Die Polygynie im Mittelalter aus wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive


Seminararbeit, 2004

19 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Polygynie in rechtshistorischen Werken
2.1. Am Ende des 19. Jahrhunderts
2.2. Die Polygynie im Kontext der Kebs- Friedel- und Muntehe
2.3. Eine strafrechtliche Perspektive

3. Die Polygynie und das Christentum
3.1 Diskussionen um die Polygynien
3.2. Umgang der Kirche mit der Polygynie

4. Resümee

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Das Thema dieser Hausarbeit ist die Polygynie im Mittelalter aus wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive. Mit der Polygynie im Mittelalter rückt ein Gegenstand ins Blickfeld, der vor allem nach den Thesen Jack Goodys von Bedeutung ist.

„Um zu wachsen und zu überleben, musste die Kirche Besitz anhäufen, und das hieß: die Kontrolle darüber erreichen, wie Besitz von einer Generation an die nächste übertragen wurde. Da die Verteilung des Besitzes zwischen den Generationen verknüpft ist mit den Heiratsmustern und der Legitimität von Kindern, musste die Kirche darüber Macht gewinnen, um die Erbschaftsstrategie beeinflussen zu können“[1].

Einer der Bereiche, in welche die Kirche eingriff, ist laut Goody die Polygynie. Auf Grund des Zurückdrängens der Polygynie durch die Kirche wurde eine der Möglichkeiten legitime Erben einzusetzen, zunichte gemacht. Die Kirche erhöhte somit ihre Chancen, dass ihr das Erbe zufiel.

Goodys Überlegungen werden zwar als monokausale Deutungen[2] kritisiert, dies soll jedoch nicht von einer eingehenden Überprüfung der These abhalten. Der von Goody angegebene Grund, die Besitzakkumulation der Kirche, ist zwar einseitig, doch baut er auf einer Grundlage, nämlich, dass die Kirche die Polygynie verdrängt haben soll. Dieser Grundlage soll mit dieser Arbeit nachgegangen werden.

Dabei ist nicht nur ein gegenwärtiger Standpunkt der Wissenschaft zur Polygynie im Mittelalter von Interesse. Es stellt sich die Frage, wie von der deutschen Forschung ausgehend die Polygynie diskutiert wurde, um eventuelle Anknüpfungspunkte für die These Goodys zu finden. Die wissenschaftsgeschichtliche Perspektive ist notwendig, um gewissermaßen als Standortbestimmung darzustellen, in welcher Form die Polygynie bisher betrachtet wurde. Von dieser Perspektive aus können dann Überlegungen angestellt werden, wie sicher die Grundlage von Goodys Argumentation ist oder in welche Richtung weitere Forschungen erfolgen müssten.

Die Darstellung der Auseinandersetzung mit der Polygynie nur auf das Mittelalter zu begrenzen wäre dabei nicht sinnvoll. Zum einen erstreckt sich die Entwicklung auf mehr als nur einige Jahrhunderte. Zum anderen beziehen sich die wissenschaftlichen Anmerkungen zur Polygynie zumeist auf die Germanen oder auf die Frühe Neuzeit. Gerade das Mittelalter scheint in der Erörterung dieses Themas eine schwierige Epoche darzustellen, dennoch soll es im Blickpunkt bleiben, weil gerade hier der von Goody beschriebene sukzessive Ausbau der sozialen Kontrolle von Seiten der Kirche erfolgt sein muss[3].

Bis heute gibt es kaum separate Untersuchungen zur Polygynie[4]. Mit dieser Hausarbeit sollen darum einzelne Diskussionskontexte anhand von Nachschlagewerken nachvollzogen werden. Die Polygynie taucht vor allem als rechtliches Problem im Zusammenhang mit Eheregelungen auf und wird als Aspekt der Diskussion um die Reinhaltung der Ehe im theologischen Rahmen diskutiert.

2. Die Polygynie in rechtshistorischen Werken

2.1. Am Ende des 19. Jahrhunderts

Für die Historiker im ausgehenden 19. Jahrhundert scheint die Polygynie des Mittelalters kein diskussionswürdiges Phänomen zu sein. Nachschlagewerke und Enzyklopädien enthalten weder einzelne Abschnitte zur Polygynie (bzw. Vielehe, Polygamie, Bigamie, Konkubinat), noch werden sie an anderer Stelle erwähnt. Dies ergibt nicht nur die Sichtung der Indices, sondern auch die Analyse der Kapitel zu den Begriffen „Ehe“, „Familie“, „Kindschaft“ und „Erbe“[5]. Statt dessen finden sich in den Texten feste Vorstellungen über die Haltung der „Germanen“[6] oder „Deutschen“[7] zur Ehe.

Die Ehe war demnach ein Vertrag auf dem die ganze Gesellschaft aufbaute, sie war „eine Sache von ernster Wichtigkeit, mehr als ein blosses Rechtsgeschäft“[8]. „Fest sind die Bande der Familie, vor allem der Ehe. Spät wählt der Mann die Gefährtin des Lebens: rein tritt er in die Ehe, deren Heiligkeit streng gehalten wird. Mann kennt keine Vielweiberei, duldet keinen unkeuschen Wandel“[9]. Die Kirche spielt dabei eine eher geringe Rolle. In den Augen der Rechtshistoriker wurde die Ehe von den Germanen „als ein so heiliges, die natürliche und sittliche Wurzel der ganzen Rechts- und Staatsordnung bildendes Band (...) betrachtet, daß die christliche Lehre nur die höhere religiöse Sanction hinzufügte“[10].

In einer solchen Deutung der Verhältnisse haben Überlegungen zur Polygynie keinen Raum, denn die Ehe zwischen einem Mann und einer Frau gilt in diesem Kontext als naturgegeben. In dieser Vorstellungswelt sind Abweichungen nicht denkbar. Überlegungen zur Ehe führen also nicht zu Aussagen über die Polygynie.

Eine weitere Möglichkeit, Aussagen zur Polygynie im Mittelalter zu finden könnten Überlegungen zum Erbe sein. Es sollten Regelungen vorhanden sein, wie die Beerbung unehelicher Kinder gehandhabt wurde. Doch auch hier finden sich keine Hinweise zu Polygynien. Das Erbe ist laut Ahrens streng „durch die Ordnung der Parenteln, Stämme, geregelt“[11]. Weil es weder Polygynie noch „unkeuschen Wandel“[12] gibt, müssen auch keine Kinder legitimiert werden.

Die moralische Überhöhung der Germanen führte zu einer Blindheit gegenüber einem Phänomen, das bereits einige Zeit später aus strafrechtlicher Perspektive etwas genauer wahrgenommen wurde.

2.2. Die Polygynie im Kontext der Kebs- Friedel- und Muntehe

Mit der Wende zum 20. Jahrhundert wurden die Vorstellungen über die Ehe modifiziert. In diesem Kontext wird die Polygynie vermehrt als Möglichkeit für partnerschaftliche Verhältnisse wahrgenommen.

Laut Else Ebel gründet die Unterscheidung zwischen Friedel- und Muntehe 1927 auf Arbeiten des Rechtshistorikers Herbert Meyer[13]. Die Bezeichnungen der Kebs- Friedel- und Muntehe wurden jedoch schon vor Meyer erwähnt. Brunner weist darauf hin, dass es nicht nur eine einzige Eheform gegeben habe. Er zeigt auf, dass ein Vater ein Kind anerkennen kann, „wenn es in öffentlichem Konkubinat (in einer Kebs- oder Friedelehe) mit einem freien Weibe erzeugt worden war“[14]. Polygynie oder Bigamie wird in seinem Index jedoch ebenso wenig wie im laufenden Text unter den Ausführungen zur Ehe oder zum Erbe erwähnt. Er beschreibt zwar, dass die Adoption häufig angewendet wurde, um uneheliche Kinder zu legitimieren und dass sich die Stellung der unehelichen Kinder unter dem Einfluss der Kirche bis hin zur Rechtlosigkeit verschlechterte[15], geht jedoch nicht darauf ein, ob diese unehelichen Kinder offen gelebten polygamen Beziehungen entstammen oder ob die Kebs- oder Friedelehe für Polygynien genutzt wurde. Von Amira hebt die Stellung der Ehefrau vor der „Friedel“ und der „Kebse“ hervor und weist darauf hin, dass der Mann mehrere Ehefrauen gleichzeitig haben konnte[16].

Paul Mikat beschreibt in seinem Vortrag zur dotierten Ehe[17] unterschiedliche Eheformen, die in ihrer rechtlichen Absicherung hierarchisch gegliedert werden: geschlechtliche Ausschweifung, Konkubinat, Friedelehe und Muntehe. Je formalisierter die Muntehe wurde, desto mehr wurden die anderen Formen abgewertet, nämlich von der Friedelehe zum Konkubinat, bis sie als Ausschweifung für ungültig erklärt wurde. Erkennbar ist die Gewichtung auch an der Beerbung der Kinder, obwohl einige Kinder der Konkubinen gleichermaßen beerbt wurden. Wenn es sich um eine Ehe mit einer Königstochter handelte, trug diese eindeutig den Charakter einer Muntehe. Diese unterschiedlichen Ehetypen können laut Mikat nebeneinander bestehen. Eine Friedelehe konnte neben einer Muntehe geführt werden, wie neben Friedel- und Muntehe auch Kebsverhältnisse geführt werden konnten. Damit bietet dieses Modell der nebeneinander bestehenden unterschiedlichen Beziehungen eine Möglichkeit, gelebte Polygynien zu erkennen und vielleicht zu erklären[18].

[...]


[1] J. Goody, Die Entwicklung von Ehe und Familie in Europa, Berlin, 1986, S. 239.

[2] Eine Stellungnahme dazu: J. Fried, Jack Goody. Die Entwicklung von Ehe und Familie in Europa, in: HZ, Bd. 244 (1978), S. 118-120.

[3] Vgl. Goody, 1986.

[4] Einzige hier aufgeführte Ausnahmen: E. Ebel, Der Konkubinat nach altwestnordischen Quellen. Philologische Studien zur sogenannten „Friedelehe“, Berlin, New York, 1993, (Ergänzungsbände zum Reallexikon der germanischen Altertumskunde, Bd. 8); P. Mikat, Die Polygamiefrage in der frühen Neuzeit, Opladen, 1988, (Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften: Geisteswissenschaften, G. 294); P. Mikat, Polygamie, in: HRG, Bd. 3, 1984, Sp. 1813-1820.

[5] Hier vor allem: G. Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte, 3. Aufl., Berlin, 1880, (Die Verfassung des deutschen Volkes in ältester Zeit, Bd. 1); H. Ahrens, Juristische Encyclopädie, oder organische Darstellung der Rechts- und Staatswissenschaft, auf Grundlage einer ethischen Rechtsphilosophie, Wien, 1855; vgl. Hinweis zu den Sachregistern Mikat, 1988, S. 9.

[6] Ahrens, 1855, S. 497.

[7] Waitz, 1880, S. 70.

[8] Waitz, 1880, S. 70.

[9] Waitz, 1880, S. 47.

[10] Ahrens, 1855, S. 497.

[11] Ahrens, 1855, S. 500.

[12] Waitz, 1880, S. 47.

[13] Ebel, 1993, S. 5.

[14] H. Brunner, E. Heymann, Grundzüge der deutschen Rechtsgeschichte, 7. Aufl., München, Leipzig, 1919, S. 230.

[15] Brunner, Heymann, 1919.

[16] K. von Amira, Grundriss des germanischen Rechts, 3. erw. Aufl., Strassburg, 1913, S. 178.

[17] Mikat, 1988.

[18] Die Kebsehen der merowingischen Könige werden immer wieder als Belege für offen gelebte Polygynien herangezogen, z.B.: R. Schröder, E. v. Künßberg, Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte, Berlin, Leipzig, 7. erw. Aufl., 1932, S. 118; vgl. Weigand, R., Dilger, K., Polygamie, in: LMA, Bd. 7, 1995, Sp. 74-75, Sp. 74.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Die Polygynie im Mittelalter aus wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive
Hochschule
Universität Bielefeld  (Geschichteswissenschaften)
Veranstaltung
Seminar: Verwandschaft. Zur Geschichte einer Denkform im Mittelalter
Note
1
Autor
Jahr
2004
Seiten
19
Katalognummer
V21885
ISBN (eBook)
9783638253871
ISBN (Buch)
9783638757621
Dateigröße
506 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Polygynie, Mittelalter, Perspektive, Seminar, Verwandschaft, Geschichte, Denkform, Mittelalter
Arbeit zitieren
Lilli Richert (Autor:in), 2004, Die Polygynie im Mittelalter aus wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/21885

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