Experiment und Computer in der Chemie


Wissenschaftlicher Aufsatz, 1998

109 Seiten, Note: Publikation


Leseprobe


Experiment und Computer in der Chemie - eine sinnvolle Ergänzung Experiment and Computer in Chemistry - a useful Combination

Dr. Klaus Friedrich Rammert, Burgstr. 8, 46244 Bottrop

1987 – 1996: Studium der Chemie und Promotion an der Ruhr-Universiät, Bochum; Schwerpunkt: organische Synthese und Photochemie

seit 1996: betriwbswirtschaftliches Postgraduiertenstudium (IBA) an der Management Akademie, Essen

Keywords: Kraftfeldberechnungen, Geometrieoptimierung, Photochemie, 2-Carbonylstyrene

computational chemistry, geometry optimization, photochemistry, 2-carbonylstyrenes

Zusammenfassung: Die Einsatzmöglichkeiten des Computers in der Chemie weiten sich immer mehr aus. Prozeßsteuerung, Nachweis- und Analysemethoden sowie Recherchen sind ohne den Einsatz von Computern nicht mehr effizient durchzuführen. Eine weitere wichtige Anwendung ist das “molecular modelling”, das es dem Chemiker erlaubt, die Struktur, Energie und Eigenschaften eines unbekannten Moleküls zu berechnen. Damit werden Reaktionswege vorhersagbar und Mechanismen erklärbar. Vor allem in der Photochemie ist diese Berechnungsmethode mittlerweile unverzichtbar.

Anhand des folgenden Beispiels der Photochemie von ortho-Carbonylstyrenen wird gezeigt, wie der Einsatz des Computers wertvolle Hinweise zur Aufklärung des photochemischen Reaktionsweges liefern kann.

Summary: The use of computers in modern chemical research in processing and analyzing methods is becoming more and more common. Another important application is molecular modelling. Structure, energy level, chemical properties, reaction pathways and can be derived with molecule calculation. These methods are becoming increasingly indispensable especially in photochemistry.

The following example of the photochemistry of substituted 2-carbonylstyrenes shows how computational chemistry can shed light on the illumination of photochemical reaction pathways.

Experimentelle Ergebnisse:

Die Ergebnisse, die bisher bei Untersuchungen der Photochemie substituierter ortho-Carbonylstyrene gewonnen wurden, sind widersprüchlich und bieten kein einheitliches Bild. Huffman et al. und Chu et al. finden Isochromenderivate, die durch eine electrocyclische Reaktion gebildet werden [1, 2].

Kessar et al. belichten 2-Vinylbenzaldehyd und formulieren ein Spiro-Trien-Intermediat des 2-Vinylbenzaldehyds durch eine gekreuzte [p2a+p4s] Cycloaddition, an das sich im zweiten Schritt eine Carbonyleinheit eines zweiten Moleküls zum Acetal-Dimeren (7) addiert [3].

Bei der Belichtung substituierter ortho-Carbonylstyrene (2-Vinylacetophenon, 1a; 2-Vinylpropiophenon, 1b; 2-Vinylbenzophenon, 1c) mit Wellenlängen zwischen 300 und 360 nm entstehen jedoch nicht die von Kessar gefundenen Acetale, sondern Dimere, die aus der Addition der Vinyleinheit an das intermediäre Spiro-Trien oder Carbonylylid entstehen [4]:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Im Fall des 2-Vinylbenzophenons 1c entsteht neben dem Dimeren ein Isochromenderivat durch einen 1,5-H-Shift aus einem vorgelagerten ortho-Chinodimethanintermediat:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Konformationseffekte:

Interessant in der Photochemie dieser Systeme ist der Substituenteneffekt und die Konformation, die notwendig für die Bildung der Dimeren oder des Isochromenderivates ist. Diese Konformationsuntersuchung ist ein klassisches Aufgabenfeld für einen Geometrieoptimierungsalgorithmus, der es erlaubt, die energieärmste Konformation zu berechnen.

Semiempirische AM1-Kraftfeldberechnungen wurden mit dem Programm Hyper Chem 3.0 der Firma Hypercube & Autodesk, Inc. durchgeführt. Dazu wurden die Strukturen zunächst mit dem Polak-Ribiere-Algorithmus geometrieoptimiert. Das Konvergenzkriterium war in allen Fällen erreicht, wenn ein Gradient von 0,01 kcal mol-1 unterschritten wurde.

Besondere Aufmerksamkeit ist dabei den Bildungsenthalpien zuteil geworden, aus denen direkt die Bildung der Dimeren aus der Addition einer Vinyleinheit an das intermediäre Spiro-Trien erklärt werden kann. Das Acetaldimere nach Kessar et al. liegt diesen Berechnungen zufolge energetisch wesentlich ungünstiger als ein über die Vinyladdition erhaltenes Dimeres. Betrachtet man die Bildungsenthalpien der einzelnen Moleküle mit jeweils gleichem Substituenten, erhält man einen Eindruck der möglichen Reaktionswege. Das folgende Energieschema gibt qualitativ die erhaltenen Reaktionswege und den dazu benötigten Energieaufwand wieder:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bildungsenthalpien [kcal mol-1]:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Berechnungen der Bildungsenthalpien zeigen, daß das Ausgangsmaterial zu einem bisher nicht näher definierten angeregten Zustand reagiert und von dort aus zum Spiro-Trien cyclisiert, das in einem schnellen Schritt zum energetisch leicht günstigeren Carbonylylid öffnet. Die folgende Addition der Vinyleinheit eines zweiten Moleküls führt dann zum Dimeren. Man erkennt, daß die Dimere, die über eine Addition der Vinyleinheit an das Carbonylylid gebildet werden, energetisch günstiger liegen als die Acetal-Dimeren, die aus einer Addition der Carbonylfunktion an das Carbonylylid entstehen. Das Acetal-Dimere liegt also energetisch wesentlich ungünstiger und wird daher auch experimentell nicht gefunden. Im Falle des 2-Vinylbenzophenons (1c) liegen die Bildungsenthalpien des ortho-Chinodimethans und des Carbonylylids so dicht beieinander, daß sich hier der Reaktionsweg teilt, was neben dem erwarteten Dimeren auch zum Isochromenderivat führt. Diese Konkurrenzreaktion wird experimentell bestätigt.

Ferner stellt sich heraus, daß das energetisch günstigste Grundzustandsrotamer bei Systemen mit sterisch anspruchslosen Substituenten (CH3, 1a; C2H5, 1b) an der Carbonylfunktion ungünstig für einen Ringschluß zum Isochromenderivat ist, da die Carbonyl- und die Vinylfunktion jeweils aus der Cyclisierungsebene herausstehen. Voluminöse Gruppen (C6H5, 1c) hingegen erzwingen eine günstigere Konformation. Dagegen sind die Konformationen gerade mit kleinen Substituenten günstig für die Bildung des Spiro-Trien-Intermediates; sie liegen planar vor, wobei die Carbonylfunktion Z und die Vinylfunktion E zur vicinalen Doppelbindung im aromatischen Ringe steht:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Man kann also erkennen, daß die Moleküle mit kleinen Substituenten planar und für die Spiro-Trien-Bildung günstig konfiguriert sind, wohingegen größere Substituenten die Planarität verhindern und eine Konfiguration erzwingen, die günstig für die Bildung des Isochromenderivates ist. Diese Ergebnisse werden durch die Berechnungen weiterer Moleküle mit voluminösen Substituenten (iso-Propyl, tertiär-Butyl) gestützt.

Regioselektivität:

Diese Betrachtungen erklären den Reaktionsweg, nicht hingegen die Regioselektivität der Reaktion. Grundsätzlich sind auch hier zwei Dimerisierungswege möglich, gefunden wird jedoch nur das Dimere, bei dem die Substituenten am Siebenring vicinal angeordnet sind. Es ist bekannt, daß im Fall von Additionsreaktionen die Größe der Orbitalkoeffizienten der Grenzorbitale (HOMO und LUMO) Einfluß auf die Regioselektivität der Reaktion nimmt. Dabei gehen immer Atome mit Orbitalkoeffizienten gleicher Größe Wechselwirkungen miteinander ein. Die Größe der Orbitalkoeffizienten korreliert mit dem Quadrat der relativen Ladung des Grenzorbitals am betreffenden Atom.

Im Fall der Grenzorbitalanalyse aufgrund von semiempirischen AM1-Berechnungen erhält man die folgenden Ergebnisse, die den gleichen Trend zeigen wie die oben erwähnten Ladungsverteilungen der Orbitale.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Addiert das Olefin an das Carbonylylid (3) ist die Analyse der Grenzorbitale einfacher, da die entsprechenden Atome selbst schon eine Ladung tragen. Auch hier hilft also eine Computerberechnung bei der Interpretation der experimentell erhaltenen Ergebnisse weiter.

Anregungsmechanismus:

Wie bereits oben erwähnt, geben die Energiebetrachtungen keinen Aufschluß über den Anregungsmechanismus.

Am Beispiel des 2-Vinylacetophenons (1b) sind Triplett-Sensibilisierungsversuche mit Benzophenon durchgeführt worden. Dabei ist eine signifikante Erhöhung der Produktsignale im HPLC-Chromatogramm gefunden worden.

Die Komplementärreaktion der Sensibilisierung, der Löschvorgang eines angeregten Triplett-Zustandes, wurde mit Piperylen in einem Konzentrationsbereich um 10-3 mol durchgeführt (Halblöschung). Die Steigung der Stern-Volmer-Auftragung setzt sich zusammen aus dem Produkt der Geschwindigkeitskonstanten der Löschreaktion kq und der Triplettlebensdauer t.

t kq = 1/0,007 = 142,86

Die Geschwindigkeitskonstante kann über die dynamische Viskosität des Lösungsmittels mit der Debye-Gleichung abgeschätzt werden:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Dieser Wert für die Triplettenergie von 2-Vinylpropiophenon liegt zwischen dem Wert der Triplettenergie von Propiophenon mit 0,4 ms und dem von Acetophenon mit 300 ms. Aufgrund dieser Ergebnisse ist bewiesen, daß die Reaktion aus dem ersten angeregten Triplett-Zustand heraus verläuft.

Zusammenfassung:

Anhand dieses Beispiels wird deutlich, wie sinnvoll der Einsatz des Computers in der Chemie auch außerhalb der Analyse und Prozeßsteuerung sein kann. Zusammen mit den Experimenten kann eine geeignete Berechnungsmethode wertvolle Hinweise zur Reaktionsaufklärung liefern. Zwar wird die experimentelle Untersuchung immer die letzte Instanz einer chemischen Untersuchung bleiben, jedoch hilft eine Computerberechnung, von den häufig zahlreichen Reaktionswegen den wahrscheinlichsten herauszufiltern.

Mein Dank gilt Herrn Prof. Dr. H. Hemetsberger, Institut für Organische Chemie II der Ruhr-Universität-Bochum für seine Diskussionsbereitschaft während der Durchführung dieser Untersuchungen.

Literaturliste:

[1] HUFFMAN, K. R., E. F. ULLMAN: J. Am. Chem. Soc ., 89, 5629, (1967)

[2] CHU, A. K. C., M. F. TSCHIR: J. Chem. Soc. Chem. Comm., 619, (1973)

[3] KESSAR, S. V., A. K. S. MANKOTIA: J. Chem. Soc. Chem. Comm., 1828, (1993)

[4] RAMMERT, K. F., H. HEMETSBERGER, S. BOECKSTEGERS, A. NOWIENSKI, J. BUDDRUS, W. S. SHELDRICK, H. MAYER-FIGGE: J. Photochem. Photobiol., 105, 39, (1997)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

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Details

Titel
Experiment und Computer in der Chemie
Note
Publikation
Autor
Jahr
1998
Seiten
109
Katalognummer
V21802
ISBN (eBook)
9783638253291
Dateigröße
2749 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
6 Seiten Aufsatz, 92 Seiten Kraftfeldberechnungen.
Schlagworte
Experiment, Computer, Chemie
Arbeit zitieren
Klaus Rammert, Dr. (Autor:in), 1998, Experiment und Computer in der Chemie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/21802

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