Nutzungsmischung und öffentlicher Raum

Vergleich von zwei unterschiedlich strukturierten Münchner Stadtteilen – Haidhausen versus Hasenbergl


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

26 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Kurze Definition öffentlicher Raum und Nutzungsmischung
2.1 Öffentlicher Raum
2.2 Nutzungsmischung

3. Historischer Abriss

4. Auswirkungen von Nutzungsmischung auf den öffentlichen Raum
4.1 Allgemeine Auswirkungen von Nutzungsmischung bzw. –entmischung auf den öffentlichen Raum
4.2 Positive Auswirkungen einer intensiven kleinräumigen bzw. objektbezogenen Nutzungsmischung auf den öffentlichen Raum

5. Gegenüberstellung Funktionstrennung - New Urbanism

6. Beispiel München (Haidhausen – Hasenbergl)
6.1 Haidhausen
6.2 Hasenbergl

7. Fazit

8. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Öffentliche Räume gehören zu den zentralen Herausforderungen an den Städtebau und werden als Kernaufgabe kommunaler Stadtplanung wiederentdeckt.“ (Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung)

Die Qualität des öffentlichen Raums ist nicht nur eine Frage des Designs. In besonderem Maße ist auch die Nutzungsmischung der anliegenden Gebäude ausschlaggebend. Die Bedeutung des öffentlichen Raumes und seiner Nutzung veränderte sich im Laufe der Jahrhunderte. Auch gibt es vielfältige kulturelle Unterschiede. Nach einer kurzen Definition von öffentlichem Raum und Nutzungsmischung soll in dieser Arbeit zunächst ein historischer Abriss über die Veränderung der Bedeutung des öffentlichen Raumes und der Nutzungsmischung in Städten gegeben werden. Hiernach soll allgemein geklärt werden, inwiefern Nutzungsmischung den öffentlichen Raum beeinflussen kann. Dies soll dann an einer Gegenüberstellung zweier städtebaulicher Prinzipien – Funktionstrennung und autogerechte Stadt versus New Urbanism erläutert werden. Im Anschluss daran soll anhand eines konkreten Beispiels in einem Vergleich von zwei sehr unterschiedlich strukturierten Münchner Stadtteilen – Haidhausen versus Hasenbergl - gezeigt werden, inwiefern das zuvor Erläuterte tatsächlich in München sichtbar erfahrbar ist.

In einem Fazit sollen schließlich auch Perspektiven für die Zukunft aufgezeigt werden.

2. Kurze Definition öffentlicher Raum und Nutzungsmischung

2.1 Öffentlicher Raum

Die Definitionen, welche Räume und Plätze dem öffentlichen Raum zugeordnet

werden können, wo er beginnt und wo er aufhört, sind sehr verschieden.

Steffen führt dazu aus:

„Der öffentliche Raum soll […] definiert werden über seine allgemeinen Zugangs- und Nutzungsmöglichkeiten. Räume in öffentlichem Besitz, die für alle ohne spezielle Zugangsberechtigungen (Eintritt, Verzehr, Nutzerausweise etc.) wie Bürgersteige, Straßen, Plätze, Grünflächen, Spielflächen und auch solche Flächen, auf denen halböffentliches oder halbprivates Leben stattfindet oder stattfinden kann wie in Blockinnenbereichen sowie unter bestimmten Bedingungen auf Brachflächen, Abstandsflächen und sonstigen Nischen, die prinzipiell öffentlich aufgesucht werden können.

Der öffentliche Raum hat neben der räumlichen noch weitere Dimensionen, unter denen er zu betrachten ist. Seine psychologische, politische oder rechtliche Dimension ist ebenso wichtig wie die baulich-räumliche.“ (Steffen 1997, S. 1)

Feldtkeller bringt noch eine – wie er es nennt – „poetische“ Dimension des öffentlichen Raumes ins Spiel, die er vor allem als Kennzeichen des öffentlichen Raumes in der historischen europäischen Stadt betrachtet.

„Die Benutzung des öffentlichen Stadtraumes ist weitgehend unvorhersehbar; seine besondere Qualität liegt gerade in der Verfügbarkeit für alle möglichen Zwecke. […] Der Städter, der Straße und Platz aufsucht, um in ein Publikum einzutauchen als Beobachter, Zuschauer, Flaneur, aber auch als Akteur, Informant, Passant, erwartet nicht Zweckmäßigkeit, sondern Atmosphäre oder sogar Emotion. Typisch für den historischen Stadtraum ist deshalb eine überhöhende, eben poetische Fassung, die dem Raum eine zusätzliche Dimension verleiht.“ (Feldtkeller 1995, S. 89)

Beide Definitionen sollen in dieser Arbeit berücksichtigt werden, wobei besonders die allgemeine Verfügbarkeit sowie die Unvorhersehbarkeit der Ereignisse wichtig sind.

2.2 Nutzungsmischung

Es muss zwischen verschiedenen Dimensionen von Nutzungsmischung unterschieden werden. Zunächst kann diese räumlich in großräumige, kleinräumige und objektbezogene Nutzungsmischung unterteilt werden. Großräumige Nutzungsmischung bezieht sich auf einen Stadtteil bzw. ein Quartier, kleinräumige Nutzungsmischung auf einen Block, Straßenabschnitt oder Quartiersabschnitt. Objektbezogene Nutzungsmischung hingegen bezieht sich auf einen Gebäudeteil oder ein Geschoß. Hierbei müssen allerdings auch die Unterschiede auf der Planungsebene, bei den Leitbildern und den Planungsaufgaben berücksichtigt werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1 nach Jessen 1995, S. 393.

Desweiteren wird bei der Ausrichtung zwischen funktionaler (Wohnen, Arbeiten, Freizeit, Verkehr) und sozialer Nutzungsmischung (Arbeiter, Ausländer, Studenten etc.) differenziert. Bei der funktionalen Dimension werden auf großräumlicher Ebene ohne weitere Differenzierung Wohnbevölkerung und Arbeitsplätze gegenübergestellt, während es kleinräumig ausgehend vom Alltagsradius des privaten Haushaltes darum geht, fußläufig ein möglichst breites Angebot zu erreichen (Berufsarbeit, Kindergarten, Einkauf, Kultur, Pflege und Betreuung). Die soziale Dimension ordnet den Funktionen Wertigkeiten zu wie Wohnen für Haushalte mit unterschiedlich hohen Einkommen: freifinanzierter und sozialer Wohnungsbau in verschiedenen Förderwegen, Wohnungen für unterschiedliche Haushaltstypen usw., dann Betriebe unterschiedlicher Ertragskraft (Handwerk, Firmengründer etc. ) und Versorgungs-betriebe wie Ladenketten, Fachgeschäfte und Familienbetriebe.

Zuletzt gilt es noch eine zeitliche Dimension zu berücksichtigen. Die zeitliche Dimension soll dem Rechnung tragen, dass Nutzungsmischung kein Zustand, sondern ein Prozess ist und sich Nutzungsmuster gewöhnlich schneller wandeln als die Baustrukturen. Mehrfach- und Wechselnutzung von Flächen und Räumen in tageszeitlichem oder Wochenrhythmus sind denkbar (wie etwa Nutzung von Wohnung als beruflicher Arbeitsplatz).

3. Historischer Abriss

„Wesentliches Merkmal der europäischen Städte ist der öffentliche Raum. Diese Stadträume tragen weiterhin Austausch-, Integrations- und Identifikationsfunktionen. Aber: die Beschaffenheit, Herstellungsweisen, Verfügungs- und Nutzungsformen der öffentlichen Räume verändern und differenzieren sich. Gleiches gilt für die Lebens- und Verhaltensweisen der Stadtbenutzer sowie für die künftigen individuellen und gesellschaftlichen Anforderungen an diese Stadträume.“ (Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung)

Die historische europäische Stadt ist geprägt von enormer Nutzungsmischung und regem Leben im öffentlichen Raum.

„Die traditionelle europäische Stadt war so organisiert, dass Wohnungen, Produktionsstätten, Kontore, Gasthöfe, Kirchen, Klöster, Märkte auf alle Stadtviertel verteilt waren. Natürlich gab es auch abgelegene Gassen, wo vielleicht nur wenige Handwerker und eine Wirtschaft lagen, dafür gab es aber dort wiederum städtische Formen landwirtschaftlicher Produktion.“ (Feldtkeller 1995, S. 59)

Eine Nutzungsentmischung bzw. Funktionstrennung war aufgrund der sehr eingeschränkten Mobilität nicht möglich. Mit den technischen Entwicklungen veränderten sich die Städte. Schon die frühen Siedlungen waren Orte des Warenaustauschs, gelegen und gewachsen an den Kreuzungen der Handelsstraßen, an Furten und Schiffahrtswegen. In den Städten wurde produziert, sie wurden zu Ballungszentren von Menschen, Informationen und Wissen. Städte waren - und sind bis heute - die Verkehrs- und Kommunikationsknoten der Welt.

Der Wandel zur Stadt der Neuzeit vollzog sich mit der Industrialisierung, dem rasanten Bevölkerungsanstieg Ende des 19. Jahrhunderts und der Erfindung von Eisenbahn, Automobil, Telegraph und Telefon. Raumgreifend war das Wachstum der Industrie und zog die Menschen in die Städte, die sich schnell ins Umland ausbreiteten. Es entstanden räumliche Schwerpunkte der Arbeit und Produktion, des Wohnens und der Freizeit. Eisenbahn und Straßenbahn erlaubten eine Expansion von städtischen Räumen primär entlang von Verkehrsachsen; Arbeitsstätten mussten zentralisiert bleiben. Die Massenmotorisierung schaffte dagegen eine Trennung von City (Dienstleistungen), Arbeitsstätten und Wohngebieten, die nun konzentrisch angeordnet sein konnten. In der Charta von Athen 1933 und deren Bearbeitung durch den Stadtplaner Le Corbusier 1942 wurde als Antwort auf die damals sehr negativ beurteilte Stadt der Gründerzeit mit ihrer extremen Nutzungsmischung (siehe auch Kap. 5) eine Trennung der sog. Grunddaseinsfunktionen Wohnen, Arbeiten und Sich Erholen zu einem städtebaulichen Leitbild erklärt. Die Funktion Verkehr wurde hierbei als ein Mittel betrachtet, die räumlich getrennten Funktionen zu verbinden. Der Aufbau der Städte nach dem Krieg verstärkte diese Trennung noch, zusätzlich zerschnitten Autostraßen den städtischen Raum - Ausdruck des Leitbildes einer autogerechten Stadt. In einem rasanten Tempo begann der Verkehr unvorstellbare Räume und Ressourcen zu verschlingen. Insbesondere in den USA verzeichnete man eine enorme Suburbanisierung verbunden mit einem exzessiven Urban Sprawl. Ergebnis war eine Verkümmerung des öffentlichen Raumes, der nun fast ausschließlich dem Autoverkehr vorbehalten war. Die Stadtarchitektur der Funktionstrennung ist weiterhin gekennzeichnet durch ausufernde monotone Schlafstädte ohne zentrale Einrichtungen, durch riesige Shopping Malls und Factory Outlet Center irgendwo im Niemandsland. Unterschichten, die sich den Umzug in die Vororte mangels Auto nicht leisten können und gleichzeitig auch nicht die auf der grünen Wiese errichteten Arbeitsstätten in neuen, dynamischen Sektoren (z.B. Elektronik) erreichen können, werden doppelt benachteiligt. Eine Folge ist die Verslumung von Innenstädten, insbesondere in den USA.

Nicht nur auf funktionaler, sondern auch auf sozialer Ebene war die mittelalterliche Stadt von einer gesunden Durchmischung geprägt.

Die städtische Mischung betrifft auch die Sozialstruktur. Die Unterbringung von Mieträumen für ärmere Bewohner in den höher liegenden Geschossen alter Stadtquartiere zeigt deutlich, dass bei der räumlichen Anordnung der Stadt die soziale Rangordnung zwar durchaus ihre Bedeutung hatte, sich aber nicht so auswirkte, dass etwa die kleinen Handwerker und die Tagelöhner auf eigene Viertel verwiesen wurden. Im öffentlichen Raum vor dem Haus lebte man zusammen. Der Markt war immer der Markt aller Bürger.“ (Feldtkeller 1995, S. 59)

Die Nutzungsmischung war auch eine Folge von erwünschten Sozialkontakten.

Mischung und Vielfalt waren offenbar selbstverständliche, vielleicht sogar begehrenswerte Eigenschaft eines Stadtquartiers, denen zuliebe man ihre Nachteile – unangenehmen Lärm und störende Gerüche, turbulente und lautstarke Betriebsamkeit – in Kauf nahm. Zweifellos war der entscheidende Vorteil der Nutzungsmischung eben der intensive Austausch von Meinungen, Waren, Informationen und Hilfen, dessen Qualität außer jeder Diskussion stand. Bemerkenswert ist, dass zur Mischung in diesen Städten nicht nur die Nutzungsvielfalt im Quartier, sondern geradezu auf die Spitze getrieben die Vielfalt auf ein und derselben Parzelle gehört. Von der Mischung profitierten nicht nur alle, alle waren an ihr ganz unmittelbar in ihrer engsten räumlichen Umwelt beteiligt.“ (Feldtkeller 1995, S. 61)

Zu einer Zeit, in der es noch keine Versicherungen gab und auch ansonsten viel weniger Institutionen wie zum Beispiel Krankenhäuser, Altersheime und soziale Einrichtungen verschiedenster Art, die unser heutiges Leben regeln, waren die Menschen in einem viel größeren Maße durch soziale Kontakte und Kommunikation aufeinander angewiesen. Da diese Anlässe der Kommunikation im öffentlichen Raum zu einem immer stärkeren Maße wegfallen, ist es nun die Nutzungsmischung selbst, die Anlässe für Sozialkontakte bietet.

[...]

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Nutzungsmischung und öffentlicher Raum
Untertitel
Vergleich von zwei unterschiedlich strukturierten Münchner Stadtteilen – Haidhausen versus Hasenbergl
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Sozialgeographie)
Veranstaltung
Nutzungsmischung im Städtebau
Note
1,0
Autor
Jahr
2002
Seiten
26
Katalognummer
V22448
ISBN (eBook)
9783638257671
ISBN (Buch)
9783638691864
Dateigröße
2162 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Kleinteilige Nutzungsmischung ist eines der wichtigsten Kennzeichen der "Europäischen Stadt". Ebenso die Belebtheit des öffentlichen Raumes. Ziel dieser Hausarbeit ist es, Zusammenhänge zwischen Nutzungsmischung und der Benutzung öffentlicher Räume herzustellen. Historische Veränderungen sowie kulturelle Unterschiede werden dabei ebenso berücksichtigt wie verschiedene Leitbilder städtebaulicher Planung. Abschließend finden sich zwei Münchner Beispiele. Dichter Text - einzeiliger Zeilenabstand.
Schlagworte
Nutzungsmischung, Raum, Vergleich, Münchner, Stadtteilen, Haidhausen, Hasenbergl, Nutzungsmischung, Städtebau
Arbeit zitieren
Alexander Bock (Autor:in), 2002, Nutzungsmischung und öffentlicher Raum, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/22448

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