Vgl. Kurek.

[3] Vgl. Kurek.

[4] Vgl. Kurek.

[5] Kurek.

[6] Vgl. Kurek.

[7] Vgl. Kurek.

[8] Rohfleisch.

[9] Vgl. Rohfleisch.

[10] Vgl. Hentschel 2000.

[11] Vgl. Hentschel 2000.

[12] Vgl. Rohfleisch.

[13] Vgl. Hentschel 2000.

[14] Hentschel 2000.

[15] Hentschel 2000.

[16] Vgl. Hentschel 2000.

[17] Vgl. Hentschel 2000.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Sprachkultur und Sprachpolitik in Polen
Hochschule
Universität Passau  (Lehrstuhl für Ostmitteleuropa-Studien)
Veranstaltung
Proseminar: Varietäten und Existenzformen slawischer Sprachen
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
14
Katalognummer
V22676
ISBN (eBook)
9783638259507
ISBN (Buch)
9783656560845
Dateigröße
487 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sprachkultur, Sprachpolitik, Polen, Proseminar, Varietäten, Existenzformen, Sprachen
Arbeit zitieren
Thomas Winter (Autor:in), 2004, Sprachkultur und Sprachpolitik in Polen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/22676

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