Die Rolle der Familie und der Sexualität in Aldous Huxley s Brave New World


Hausarbeit, 2002

18 Seiten, Note: 2 +

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Der stabilitätsorientierte World State
1.1 Massenproduktion von Menschen als Ersatz der Familie
1.2 Konditionierung als Erziehungskonzept des totalitären Staates

2. Die Vergesellschaftung der Sexualität
2.1 Wertewandel: everyone belongs to everyone else
2.2 Das sexuelle Verhalten der Hauptcharaktere

3. Die traditionelle Familie der Vergangenheit als primitives Gegenbild
3.1 Die satirische Beschreibung der vivaparous days
3.2 Die satirische Behandlung des Familienthemas im Laufe der Handlung

4. Die Gefahren der Familie am Beispiel des Wilden John
4.1 Die Theorie Sigmund Freuds
4.2 Johns Autobiographie

Schlussbemerkungen

Einleitung

Aldous Huxleys Brave New World stellt eine sehr umfangreiche Vision einer Antiutopie dar, es deckt nahezu alle Bereiche des täglichen Lebens ab. Deshalb kann es nicht Gegenstand dieser Arbeit sein, ein vollständiges Bild der Brave New World herauszuarbeiten, sondern den Bereich herauszustellen, der meines Erachtens die radikalste Form der antiutopischen Darstellung eingenommen hat: Die Abschaffung der Familie und die Vergesellschaftung der Sexualität. Es soll aufgezeigt werden, wie Huxley satirisch Tendenzen seiner eigenen Gegenwart verkehrt. Die Grundlage der Betrachtung dieses Themenbereiches liegt in dem Verständnis der staatlichen Vorraussetzungen, die die Abkehr von tradierten Normen überhaupt ermöglichen. Anschließend wird die veränderte Wertewelt erläutert und am Verhalten der Hauptcharaktere geprüft, ob der World State seinen totalitären Ansprüchen gerecht werden kann. Die unzähligen satirischen Elemente lassen sich besonders im Hinblick auf die Darstellung der Familie aufzeigen. Hier kontrastiert er dem Leser vertraute Elemente mit einem neuartigen Gegenbild, welches Hauptgegenstand dieser Arbeit sein soll. Abschließend wird Huxleys Figurgestaltung des Wilden Johns erläutert, da er hier einige Aspekte der Psychoanalyse Freuds, dem Entdecker der Gefahren der Familie, aufgegriffen hat. Deshalb sollen die wichtigsten Aspekte der betreffenden Theorien herausgestellt werden, um sie im Anschluss auf Johns Verhalten zu beziehen. Ich habe eine induktive Herangehensweise an den Gegenstand gewählt, da ich eine möglichst vorurteilsfreie eigene Interpretation des Textes anstrebe, die durch einige Thesen der Sekundärliteratur gestärkt werden soll. Zudem ist die Anzahl der wissenschaftlichen Arbeiten über Brave New World zu groß, als dass hier ein zuverlässiges Bild über die Forschungslage gegeben werden kann.

1. Der stabilitätsorientierte World State

1.1 Massenproduktion von Menschen als Ersatz der Familie

Die Gesellschaft in Aldous Huxleys Brave New World folgt den Grundsätzen Community, Identity und Stability, welche als Parodie auf die demokratischen Ideale der Französischen Revolution (Liberté, Egalité, Fraternité) wirken. Denn gerade der Umbruch der Feudalherrschaft hatte es sich zum Ziel gemacht, die jahrhundertelange Stabilität der Ständegesellschaft zu überwinden und durch die Freiheit des Individuums zu ersetzen.[1] Im World State der Brave New World werden Kinder nicht von Eltern gezeugt, sondern durch eine Fließbandproduktion à la Ford, dem Begründer der Massenproduktion und Gottersatz der Brave New World, vom Staat hergestellt. Die Familie ist somit seit mehreren Jahrhunderten abgeschafft worden, worauf im zweiten Kapitel näher eingegangen wird.

Die Menschen sind durch ihre Zugehörigkeit zu verschiedenen Kasten nicht gleich, sie erhalten lediglich gemäß des Mottos Identity eine Massenidentität innerhalb einer bestimmten Kaste. Insbesondere bei den Gammas, Deltas und Epsilons, welche die Unterschicht der Gesellschaft stellen, werden durch den Bokanovsky-Process bis zu 96 identische Klone in Reagenzgläsern gezeugt. Alphas und Betas (alle Hauptcharaktere des Romans) stellen mit ihrer Intelligenz und begrenzter Individualität die Elite des Staates. Jeder erhält somit durch genetische Manipulierung seinen festen Platz in der Community, aus dem er nicht ausbrechen kann. Der World Controller Mustapha Mond beschreibt in seiner Führung einer Studentengruppe durch das Central London Hatchery and Conditioning Centre das Nutzen dieses Vorgehens für die Schaffung von sozialer Stabilität:

„Ninety-six identical twins working ninety-six identical machines!“ The voice was tremulous with enthusiasm. “You really know where you are. For the first time in history.” He quoted the planetary motto. “Community, Identity, Stability.” Grand words. “If we could bokanovskify indefinitely the whole problem would be solved.”[2]

Das Aussehen, der Intellekt, die Interessen und sogar der spätere Beruf weiter Teile der Gesellschaft werden also vom Staat sorgfältig kontrolliert, um einem Wandel des World States vorzubeugen, was die Abschaffung der Familie unabdingbar macht. Somit bleibt der Staat immer beständig, da er stets die gleiche Menge an sogenannten Individuen erzeugt, die durch ihre Arbeit wirtschaftlichen Nutzen verschaffen.

1.2 Konditionierung als Erziehungskonzept des totalitären Staates

1.2.1 Hypnopädie

Damit eine Person mit der ihr zugewiesenen Rolle in der antiutopischen Gesellschaft glücklich und zufrieden lebt und dessen Regeln bereitwillig befolgt, bedarf es neben der biologischen Absicherung von Stabilität weiteren Mitteln der Manipulierung. Deshalb ziehen die Machthaber des Systems, die World Controller, Erziehungsmethoden heran, die mit einer Gehirnwäsche zu vergleichen sind. Im sogenannten sleep teaching werden Kindern gesellschaftliche Normen in Form von simplen Leitsätzen über Lautsprecher wiederholt im Schlaf vermittelt. Die Vorgehensweise (Hypnopädie) entlehnte Huxley Sigmund Freuds „Erkenntnis eines Zustandes, in dem ein Ding den Sinnen und dem Bewusstsein gegeben, präsent ist, neben welchem ein anderer besteht, in dem dasselbe latent ist, aber wiedererscheinen kann.“[3]

Mustapha Mond erklärt auch den Sinn dieser Methode des State Conditioning Centres der Studentengruppe:

“Till at last the child’s mind is these suggestions, and the sum of the suggestions is the child’s mind. And not the child’s mind only. The adult’s mind too – all his life long. The mind that judges and desires and decides – made up of these suggestions. But these suggestions are our suggestions!”[4]

Dieser Auszug verdeutlicht, welch großes Ausmaß die Manipulierung der totalitären Führung einnimmt: Es bestehen nicht etwa Gesetze, die das System stützen, sondern auf jede Kaste zugeschnittene Parolen, die jeder Mensch ein Leben lang verinnerlicht hat. Da die Sprüche sich jedoch nur auf begrenzte Lebensbereiche beziehen, reagieren die Personen völlig hilflos, wenn sie mit einem ernsthaften Problem konfrontiert sind.[5] Als z.B. Bernard Marx Lenina Crowne fragt, ob sie sich keine Freiheit wünsche, antwortet sie gemäß ihrer Konditionierung: “I don’t know what you mean. I am free. Free to have the most wonderful time. Everybody is happy nowadays.”[6] Die moralische Erziehung der Familie hat also ausgedient, nicht zuletzt, weil sich die Sitten an sich grundlegend geändert haben: So ist eine der wichtigsten Hypnopädie-Weisheiten everyone belongs to everyone else, die das erwartete promiskuitive Sexualverhalten der World State Bewohner treffend zusammenfasst. Hierauf wird im zweiten Kapitel ausführlicher eingegangen, sowie auf die Tatsache, dass die Existenz von Außenseitern die Grenzen der „linguistischen Versklavung“[7] aufzeigt.

1.2.2 Behavioristische Konditionierung

Die Führung des Staates bedient sich einer weiteren psychologischen Errungenschaft, um ihr Volk zu unterwerfen: Der Theorie des bedingten Reflexes des russischen Physiologen Pawlow. Dieser hatte in Tierversuchen festgestellt, dass Verhalten “programmiert“ werden kann: Der sogenannte pawlowsche Hund entwickelte einen Speichelreflex, wann immer er einen Klingelton hörte, weil er daran gewöhnt war, dass er immer nach diesem Geräusch Futter bekam. Analog können Elektroschocks und schrille Sirenen Tieren, aber auch Menschen, wie der amerikanische Psychologe John B. Watson später erforschte, ein bestimmtes Verhalten austreiben. In der Brave New World werden im Neo-Pavlovian Conditioning Room mit den selben behavioristischen Methoden Säuglingen das Interesse an Büchern und Blumen genommen:

Books and loud noises, flowers and electric shocks – already in the infant mind these couples were compromisingly linked; and after two hundred repetitions of the same or a similar lesson would be wedded indissolubly.[8]

Der Roman gibt leider keinen Hinweis darauf, in wie weit behavioristische Methoden zur Beeinflussung des sexuellen Verhaltens benutzt werden. Dennoch halte ich es für wahrscheinlich, dass bei der Signifikanz die der Promiskuität zugemessen wird (siehe Kapitel 2), dieser gesellschaftliche Bereich ebenso durch bedingte Reflexe konditioniert wird.

2. Die Vergesellschaftung der Sexualität

2.1 Wertewandel: everyone belongs to everyone else

Wie in Kapitel 1 ausgeführt, wird die Fortpflanzung der Menschen nicht mehr durch die Familie gesichert, sondern vom Staat übernommen. Ehe und Familie haben somit keinen Platz mehr in der Brave New World, aber von der Sexualität wird nicht abgelassen, da sie eine wichtige Funktion einnimmt: Sie sichert das Glück der Menschen, das zur Stabilitätserhaltung unabdingbar ist. Mustapha Mond zeigt diese Tatsache mit dem Satz “Universal happiness keeps the wheels steadily turning”[9] deutlich auf. Das Glück der Masse soll jedoch nicht durch überflüssige Gefühle wie Eifersucht und Leidenschaft behindert werden. Deshalb ist unter dem Leitspruch everyone belongs to everyone else, der jedem World State Bewohner aus Hypnopädiestunden bekannt ist, die Promiskuität zur Institution erhoben worden.[10] Huxley überzeichnet durch dieses Vorgehen deutliche Tendenzen seiner eigenen Gegenwart, da er insbesondere bei seinen Aufenthalten in den USA Ansätze einer sexuellen Freiheit beobachtet hatte, wie er in seinem Vorwort von 1946 ausführt:

Nor does the sexual promiscuity of Brave New World seem so very distant. There are already certain American cities in which the number of divorces is equal to the numbers of marriages. In a few years, no doubt, marriage licences will be sold like dog licences, good for a period of twelve months, with no law against changing dogs or keeping more than one animal at a time.[11]

[...]


[1] Vgl. Kurt Greinacher, Die frühen satirischen Romane Aldous Huxleys (Frankfurt am Main, 1986), S.169

[2] Aldous Huxley, Brave New World (London, 1994 [11932]), S.5

[3] Berthold Thiel, Aldous Huxleys Brave New World (Amsterdam 1980), S.36

[4] Huxley, a.a.O., S.25

[5] Vgl. Kurt Greinacher, a.a.O., S.166

[6] Aldous Huxley, a.a.O., S.81

[7] Greinacher, a.a.O., S.166

[8] Huxley, a.a.O., S.18

[9] ebd., S. 208

[10] Vgl. Thiel, a.a.O., S. 69

[11] Huxley, a.a.O., Foreword, S. 9-10

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Die Rolle der Familie und der Sexualität in Aldous Huxley s Brave New World
Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen  (Englisches Seminar)
Note
2 +
Jahr
2002
Seiten
18
Katalognummer
V2248
ISBN (eBook)
9783638113755
Dateigröße
543 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rolle, Familie, Sexualität, Aldous, Huxley, Brave, World, Thema Schöne neue Welt
Arbeit zitieren
Anonym, 2002, Die Rolle der Familie und der Sexualität in Aldous Huxley s Brave New World, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/2248

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