Die Entstehung und Ausformung der bürgerlichen Kleinfamilie


Seminararbeit, 2002

12 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung

2 Der Begriff ‚Familie’

3 Die ‚große Haushaltsfamilie’ oder das ‚ganze Haus’

4 Die Entstehung der bürgerlichen Kleinfamilie
4.1 Der Wandel des Ehebegriffs im ausgehenden 19. Jahrhundert
4.2 Die Industrielle Revolution und ihre Auswirkungen auf die Familie
4.3 Urbanisierung und Konsum räumlicher und finanzieller Druck auf die Familie
4.4 Vater, Mutter, Kind: Rückwärtsgewandtheit und entsprechende Rollenbilder in der bürgerlichen Kleinfamilie

5 Familie im 20. und 21. Jahrhundert

6 Schlußbetrachtung

7 Literatur

1 Einleitung

Von der Zweckgemeinschaft in den ‚Schoß der Familie’, so könnte sehr grob die Entwicklung von der großen Haushaltsfamilie zur bürgerlichen Kleinfamilie umrissen werden. Die äußeren Umstände, die ein Gefühl für die Familie als Refugium forcierten, aber auch die Schattenseiten dieser abgeschirmten Innenwelt sollen in dieser Arbeit in erster Linie untersucht werden.

Betrachtet man den sozialen und gesellschaftlichen Wandel im 19. Jahrhundert, so dürfen die Veränderungen der Familienstrukturen nicht außer Acht gelassen werden. Gerade dieses Gebiet ist so mit vielen weiteren Wandelerscheinungen direkt oder indirekt verknüpft, daß keine Arbeit über das Thema ‚Familie im 19. Jahrhundert’ ohne Hinweise auf die Französische Revolution, den ständischen Gesellschaftsaufbau oder die Urbanisierung auskommt, ganz abgesehen von Untersuchungen zu Rollenbildern, Kindererziehung und damit die Vermittlung von gesellschaftlichen Werten, wie sie wiederum Charakteristika einer ganzen Epoche sind. Das Zusammenleben von Menschen fand und findet immer statt, und die Organisation dieses Zusammenlebens gibt oftmals in überzeugender Weise Auskunft über weit größere Zusammenhänge, die den Familienverband als Miniatur einer ganzen Gesellschaft ausmachen.

In dieser Arbeit sollen die wichtigsten strukturellen Wandlungen im Familienverband des 19. Jahrhunderts vor dem Hintergrund der größeren politischen und gesellschaftlichen Veränderungen beleuchtet werden. Von dort aus soll ein Blick in die Vergangenheit zur großen Haushaltsfamilie und in die Zukunft bis zum Familienbegriff der heutigen Zeit nicht vergessen werden, es wird der Fokus aber auf die bürgerliche Kleinfamilie im 19. Jahrhundert gerichtet.

2 Der Begriff ‚Familie’

Fragt man heute jemanden nach seinem Begriff von Familie, so wird dieser mit größter Wahrscheinlichkeit auf die in verschiedenen Linien miteinander verwandten Menschen erstreckt werden, diejenigen also, die zumindest zum Teil das sprichwörtliche ‚gleiche Blut’ wie der Befragte in sich fließen haben. Daß ‚Familie’ auch etwas ganz anderes heißen kann, und daß dieser Zusammenschluß von Menschen ein weites Forschungsfeld eröffnet, stellt sich wohl kaum jemand vor.

Der Begriff der(lat.) familiabezog sich ursprünglich nicht nur auf miteinander verwandte Personen, sondern schloß in seiner Bedeutung als ‚Hausgenossenschaft’ alle in einem Haus bzw. auf einem Hof lebenden Menschen mit ein. Hierzu gehörte auch das Gesinde, welches mit den Herrschaften zusammen auf dem Grundstück wohnte. Der Ursprung des Begriffesfamiliaaus(lat.) famulus: Sklave, Diener, Schülerunterstreicht diese Bedeutung.1Hier geht es also nicht um Personen, die sich allein durch ihre emotionale und/oder verwandtschaftliche Bindung zueinander als Verband definieren lassen, sondern um eine Gemeinschaft von Menschen, die zusammen wohnen und arbeiten. Somit war die ‚Hausgenossenschaft’ auch ein Zweckbündnis, eine „Rechts- Arbeits-, Konsum- und Wirtschaftseinheit“2.

In Deutschland bezeichnete man dieses Bündnis mit dem metonymischen Begriff ‚Haus’, was uns heute nur noch im adeligen Kontext bekannt sein dürfte, wenn jemand zum Beispiel aus dem ‚Haus der Welfen’ kommt, auch ist diese alte Bezeichnung noch in Ausdrücken wie ‚Tochter aus gutem Hause’ enthalten. Erst im 18. Jahrhundert fand das Wortfamilleals Lehnwort aus dem Französischen den Weg in den deutschen Sprachgebrauch und ersetzte das bis dahin bestehende Wort ‚Haus’.3

3 Die ‚große Haushaltsfamilie’ oder das ‚ganze Haus’

Eine ausführliche Charakterisierung dieser Form des Zusammenlebens würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, eine kurze Untersuchung soll aber dennoch nicht fehlen. So wird eine Betrachtung der in der Wissenschaft als ‚große Haushaltsfamilie’ bekannten Gemeinschaft von Mitgliedern einer Wohn- und Wirtschaftseinheit hier relativ kurz ausfallen, so daß eine Vorstellung dessen entstehen kann, aus dem die bürgerliche Klein- oder Kernfamilie hervorgegangen ist.

Das Zusammenleben mehrerer Menschen, räumlich begrenzt und durch recht genau verteilte Aufgabenfelder organisiert, war zu Zeiten der großen Haushaltsfamilie nicht nur aus produktionstechnischen Gründen sinnvoll, es bot den Mitgliedern des ganzen Hauses auch eine besondere Art der verfassungsgemäßen Rechtssicherheit, dem „Hausfrieden“4. Dieser Terminus schloß aber nicht nur die nach außen hin abgesicherte Schutzgemeinschaft, sondern auch die nach innen gerichteten hierarchischen Verhältnisse ein. Der Hausvater hatte oberste Gewalt bis hin zum Züchtigungsrecht, was die Anwendung des Prügelstocks bedeutete. Hausväterliteratur gab ausführlich Auskunft über die Art und Weise, wie ein Hausvater die große Haushaltsfamilie zu führen hatte.

Die Hausmutter hingegen war ‚im Kleinen’ das, was der Hausvater über das ‚ganze Haus’ (was die Hausmutter mit einschloß) war, nämlich die Inhaberin einer Befehlsgewalt, in ihrem Falle derjenigen über das Gesinde. Dies war in ähnlicher Form sowohl bei der Handwerkerund Bürgerfamilie als auch bei der Bauernfamilie der Fall. Waren auch die Strukturen für so manchen mit einer angenehmen Art von Sicherheit und einer Identifikationsgrundlage verbunden, so stand bei diesen großen Haushaltsfamilien jedoch „das Gefühl nicht an der ersten Stelle im familiären Wertesystem“5. Anders wurde dies, als mit Beginn des 19. Jahrhunderts die bürgerliche Kleinfamilie entstand.6

4 Die Entstehung der bürgerlichen Kleinfamilie

Die Klein- oder Kernfamilie wird angesehen als ein Elternpaar mit „ihren unselbständigen Kindern“7. Viele Faktoren liefen zusammen, in erster Linie von außen diktiert, die die Entstehung dieser neuen Konzeption von ‚Familie’ notwendig machten. Das waren zum einen Faktoren, die eine neue Wohnsituation und damit eine Verkleinerung der zusammenlebenden Gruppe von Menschen schufen und zum andern, mehr die emotionale Ebene ansprechend, schwierige Arbeits- und Versorgungsbedingungen, die ein Refugium, eine kleine heile Welt als Kontrapunkt zum ‚düsteren’ Außen wünschenswert machten.

Letztlich waren aber beides Reaktionen auf eine große Veränderung der Außenwelt. Im Folgenden soll ausführlicher auf jene Faktoren eingegangen werden.

4.1 Der Wandel des Ehebegriffes im ausgehenden 19. Jahrhundert

Das erstemal konnte man nach der Französischen Revolution 1789 von einem Recht namens Ehe sprechen. Es herrschte in den großen Haushaltsfamilien seit dem Mittelalter immer noch der Sippengedanke8vor und somit auch der in erster Linie standesgemäße und von wirtschaftlichen Faktoren wie der Mitgift9abhängige ‚Einkauf’ einer Frau, der sie letztlich zur „Rechtssache“10machte.

Eine andere Auffassung dieser bisherigen Gewohnheit kam durch die Gedanken des Naturrechts auf, die sowohl kirchliche als auch ständische Regeln durch die Annahme der Grundlage jeden Handelns als naturgegeben entwertet sahen.11Die katholische Lehre, die die Ehe als Sakrament, unauflösbar und im Bereich der geistlichen Gerichte stehend, sah und heute noch sieht, wurde immer mehr einem romantischen Bestreben gegenübergestellt, das die Ehe als unabhängig von religiösem Gerüst und als begründet auf der Liebe zwischen zwei Menschen und schließlich auch diesen und den in die Familie geborenen Kindern sah. Ein Streben, das auch einige Reformmodelle des späten 18. Jahrhunderts bestimmte, wie z.B. den Code Civil des Napoleon. Das Bild der bürgerlichen Familie wurde maßgeblich von diesen Strömungen beeinflußt.12

Die Einführung der Zivilehe 1875/76 und schließlich die Verankerung des Eherechts im Bürgerlichen Gesetzbuch 1900 war der vorläufige Kulminationspunkt einer lange währenden Entwicklung. Unabhängig davon übrigens, daß letztlich die reformatorischen Errungenschaften dieser Gleichbehandlung der Eheleute als sich liebende Individuen hinter dem regressiven Leitbild der Hausfrau und Mutter (s.u.) im Bürgertum zurückstanden.

4.2 Die Industrielle Revolution und ihre Auswirkungen auf die Familie

Der Prozeß der Industriellen Revolution führte letztlich zu massiven Veränderungen der Organisation von Wohnsituation und Alltag und damit auch zu Veränderungen im Zusammenleben, nicht nur in der neu entstandenen gesellschaftlichen Klasse der Arbeiter, sondern auch in Geld- und Erbadel. War vormals die Produktion in den Stuben des Hauses üblich (Heimarbeit), so verlagerten sich nun die Produktionsstätten immer mehr in zentrale Fabrikgebäude; die Automatisierung und die Erfindung der Dampfmaschine als ‚Antrieb für Massenproduktion’ veränderten die Arbeitssituation der Menschen maßgeblich. Es fand nun eine Trennung von Arbeits- und Wohnbereich statt, das althergebrachte Leben im ‚ganzen Haus’ fand nur noch auf dem Lande statt. Neue Berufsgruppen entstanden, eine Arbeiterschicht, zu der auch die Kinder als Arbeiter gehörten, stand neben bis unter einer Schicht von Angestellten unterschiedlicher Charge, die in das Bildungsbürgertum hineinreichte und schließlich der neuen großbürgerlichen Schicht der Unternehmer. Ein zunehmender Verwaltungsapparat schuf neue Berufe in den Dienstleistungssparten.

Eine neue, bürgerlich-demokratische Grundordnung, die der Gleichheitsgedanke nährte, der bereits in der Ehe-Diskussion Einfluß hatte (s.o.), war nur in Ansätzen vorhanden und unterlag letztlich den hierarchischen Strukturen der Industriegesellschaft, die im großen die patriarchalischen Zustände des ‚ganzen Hauses’ neu aufflammen ließen.13

4.3 Urbanisierung und Konsum - räumlicher und finanzieller Druck auf die Familie

Die immer weiter voranschreitende Verstädterung und zudem die hierarchisierte Klassengesellschaft, gepaart mit den Möglichkeiten, die die Massenfertigung von Produkten aller Art bot, führten zu neuen Verhaltensweisen der Stadtbewohner. Das erstemal trat hier das Phänomen des Konsums auf, das in den zumeist autarken großen Haushaltsfamilien fremd gewesen war. Das Verlangen nach dem Besitz von Konsumgütern prägte sich aus, insbesondere ein Statusdenken und der Wunsch nach gesellschaftlichem Aufstieg, wie er speziell in der Mittelschicht herrschte, führte dazu, daß ein hoher Prozentsatz des Jahresgehaltes für Luxusgüter ausgegeben wurde; in der urbanen Kultur des späten 19. Jahrhunderts auch für deren zahlreiche Vergüngungsangebote wie Cafés und Restaurants, Oper, Theater, später auch Kino und Anschaffungen der Massenkultur (Rundfunkgeräte etc.). Um sich diese Art von Konsum leisten zu können, mußten die Familien möglichst klein gehalten werden. Auch dies trieb die bürgerliche Kleinfamilie als solche voran.14

Und nicht nur dies, sondern auch die neuen Wohnsituationen ließen in den unteren Schichten große Familien nicht mehr zu. Gerade in den Arbeitergegenden, wo Mietkasernen mit winzigen Wohneinheiten vorherrschten, war die Wohnsituation sehr schlecht. Oftmals nur ein Raum mußte der Familie zum Leben genügen.

In den großbürgerlichen Villen standen für eine nicht minder große Familie dagegen mehrere hundert Quadratmeter zur Verfügung, verteilt auf teilweise 10 und mehr Zimmer, was das Wohnen zu einem bisher nur dem Adel vorbehaltenen Wohlstandserleben machte. Die Familiengröße hatte in diesem Stand nichts mit den äußeren Wohnverhältnissen zu tun, hier herrschte das bürgerliche Idealbild der Kernfamilie vor,15und zwar mit allen seinen Konsequenzen, denn gerade im Bürgertum zeigten sich restaurative Kräfte in ihrer ganzen Ausprägung. Ein streng patriarchalisches System war die Regel.

[...]


1Vgl. Kluge 1999, S. 248.

2Gestrich 1999, S. 4.

3Vgl. Gestrich 1999, S. 4.

4Weber-Kellermann 1974, S. 74.

5Weber-Kellermann 1974, S. 79.

6Weiterführend zum ‚ganzen Haus’: Weber-Kellermann 1974, Weber-Kellermann 1989, Brunner 1966.

7Gestrich 1999, S. 1.

8Vgl. zum Sippengedanken Weber-Kellermann 1980, S. 38f.

9Vgl. zur Mitgift Weber-Kellermann 1989, S. 100f.

10Weber-Kellermann 1980, S. 99.

11Vgl. Weber-Kellerman 1980, S. 98.

12Vgl. Gestrich 1999, S. 5.

13Vgl. Weber-Kellermann 1974, S. 99ff.

14Vgl. Gestrich 1999, S. 19.

15Vgl. Weber-Kellermann 1989, S. 160ff.; S. 196f.

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Die Entstehung und Ausformung der bürgerlichen Kleinfamilie
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel  (Seminar für Europäische Ethnologie/Volkskunde)
Veranstaltung
Sozialer und kultureller Wandel im 19. und 20. Jahrhundert
Note
1,3
Autor
Jahr
2002
Seiten
12
Katalognummer
V22457
ISBN (eBook)
9783638257749
Dateigröße
474 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Entstehung, Ausformung, Kleinfamilie, Sozialer, Wandel, Jahrhundert
Arbeit zitieren
Till Hurlin (Autor:in), 2002, Die Entstehung und Ausformung der bürgerlichen Kleinfamilie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/22457

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