Deutsch-jüdischer Romancier in Palästina 1933-1948: Arnold Zweig


Seminararbeit, 2001

31 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1.Der Weg zum Schriftsteller (1987 – 1918)
1.1 Das Studentenleben und die ersten literarischen Versuche
1.2 Erste Kontakte mit dem Zionismus
1.3 Ein kriegsbegeisterter Schriftsteller und seine Desillusionierung
1.4 Begegnung mit osteuropäischen Juden

2. Arnold Zweig als Zionist und Pazifist (1918 – 1933)
2.1 Nachkriegswirren und Antisemitismus
2.2 Grischa und Caliban
2.3 Junge Frau von 1914
2.4 De Vriendt kehrt heim
2.5 Familie Zweig verlässt Deutschland

3. Arnold Zweig in Palästina (1933 – 1948)
3.1 Die Zionistische Bewegung
3.2 Schwierigkeiten eines Neueinwanderers
3.3 Erziehung vor Verdun
3.4 Der arabische Aufstand
3.5 Einsetzung eines Königs
3.6 Die Europareisen
3.7 Zweigs Einstellung zum Sowjetrussland und zum Kommunismus
3.8 Das Beil von Wandsbek
3.9 Das Ende des Krieges

4. Arnold Zweig in der DDR (1948 – 1968)
4.1 Der herzliche Empfang
4.2 Traum ist teuer
4.3 Die letzten Jahre des Autors

5. Schlusswort

Literaturverzeichnis

1.Der Weg zum Schriftsteller (1987 – 1918)

1.1 Das Studentenleben und die ersten literarischen Versuche

Arnold Zweig ist am 10. November 1887 in der niederschlesischen Stadt Glogau (heute Glogów; Polen) als Sohn des Sattlermeisters und späteren Spediteurs Adolf Zweig und seiner Frau Bianca (geb. Spandow) zur Welt gekommen. Das Ehepaar Zweig brachte neben Arnold noch zwei weitere Kinder zur Welt: Hans Rudolf und Ruth. Zehn Jahre nach Arnolds Geburt musste der Familienvater aufgrund eines Erlasses des preußischen Kriegsministeriums, der den Festungskommandanten Einkäufe bei jüdischen Kaufleuten untersagte, sein Geschäft aufgeben. Familie Zweig verließ Glogau und zog nach Kattowitz (heute Katowice; Polen), die oberschlesische Industriestadt, wo Zweigs Vater seinen ursprünglichen Beruf, den eines Sattlers, wiederaufgenommen hatte.

An seine ersten Schuljahre in der Glogauer Schule erinnerte sich Arnold als an „das grauenhafte, stumpfsinnige und sadistische Qualhaus“.[1] Von seiner Zeit in der Krattowittzer Realschule und späteren Oberrealschule dagegen hatte er stets nur Gutes zu berichten. Seinem Schuldirektor Jakob Hacks rühmte er nach: „Wenn aus mir etwas geworden ist oder noch werden sollte, ihm danke ich davon ein gerüttelt Maß“.[2] Obwohl von Natur aus gesellig, fühlte sich der kleine Arnold oft einsam und zog die Lektüre von Büchern dem Spielen mit anderen Kindern vor. Zu dieser Außenseitereinsamkeit trug u.a. auch seine jüdische Herkunft bei. Der junge Zweig blieb von den antisemitischen Sprüchen seiner Klassenkameraden nicht verschont. Aufgrund dieser Jugenderlebnisse meldete sich in ihm das Leitmotiv, das er später zum 11. Gebot erklärte: “Du sollst dich nicht erniedrigen lassen“. In seinem zum Teil autobiographischen Buch Aufzeichnungen über die Familie Klopfer spiegeln sich diese bitteren Erfahrungen wieder. Hinter der Hauptfigur, dem Schüler Peter Klopfer, verbirgt sich niemand anders als Arnold Zweig selbst: „ ... Dann erfährst du, dass du ein kleiner Judenjunge bist und was es bedeutet, einer zu sein; die Jungen rufen es dir auf der Straße nach, dass sich dir das Herz umdreht vor Zorn“.[3]

Die materiellen Verhältnisse der Familie waren sehr bescheiden: „...meist fehlte es am Geld,

schon gar, um den Sohn auf die Universität zu schicken und die schöne Stimme der Tochter

ausbilden zu lassen“.[4] Arnold konnte also, nachdem er seine Reifeprüfung bestanden hatte, nur mit Hilfe von Stipendien studieren. Er erhielt ein kleines Stipendium von einem jüdischen

Buchhändler und ließ sich 1907 an der Breslauer Universität immatrikulieren, um Lehrer für Deutsch, Geschichte und Moderne Sprachen (Französisch und Englisch) zu werden. Später entdeckte er sein Interesse für Philosophie, Psychologie, Kunstgeschichte und National- ökonomie. In den sieben folgenden Jahren durchwanderte Zweig sechs deutsche Universitäten, darunter Berlin, Göttingen, Rostock und München. Diese Wanderschaft erweiterte seinen geographischen und kulturlandschaftlichen Horizont, bereicherte seinen Geist mit Wissen, Eindrücken und Erlebnissen: „Sieben Jahre lang suchte ich auf deutschen Universitäten ein Fundament, von dem aus sicher zu denken war. Nach dem radikalen Einsturz aller meiner Beziehungen zur Religion [...], quälte mich in immer stärkerem Maße die Frage, was unser Leben auf diesem Stern Erde für einen Sinn habe.“ [...][5]

Bereits 1908 erschien eine Reihe kleiner Gedichte des jungen Zweig in der Zeitschrift Freie Studentenschaft. Den Eintritt in die deutsche Literatur schaffte Zweig mit der Novelle Aufzeichnungen über eine Familie Klopfer: „1909, mit Aufzeichnungen über eine Familie Klopfer brach mein wirkliches Talent durch, nämlich zu erzählen und Deutsch zu schreiben – ein Durchbruch, den ich der Stadt und Landschaft Münchens verdanke“.[6] Der Roman Die Novellen um Claudia brachte ihm ein Jahr später den Ruhm. Das Buch handelt nicht von jüdischen Problemen, sonder von der Liebesbeziehung eines jungen Mädchens aus einer wohlhabenden deutschen Familie zu einem armen Privatdozenten. In seinen nächsten Werken, einer biblischen Tragödie Abigal und Nabal und einem Drama Ein Ritualmord in Ungarn, wendet sich Zweig wieder der jüdischen Problematik zu. Das Drama Ein Ritualmord in Ungarn beruht auf einer wahren Begebenheit: 15 Juden werden 1882 in Ungarn des Ritualmordes an einem Mädchen bezichtigt und nach einer erzwungenen Zeugenaussage für schuldig befunden. Erst drei Jahre nach dem Prozess, der antisemitische Ausschreitungen im ganzen Lande zur Folge hatte, werden die Angeklagten freigesprochen. Im Stück spiegelt sich die typisch antisemitische Methode wieder: Juden wurden Verbrechen angehängt, die sie nicht begangen haben, was die Abneigung der Deutschen gegen die jüdische Bevölkerung noch mehr verstärken sollte.

Obwohl das Stück durch die deutsche Militärzensur verboten wurde, erhielt Zweig 1915 für Ritualmord in Ungarn den Kleistpreis[7] (seine erste literarische Auszeichnung).

1.2 Erste Kontakte mit dem Zionismus

Zu Anfang des 20. Jh. lebten etwa 5 Millionen Juden in Rußland. Sie hatten kaum Rechte und waren den schlimmsten Verfolgungen ausgesetzt. Die Pogromwelle von 1905 kostete 800 Menschen das Leben, was nicht nur auf Empörung unter den deutschen Juden stieß, sondern auch Proteste in der ganzen Welt auslöste. 1901 wurde in Berlin der Hilfsverein der deutschen Juden für die Unterstützung der aus Russland Geflüchteten gegründet. Auf diese Weise hatten viele deutsche Juden erstmals Kontakt zu ihren Glaubensgenossen aus Osteuropa und zur Idee des Zionismus.

Wegen der Nähe der russischen Grenze war in Kattowitz die Wirkung der Ereignisse in Russland besonders spürbar. Zweigs Vater interessierte sich sehr für russische Juden und den Zionismus. Er übernahm sogar den Posten des Vorsitzenden der dortigen Bezirksgruppe (genau wie Peter Klopfer). Auch dem jungen Zweig entgingen nicht die Berichte über die antisemitischen Verfolgungen in Russland. Diese Ereignisse regten ihn zu den Erzählungen Episode und die Krähe an, die 1920 zusammen mit den neuaufgelegten Aufzeichnungen über eine Familie Klopfer veröffentlicht wurden. In den Augen Zweigs war das Russland des Zaren das Land des Terrors gegen das gesamte russische Volk. Bei seiner Hinwendung zum Zionismus wurde Zweig von Martin Buber, einem großen jüdischen Denker, in entscheidender Weise beeinflusst. Buber widmete seine Aufmerksamkeit vor allem der Schaffung einer jüdischen Heimstätte und setzte sich für eine friedliche Zusammenarbeit zwischen Juden und Arabern ein. Dieses gemeinsame Interesse für die Probleme des Judentums und des Zionismus war der Grund für den langen Briefwechsel (50 Jahre) zwischen den beiden Männern.

1.3 Ein kriegsbegeisterter Schriftsteller und seine Desillusionierung

Am 1. August 1914 erklärte das Deutsche Reich Frankreich und Russland den Krieg. Auch 100.000 Juden zogen in den Krieg, um auf der deutschen Seite zu kämpfen. Den Kriegsausbruch hatte Zweig als 26-jähriger Student und bereits angesehener Schriftsteller erlebt: Der Roman Novellen um Claudia war 1912 erschienen, zwei Jahre zuvor war Zweig Mitglied der literarischen Gesellschaft PAN geworden.

Wegen der starken Kurzsichtigkeit wurde Zweig zuerst nicht eingezogen. Von der gerechten Sache Deutschlands überzeugt, nutzte der Schriftsteller die Zeit, um einige Kriegserzählungen „voller Hurrapatriotismus“[8] zu schreiben, die meist zwischen August 1914 und Mai 1915 im Simplicissimus erschienen sind. In den meisten dieser Erzählungen tritt die Gegenüberstellung von deutscher Güte und fremdländischer Brutalität deutlich zu Tage. Am berüchtigsten wurde Die Bestie, die im Dezember 1914 in der Schaubühne erschien. Hier werden drei deutsche Soldaten von einem belgischen Bauern, bei dem sich die Husaren gegen Bezahlung einquartiert hatten, betrunken gemacht und auf grausame Weise umgebracht.

Erst am 24. April 1915, als er selber eingezogen wurde, hatte Zweig die Gelegenheit, seine Vorstellungen vom Krieg an der Wirklichkeit zu überprüfen. In einer Kompanie der schweren Artillerie leistete er Arbeit beim Straßenbau und Munitionstransport, zunächst in Belgien, dann in Ungarn. Nach den ersten Kontakten zu der unter deutschen Besetzung lebenden Zivilbevölkerung wurde ihm klar, dass er seine Anschauungen über den geführten Krieg ändern musste.

Im Frühjahr 1916 wurde Zweig nach Frankreich versetzt. Er empfand eine große Bewunderung für Hugo, Zola und Balzac und fühlte sich mit ihrer Heimat verbunden, obwohl Frankreich zu den Feinden gehörte. Nach dem Krieg lautete sein Kommentar dazu: „Wir waren im Krieg mit Frankreich und wir liebten es“.[9] Zweigs Entfremdung vom militärischen Leben und vom deutschen Heer verstärkte sich vor allem, als er die Intrigen unter den deutschen Offizieren mitbekam und er selbst mit Antisemitismus konfrontiert wurde. In späteren Jahren bemühte sich der Autor, seine ersten Eindrücke vom Krieg öffentlich zu korrigieren. 1952 veröffentlichte Arnold Zweig das Buch Westlandsaga, wo die Geschichte Die Bestie ganz anders dargestellt wird: jetzt sind es die deutschen Soldaten, die sich „viehisch“ benehmen und am Ende gegenseitig umbringen, woraufhin dem Bauern das Haus niedergebrannt und er selber erschossen wird. Diese Wandlung in Zweigs Anschauungen, die zu solchen Umdeutungen geführt hat, geschah jedoch nicht von einem Tag auf den anderen, sondern stellte eher einen langwierigen Prozess dar. Die Ansätze, die sog. „nachdenklichen Töne“, wurden von Eva Kaufmann bereits in den 1916 erschienenen Erzählungen Die Tauben, Die Laus und sogar schon in dem Prosastück Wespen (November 1915 erschienen) entdeckt. In dem Stück Wespen heißt es: „Ich weiß nicht mehr, was jede Behörde weiß, jedes Gericht bestätigt. Es haben sich so abgründige Zweifel in mir aufgemacht, ob diese einfachen Stempelworte wie Verrat, Verbrechen, Feind entstanden sind, um das Leben zu fassen und

zu bezeichnen [¼]“.[10]

Im Juli 1915 heiratete A. Zweig während eines Urlaubs seine Kusine, Beatrice Zweig, die ihm

später zwei Söhne, Michael (geb. 1920) und Adam (geb. 1924), schenken sollte.

Im Juni 1917 wurde Zweig an die Ostfront versetzt und dem Pressedienst des Hauptquartiers

„Ober-Ost“ zugeteilt. Hier lernte er u.a. Schriftsteller Richard Dehmel, Herbert Eulenberg und

Hermann Struck, der später Zweigs Nachbar in Palästina, auf dem Karmel, wurde.

Damals erfuhr er auch die Geschichte des russischen Sergeanten, der als „ bolschewistischer Agent“ unter zwielichtigen Umständen verurteilt und hingerichtet wurde. Daraufhin kam ihm die Idee, ein Buch über seine Erlebnisse in „Ober-Ost“ zu schreiben, um darin auf das wahre, abscheuliche Gesicht des Krieges hinzuweisen.

Diese Idee führte zur Entstehung des Romanzyklus Der große Krieg der weißen Männer.

1.4 Begegnung mit den osteuropäischen Juden

In Osteuropa lebten 5 Millionen Juden, davon ein Drittel in der „Provinz“ Polen und in Litauen. Die meisten von ihnen lebten in den von der deutschen Armee besetzten Gebieten, so dass sich Zweig die Gelegenheit bot, seine Glaubensgenossen näher kennen zu lernen. Er bewunderte das Volk für seine Lebenskraft, für seine unkomplizierte Lebensart und für seine Jugend, die den Fragen des Sozialismus und des Zionismus offen gegenüber stand. Die Abneigung der jüdischen Bevölkerung gegenüber Deutschen war bei weitem nicht so stark wie ihr Hass auf die russischen Soldaten. Die Beziehungen zwischen den beiden Seiten waren also keineswegs schlecht. Alle Juden der Gegend verstanden Deutsch oder zumindest Jiddisch[11], was natürlich das Zustandekommen zahlreicher Kontakte zwischen den Okkupanten und der okkupierten Bevölkerung zusätzlich förderte. Die Begegnung mit der jüdischen Gemeinschaft Osteuropas beschrieb Zweig in dem 1920 erschienenen Werk Das ostjüdische Antlitz. Es ist ein Appell an die Juden Deutschlands, sich für die Rettung der ostjüdischen Gemeinde einzusetzen. Die Bedrohung würden nicht nur die Folgen des Weltkrieges und der Bürgerkrieg in Russland darstellen, sondern auch der in Europa vorherrschende materialistische Bürgergeist, der zur Auflösung der Gemeinde führen könnte.

2. Arnold Zweig als Zionist und Pazifist (1918 – 1933)

2.1 Nachkriegswirren und Antisemitismus

Dass Zweig das Soldatendasein satt hatte, geht aus einem Brief an Martin Buber deutlich hervor: „Vielleicht werde ich bald den Sklavenrock los“, schreibt Zweig an seinen Freund am 6. November 1918. Nur wenige Tage später, am 11. November 1918 unterzeichnete das Deutsche Reich den Waffenstillstand von Compiègne. Bereits einen Monat später darf er „Ober-Ost“ verlassen. Anfang 1919 schreibt sich Zweig an der Universität Tübingen ein und studiert ein Semester lang Literaturgeschichte und Soziologie. Bald verspürt er die Sehnsucht nach der bayrischen Hauptstadt und zieht mit seiner Frau nach Starnberg, 20 km südlich von München. Hier verdient er sein Lebensunterhalt hauptsächlich mit der Veröffentlichung von Essays und Zeitungsartikeln.

In der Zeit wird der Autor von einem Augenleiden befallen, was vermutlich eine Folge der Entbehrungen der Kriegsjahre war. Trotz der vielen Behandlungen blieb sein Sehvermögen begrenzt und verschlechterte sich kontinuierlich. Dadurch war Zweig gezwungen, alle literarischen Entwürfe seinen Sekretärinnen zu diktieren.

Zweig beobachtete die Entwicklung der Weimarer Republik und ihm entging nicht, dass diese Schwächen gegenüber den Nationalisten, den Rechtsextremisten und den traditionellen Antisemiten aufwies. Der Antisemitismus, den Zweig bereits im Ritualmord - Drama zum zentralen Thema gemacht hatte, war nach dem Krieg zu einer noch aufdringlicheren Erscheinung des politischen Lebens geworden. In den Augen des Autors war jedoch dieses Problem für Juden nicht annähernd so wichtig wie „die Rettung der Ostjuden“ und die zionistische Bewegung in Palästina. Die Deutschen sollten sich seiner Ansicht nach in erster Linie der Festigung der Republik und der Sicherung der Wirtschaft zuwenden.[12]

Das Proletariat ist in Zweigs Augen frei vom Antisemitismus, was er mit dem „übernationalen Solidaritätsgefühl der Arbeiterklasse“ und somit seiner Immunität gegen den Rassismus begründete. Man könne noch nicht vom Antisemitismus sprechen, wenn sich das Volk, „um seinen Ärger an jemand auszulassen, der ihn erregt hat, an irgendeine, ihm angeborene [¼] Auffälligkeit [hält], die das geärgerte Individuum selbst nicht hat, und beschimpft ihn mit ihr, um ihn so zentral als möglich zu treffen“.[13] Vielmehr sei es das Kleinbürgertum, das aus einem Gefühl der Entwertung gegenüber der erfolgreichen Kapitalistenklasse eher dazu neigt, im Juden einen Feind zu sehen, den er für das Elend der ganzen Welt verantwortlich machen kann. Die Tatsache, dass gerade im besiegten und der Kriegsschuld bezichtigtem Deutschland der Antisemitismus so erfolgreich Fuß fassen konnte, glaubte Zweig mit dem Bedürfnis, die eigene Unschuld am Ausbruch des Krieges zu behaupten, erklären zu können. Große Teile der deutschen Oberschichten seien nicht in der Lage gewesen, „den politischen und ökonomischen Anschauungsunterricht zu bewältigen“, den der Krieg mit sich brachte. Die Folge sei die Entwicklung eines psychischen Abwehrmechanismus, der „jeden Skrupel verhindert dadurch, dass er ihn nicht ins Bewußtsein läßt“.[14]

Die ersten Nachkriegsjahre wurden überschattet von Morden, zu deren ersten Opfern die Kommunisten Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg zählten. Man räumte jeden aus dem Weg, der sich „den Umtrieben der nationalistischen Agitationen widersetzt hatte“, darunter auch Gustav Landauer, für den Zweig große Bewunderung empfand.[15] Die meisten Opfer waren Juden und die Mehrzahl der Mörder bestand aus ehemaligen Offizieren und Rechtsextremisten, die größtenteils für ihre Verbrechen nicht einmal zur Verantwortung gezogen wurden. Seine Empörung über die Mordanschläge drückte Zweig in einem Artikel in der Nr. 31 der Weltbühne (5.August, 1922) aus: „Es war nicht der letzte Jude, der dem Pack die Stirn zeigte. Er hatte den Mut des Juden, einsam zu sterben und der viehischen Gewalt des ewigen Boche nicht zu achten [¼]“. Daraufhin wurde der Schriftsteller mit Drohbriefen bombardiert, in denen er als Verräter abgestempelt wurde. Da die politische Lage in Starnberg und München immer kritischer wurde, entschloss sich Familie Zweig Starnberg zu verlassen und nach Berlin zu ziehen.

Anfang 1924 trat Zweig in die Redaktion der Jüdischen Rundschau ein, des Organs der „Zionistischen Vereinigung für Deutschland“.[16] Für diese Zeitung schrieb Zweig ein Jahr lang Artikel über Zionismus und Antisemitismus. Im folgenden Jahr wurde er ein freier Schriftsteller und schrieb das Buch Das neue Kanaan, in dem er die These vertritt, dass die Juden von Natur aus „Mittelmeermenschen“ sind. Im Gegensatz zum Norden böte ihnen Palästina die Chance, wieder ihre „Freiheit“, ihr „Glück“, d.h. sich selbst zu entdecken.[17] Der neue Staat, meinte Zweig, sollte sozialistisch sein, denn Sozialismus bedeutet, sich auf seine Mitmenschen verlassen zu können. Man müsse auch eine Demokratie schaffen, „in der der Mensch nach seinen persönlichen Qualitäten bewertet wird und nach der Intensität seiner Leistung für das Ganze“.[18] Dabei legt der Schriftsteller großen Wert auf ein freundschaftliches und entgegenkommendes Verhältnis der Juden zu den Arabern Palästinas und warnt vor einem „exaltierten Nationalismus“, der die arabischen Landesbewohner erbittern könnte.[19] Die Abhandlung Das neue Kanaan sollte die Fortsetzung des Buches Ostjüdisches Antlitz sein. 1928 erschienen beide Werke zusammen unter dem Titel Herkunft und Zukunft.

2.2 Grischa und Caliban

Der Antikriegsroman Der Streit um den Sergeanten Grischa (1927) ermöglichte Zweig den Eintritt in die Reihe der großen deutschen Schriftsteller des 20.Jahrhunderts. Wie bereits erwähnt, geht die Handlung auf eine wahre Geschichte zurück, von der Zweig während seines Aufenthalts in „Ober - Ost“ erfahren hatte. Ein gefangener russischer Sergeant war von einem deutschen Kriegsgericht zum Tode verurteilt worden, weil man ihm Spionage vorgeworfen hatte. Trotz der bewiesenen Unschuld wurde der Sergeant auf Befehl des Oberkommandierenden hingerichtet. Hauptthema des Buches ist der Kampf des Einzelnen gegen die allmächtige Bürokratie. Diese Bürokratie und „die Querelen der um ihr Prestige besorgten Generäle“ konnte Zweig äußerst treffend wiedergeben, denn damit wurde er in „Ober - Ost“ oft genug konfrontiert. Einige Romanfiguren begegnen dem Leser auch in den späteren Werken des Zyklus Der große Krieg der weißen Männer, darunter der jüdische Schriftsteller Werner Bertin, Schreiber im Hauptquartier „Ober - Ost“, in dem man sofort den Autor selbst erkennen kann und Dr. Posnanski, Kriegsgerichtsrat jüdischen Glaubens. Juden befanden sich auch unter der Zivilbevölkerung: der junge Sascha, Lehrer an einem jüdischen Gymnasium und seine Verlobte Debora, für Sascha die Traumfrau schlechthin. Auch der Tischler Täwje Frum ist ein typischer Vertreter des Ostjudentums. Der Schicksal des russischen Sergeanten, der seiner Tischlerwerkstätte zugewiesen wird, um bei der Herstellung von Särgen zu helfen, läßt ihn nicht kalt. Der alte Mann sieht in der Hinrichtung des unschuldigen Grischa eine Ungerechtigkeit, die seiner Meinung nach den „Zorn Gottes“ herbeirufen wird.[20]

Ausschlaggebend für den Erfolg des Romans war die fesselnde Frage des Rechts des Einzelnen gegenüber der Kollektivität. Darüber hinaus handelte es sich um den ersten deutschen Antikriegs - Roman, über den Kurt Tucholsky schrieb: „ Ein Meilenstein auf dem Weg zum Frieden“ (Weltbühne, 13. Dezember 1927).

[...]


[1] WOLF, Arie: Größe und Tragik Arnold Zweigs: ein jüdisch - deutscher Dichterschicksal in jüdischer Sicht, London 1991, S.79

[2] WOLF, 1991, S. 80

[3] WIZNITZER, Manuel: Arnold Zweig: das Leben eines deutsch - jüdischen Schriftstellers,

Athenäum 1983, S.17

[4] WOLF, 1991, S.79

[5] WOLF, 1991, S.81

[6] WIZNITZER, 1983, S.18

[7] Der Kleistpreis wurde von 1912 bis 1932 jedes Jahr von der Kleist - Stiftung an junge begabte Schriftsteller vergeben.

[8] WIZNITZER, 1983, S. 24

[9] WIZNITZER, 1983, S.24

[10] MIDGLEY, David R. : Arnold Zweig: zu Werk und Wandlung 1927 – 1948, Athenäum 1980, S.6

[11] Das Jiddische hat seinen Ursprung bei den deutschen Juden des Mittelalters. Es entstand aus dem Mittelhochdeutschen, wird jedoch mit hebräischen Buchstaben geschrieben und enthält zahlreiche hebräische und slavische Wörter.

[12] MIDGLEY, 1980, S. 13

[13] MIDGLEY, 1980, S.13

[14] MIDGLEY, 1980, S.14

[15] WIZNITZER, 1983, S.29

[16] Jüdische Rundschau erschien von 1896 bis 1938 zweimal wöchentlich. Sie erreichte eine Auflage von

über 32 000 Exemplare.

[17] HERMAND, Jost: Engagement als Lebensform: über Arnold Zweig, Berlin 1992, S.22

[18] WIZNITZER, 1983, S. 31

[19] WIZNITZER, 1983, S. 32

[20] WIZNITZER, 1983, S. 34

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Deutsch-jüdischer Romancier in Palästina 1933-1948: Arnold Zweig
Hochschule
Universität Osnabrück  (Romanistik)
Note
2
Autor
Jahr
2001
Seiten
31
Katalognummer
V22527
ISBN (eBook)
9783638258302
Dateigröße
670 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Deutsch-jüdischer, Romancier, Palästina, Arnold, Zweig
Arbeit zitieren
Olesja Heinze (Autor:in), 2001, Deutsch-jüdischer Romancier in Palästina 1933-1948: Arnold Zweig, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/22527

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