Der Räuber als Sozialrevolutionär


Seminararbeit, 2003

19 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Gliederung

Einleitung

1. Definitionen und Abgrenzung des Sachgebiets

2. Rekrutierungsquellen des Banditentums
2.1 Bäuerliches Brigantentum
2.2 Vaganten
2.3 „Unehrliche“
2.4 Zigeuner und Juden

3. Der Räuber als Sozialrebell?
3.1 Gauner und Räuber
3.2 Solidarität innerhalb der Banden
3.3 Der Bandit als Rebell
3.4 Der Bandit und die Armen
3.5 Der Bandit in den Augen des Volkes

4. Die Sicht späterer deutscher Schriftsteller auf Hobsbawns Darstellung

Resümee

Literaturverzeichnis

Einleitung

Jeder kennt Robin von Loxley, oder besser Robin Hood. Er lebt mit seiner Bande im Sherwood Forrest. Er beraubt die Reichen und gibt die Beute den Armen.

Dies ist das allen bekannte Bild des Räubers als Sozialbandit. In dieser Hausarbeit beschäftige ich mich mit dem Phänomen des Sozialrevolutionärs oder Sozialbanditen, ob es überhaupt wirklich Sozialbanditen gab, und ob es überhaupt angebracht ist, von solchen zu sprechen. Was ist überhaupt Sozialbanditentum, und von wem wird der Räuber überhaupt als Sozialrevolutionär angesehen? Wichtig ist weiterhin, ob er sich selbst auch als Sozialrevolutionär sah. Um diese Fragen zu beantworten muss man natürlich auch weiter ausholen und sich fragen, woher überhaupt der Bandit stammt, beispielsweise aus welchem Milieu, und warum er Bandit wird. Deshalb gehe ich auch ausführlich auf die Rekrutierung der Banditen ein.

In meiner Arbeit beziehe ich mich vorrangig auf Hobsbawns Bild eines Sozialrevolutionärs. Deshalb möchte ich am Ende der Arbeit auch noch darauf eingehen, wie spätere deutsche Forscher und Schriftsteller Hobsbawns Bild des Räubers als Sozialrevolutionär bewerten.

1. Definitionen und Abgrenzung des Sachgebiets

Juristisch gesehen sind Banditen eine Gruppe, die andere gewaltsam überfällt und beraubt. Diese Definition ist aber zu weitreichend für unsere Problematik. Diese Arbeit beschäftigt sich nicht mit den gemeinen Banditen, sondern nur mit Räubern, die eine individuelle Rebellion in agrarischen Gesellschaften betreiben. Auch den städtischen Banditen und dem verarmten Landadel wird keine Beachtung geschenkt.

Zuerst ist herauszustellen, dass der von Hobsbawn beschriebene Sozialbandit ein absoluter Idealtypus ist, den es so eigentlich nicht gegeben hat. Es kommen höchstens einige Räuber diesem Typus nahe.

Besonderes Merkmal des Sozialbanditen ist laut Hobsbawn, dass er für den Staat und den Feudalherren ein Verbrecher ist, er vom Volk allerdings als Held, Rächer oder Gerechtigkeitskämpfer gesehen wird. Folglich ist er speziell für die bäuerliche Gesellschaft ein Führer der Befreiung, der Hilfe, Unterstützung und Bewunderung in ihren Reihen genießt.

Der Sozialbandit ist kein Mitglied einer professionellen Unterwelt oder auch ein gemeiner Räuber. Er befindet sich auch nicht in einem Gemeinwesen, wo Diebstahl ein fester Bestandteil ist, wie bei den Beduinen. Bei beiden gibt es nämlich eine klare Feind-Beute-Beziehung. Der Sozialbandit beraubt nicht „einfache“ Leute aus der eigenen Region oder Umgebung. Außerhalb dieses Gebietes kann er allerdings auch zum gemeinen Räuber werden.

Sozialbanditentum ist laut Hobsbawn ein weitverbreitetes Phänomen mit relativ gleichartigen Erscheinungsformen. Überall auf der Welt herrschten ähnliche Verhältnisse nur zu unterschiedlichen Zeiten. Sie kommen überall dort vor, wo sich die Gesellschaft in der Übergangsphase von der Sippenorganisation zur modernen Industriegesellschaft befindet. Verwandtschaftliche Beziehungen lösen sich auf und es vollzieht sich eine Umwandlung zum „Agrarkapitalismus“. Im modernen landwirtschaftlichen System gibt es kein Sozialbanditentum mehr, da es keine traditionelle Bauerngesellschaft mehr gibt. Auch andere Modernisierung, wirtschaftlicher Fortschritt und effizientere Kommunikation und Verwaltung sind ungünstig für ein florierendes Brigantentum. Die Banditen ziehen aus dem Umland von Städten in abgelegene, schwer zugängliche Gebiete. Auch in der Sippengesellschaft gab es Raub, allerdings war die Bildung eines Brigantentums kein sozialer Prozess, da die soziale Differenzierung fehlte.

Der Übergang eines Banditen zum Sozialbanditen geschieht dann, wenn sein Handeln zum Widerstand gegen Reiche, fremde Eroberer oder Unterdrücker wird. Im allgemeinen trifft man Sozialbanditen überall dort an, wo die Bauernschaft von anderen beherrscht und unterdrückt wird.

Eine genaue Festlegung der Zahl der Banditen oder auch der Vergleich verschiedener Epochen ist kaum möglich, sie lag aber bei „normalen“ Verhältnissen ungefähr bei

einem Promill der ländlichen Bevölkerung, war also sehr gering. Außerdem waren die regionalen Unterschiede sehr groß. Dies hatte geographische, administrative und technologische Ursachen. So bevorzugte eine große Zahl von Banditen schwer zugängliche Gebiete, wie Gebirge, Wälder, Mündungen und Buchten, sowie langsame Handelswege. Grenzgebiete waren zudem ein beliebtes Terrain für Banditen, da sie sich schnell dem Obrigkeitsbereich entziehen konnten. Außerdem begünstigte eine schwerfällige und unfähige Verwaltung das Banditentum.

Andere regionale Unterschiede lassen sich durch soziale Studien erklären. Wo kaum Unzufriedenheit herrscht, gibt es auch kaum Sozialbanditen. Ganz anders sieht das natürlich bei wirtschaftlichen Krisen und bei einer Verarmung der Bevölkerung aus, wo es zu einem regelrechten Boom des Brigantentums kommt. Auch nach Kriegen bilden sich oft Banden, die in einem modernen Staat recht schnell zerschlagen werden, in Gegenden sozialer Zerrissenheit sich jedoch sehr lange halten können, wie Banden nach dem

30-jährigen Krieg zeigen, die sich bis zu 100 Jahren hielten.

Es stellt sich noch die Frage, welche Rolle der Bandit überhaupt bei einer gesellschaftlichen Veränderung spielen konnte bzw. gespielt hat. Der Bandit ist im allgemeinen kein politischer oder sozialer Rebell, sondern vielmehr ein Bauer, der seine Unterwerfung verweigert. Er ist höchstens ein Aktivist, kein Ideologe, da er prinzipiell keine anderen Ideen hatte, als die normale Bauernschaft. Ein Führer ist der Bandit nur in dem Sinne, dass er charakterstark ist und ein gewisses militärisches Talent besitzt. Die Banditen versuchten fast immer, die traditionelle Ordnung wiederherzustellen, und nie Reformbewegungen, wie beispielsweise eine Agrarreform, durchzusetzen. Das Hauptkriterium war meist, eine gerechte Beziehung zwischen Arm und Reich, Mächtig und Schwach zu halten, nicht sie abzuschaffen.

Der Höhepunkt des Sozialbanditentums in Europa liegt zwischen dem 16. und 18.Jahrhundert, im Rest der Welt im 19. und 20.Jahrhundert. Brigantentum ist nur selten zu einer Revolution geworden, nur dann, wenn die Bande zu einem Bauernheer anwuchs. Heute ist diese Form des Banditentums nicht mehr anzutreffen, höchstens noch in Asien oder Lateinamerika. Sie wurde durch neue Formen der Verbrecher und Sozialrebellen abgelöst.

2. Rekrutierungsquellen des Banditentums

2.1 Bäuerliches Brigantentum

Banditentum bedeutete zuallererst Freiheit, da nur sehr wenige andere frei waren. Die Bauern waren wirtschaftlich schwach und standen unter Obrigkeitsgewalt und Zwangsherrschaft. Sie waren, da sie an ihr Land gebunden waren eher unbeweglich und wurden, sobald sie verheiratet waren auch meist sesshaft, wodurch sich schon eine natürliche Grenze für die Rekrutierung ergab. Außerdem war der Jahresrhythmus des Bauern und des Banditen der selbe, im Frühjahr und Sommer viel Arbeit, den Rest des Jahres Ruhe.

Um also die soziale Zusammensetzung der Banden zu durchleuchten, muss man die mobilen Randgruppen der agrarischen Gesellschaft betrachten. Die erste wichtige Rekrutierungsquelle waren die Gegenden mit geringem Arbeitskräftebedarf und wenigen Ressourcen. Zu den traditionellen Ausbruchsformen, wie Saisonabwanderung oder soldatische Rekrutierung, kam hier die Rekrutierung zum Banditen. Ein weiterer Grund, Bandit zu werden, war der „Minifundismus“, d.h., dass die Pächtereien zu klein waren, um die Familie zu ernähren oder zu beschäftigen.

Anders als die Bauern war also das „Landproletariat“ mobil, weshalb ein Großteil der Banditen auf dem Land Tagelöhner, Aushilfskräfte usw. waren, weil diese gezwungen waren, sich Einkommensquellen außerhalb der Landwirtschaft zu suchen. Ein weiteres Kriterium war die soziale Stellung. Banditen waren meist Jugendliche zwischen Pubertät und Hochzeit, sowie Witwer und Geschieden ohne Kleinkinder. Die zweite Gruppe waren Männer, die nicht in die agrarische Gesellschaft integriert waren, wie Auswanderer, Flüchtlinge, Deserteure oder uneheliche Kinder. Auch Männer mit weit abgelegenem Arbeitsplatz, wie Hirten, Schmuggler, Treiber oder Flurwächter, wurden Banditen, da sie sich unbeobachtet fühlten. Die letzte Gruppe waren Männer, die sich nicht unterordnen wollten, Hartnäckige, Individualisten oder Soziopathen, die wollten, dass man sich vor ihnen fürchtet. Diese maßen sich auch oft selber die Rolle als Sozialbandit an.

Widerspenstige wurden allerdings auch nicht automatisch Banditen, sondern wählten oftmals einfach „freiere“ Berufe, wie Flurwächter oder Soldat.

Es existieren außerdem noch zwei weitere Gruppen von Banditen. Die erste Gruppe sind die Raubritter und die normalen Kriminellen. Dies sind oft verarmte Edelleute, oft Raufbolde, die Waffen tragen dürfen, weil Kämpfen ihr „Beruf“ und Teil ihres Wertesystems (Duelle, Fehden,...) ist. Beispiele hierfür sind Dumas’ Musketiere und einige Konquistadores. Die zweite Gruppe sind die sogenannte „Antigesellschaft der Krummen“, die meist städtischen Verbrecher. Sie haben oft auch Kontakt zu verachteten Gruppen, wie Juden oder Zigeunern, und sie haben, anders als bäuerliche Banditen, eine Spezialsprache (Rotwelsch, Argot,...) entwickelt.

Der bäuerliche Bandit hat das selbe Wertesystem wie der Bauer, er ist also genauso fromm. Der Unterschied zwischen bäuerlichen und anderen Banden liegt darin, dass andere Banden häufig eine Verbrechertradition besitzen, nicht territorial gebunden sind und keine so starke soziale Verwurzelung haben. Trotzdem können auch aus dieser Gruppe Sozialbanditen kommen, die allerdings häufig idealisiert sind, da andere Sozialbanditen nicht vorhanden waren. Diese überfielen dann meist unbeliebte Leute, wie Juden oder Kaufleute. Auf diese Weise wurden z.B. Schinderhannes, Cartouch oder Dick Turpin mit Robin-Hood-Attributen ausgestattet. Deshalb ist es häufig auch nicht möglich, Sozialbanditentum und normales Banditentum zu unterscheiden. Hobsbawn verbindet das Sozialbanditentum mit dem Ausdruck bäuerlicher Empörung.

[...]

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Der Räuber als Sozialrevolutionär
Hochschule
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg  (Institut für Geschichte)
Veranstaltung
Herrschaft und Kriminalität im langen 18.Jahrhundert
Note
2
Autor
Jahr
2003
Seiten
19
Katalognummer
V22672
ISBN (eBook)
9783638259477
Dateigröße
502 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
In dieser Arbeit habe ich mich mit dem Phänomen des Sozialbanditen oder des Sozialrevolutionärs in der Frühen Neuzeit beschäftigt, wie ihn jeder durch Robin Hood kennt. Aber gab es dieser Typus wirklich?
Schlagworte
Räuber, Sozialrevolutionär, Herrschaft, Kriminalität, Jahrhundert
Arbeit zitieren
Henning Müller (Autor:in), 2003, Der Räuber als Sozialrevolutionär, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/22672

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Der Räuber als Sozialrevolutionär



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden