Die Bindung Isaaks. Unterrichtsentwurf für eine zwölfte Klasse


Unterrichtsentwurf, 2000

25 Seiten, Note: 1-2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Situation der Klasse und der Lebensabschnitt der Jugend

3. Die Unterrichtseinheit „Gehorsam und Freiheit“

4. Die Doppelstunde „Die Bindung Isaaks“
4.1 Reflexion auf das Thema
4.2 Reflexion auf das Verhältnis SchülerInnen - Thema

5. Didaktische Reflexionen

6. Methodische Überlegungen
6.1 Die erste Stunde
6.2 Die zweite Stunde

7. Unterrichtspläne
7.1 Die erste Stunde
7.2 Die zweite Stunde

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Bindung Isaaks ist eine Erzählung, die immer von neuem Unbehagen, Unverständnis und Widerstand auslöst. Ihre Wirkungsgeschichte beginnt schon innerhalb der jüdischen Überlieferung und reicht bis in dieses Jahrhundert.

Die Unerhörtheit dieser Geschichte macht ihre Verwendung im Religionsunterricht nicht einfach. Hans Mendl plädiert sogar aufgrund von Analysen von Unterrichtsstunden in verschiedenen Altersstufen über Gen 22 für einen Verzicht auf diese Erzählung im Religionsunterricht, mindestens in der Grund- und Mittelstufe.[1]

Nichtsdestotrotz soll hier versucht werden, zwei Unterrichtsstunden zu Gen 22 zu entwerfen, die innerhalb einer größeren Unterrichtseinheit zum Thema „Gehorsam und Freiheit“ stehen. Ein bloßer Verzicht geht m.E. über die Wichtigkeit dieser Perikope, besonders auch in der christlichen Tradition, zu leichtfertig hinweg. Es müsste vielmehr darum gehen, sich kritisch mit ihrer Wirkungsgeschichte auseinanderzusetzen, um traditionelle Deutungen aufbrechen und befreiende Perspektiven aufzeigen zu können. Das ist sicherlich nicht in der Grund- und Mittelstufe möglich. Deshalb werden hier zwei Stunden für eine zwölfte Klasse konzipiert, die aber auch in einer anderen Jahrgangsstufe der Oberstufe gehalten werden könnten. Die Beschränkung auf eine Stunde erschien mir aufgrund der Komplexität des Stoffes nicht sinnvoll.

2. Die Situation der Klasse und der Lebensabschnitt der Jugend

Im Weiteren gehe ich von einem Religions-Leistungskurs mit einer Größe von 10 SchülerInnen aus. Die Verteilung der Geschlechter ist etwa gleich.

Durch die kleine Gruppe ist eine intensive Arbeit und eine relativ gleichmäßige Beteiligung der SchülerInnen am Unterricht möglich.[2]

Die Zeit der Jugend ist eine sehr wichtige Periode innerhalb der Persönlichkeitsentwicklung. Nur einige ihrer zahlreichen Aspekte können hier andeutungsweise dargestellt werden. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Skizzierung der kognitiven, besonders aber der psychosozialen und religiösen Situation von Jugendlichen.

Die kognitive Entwicklung hat mit der Möglichkeit des formalen, abstrakten Denkens schon einen hohen Stand erreicht.[3] Bedeutsam ist der beginnende Übergang zum postformalen Denken. Dieses Denken befähigt dazu, besser mit „Inkonsistenzen, Widersprüchen und Mehrdeutigkeiten“[4], die in der Alltagserfahrung begegnen, umgehen zu können. Besonders wird diese Fähigkeit auf der emotionalen Ebene verbessert.

In der psychosozialen Entwicklung des Menschen kommt es in der Jugendphase, folgt man Erikson, zur Herausbildung einer eigenen Identität. Der Konflikt, den es zu bewältigen gilt, kann mit den beiden Polen „Identität vs. Rollendiffusion“[5] beschrieben werden. Ausgelöst wird er durch die Erweiterung der sozialen Welt, in der es nötig ist, verschiedene Rollen zu spielen. In einer erfolgreichen Bearbeitung ist ein „festes Vertrauen in die eigene Person“[6] das Ergebnis, ein negatives Ende kann dieser Konflikt in einem „schwankenden unsicheren Selbstbewusstsein“[7] haben.

Auch Hurrelmann sieht die zu bewältigenden Aufgaben ähnlich. Nach ihm geht es u.a. um die „Entwicklung einer intellektuellen und sozialen Kompetenz“[8] sowie „eines Werte- und Normsystems und eines ethnischen und politischen Bewusstseins, das mit dem eigenen Verhalten und Handeln in Übereinstimmung steht“[9], also die Entwicklung moralischer und ethischer Überzeugungen. Charakteristisch für diesen Prozess ist die genaue Prüfung des Weltbildes, der Autoritäten und der Traditionen, welche den Jugendlichen von der älteren Generation vermittelt worden sind. Die Reaktionen auf diese Vermittlung und die spezifischen Anforderungen der Jugendphase sind unterschiedlichster Art: „Anpassung und Protest, Verweigerung und Zuwendung, Selbstkritik und Selbstklärung“[10].

Eine Begleitung Jugendlicher in dieser Krise ist nicht einfach. Es ist gewissermaßen eine Gratwanderung. Auf der einen Seite sollten ihnen „in ihrer Lebenswelt eindeutige Anhaltspunkte für Unterstützung“[11] gegeben werden. Sie sollten zur „Übernahme von Verantwortung und dem Einhalten von gesellschaftlichen Regeln“[12] angeregt werden. Auf der anderen Seite aber ist auch die „Anregung von Selbständigkeit“[13] und „ein vernünftiges Maß an Unabhängigkeit oder Autonomie bei wichtigen Entscheidungen“[14] unbedingt notwendig.

Politisch kommen diese beiden Richtungen in der Zusprechung von wichtigen Rechten und Pflichten ab dem 14. Lebensjahr (u.a. freie Religionswahl) bis hin zur Volljährigkeit mit 18 Jahren (Wahlrecht, Ende der elterlichen Sorge und sämtlicher Jugendschutzbestimmungen, volle Strafmündigkeit usw.) zum Ausdruck.

Wichtig in diesem Zusammenhang und auch im Bezug auf das zu bearbeitende Thema ist ein in den westlichen Industriestaaten zu beobachtender Wertewandel seit etwa den 80er Jahren. Es kam (und dieser Prozess hält noch an) „zu einer Verschiebung weg von den Pflicht- und Akzeptanzwerten und hin zu den Selbstentfaltungs- und Selbstverwirklichungswerten.“[15] Speziell für Jugendliche stehen Werte wie „Selbständigkeit, Selbstverwirklichung, Mitbestimmung, Lebensgenuss, Kreativität, Abenteuer und Emanzipation im persönlichen Bereich und Schutz der freien Meinungsäußerung, Mitsprache am Arbeitsplatz, Verbesserung der Lebensqualität im gesellschaftsbezogenen Bereich“[16] im Mittelpunkt. Gleichzeitig ist eine Distanz zu Autoritäten und traditionellen Institutionen und Werten festzustellen, eine Entwicklung, die bei der Bearbeitung des Unterrichtsthemas sicherlich beachtet werden muss.

Hinsichtlich der religiösen Situation von Jugendlichen soll hier auf zwei Ansätze hingewiesen werden. Nach Oser / Gmünder kann eine Orientierung an der eigenen Autonomie als charakteristisch für diese Phase angesehen werden. Der Mensch trägt die Verantwortung für sein Leben, unabhängig von etwas Letztgültigem. Transzendenz und Immanenz werden getrennt, zwischen ihnen bestehen keine Beziehungen. Es gibt „Bereiche, die in seine [des Selbst] Kompetenz fallen und Bereiche, die eben einem anderen Übergeordneten attribuiert werden.“[17] Autonomie und Deismus sind die Begriffe, mit der sich diese dritte Stufe der religiösen Entwicklung beschreiben lässt. Die Übergänge allerdings zwischen den einzelnen Stufen sind nicht an ein bestimmtes Alter gebunden, so dass noch Elemente der vorherigen, zweiten, Do-ut-Des - Stufe vorhanden sind. Der Mensch fühlt sich abhängig von etwas Äußerem, Letztgültigen, welches belohnt und bestraft. Er kann dieses aber beeinflussen, kann mit ihm reden und verhandeln.[18] Es können aber durchaus auch schon Elemente der nächsten, vierten, Stufe auftreten. Transzendenz und Immanenz werden hier insofern wieder vermittelt, dass das Letztgültige „Bedingung der Möglichkeit für alles Entscheiden und Handeln wird.“[19] Die Abhängigkeit von ihm wird nicht als negativ angesehen, vielmehr „als Grund von Welt und Mensch.“[20] Insgesamt kann aber davon ausgegangen werden, dass sich die Mehrheit der 18-jährigen auf der dritten Stufe (Autonomie und Deismus) der religiösen Entwicklung befinden.[21]

Ein weiterer Ansatz ist der von Fowler entwickelte. Folgt man dem von ihm entwickelten sechsstufigen Modell, so ist in der Phase der Adoleszenz überwiegend die Stufe drei anzutreffen, die Stufe des synthetisch-konventionellen Glaubens, aber auch die vierte Stufe des individuierend-reflektierenden Glauben hat einen signifikanten Anteil.[22] Kennzeichnend für Menschen auf der dritten Stufe ist, dass sich bei ihnen ein „Mythos vom eigenen Werden in Identität und Glauben[23] herausgebildet hat, in dem Vergangenheit und antizipierte Zukunft vereint werden und dass sie ein „stillschweigendes Sinn- und Wertsystem“[24] besitzen. Stillschweigend heißt, dass es vorausgesetzt und verteidigt, aber nicht reflektiert wird. Dieses System wird von für die Menschen wichtigen Autoritäten oder Gruppen übernommen, indem es im Nachhinein „auswählend“ bestätigt wird.[25] Hierin liegt auch eine Gefahr dieser Stufe: Wenn die Bedeutung der Anderen zu stark wird, so ist die Möglichkeit einer Entwicklung zu autonomen Denken und Handeln nicht mehr gegeben. Die zweite Gefahr hängt damit zusammen, dass „die letzte Umwelt in Begriffen der Zwischenmenschlichkeit (strukturiert wird) . Ihre Bilder von einendem Wert und Macht leiten sich ab aus der Verlängerung von Qualitäten, die in persönlichen Beziehungen erfahren werden.[26] Wenn es zu ernsthaften zwischenmenschlichen Problemen kommt, so ist es schwierig, an dieser Konstruktion festzuhalten.

Mit dieser letztgenannten Gefahr ist schon ein möglicher Anstoß für die Weiterentwicklung von Menschen zu Stufe vier gegeben. Solche Widersprüche, die Erfahrung neuer Perspektiven außerhalb der jeweiligen Bezugsgruppe, aber auch Veränderungen von „heiligen“ Ordnungen innerhalb der Gruppe stehen am Beginn des Stufenübergangs zu Stufe vier. Spezifisch für diese Stufe, die von vielen Menschen nicht oder erst spät erreicht wird, ist die kritische Reflexion des vorher für den Menschen gültigen Werte- und Normsystems, die Reflexion über Weltanschauungen und Identität und damit verbunden der Aufbau eigener Deutungen. Menschen auf dieser Stufe „beanspruchen jetzt eine Identität, die nicht länger durch das geordnete Verhältnis der eigenen Rollen oder Sinnvorstellungen zu denen anderer definiert ist. Um diese neue Identität zu stützen, schafft sich das Ich einen Sinnrahmen, der sich seiner eigenen Grenzen und inneren Bindungen bewusst ist und sich selbst als „Weltanschauung“ erkennt.[27]

[...]


[1] Vgl. Mendl, Gott, 78f.81.90.

[2] Da ich keine spezifische Klasse vor Augen habe, ist es schwierig, spezielle Angaben zu Lernstil, Fähigkeiten, Leitbildern etc. zu machen. Ich werde mich hier deshalb auf die Darstellung der allgemeinen psychosozialen, religiösen und kognitiven Situation von Jugendlichen beschränken. Für die konkrete Unterrichtsarbeit ist die Berücksichtigung der genannten Faktoren natürlich unumgänglich.

[3] Vgl. Zimbardo / Gerrig, Psychologie, 466.

[4] A.a.O., 472.

[5] A.a.O., 461.

[6] A.a.O., 460.

[7] Ebd. Allerdings muss hier bemerkt werden, dass die Theorie von Erikson keinen allgemeingültigen Charakter hat. Sie gilt vor allem für die westliche Gesellschaft, in der Individualität und Autonomie eine große Rolle spielen (Vgl. a.a.O., 462).

[8] Hurrelmann, Jugend, 33.

[9] A.a.O., 34.

[10] A.a.O., 38.

[11] Zimbardo / Gerrig, Psychologie, 495.

[12] Hurrelmann, Jugend, 77.

[13] Ebd.

[14] Zimbardo / Gerrig, Psychologie, 495.

[15] Hurrelmann, Jugend, 171.

[16] A.a.O., 173.

[17] Oser / Gmünder, Mensch, 86.

[18] Vgl. a.a.O., 84.

[19] A.a.O., 89.

[20] Ebd.

[21] Zum Zusammenhang Alter - religiöse Stufe vgl. a.a.O., 174f: Stufe zwei verschwindet im Zeitraum 20-25 Jahre, Stufe drei hat im selben Zeitraum ihren Höhepunkt, Stufe vier beginnt sich im Alter von 14/15 Jahren zu entwickeln.

Zur Kritik an diesem Ansatz, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, vgl. Schmidt, Leitfaden, 74-76 (vor allem wird die behauptete Universalität, die implizierte Theologie und Religionsphilosophie, die dünne und methodisch fragwürdige empirische Grundlage sowie die Anregung, die herausgearbeiteten Stufen als pädagogische Handlungsanleitung zu benutzen).

[22] Zur prozentualen Verteilung der Glaubensstufen innerhalb der Altersstufen vgl. die Tabellen in Fowler, Stufen, 337 und 340 (Verteilung nach Geschlechtern aufgeschlüsselt): im Alter 13-20 befinden sich 50% der Befragten auf Stufe drei, 28,6% im Übergang von Stufe drei zu vier.

[23] Fowler, Stufen, 191 (im Original kursiv).

[24] A.a.O., 179.

[25] Vgl. a.a.O., 171.

[26] A.a.O., 191 (im Original kursiv); vgl. ebd. die Erwähnung der beiden Gefahren.

[27] A.a.O., 200 (im Original kursiv). Zur Kritik an Fowler vgl. Schmidt, Leitfaden, 80-82 (v.a. Kritik am Anspruch der Universalität, an der angenommenen Abfolge und Hierarchie der Stufen und der Übertragung von Strukturen des Denkens auf die gesamte Persönlichkeitsentwicklung).

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Die Bindung Isaaks. Unterrichtsentwurf für eine zwölfte Klasse
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Evangelische Theologie)
Note
1-2
Autor
Jahr
2000
Seiten
25
Katalognummer
V21843
ISBN (eBook)
9783638253611
ISBN (Buch)
9783656463382
Dateigröße
517 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bindung, Isaaks, Unterrichtsentwurf, Klasse
Arbeit zitieren
Winfried Kändler (Autor:in), 2000, Die Bindung Isaaks. Unterrichtsentwurf für eine zwölfte Klasse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/21843

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