Lernprozesse beim Problemlösen unter näherer Betrachtung der kognitiven Lerntheorien: Anchored Instructions, Zielbasierte Szenarien und Cognitive Apprenticeship


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

30 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Problemlösen
1.1 Lehrkonzeptionen zur Förderung des Problemlösens
1.2 Fünf Stufen des Problemlösens im Unterricht nach Tümmers
1.3 Was ist Problemorientierte Lernumgebung?

2. Kognitive Lehrtheorien
2.1 Anchored Instructions
2.2 Zielbasierte Szenarien
2.3 Cognitive Apprenticeship

3. Lernprozesse
3.1 Lernprozesse bei Anchored Instructions
3.2 Lernprozesse bei zielbasierten Szenarien
3.3 Lernprozesse bei Cognitive Apprenticeship

4. Pädagogische Konsequenzen

5. Beispielhafte Unterrichtsstunde
5.1 Lernvoraussetzungen der Klasse
5.2 Etappen der Lernprozesse
5.3 Lernziele
5.4 Methodische Überlegungen

6. Literaturverzeichnis

7. Anhang
- Unterrichtsskizze
- Tafelbild
- Arbeitsblätter

1. Problemlösen

Mit dem Begriff „Problemlösen“ wird der Prozess bezeichnet, der abläuft, wenn ein Mensch (oder Tier) den Zustand, in dem er sich befindet als unbefriedigend erlebt. Er hat zunächst keine Mittel zur Verfügung, diesen Zustand zu ändern und gelangt deshalb durch selbstständiges Handeln zu dem gewünschten Endzustand.

Problemlösen setzt einen Prozess der aktiven Informationsaufnahme und Informationsverarbeitung (z.B. neue Kombinationen von Erfahrungen und/oder Überlegungen) bei der Bewältigung eines Problems voraus.

In pädagogisch-psychologischen Kreisen wird schon lange davon ausgegangen, dass problemlösendes Lernen gegenüber dem rezeptiven Lernen sinnvoller ist, da die allgemeine kognitive Entwicklung, die Lernmotivation, die Behaltensleistungen und die Eigenkompetenz der Lernenden stärker geschult werden.[1]

1.1 Lehrkonzeptionen zur Förderung des Problemlösen

In Jahrzehnte langer Forschung wurde deutlich, dass problemlösendes Verhalten im Unterricht von „der Ermöglichung selbstständig entdeckenden Lernens über ein gelenkt entdeckendes Lernenlassen bis zu einem übernehmend-einsichtsvollen Lernenlassen“[2] reicht.

Es wurde davon ausgegangen, dass die Lernenden sich beim entdeckenden Lernen Prozesse und Strategien des Problemlösens aneignen. Dadurch lernen sie weitgehend unabhängig von der Bestätigung oder Führung durch den Lehrer. Ihre intrinsische Motivation steigt dadurch, dass sie selbst es sind, die die Lösung des Problems erreichen. Sie erfahren ihre eigene Wirksamkeit.

Das übernehmend-einsichtsvolle Lernen verschmilzt weitgehend neue Inhalte mit schon vorhandenem Wissen.

Im Unterschied dazu stehen beim gelenkt entdeckenden Lernen die selbstständigen Überlegungen zum Lösen eines Problems und das Entdecken neuer Zusammenhänge und Prinzipien im Vordergrund. Durch gut gestaltete Lernmaterialien kann eine aktiv-selbstständige Informationsverarbeitung provoziert, gefördert und unterstützt werden.[3]

Beim selbständig-entdeckenden Lernen hat sich im Allgemeinen herausgestellt, dass diese Art von Lernen für den Lehrer eine große didaktische Belastung in Form von Vorbereitung bedeutet. Dieser Aufwand steht jedoch nicht im Verhältnis zu den gewünschten Ergebnissen, zumal in Vergleichsstudien zum Vorschein kam, dass Transfer- und Lernleistungen selten gegenüber den anderen Lehrverfahren besser waren.

1.2 Fünf Stufen des Problemlösens im Unterricht nach Tümmers

Ungeachtet der Unterscheidung in die verschiednen Lehrkonzeptionen zur Förderung des Problemlösens ist es sinnvoll, der Gestaltung und Organisation problemorientierten Unterrichts das folgende fünf-stufige Modell zu Grunde zu legen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. „Problemstellung (z.B. im berufspädagogischen Zusammenhang wird das Problem eines defekten Autos gestellt oder entdeckt). Die Problemerfahrung kann durch andere (z.B. den Lehrer) in einer Problemdarbietung (Fallbeispiel, Aufgabe, etc.) angeregt werden oder durch eigenständiges Entdecken (Problematisieren) einer als unbefriedigend empfundenen Ausgangssituation zustande kommen.
2. Problemstrukturierung (in geg. Bsp. die Ursachen des Defektes analysieren). Ein „Suchmodell“ wird entwickelt, das die für wesentlich erachteten Lösungseigenschaften enthält. Zu unterscheiden ist zwischen der Suche nach analytisch einsichtigen Eigenschaften und einer synthetischen Problemstrukturierung, die sich in der Umstrukturierung des Denkmaterials mitteilt.
3. Lösungssuche (z.B. Zündkerzenwechsel). Entweder als Anwendung verfügbaren Fakten- und Regelwissens auf neue Aufgaben oder als Entdeckung einer produktiven Lösung durch plötzliche Einsicht in die Lösung (Illumination).
4. Lösungsprüfung (z.B. Motor anlassen zur Prüfung, ob Defekt beseitigt ist). Gedankliche Überprüfung der auf verschienen Wegen gefundenen Lösungen bezüglich der Zielsetzung.
5. Lösungsbereitstellung (z.B. Notiz über Defektbehebung für ähnliche Fälle, bzw. neuen Aspekt in bisheriges Wissen integrieren). Damit ist der Aufbau strategischen Wissens angesprochen.“[4]

An diesem Stufenmodell von Tümmers orientieren sich die meisten modernen Lernkonzeptionen in Zusammenhang mit Problemlösen.

1.2 Problemorientierte Lernumgebung

Die „sozial-kulturelle Natur von Lernen, seine Situationsgebundenheit, die Bedeutung von Motivation, Interesse und Metakognition, die zentrale Funktion von mentalen Modellen sowie die Verwendung von Informationstechnologien“[5] wird in der modernen Instruktionspsychologie unter dem Begriff Lernumgebung zusammengefasst.

„Zurückgehend auf Piaget geht man davon aus, dass Lernen von außen nur unterstützt, aber nicht erzwungen werden kann.“[6] Die Lernumgebung spielt eine entscheidende Rolle beim Lernen und problemlösenden Denken. Es muss sichergestellt sein, dass sich die Eigeninitiative des Lernenden mit möglichst wenigen Eingriffen von Außen entfalten kann. Es müssen Lernumgebungen geschaffen werden, die Gelegenheit zum Nachdenken bieten und die Aufmerksamkeit der Lernenden aufrecht erhalten, um diese zur Lösung des Problems zu führen.

Collins et al. haben 1994 zwischen drei Hauptgruppen von Lernumgebungen unterschieden:

1. Kommunikationsumgebung: Die Lernenden sprechen über ein vorhandenes
Problem und verarbeiten dabei die gegebenen Informationen. So gelangen sie zusammen zur Problemlösung.
2. Problemlösungsumgebungen: Die Lernenden arbeiten an Problemen und Projekten, um spezielle Fertigkeiten zu verbessern.
3. Lernsituationen: Die Lernenden haben spezifische Leistungen (z.B. Prüfung

oder Referat) zu erbringen.

Es muss für jeden Lernenden die Möglichkeit gegeben sein, die Informationen zu erreichen, die er für seinen Lösungsweg braucht. Es sollten deshalb möglichst viele Informationsquellen bereit gestellt werden.

Der Lernende muss seine Weg bis hin zur Problemlösung selbst organisieren können, d.h. Informationen müssen in verschwenderisch großer Anzahl zur Verfügung gestellt werden. Nur dann kann er selbst entscheiden, wann, wie und in welcher Reihenfolge er eine Aufgabe lösen will.

Hilfestellungen und Unterstützungen, sowie Beratung zu bestimmten Problemen oder Themen müssen verfügbar sein. Wichtigstes Ziel ist es, dass der Lernende aus bereits gelösten Problemen das erlangte Problemlösungswissen übernehmen, um dieses auf spätere Probleme anwenden zu können.

Zusammenfassend stehen folgende allgemeine Merkmale für Lernumgebungen:

Die Aufgaben sollen lebensnah und „echt“ sein, sie sollen Problemlösen möglich, nicht unmöglich machen und sollen so gewählt sein, dass Wissen nicht reproduziert, sondern neu aufgebaut wird. Deshalb wird ein Problem von mehreren Seiten beleuchtet und verschiedene Vorgehensweisen angeboten, die es dem Lernenden ermöglichen, seine persönlichen Ansichten und Auffassungen zu reflektieren.

2. Kognitive Lerntheorien

Die meisten kognitiven Lerntheorien und –konzeptionen betonen ebenfalls die oben genannten allgemeinen Merkmale von Lernumgebungen.

2.1 Anchored Instruction: Vom problem- zum projektbezogenen Lernen

Ein oft auftretendes Problem ist, dass zwar das Wissen gelernt, aber in realen, alltäglichen Problemsituationen nicht angewendet werden kann. Diese fehlende Wissensnutzung soll durch den Anchored-Instruction-Ansatz überwunden werden.

Als "anchored" wird die Instruktion deshalb bezeichnet, weil den Lernenden "Anker" geboten werden, die zunächst Interesse wecken und dann die Möglichkeit bieten, eigenständig und erfahrend Probleme zu erkennen, zu definieren und zu lösen. Die dargebotenen Problemsituationen stellen komplexe, aber nachvollziehbare Kontexte in erzählender Form dar, die mehrere Fachbereiche gleichzeitig berühren und unterschiedliche Perspektiven berücksichtigen. Die narrative Form spielt eine besonders wichtige Rolle für die Übertragung des Gelernten, denn die Verknüpfung neuer Inhalte mit Geschichten hilft den Lernenden, ihre "Entdeckungen" später auch zu nutzen.

Die “Cognition and Technology Group at Vanderbilt” (CTGV) entwickelte 1997 das Jasper-Projekt. „Es arbeitet mit Aufgabenumgebungen, in denen Schüler zuvor erworbene Fertigkeiten und Wissensstrukturen anwenden sollen, um authentische Aufgabenstellungen und Probleme der Alltagswelt zu lösen und auf diese Weise den hohen Nutzwert von schulischem Lernen zu erkennen.“[7]

2.1.1 Gestaltungsprinzipien der Jasper-Serie zur Lösung mathematischer Probleme

1. Video-gestützte Situations-Präsentation
2. Narrative Struktur: Erzählung mit realistischen Problemen (statt einer Unterweisung auf Video)
3. Generatives Problemlösen: Zur Aktivität anregende Darstellung (d. h. das Ende der Geschichte und die Lernenden definieren das zu lösende Problem)
4. Eingebettetes Daten-Design (d. h. alle für die Problemlösung benötigten Informationen sind in dem Videofilm enthalten)
5. Sinnvolle Problemkomplexität (d. h. jedes Abenteuer schließt mindestens 14 Schritte ein)
6. Paare aufeinanderbezogener Geschichten zur Transferförderung
7. Verknüpfungen über verschiedene Fächer und das gesamte Curriculum

Eine Serie von Abenteuern, die der „Held“ Jasper Woodbury zu bestehen hat, ist nach den oben genannten Prinzipen entwickelt worden und richtet sich an Schüler der fünften und sechsten Klassenstufe.

Das Ziel jedes dieser Ansatzes ist, Inhalte und Fertigkeiten im Zusammenhang von Versuchen zu lehren, authentische Probleme zu lösen.

2.2 Zielbasierte Szenarien

Vom Ansatz her gesehen gleichen sich zielbasierte Szenarien (goal-based scenarios) und Anchored Instructions. Allerdings sollen bei zielbasierte Szenarien die Lernenden zu aktiven Teilnehmern in einem Szenario gemacht werden.

Um das globale Ziel eines Problems zu erreichen, wird dem interessierten Lernenden in der (multimedialen) Lernumgebung Anleitung und Hilfe geboten. Damit zielbasierte Szenarien für den Lernenden sinnvoll sind, müssen Einschränkungen im Hinblick auf

„- die Auswahl der Lernmaterials,
- die Ziele, die der Lernende verfolgen soll,
- die Umgebung, in der Lernen stattfindet,
- die zu bewältigenden Aufgaben und
- die Ressourcen, die dem Lernenden zur Verfügung gestellt werden“[8]

stattfinden.

Nach einer Argumentation Schanks (1982) ist das Wissensgedächtnis in Paketen organisiert. In einem solchen Paket ist eine zeitlich geordnete Szene, die eindeutig durch bestimmte Merkmale der Situationen dieser Szene bestimmbar ist (z.B. man frühstückt morgens nach einer bestimmten Art & Weise. Ein Merkmal wäre, wie ich mir den Kaffee zubereite...). Nach Schenk besteht das Wissensgedächtnis auch aus Geschichten. So ist bei dem Verständnis eines neuen Sachverhaltes meistens eine Erinnerung an ein Beispiel oder eine Situation von Bedeutung. Schank sieht hier durch das Erzählen von Geschichten eine effektive Technik des Lernens.

Aus diesem Grund besteht für die zielbasierten Szenarien die primäre Funktion, solche (schon vorhandenen) Pakete und Geschichten zu aktivieren und anzuwenden und zu verinnerlichen.

Schenk et al. (1993/94) sehen zielbasierte Szenarien als eine „Mission“ mit eigenem Kontext und einer ebenso eigenen Struktur.

Der Kontext umfasst dabei den Auftrag wie auch die Titelgeschichte. Dabei muss den Lernenden klar sein, nach welchen Kriterien er das Ziel erreichen darf. Die Aufgabenstellung definiert sich dabei durch die Titelgeschichte und sollte Ziele umfassen, die der Lernende bereits hat oder bereit ist, sie als eigene anzunehmen. Damit eine Vielzahl von Lernaktivitäten möglich sind, soll die Aufgabenstellung umfassend und komplex sein.

[...]


[1] Vgl. Seel, S. 350

[2] Seel, S. 350

[3] vgl. Seel, S. 350f.

[4] Seel, S. 351f.

[5] Seel, S. 352

[6] Seel, S. 354

[7] Seel, S. 358

[8] Seel, S. 360

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Lernprozesse beim Problemlösen unter näherer Betrachtung der kognitiven Lerntheorien: Anchored Instructions, Zielbasierte Szenarien und Cognitive Apprenticeship
Hochschule
Pädagogische Hochschule Weingarten
Note
1,0
Autoren
Jahr
2004
Seiten
30
Katalognummer
V21695
ISBN (eBook)
9783638252553
ISBN (Buch)
9783638647243
Dateigröße
1041 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Lernprozesse, Problemlösen, Betrachtung, Lerntheorien, Anchored, Instructions, Zielbasierte, Szenarien, Cognitive, Apprenticeship
Arbeit zitieren
Daniela Weismann (Autor:in)Hannes Hesse (Autor:in), 2004, Lernprozesse beim Problemlösen unter näherer Betrachtung der kognitiven Lerntheorien: Anchored Instructions, Zielbasierte Szenarien und Cognitive Apprenticeship, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/21695

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