Identität und Verständigung: Pluralität als Herausforderung für ReligionslehrerInnen - Eine Gegenwartsanalyse anhand einer Denkschrift der EKD


Seminararbeit, 2003

18 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhalt

1 EINLEITUNG

2 DEFINITIONEN VON PLURALITÄT
2.1 Pluralismus bei Hans Kremendahl
2.2 Entwurf von Pluralität von W. Welsch

3 RELIGIONSPÄDAGOGISCHE RAHMENPROBLEME

4 UNTERSUCHUNGEN DER GEGENWÄRTIGEN SITUATION ANHAND VON „IDENTITÄT UND VERSTÄNDIGUNG“
4.1 Herausforderungen und Umfeld des Religionsunterrichts
4.1.1 Zum Verhältnis der jungen Generation zu Kirche, Christentum und Religion
4.1.2 Zum Umfeld Schule: Schulpädagogik, Schulentwicklung, Schulerneuerung
4.2 Der Religionsunterricht in der pluralen Gesellschaft
4.2.1 Sinn und Aufgaben des Religionsunterrichts
4.2.2 Rahmen und Bezüge des Religionsunterrichts
4.2.3 Die Funktionen der Religionslehrerinnen

5 ZUSAMMENFASSUNG

6 REFLEXION
6.1 Lernfortschritt im Seminar
6.2 Reflexion zum Thema der Arbeit

7 LITERATURVERZEICHNIS

1 Einleitung

Die evangelische Kirche in Deutschland hat im Jahr 1994 eine Denkschrift mit dem Titel „Identität und Verständigung. Standort und Perspektiven des Religionsunterrichts in der Pluralität“ herausgegeben. Anhand dieser Denkschrift soll in dieser Arbeit gezeigt werden, dass Pluralität eine sehr große Herausforderung für den Religionsunterricht ist. Die Denkschrift ist sicher auch für den katholischen Religionsunterricht von Bedeutung. Zuerst werde ich versuchen, den Begriff der Pluralität im allgemeinen zu definieren. Danach wird Anhand der Denkschrift der EKD eine Gegenwartsanalyse gemacht, die das Pluralitätsproblem aus der Perspektive der Schüler, der Person des Lehrers / der Lehrerin beleuchten soll. Weiters soll klar gemacht werden wie Schule, Kirche, Gesellschaft, Politik und die Eltern sich im Blick auf diese Herausforderung verhalten sollen. Und es ist zu hinterfragen, wie der Religionsunterricht in einer pluralen Gesellschaft gestaltet sein soll. Welche Inhalte und welche Methoden den Religionsunterricht ausmachen.

2 Definitionen von Pluralität

Pluralität ist nach Wunderlich (1997)1 ein Begriff mit langer Tradition. Bereits Kant sprach vom „Cyclop, dem noch ein Auge nöthig, welches macht, dass er einen Gegenstand noch aus dem Gesichtspunkt anderer Menschen sieht“2, wenn er vom Egoisten spricht. Doch trotz dieser philosophischen Erkenntnisse Immanuel Kants, hat der Begriff des Pluralismus im 19. Jahrhundert wenig Echo gefunden. So erschien 1893 das Werk von Ernst Haeckel „Der Monismus als Band zwischen Religion und Wissenschaft“ und es schien als hätten eine pluralistische Philosophie und ein philosophischer Pluralismus keinen Platz in der Welt. Erst William James führte den Begriff des Pluralismus, durch seinen Lexikonartikel über eben diesen Begriff im Lexicon of philosophy and psychology (1902), wieder in den philosophischen Diskurs ein. In der Weltpolitik wurde sehr bald begonnen dieses Thema aufzugreifen, aber im deutschen Sprachraum nahm man davon aber sehr lange keine Notiz, da unter den totalitären Regimen pluralistisches Denken undenkbar gewesen wäre. Dieses Denken hätte die alles regierende Staatsgewalt in Frage gestellt. Von dieser Einstellung zeugt ein Zitat von C. Schmitt (1931) das besagt, dass der Pluralismus dafür eintrete, dass „es eine Vielzahl und Mehrzahl von gesellschaftlichen Lebensbereichen und Gestaltungskräften gibt, die sich nicht auf die gleiche Wurzel zurückführen lassen und darum auch nicht allseitig und erschöpfend unter der gleichen Spitze zusammenfassen lassen.“ Nachdem die totalitären Regime in den Ländern des deutschen Sprachraumes überwunden waren, wurde sehr bald der Pluralismus dieser strengen Gesellschaftsordnung positiv entgegengesetzt. Das hatte zur Folge, dass anhand der vielen Interessen (die sich in dieser Zeit hauptsächlich auf Vereine beschränkten) es schwer war Gesamtinteressen zu formulieren. Galt es nur einen Ausgleich der Interessen zu schaffen? Welchen Stellenwert hat ein solcher Konsens? Wie geht man mit Dissens um? Ist immer ein Kompromiss nötig und richtig? Solche Fragen warf die Pluralismusdebatte auf.

Um diese Fragen zu beantworten gilt es zuerst den Pluralismus als Phänomen zu fassen und in gesellschaftspolitisch und religionspolitisch zu definieren. Dazu werde ich zwei unterschiedliche Konzeptionen aufzeigen. Die eine ist eine Konzeption von Hans Kremendahl aus dem Jahre 1977 und die andere eine zeitphilosophische Konzeption von W. Welsch, allerdings auch schon aus dem Jahre 1988.

2.1 Pluralismus bei Hans Kremendahl

Hans Kremendahl3 (1977) stellt in seinem Versuch den Pluralismus zu definieren und seinen Stellenwert als Gesellschaftsprinzip zu erfassen fünf Hypothesen auf.

1. Der Begriff des Pluralismus erfasst die Wirklichkeit der Gesellschaft und ist ein zu verwirklichendes und erwünschtes Prinzip. Pluralismus meint soziale Vielfalt und Verschiedenheit als bloßes Faktum, und dessen Anerkennung ist als Norm anzusetzen.
2. Der Begriff des Pluralismus ist ein Strukturprinzip. Dieses entfaltet seine besondere Wirksamkeit bei einem entsprechendem Entwicklungsstand der Gesellschaft und kommt vor allem durch die demokratische Legitimation zur Geltung. Der Pluralismus bietet die Möglichkeit zur Entwicklung und Realisation unterschiedlicher Alternativen.
3. Der Pluralismus ist der Gegensatz zur Fixierung auf eine für alle geltende Sozialphilosophie und setzt die Existenz von verschiedenen gegensätzlichen Gesellschaftskonzeptionen frei. Konsequenz aus dieser Hypothese ist zum einen, dass der vielzitierte Gedanke des Gemeinwohls in ein experimentelles Licht gerückt wird, da das Gemeinwohl für den einen oder anderen auch einen Verdruss bedeuten kann. Trotzdem will man diese Idee nicht aufgeben und das Experiment Gemeinwohl bedarf eines wissenschaftlichen Diskurses und muss institutionell verankert sein. Zum andern müssen formale Spielregeln geschaffen werden, die das Zusammenleben im Verhältnis zwischen „agree and disagree“ ermöglichen. Nach Kremendahl muss auf schwarz - weiß denken in diesem Fall komplett verzichtet werden und jeder Kompromiss bedarf einer Überprüfbarkeit.
4. Der Begriff des Pluralismus leitet sich aus liberalen und sozialistischen Theorieelementen ab und bildet als ein gesellschaftliches Strukturelement allein schon einen Kompromiss.
5. Pluralismus wird im kleinen Bereich realisiert und basiert auf einer Demokratisierung der Gesellschaft und ihrer Subsysteme. Ebenso bildet der Pluralismus den Zielhorizont demokratischer Vollzüge in der Gesellschaft.

Dieser von Kremendahl entfaltete Pluralismusbegriff ist aus politwissenschaftlicher Perspektive erarbeitet, beschränkt sich aber nicht auf einzelne Subsysteme der Gesellschaft, sondern kann als gesamtgesellschaftlicher Ansatz gesehen werden. Für Kremendahl kann sich der Pluralismusbegriff nur dann als Norm gelten, wenn diese Norm der Wirklichkeit ermöglicht sich differenziert zu entwickeln, was heißt, dass Diskurs möglich ist, dass Kritik möglich ist, dass aber ebenfalls durch Diskurs Konsens entstehen kann.

Schwierigkeiten in der Philosophie einen Pluralismus zu denken, liegen vor allem in den Maßstäben dieser. So wird zum Beispiel durch den Pluralismus der Begriff der Rationalität in ihrer Einheitsform hinterfragt. Gibt es nun eine Vernunft oder mehrere Vernünfte? Nun und einer zweiter Maßstab der Schwierigkeiten bereitet ist wohl die Wahrheit. Man kann doch nicht sagen, dass ein fernöstlicher Asiat denselben Wahrheitsbegriff hat wie ein Mitteleuropäer. Diese bisher als absolut gesetzten Begriffe müssen zumindest neu und umfangreicher definiert werden.

Das Problem der Vernunft und seinen Schwierigkeiten werde ich anhand der folgenden Pluralismus-Konzeption von W. Welsch versuchen näher zu bestimmen.

Leonhard Stampler (0012683) Seite 5

2.2 Entwurf von Pluralität von W. Welsch

Ich werde4 versuchen den philosophischen Entwurf von W. Welsch trotz seiner

umfangreichen Komplexität - frei zitiert - in vertretbarer Kürze zusammen zu fassen. Welsch’ Ausgangspunkt ist die Erfahrung, die heute jeder Mensch macht, dass gleiche Sachverhalte von verschiedenen Perspektiven betrachtet sich völlig unterschiedlich darlegen. Dieses in der Gegenwart ständig beobachtbare Phänomen möchte er in einem Konzept darstellen. Welsch geht davon aus, dass dieser Fundus an unterschiedlichen Perspektiven zu Dissensen führt, die nicht als Varianten ein und derselben Sachen gesehen werden können. Dem Zwei-Stufen-Modell, das besagt, dass nur der Konsens den Dissens erlaubt, stellt Welsch das Dissens-Modell gegenüber, das besagt, dass nur darüber Konsens bestünde, dass Dissens erlaubt sei.

Welsch versucht in einem ersten Schritt den Begriff Postmoderne näher zu fassen und hinterfragt den Begriff der Moderne. Über diese Hinterfragung gelangt er zu seinem Bergriff von Postmoderne. Für Welsch ergibt sich, dass die Pluralität eine Grunderfahrung der Postmoderne ist, und somit eine neues Sinnkonzept für die Postmoderne.

Pluralitätsphänomene sind weiter sehr vielgestaltig und reichen in die unterschiedlichsten Bereiche hinein. An Welschs Pluralitätsvorstellung unter der Perspektive Bauen Architektur sei seine Konzeption kurz vorgestellt:

1. Das transformative Traditionsverhältnis: Bauen nimmt zwar Elemente der Tradition wieder auf, gleichzeitig ist aber zu beobachten, dass man keineswegs altes imitiert sondern traditionelles neu erfassen lernt.
2. Das Fiktionale: Gebäude werden nicht mehr nur aufgrund ihrer Funktion gebaut und definiert, es tritt auch immer mehr in den Vordergrund, welche Bedeutung ein Gebäude hat und welche Bedeutung die Form des Gebäudes, etc. hat. Die Gebäude bekommen narrative Inhalte. Das eröffnet Raum für Spontaneität und Improvisation. Dies erweckt eine Pluralität innerhalb der Wirklichkeit des Gebäudes.
3. Der Stilpluralismus / die Mehrsprachigkeit: Der Stil eines Bauwerks wird mit mindestens drei Gegebenheiten begründet: Kontextualität, Funktionalität und Adressaten-Orientierung. Jeder dieser drei Bezugspunkte trägt aber eine sehr große Pluralität in sich und Bauen muss wenn es mit der Gesellschaft kommunizieren will ein ganzes Bündel an Anforderungen erfüllen. Daraus entsteht ein Stilpluralismus, der die verschiedensten Wirklichkeitsentwürfe verkörpert.
4. „Das schwierige Ganze“: Da Bauen den Charakter des Endgültigen und Verbindlichen in sich trägt muss überlegt werden, wie und ob die einzelnen spezifischen Sprachmuster der Architektur auf einen grünen Zweig gebracht werden sollen. So spricht Venturi davon, dass Bauen eher eine Verwirklichung der schwer erreichbaren Einheit im mannigfaltigen als einer leicht erreichbaren Einheitlichkeit durch Elimination des Mannigfaltigen sein soll. Es stellt sich die Frage, ob Architektur sich zu einer geschlossenen Ganzheit oder doch eher zu einer offenen Ganzheit entschließen soll.

Diese vier Merkmale einer pluralistischen Architektur sind natürlich auch in gewisser Weise auf alle anderen Lebensbereiche übertragbar. Man kann sehen, dass durch den vorhandenen Pluralismus in allen Lebensbereichen ein Einheit, eine Ganzheit des Menschlichen schwer erfassbar ist. Damit steht auch die Religion vor einem sehr schwierigen Problem. Man kann keinen universalen Anspruch auf Ganzheit stellen und somit sprechen wir von einer transversalen Vernunft. Diese transversale Vernunft soll verhindern, das Partikulares als vermeintlich absolut gesehen wird. Weiters sorgt sie dafür, dass es, da es unterschiedliche Identitäten gibt, die sich durch Differenzen ausdrücken, zu Möglichkeiten wie Konkurrenz - Versöhnung, Widerstreit - Konsens, etc. gibt. Außerdem macht sie Rationalitätskonflikte möglich, die entweder in Konsens oder Dissens enden können, geschieht in offenen Prozessen, besitzt aber nach Welsch, im Unterschied zu Hegel keine Teleologie. Transversale Vernunft ist angewiesen auf Subjekte und erweist sich somit als die Urteilskraft der Subjekte

Mit dieser Konzeption legt Welsch einen Rahmen zur Erfassung von Pluralität. Da aber die Ganzheitssorge bleibt, möchte Welsch von einer Pluralität nicht ohne Einheit sprechen, und meint damit dass,

- Vielheit die Basis der Einheit ist.
- Es ohne Einheit keine Überschaubarkeit der Vielheit gibt.
- Einheit somit in ein Feld von Vielheit eingeschrieben ist
- Die Struktur dieser Einheit aber nicht durch einzelne Inhalte zum Ausdruck gebracht werden kann.
- Die Idee des ganzen somit einen formalen Charakter hat.

[...]


1 Wunderlich, Reinhard: Pluralität als religionspädagogische Herausforderung, Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 1997

2 I. Kant: Reflexionen zur Anthropologie, Nr. 903, in: Kant’s gesammelte Schriften, hgg. von der deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Band XV, 1, Berlin 1966, S. 394

3 Kremendahl, Hans: Pluralismustheorien in Deutschland. Entstehung, Kritik, Perspektiven, Leverkusen 1977

4 Welsch W., ‚Postmoderne - Pluralität als ethischer und politischer Wert, Köln 1988

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Identität und Verständigung: Pluralität als Herausforderung für ReligionslehrerInnen - Eine Gegenwartsanalyse anhand einer Denkschrift der EKD
Hochschule
Karl-Franzens-Universität Graz  (Institut für Religionspädagogik)
Veranstaltung
Beruf des Lehrers
Note
1
Autor
Jahr
2003
Seiten
18
Katalognummer
V22472
ISBN (eBook)
9783638257862
ISBN (Buch)
9783638842341
Dateigröße
572 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Identität, Verständigung, Pluralität, Herausforderung, ReligionslehrerInnen, Eine, Gegenwartsanalyse, Denkschrift, Beruf, Lehrers
Arbeit zitieren
Leonhard Stampler (Autor:in), 2003, Identität und Verständigung: Pluralität als Herausforderung für ReligionslehrerInnen - Eine Gegenwartsanalyse anhand einer Denkschrift der EKD, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/22472

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