Die Konversion in der Linguistik


Zwischenprüfungsarbeit, 2004

17 Seiten, Note: 2.5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung

2. Konversion und ihre Klassifizierung

3. Konversionsterminologie

4. Besonderheiten der syntaktischen Konversion
4.1. Substantivierter Infinitiv
4.2. Deverbale Adjektivisierung
4.3 Deadjektivische Substantivierung
4.4 Desubstantivische Adjektivisierung

5. Die morphologische Konversion im Unterschied zur syntaktischen Konversion
5.1. Substantivierung des Verbstamms
5.2. Verbalisierung der adjektivischen Basis
5.3. Verbalisierung der substantivischen Basis

6. Sonstige Konversionen

7. Wechselbeziehung zwischen Bedeutung, Formen und Funktionen der Konversion

8. Grenzen der Konversion

9. Die Lexikalisierung und einige Wortgeschichten

10. Schluss

11. Literatur

1. Einleitung

Das Denken ist zu einem großen Teil sprachlicher und struktureller Natur, wohingegen das Gefühl, die Empfindung und die Intuition eher nicht sprachlich sind. Das Denken ist der ureigenste Bereich der Sprache. Das Denken verknüpft die einzelnen Morpheme und Wörter miteinander zu einem Sinn. Diese Verknüpfungen geschehen in jeder Sprachkultur auf unterschiedliche Art und Weise.

Wenn ein Ukrainer zum ersten Male Deutsch zu lernen beginnt, wundert er sich sofort über die zwei deutsche Phänomene: die Konversion und das Zählen. In der ukrainischen Sprache existiert keine Konversion. Das Unikum des deutschen Zählens soll den Mathematikern überlassen bleiben. Vermutlich hat dieses Phänomen keine analoge Erscheinung auf der Welt.

Interessant ist die Besonderheit der Konversion, einer der drei von Eisenberg unterschiedenen Wortbildungstypen: Komposition, Affigierung und Konversion.[1] Er sieht in der Wortbildung einen Teil der Morphologie, weil sie sich mit dem Aufbau von Wortformen und Wörtern aus kleinsten „Wortbausteinen“ (Morphemen) beschäftigt. Anderseits kann man alle Wörter auch aus zwei weiteren Perspektiven betrachten: von der Formseite (syntaktischem Paradigma) und von der Bedeutungsseite (semantischem oder lexikalischem Paradigma). Die Konversion soll in vorliegender Semesterarbeit ebenfalls aus diesen drei Perspektiven untersucht werden.

Im Prozess der Evolution versucht jede Sprache sich zu verändern, verschiedenartig zu gestalten oder auch zu vereinfachen (wie z.B. die Konversion und die Komposi- tion). Die Parallele zwischen diesen zwei Wortbildungstypen ist nicht zufällig; beide suchen die optimalen Formen mancher Äußerungen. Den Ausdruck der Beamte der Bahn der Bundesrepublik Deutschland verkürzt man z.B. zu einen Wort der Bundesbahnbeamte. Die ukrainische Sprache hat auch Kompositionswortbildungen (noch ein wunderbares Beispiel der Komposition), aber nicht in solchen extrem umfangreichen Formen. Die Konversion ist eine auserlesene Erfindung der Sprache, eine Rarität. Ihre Besonderheit besteht in der Möglichkeit, ein Wort/einen Wortstamm in verschiedenen Varianten zu benutzen und damit in verschiedenen Bedeutungen zu betrachten (z.B. kaufen – das Kaufen, kaufen – der Kauf). Konversion ist ein produktiver Prozess im Niederländischen, Deutschen und auch im Englischen. Sie ist ein semantisches, ausgesprochen vielfältiges Wortbildungsmittel.

2. Konversion und ihre Klassifizierung

Die Analyse von Konversionen ist in der Literatur umstritten, die Terminologie und vorgeschlagenen Klassifizierungen sind heterogen.

Konversion (lat. conversio „Umkehrung“) ist ein Übertritt eines Wortes in eine andere Wortart ohne formale Änderung, d.h. die Bildung eines neuen Wortes ohne eigene morphologische Kennzeichnung.[2] (Duden 2001: 943) Die Konversion, die stets einen Wortartwechsel impliziert, ist demnach auch immer eine Transposition sowie eine Überführung der Wortarten oder ein Wortartwechsel ohne Wortbildungselemente (z.B. waschen – das Waschen, böse – der/die/das Böse, extra – das Extra). Mit anderen Worten, die Konversion ist eine Wortbildungsart, bei der eine unflektierte (kauf-) oder

flektierte (der Gute) Basis die Wortart oder ihren Status als syntaktische Fügung/Wortgruppe/Phrase (In-der-Sonne-Liegen) ohne Affigierung wechselt.

Die Konversion ist demzufolge durch das Nichtvorhandensein eines Wortbildungsmerkmals gekennzeichnet. Sie wird von verschiedenen Autoren unterschiedlich systematisiert.

Fleischer/Barz bringen die folgenden typischen Beispiele der Konversion:[3]

Basis Konversion

1. Verb

1.1 Verbstamm ruf- a) Substantiv: der Ruf

wach- b) Adjektiv: wach

1.2. Infinitiv schreiben Substantiv: das Schreiben

1.3. Personalform soll, ist Substantiv: das Soll, das Ist

1.4. Partizip I reisend a) Substantiv: der/die Reisende

reizend b) Adjektiv: reizend

1.5. Partizip II angestellt a) Substantiv: der/die Angestellte

beliebt b) Adjektiv: beliebt

2. Adjektiv hoch a)Substantiv: der/die/das Hohe, das Hoch

lahm b) Verb: lahmen

3. Substantiv Film a) Verb: filmen

Schmuck b) Adjektiv: schmuck

Zeit c) Präposition: zeit

4. Adverb heute Substantiv: das Heute

5. Numerale fünf Substantiv: die Fünf

6. Pronomen irgendwer Substantiv: ein Irgendwer

7. Präposition für, wider Substantiv : das Für und Wider

8. Wortgruppen

8.1. verbal auswendig lernen Substantiv : das Auswendiglernen

8.2. substantivisch zu Gunsten a) Präposition : zugunsten

(in der) Zeit des Lebens b) Adverb: zeitlebens

9. Sätze

9.1. (ich) danke schön Substantiv : ein Dankeschön

9.2. schlage tot! ein Schlagetot

Laut Eisenberg ist Konversion keine einheitliche Erscheinung. Er unterscheidet syntaktische und morphologische Konversionen, die später in dieser Arbeit detaillierter dargestellt werden:[4]

Syntaktische Konversion Morphologische Konversion

a . Verb – Substantiv a. Verb - Substantiv

laufen – das Laufen laufen – der Lauf

b. Verb – Adjektiv b. Adjektiv - Verb

gestrichen – gestrichen grün - grünen

c. Adjektiv – Substantiv c. Substantiv - Verb

gut – der/die/das Gute das Gras - grasen

gestrichen – der/die/das Gestrichene

entscheidend – der/die/das Entscheidende

d. Substantiv - Adjektiv

die Klasse – klasse

3. Konversionsterminologie

Innerhalb der Konversion unterscheidet man zwischen Substantivierung, Adjektivierung und Verbalisierung.

Die Substantivierung (Nominalisierung) ist die Bildung eines Substantivs aus einem Wort einer anderen Wortart durch Konversion (das Laufen, das Blau, das Ich), durch Ableitung (Lehr-er – lehr-en, Schön-heit – schön) oder durch Ableitung mit Argumentvererbung (sie zerstören die Stadt/die Zerstörung der Stadt). [5]

Die Adjektivierung besteht aus der Bildung eines Adjektivs aus einem Wort einer anderen Wortart durch Ableitung (furchtsam – Furcht, häuslich – Haus, les-bar – les-en, dort-ig – dort) oder Konversion (spitze – Spitze, reizend - reizend). [6]

Die Verbalisierung betrifft die Bildung eines Verbs aus einem Wort einer anderen Wortklasse durch Konversion oder Ableitung (ölen – Öl, dunkeln – dunkel, verdrecken – Dreck, ergrünen – grün). [7]

Die Substantivierung ist der Haupttyp der Konversion. Sie bedeutet praktisch, dass ein Artikel vor ein anderes Element gestellt wird, das somit zum Kern einer Nominalgruppe erklärt wird. An das Lexem aus einer anderen Wortart treten die nominalen Flexive. Eisenberg definiert Substantivierungen als abgeleitete Substantive, „gleichgültig, mit welchen Mitteln die Ableitung erfolgt. Entsprechendes gilt für Adjektivisierungen und Verbalisierungen.“[8]

Auf die Produktivität (ein gradueller Begriff für die Wortbildung) der Konver- sionstypen wird in dieser Arbeit nicht eingegangen, da dies den Rahmen sprengen wurde.

Im Folgenden werden die allgemeinen Mechanismen der Konversionsbildung sowie Eisenbergs Konversionsreihenfolge nach syntaktischen und morphologischen Prinzipien dargestellt.

4. Besonderheiten der syntaktischen Konversion

Eine syntaktische Konversion findet dort statt, wo das Konversionsprodukt ein Flexionselement der Basis umfasst: eine Infinitivendung (laufen – das Laufen) oder eine Partizipialflexion (gestrichen - gestrichen). In diesem Sinne ist die Konversion gut – der/die/das Gute ein Extremfall mit einen substantivierten einfachen Adjektiv.

4.1. Substantivierter Infinitiv. Bei der Infinitivkonversion wird nicht nur der Verbalstamm, sondern die Konstruktion aus Verbalstamm + Infinitivendung -en substantiviert. Der substantivierte Infinitiv zeigt sich als Verbform in mehreren syntaktischen Kontexten: Sie will leben/Leben ( transitiver Modalverbgebrauch) oder Bier trinken ist gesund/Biertrinken ist gesund (bestimmte Subjektsinfinitive).

Aus allen Verben kann im Prinzip ein substantivischer Infinitiv gebildet werden. Er wird wenig oder selten lexikalisiert und idiomatisiert (das Treffen, Haben), aber falls doch (das Schaffen, Vermögen, Unternehmen), flektiert er wie ein starkes Substantiv im Neutrum (Ausnahme sind Krankheitsbezeichnungen: der Husten, der Schnupfen). Er hat keinen Plural und muss nicht immer und unbedingt alle Bedeutungen und Sememe der Basis übernehmen (ergehen – das Ergehen).

Fleischer/Barz unterscheiden vier Strukturtypen der Infinitivkonversion: der Infinitiv eines Simplex (Essen), der Infinitiv eines Präfixverbs (Vermögen, Aufbrechen), der Infinitiv eines Suffixverbs (Diskutieren, Murmeln) und der Infinitiv eines Kompositums (Sitzenbleiben, Fortschreiten).[9]

Reflexive Verben „erben“ manchmal bei der Konversion das Reflexivum, z.B. das Sich-Erhängen, Sich-Verschanzen, aber: sich bemühen um – das Bemühen um.

Häufig substantiviert man auch Negationsinfinitive (Nichtlesen, Nichtverstehen).

Die Schriftsteller verwenden den substantivierten Infinitiv vielfach als passende Bildung, um expressive Wirkungen zu erzielen (z.B. Das Handwerk des Tötens, [10] Auch das Singen hilft mitunter ganz außerordentlich gegen das Denken [11] ).

4.2. Deverbale Adjektivierung. Der Übergang vom Partizip zum Adjektiv ist durch semantische und syntaktische Kriterien bestimmt. Dann sind ein verbales Partizip (bedeutend, treffend, gefragt, anerkannt) und ein partizipiales Adjektiv (bedeutende Persönlichkeit, treffende Antwort, gefragte Erzeugnisse, anerkannte Schriftsteller) als Homonyme zu betrachten. Der adjektivische Gebrauch kann sich auch syntaktisch vom verbalen weiter unterscheiden: verschwiegener Mensch (der Mensch verschweigt), gelernter Dreher (der Dreher ist gelernt), die am Fluss gelegene Stadt (die Stadt liegt am Fluss), eingebildete Person (die Person bildet sich etwas ein).

4.3. Deadjektivische ( auch departizipische und dezahladjektivische) Substantivierung. Gemäß der Konversionsart gut – das Gute ist jedes Adjektiv substantivierbar und kann es als Substantivierung lexikalisiert und sogar idiomatisiert werden; jedoch behält es auch eine transparente Bedeutung: z.B. abgeordnet (abordnen-abgeordnet) – der Abgeordnete.

Nach Eichinger steht das Adjektiv in der Nominalgruppe links vom Nomen und entfernt sich seine Eigenschaften aus diesem Grund nicht weit von denen des Substantivs.[12] Damit wird das ohnehin realisierte nominale Flexionsinventar in Verbindung mit dem Artikel genutzt. Solche Substantive flektieren genau so wie die Basisadjektive (der Gute, ein Guter, der Bessere, der Beste). Substantivierte Adjektive haben gemeinsam mit Adjektiven wesentliche syntaktische Kontexte (Der große und der kleine Klaus/ Der Große und der kleine Klaus).

Ein klassisches Beispiel der deadjektivischen Substantivierung zeigt folgende Wortbildung: das Schöne dem Hässlichen, das Gesunde dem Verdorbenen vorzuziehen [13] . (Strauß, 1997, S. 15)

[...]


[1] Eisenberg, Peter: Grundriss der deutschen Grammatik. Das Wort. Metzler, Stuttgart 2000, Inhaltsverzeichnis, S. 201-280.

[2] Eisenberg, 2000, S. 281.

[3] Fleischer/Barz: Wortbildung der deutschen Gegenwartsprache. 2., durchgesehene und ergänzte Auflage. Max Niemeyer Verlag. Tübingen 1995, S.50.

[4] Eisenberg, 2000, S.281.

[5] Metzler Lexikon Sprache, Stuttgart 2000, S.477.

[6] Metzler, 2000, S.11.

[7] ebd., 2000, S.773.

[8] Eisenberg, 2000, S. 281.

[9] Fleischer/Barz, 1995, S.211.

[10] Hahn, 2003, S.83.

[11] ebd., S.83.

[12] Eichinger, 2000, S.24.

[13] Straus, Botho: Die Fehler des Kopisten. Hanser. München/Wien 1997. Zitiert: Eichinger, 2000, S.168.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Die Konversion in der Linguistik
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Institut für Deutsch als Fremdsprachenphilologie)
Veranstaltung
Wortbildung
Note
2.5
Autor
Jahr
2004
Seiten
17
Katalognummer
V22393
ISBN (eBook)
9783638257459
ISBN (Buch)
9783638788731
Dateigröße
547 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Konversion, Linguistik, Wortbildung
Arbeit zitieren
Antonina Kostretska (Autor:in), 2004, Die Konversion in der Linguistik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/22393

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