Stadtentwicklung in der Gallia Narbonensis


Hausarbeit (Hauptseminar), 2000

22 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

A) Einleitung

B) Stadtentwicklung in der Gallia Narbonensis
I. Was ist unter dem Begriff „Stadt“ zu verstehen? - Ein kleiner Exkurs
II. Römische Bürgerrechtspolitik: Kolonisierung und Municipalisierung
III. Chronologischer Abriß der Städteentwicklung in der Narbonensis
1. Protourbanisation - „städtisches“ Landschaftsbild bis zur römischen Intervention in Südgallien (125 v. Chr.)
2. Römische Intervention, erste römische Gründungen und Verbesserung der Infrastruktur
3. Das caesarisch-augusteische Kolonisationsprogramm nach der Belagerung Massalias
IV. Exempel für bedeutende Städte in der Narbonensis
1. Narbo Martius (Narbonne)
2. Forum Iulii (Fréjus)

C) Schluß: Resümee und Konsequenzen der Urbanisierung

D) Literaturverzeichnis
I. Gedruckte Quellen
II. Sekundärliteratur
III. Bildquellen

A) Einleitung: Allgemeine Vorbemerkung

Daß die römische Urbanisierung einen bedeutenden Beitrag zur Romanisierung der außeritalischen Provinzen geleistet hat, gehört zur üblichen Allgemeinbildung. Ebenso weiß der Laie in aller Regel, daß bedeutende historische Städte (Köln, Trier und Augsburg in Deutschland; Lyon, Toulouse und Narbonne in Frankreich, um nur einige wenige zu nennen) römischen Ursprungs sind. Auf welche Weise die mehr oder weniger geplante Verstädterung aber zum hochkomplexen Geschehen der Romanisierung, d. h. der Durchdringung unzivilisierter Räume mit römischer Sprache und mediterraner Lebensart beigetragen hat, ist jedoch weitgehend im Allgemeinbildungskontext unbekannt.

Diese Seminararbeit unternimmt den Versuch, am Beispiel der römischen Provinz Gallia Narbonensis[1] die Stadtentwicklung seit der Eroberung durch die Römer nachzuvollziehen und die Ziele, die die Eroberer mit der Verstädterung verfolgten und die Konsequenzen dieser Strategie darzustellen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Karte der Gallia Narbonensis (nach Bromwich 1993)

Um sich aber mit dem Komplex Stadtentwicklung zu beschäftigen, ist zunächst der Begriff „Stadt“ einer kurzen, aber kritischen Betrachtung zu unterziehen.

B) Stadtentwicklung in der Gallia Narbonensis

I. Was ist unter dem Begriff „Stadt“ zu verstehen? - Ein kleiner Exkurs

Eine Definition des Begriffs „Stadt“ zu geben, ist kompliziert, aber für die Behandlung dieses Themas unerläßlich; kompliziert deshalb, weil die Stadtplaner, Geographen und Historiker, die sich mit dem Thema Stadt auseinandersetzen, sich nicht über die Kriterien einigen können, die eine Siedlung konstituieren, die den Namen „Stadt“ zu recht trägt. Da die Definition auch noch möglichst allen historischen Epochen vom Altertum bis zur Moderne und allen geographischen Räumen genügen soll, gehen die Meinungen über die letztlich entscheidenden Wesensmerkmalen einer Stadt weit auseinander.[2]

Das Wort „Stadt“ (mhd. stat, ahd. stat) erscheint in der heutigen Bedeutung erst nach 1200. Es übernahm die Semantik vom älteren Burg und differenzierte sich von Statt und Stätte.[3] F. Kolb führt diesen Wandel auf das zeitgleiche Auftreten der mittelalterlichen Stadtbürgergemeinden und des Stadtrechts zurück.[4] Damit wird das politisch-rechtliche Definitionskriterium von Stadt angesprochen, das bei weitem den meisten Begriffsbestimmungen zugrunde liegt.

Mitunter billigen die historischen Quellen - allein auf dem Rechtsstatus fußend - auch sehr kleinen Siedlungen von wenigen hundert Einwohnern die Stellung einer Stadt zu. Das Quantitätskriterium auszuschalten, fällt heute schwer, da mit „Stadt“ auch immer eine gewisse (unterschiedlich hoch angesetzte) Einwohnerzahl verbunden wird.

Max Weber führt neben dem politisch-administrativen Definitionskriterium noch ein weitere wichtige Aufgabe der Stadt ins Blickfeld, nämlich die ökonomische Komponente. Neben der Existenz einer geschlossenen Siedlung ist für ihn das Vorhandensein eines Marktes entscheidend.[5] Der Markt bedingt zudem die Ausbildung einer arbeitsteiligen und sozial differenzierten städtischen Bevölkerung.

Damit einher geht die Vorstellung, daß sich die Stadt durch eine Zentralortsfunktion für das Umland auszeichnet. Damit ist gemeint, daß sie nicht nur in ökonomischer Hinsicht den in der ländlichen Umgebung Wohnenden die Möglichkeit bieten muß, ihre Produkte auf dem städtischen Markt zu verkaufen und sich gleichzeitig mit Fernhandelsgütern einzudecken, sondern auch politisch-administratives und kultisch-religiöses Zentrum sein soll.

Darüber hinaus zeichnet sich die Stadt durch die Verwendung unterschiedlichster, aber dauerhafter Baustoffe aus und weist bestimmte architektonisch-siedlungstopologische Besonderheiten auf (zentrale öffentliche Plätze, Mauern, Kultorte).

Für unsere Untersuchung von besonderer Bedeutung ist das politisch-rechtliche Kriterium, da sich römische Städte vor allem über den Rechtsstatus definierten. Dieser Rechtsstatus geht in aller Regel jedoch - manchmal vorauseilend (Veteranenkolonie), manchmal verzögert (Municipium, Titularkolonie) - mit den anderen genannten Wesensmerkmalen einher.

Folgende fünf ausgewählte Kriterien scheinen mir für unsere Untersuchung insgesamt bedeutsam (differenziertere und andere Merkmale wären auch möglich gewesen):

a) verfassungsrechtlich , d.h. verfügte die Siedlung über einen gesetzlichen Rahmen, der ihren Status definierte, eine Art Stadtrecht?
b) siedlungstopologisch, d.h. ist ein zentraler öffentlicher Platz vorhanden z. B. ein Forum? Sind Tempel, Thermen, Theater, Steinhäuser, Umwallungen usw. vorhanden?
c) funktional, d.h. hatte die Siedlung eine wirtschaftliche, kultische und administrative Zentralortfunktion gegenüber dem Umland? Diente sie als Sammlungsort von Eliten?
d) quantitativ, d.h. nach Einwohnerzahl und Besiedlungsdichte (leider sind antike Einwohnerzahlenangaben sehr unpräzise, da die antiken Autoren meist nicht die Gesamtbevölkerung, sondern nur bestimmte - männliche - Gruppen meinten, ohne dies ausdrücklich zu erwähnen)
e) Aktivitäten der Einwohner, d.h. wie vielseitig war das Gewerbe vertreten? Gab es einen regelmäßigen Güteraustausch? Gab es Arbeitsteilung?

Die wechselnden Kriterien und die unterschiedliche Gewichtung lassen ein diffuses Bild der städtischen Landschaft entstehen, was auf den Betrachter eher verwirrend, denn klärend wirkt. Als verdeutlichendes Beispiel könnte hier das südfranzösische, südwestlich von Nizza gelegene Fréjus herangezogen werden, das vormalige Forum Iulii. Erstmals greifbar wird das Forum Iulii in caesarischer Zeit als „Marktflecken“, der in einem bereits bestehenden einheimischen Markt angesiedelt wurde. Um das Jahr 30 v. Chr. deduzierte Octavian aber Teilnehmer der Seeschlacht von Actium ins Forum Iulii und richtet eine Kolonie ein. Zieht man nur das verfassungsrechtliche Kriterium heran, so verschiebt sich der Zeitpunkt der Stadtwerdung ins Jahr 30 v. Chr. Gewichtet man aber das wirtschaftliche Element des Marktes mehr, so gelangt man zu einem - möglicherweise viel - früheren Zeitpunkt.

II. Römische Bürgerrechtspolitik: Kolonisierung und Municipalisierung

Um die Bedeutung der Verstädterung für die von Rom eroberten Gebiete zu begreifen, ist es notwendig, sich im Hinblick auf die Situation der Narbonensis mit der römischen Bürgerrechtspolitik vertraut zu machen.[6]

Das fundamentale Ziel römischer Bürgerrechtspolitik war es, in den neu eroberten Regionen schnell einen Zustand der Ruhe und Ordnung zu erzeugen[7], der sich bald in Loyalität und schließlich zur Akzeptanz und Identifikation mit dem römischen Eroberer wandeln sollte. Aufkeimender Widerstand wurde häufig gebrochen, indem ein oppidum (Höhensiedlung) zerstört und die Bevölkerung in eine Siedlung in der fruchtbaren Ebene umgesiedelt wurde.[8] Damit verloren die oppida auch ihren Charakter als bloße Fluchtburgen und wurden zu dauerhaften Siedlungen umgewandelt.

Das primäre Ziel der schnellen Beruhigung sollte gleichzeitig mit möglichst wenig verwaltungstechnischem Aufwand bewerkstelligt und konnte nicht mit massiven, Widerstand provozierenden Unterdrückungen erreicht werden, sondern mußte auf die Einbeziehung der indigenen, grundherrschaftlichen Eliten setzen. Denn diese elitäre Schicht verfügte bereits über die Verwaltung, die Rom benötigte und auch über die Akzeptanz bei der eigenen Bevölkerung. Wenn die Eliten die Vorherrschaft Roms anerkannten, sich als romtreu erwiesen und zu militärischen Diensten für Rom bereit erklärten, dann war Rom im Gegenzug bereit, diese Verdienste mit dem römischen Bürgerrecht zu belohnen. Im Regelfall war die einheimische Führungsschicht, die ihre Stellung großen Landgütern verdankte, daran interessiert ihre Machtposition zu behalten und deshalb bereit, auf die römischen Forderungen einzugehen. Somit waren die lokalen Eliten römische Bürger geworden, was die schnelle Akzeptanz der römischen Herrschaft bei „kleinen Mann“ erst ermöglichte. Gleichzeitig lag es durchaus im Interesse Roms, daß die Siedlungen ihre Autonomie behielten, da es so den Verwaltungsaufwand minimieren konnte.

Die Annahme der römischen Herrschaft wurde zudem dadurch erhöht, daß nicht nur die Führungsschicht, sondern auch die niederen Schichten die Möglichkeit bekamen, römische Bürger zu werden. Über die bis zu 25 Jahre währende Teilnahme am Militär, wo die lateinische Sprache und die römische Lebensweise erlernt wurden, konnten Einheimische für sich und für ihre Kinder dieses Privileg erlangen. Infolgedessen setzte eine langsamer, aber friedlicher und tiefgreifender Wandel der provinzialen Lebensweise ein.

Folgerichtig finden sich in der Narbonensis nur relativ wenige Veteranenkolonien (Narbo Martius, Forum Iulii, u.a.), die nur auf geringe Gegenliebe bei der einheimischen Bevölkerung stoßen konnten, denn schließlich mußten für die römischen und italischen Siedler die Einheimischen weichen. Diese Siedlungskolonien wurden in der Frühphase der Eroberung (Beispiel: Narbo Martius[9]) zum Teil angelegt, um das neu erworbene Gebiet und wichtige Versorgungswege abzusichern.[10]

[...]


[1] Die Gallia Narbonensis lag im heutigen Südfrankreich und wurde im Osten von den Alpenausläufern, westlich von den Pyrenäen und südlich von der Mittelmeerküste begrenzt. Als nördlichste Erstreckung erreichte sie den Genfer See.

[2] Vgl. zur Definitionschwierigkeit von „Stadt“ Kolb (1984), S.11 - 17 und auch Freyberger (1999), S. 108f, Anm. 428. Als Minimalkriterium für „städtisches“ Wesen definiert B. Freyberger „die Existenz einer - wie auch immer gearteten - sinnvoll aufeinander abgestimmten Einheit von kollektivem und individuellem Sein, die sich auch im materiellen Bild zu äußern hatte.“ (S. 109) Diese Definition ist in dieser umfassenden Art und Weise sicher zutreffend, aber sie scheint mir zu weit und insgesamt zu vage und darum für diese Arbeit ungeeignet.

[3] nach: Friedrich Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, bearb. v. Elmar Seebold, 23. Aufl. Berlin u. New York 1999, S. 785.

[4] Kolb (1984), S. 12.

[5] „Die antiken Städte waren stets in weit höherem Maße als die mittelalterlichen Konsum-, in weit geringerem dagegen Produktionszentren.“ Aus: Max Weber: Zur ökonomischen Theorie der antiken Staatenwelt (1909). In: Weber (1997), S. 55.

[6] Dieser Abschnitt geht zurück auf: Vittinghoff (1951), v. a. S. 7-70, 96-104 und 135-139 und Werner Dahlheim: Die Funktion der Stadt im römischen Herrschaftsverband. In: Vittinghoff (1982), S. 13-74. Der gesamte Bürgerrechtskomplex kann hier nur skelettartig und stark simplifiziert skizziert werden, da eine ausführliche Darstellung den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Hier soll nur den Zusammenhang zwischen Bürgerrechtspolitik, Verstädterung und Romanisierung einer Provinz deutlich werden. Für detailliertere Auskünfte wird auf Vittinghoff (1951) verwiesen.

[7] Vgl. Vittinghoff (1951), S. 32: „Mit dem echten politischen Instinkt […] empfanden es seine [des römischen Volks - M.W.] tiefesten Geister als die göttliche Berufung Roms, als Führungsmacht der Völker des imperiums eine politische Ordnung aufzurichten, ‘dem Frieden Gesittung und Gesetz zu geben’ und die Völker in die pax Romana zu führen.“

[8] Es sollte niemals vergessen werden, daß trotz der schnellen Akzeptanz der römischen Lebensart und ihrer Vermischung mit dem keltischen Erbe zum gallo-romanischen Lebensstil, das Militär auch in der Narbonensis die Grundlage für die Vorherrschaft der Römer ist. Von der gefürchteten Armee leitet sich auch die hohe rechtliche und Statusposition der Veteranenkolonien ab.

[9] Die militärische Absicherung war nur ein Grund für die Gründung des heutigen Narbonne. Vgl. Cicero Font. 5 : „Est in eadem provincia Narbo Martius, colonia nostrum civium, specula populi Romani ac propugnaculum istis ipsis nationibus oppositum et obiectum“. - Ein anderer und vielleicht der bedeutendere lag in der Innenpolitik begründet. Narbo Martius wurde als erste außeritalische Kolonie zu Versorgungszwecken für eine im Bürgerkrieg verarmte Schicht und somit im gracchischen Sinn gegründet. Siehe weiter unten!

[10] Vgl. Freyberger (1999), S. 88.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Stadtentwicklung in der Gallia Narbonensis
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg  (Institut für Geschichte)
Veranstaltung
Römisches Gallien von Caesar bis Nero
Note
1,7
Autor
Jahr
2000
Seiten
22
Katalognummer
V21996
ISBN (eBook)
9783638254632
ISBN (Buch)
9783656202394
Dateigröße
894 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Hauptseminararbeit beschäftigt sich mit der antiken Stadtentwicklung am Beispiel der südfranzösischen Städte Narbonne und Fréjus unter Berücksichtigung der römischen Bürgerrechtspolitik. Dichter Text - einzeiliger Zeilenabstand.
Schlagworte
Stadtentwicklung, Gallia, Narbonensis, Römisches, Gallien, Caesar, Nero
Arbeit zitieren
Markus Wawrzynek (Autor:in), 2000, Stadtentwicklung in der Gallia Narbonensis, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/21996

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