Religion und Buddhismus: Braucht die Welt also einen Gott?


Studienarbeit, 2013

24 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Kollision der abendländischen Religionsphilosophie mit dem Buddhismus
1.1 „Gott und nichts als Gott.“ – Eine Einleitung
1.2 Ziele, Methoden und Stolpersteine

2 Der Buddhismus – Religion ohne Gottesprädikat?
2.1 Eine Begriffsbestimmung zur Religion
2.2 Buddhismus als kulturelle Praxis (Außenperspektive)
2.2.1 Siddhartha Gautama – verehrt und vergöttert
2.2.2 „Ohne Gott ist nicht alles erlaubt.“ – Die buddhistische Ethik
2.3 Der buddhistische Weg (Innenperspektive)
2.3.1 Die „vier edlen Wahrheiten“ und der „edle achtteilige Pfad“
2.3.2 Das Nirvana als nicht-ontologisches Heilsziel

3 Kollisionsspuren: Was uns der Buddhismus lehrt

Literaturverzeichnis

Über den Autor

1 Kollision der abendländischen Religionsphilosophie mit dem Buddhismus

Ohne Gott bliebe das Herz also ohne ‚Musik‘.

Solange Gott nicht spielt, tönt die Welt nicht.

Braucht die Welt also einen Gott?[1]

Byung-Chul Han (*1959)

1.1 „Gott und nichts als Gott.“ – Eine Einleitung

Als Hegel seine Vorlesungen über die Philosophie der Religion hielt, stellte er die dringliche Forderung auf, dass sich die Religionsphilosophie bei der Untersuchung der verschiedenen Religionen der Welt nur mit Gott zu beschäftigen habe. Damit reduzierte er das „Religionsphänomen“ auf einen einzigen Kern, der für die westlichen Konfessionen Ursprung und Quelle des Glaubens ist: theos – der Schöpfergott. Hegels theistische Zentralperspektive wird verständlich, wenn man die kulturgeschichtliche Tradition betrachtet, aus der sich sein Religionsverständnis speist. Die drei großen verwandten Weltreligionen – Judentum, Christentum und Islam – haben keine Alternative zum Gottesbegriff. Die Frage des Glaubens ist in ihrem Kontext zwingend gebunden an einen personifizierten Gott. Diese subjektfixierte Haltung ist gleichsam zur Basis der gesamten abendländischen Philosophie geworden – ihre genuine Methodik ist der sogenannte Gottesbeweis:[2]

Das Problem der Gottesbeweise ist daher zunächst gar kein Problem der Religion, sondern der Philosophie […] Es führt vielmehr in das Zentrum der Philosophie: zu der Frage, was wir mit rationalen Mitteln überhaupt zu wissen vermögen – und wo die Grenzen unseres Wissens liegen. Die Gottesbeweise sind exemplarisch für das, was die Philosophie als Wissenschaft überhaupt leisten kann.[3]

Noch einen Schritt weiter ging Adorno in der Negativen Dialektik, wo er im ontologischen Gottesbeweis das Fundament jeder Art von philosophischer Auseinandersetzung zu erkennen meinte.[4] Was passiert aber mit unserem Selbstverständnis, wenn dieser heilige „Grund der Welt“ entweiht wird; wenn die (Religions-)Philosophie ihren Gegenstand verliert und an dessen Stelle die ‚Leerheit‘ tritt? Eine Welt, die keine metaphysischen Fragen hat, scheint für uns nicht denkbar zu sein. Und doch gibt es eine „Haltung“, die ganz vom Transzendenten Abstand nimmt und genau im Hier und Jetzt fußt: die Rede ist vom fernöstlichen Buddhismus, einer – wie sie der Philosoph Han nennt – „Religion der Immanenz“[5]. Auf den ersten Blick kann man den buddhistischen „Weg“ östlicher Gemeinden aber nur schwer als eine Religion im „klassischen Sinne“ bezeichnen. Gerade das Unheilige und Profane sowie die Gottlosigkeit der buddhistischen Lehre sperren sich gegen jeglichen theologischen Zugang. Auf der anderen Seite rechnet man den (Mahayana-)Buddhismus heute de factozu den großen fünf Weltreligionen, obwohl er ein nicht-theistischer Glaube ist. Seine Anhängerzahl wächst derzeit gerade in der westlichen Welt, wo Mitglieder dogmatischer Kirchengemeinden zunehmend schrumpfen, kontinuierlich an. Im Jahre 2009 gehörten Statistiken zufolge 8,94% der Menschen auf der Erde einer buddhistischen Konfession an.[6] Allein in Deutschland bekennen sich schätzungsweise 170 000 Menschen zum Buddhismus.[7]

Die Religionsbegriffe scheinen sich inhaltlich zu widersprechen, und es bleibt daher zu bedenken, ob die Frage nach der Religion primär eine Frage nach Gott ist. Oder anders gefragt: Was macht eine Religion wie den Buddhismus überhaupt zu einer Religion, wenn es eben nicht ‚Gott‘ ist? Haben wir mit der Gottesfrage vielleicht etwas Wesentliches verfehlt, nach dem wir eigentlich fragen wollten? Die in dieser Studienarbeit vorgelegte Auseinandersetzung mit dem Buddhismus lässt die Sinnhaftigkeit philosophischer Gottesbeweise möglicherweise in einem ganz anderen Licht erscheinen.

1.2 Ziele, Methoden und Stolpersteine

Welche Methoden bieten sich an, wenn man das Wesen des Buddhismus möglichst umfangreich erfassen will? Eine nur theologische Betrachtung ist allem Anschein nach nicht ausreichend, da sie in unserem Fall keinen geeigneten Gegenstand vorfinden wird. Die Theologie ist aufgrund ihrer Bekenntnisgebundenheit auch nur bedingt in der Lage eine über die Glaubensaspekte hinausgehende Kontextualisierung vorzunehmen; sie ist quasi eine Lehre vom Inhalt einer Religion. Bei der Betrachtung der Inhaltsebene („Innenperspektive“) spielen die Lebensumstände der Gläubigen nur eine untergeordnete Rolle. Erst von der Metaebene der Theologie wird das Verhältnis der Religionsgemeinde und ihrer praktizierten Religion deutlich; erst hier wird die Bedeutung des theos für den anthropos einsichtig. Die Religionswissenschaft kann – im Gegensatz zur Theologie – nach den „Bedingungen der Möglichkeit“ von Religion fragen. Damit hat sie in gewisser Weise einen philosophischen Charakter („Außenperspektive“). Sie unterliegt aber, wie jede verallgemeinernde Wissenschaft auch, einer sogenannten „Unschärferelation“: „Was in den Köpfen der zahllosen Einzelmenschen stattfindet, könnte niemals zu ‚Religion‘ zusammenfinden […].“[8] Demnach haben wir es, wenn wir vom ‚Glauben‘ sprechen, mit zwei grundsätzlich verschiedenen Phänomenen zu tun: nämlich zum einen Religion als ein verallgemeinertes und idealisiertes Verständnis religiöser Lebensweisen, und zum anderen Religiosität als ein je einzelnes und ordinäres Glaubensbekenntnis. Will man den Buddhismus nicht nur als starre Idealisierung begreifen, so muss die Religionswissenschaft ihre Grenzen für andere (auch nicht wissenschaftliche) Disziplinen öffnen. Dieser Ansatz, der ab den 1960er Jahren durch den cultural turn zur Sprache kam, setzt sich in den letzten Jahren gerade in den Religionswissenschaften immer mehr durch. Die Forderung des zeitgenössischen Bremer Religionswissenschaftlers Hans Kippenberg „Religionswissenschaft als Kulturwissenschaft“[9] zu betreiben, lässt Hegels theistische Zentralperspektive zunehmend verblassen.

Der Buddhismus wird in dieser Studienarbeit in erster Linie als eine kulturelle Praxis verstanden, die sich dem Betrachter auf vielerlei Art und Weise zeigen kann. Die vorliegende Untersuchung fühlt sich daher einem kulturwissenschaftlichen Ansatz verpflichtet, indem sie die Methoden verschiedener Fächer kombiniert und so eine multiperspektivische Sicht entwirft: sprach- und literaturwissenschaftliche, philosophische, ethnologische, soziologische und theologische Arbeitsweisen kommen zur Anwendung. Dabei kann man sich auf zweierlei Ebenen einen Zugang zur buddhistischen Lehre verschaffen: Zum einen kann man sich ganz auf den Buddhismus einlassen und aus dieser Innenperspektive heraus zu Erkenntnissen kommen (diese Methode hat eher theologischen Charakter). Zum anderen besteht die Möglichkeit, sich von außen heranzutasten, indem man z.B. komparatistisch vorgeht (diese Methode hat eher religionswissenschaftlichen Charakter). Für die Ausgangsfrage, was die konstitutiven Elemente einer Religion sind – und im Besonderen, ob Gott dabei entbehrlich ist – müssen wir beide Ebenen berücksichtigen. Der Theologe und Religionswissenschaftler Rudolf Otto schließt auch die persönliche Erfahrung nicht aus:

Wer sich zwar auf seine Pubertäts-gefühle, Verdauungsstockungen oder auch Sozial-gefühle besinnen kann, auf eigentümlich religiöse Gefühle aber nicht, mit dem ist schwierig Religionskunde zu betreiben.[10]

2 Der Buddhismus – Religion ohne Gottesprädikat?

Bei der Betrachtung der großen theistischen Weltreligionen – Judentum, Christentum, Islam und Hinduismus – sowie vieler Naturreligionen, scheint der Buddhismus als nicht-theistische Religion viele Fragen aufzuwerfen: Warum spricht man diesem den Status einer Religion zu, wenn sich die Anhänger scheinbar nicht zu einer Gottheit bekennen? Man mag dies vorschnell damit begründen, dass er gewisse Schnittmengen hat, die sich in anderen Religionspraxen wiederfinden. Dann stellt sich aber zum Beispiel die Frage, warum man die Physik nicht ebenso zu einer Religion erhebt, schließlich haben ihre Anhänger ein eigenes Glaubensbekenntnis (physikalische Naturgesetzte), und auch die Frage nach der Entstehung der Welt findet bei ihr eine hervorragende Antwort. Es muss also bei der Differenzierung von Religion und Nicht-Religion ganz bestimmte Kriterien geben, die diese Unterscheidungen rechtfertigen. Im Folgenden wird daher der Begriff der Religion wie er in der neueren und zunehmend interdisziplinär ausgerichteten Religionsforschung[11] zu finden ist, dargestellt. Es sei hier schon vorweggenommen, dass der Buddhismus noch gar nicht allzu lange von der westlichen Welt als ‚Religion‘ anerkannt ist. Erst die philologischen Forschungen im 19. Jahrhunderts, allen voran die Arbeiten des Sanskritologen Hermann Oldenberg[12], führten zu dieser Kategorisierung.

2.1 Eine Begriffsbestimmung zur Religion

Gleich am Anfang sei gesagt, dass eine allumfassende, überall gültige Begriffsbestimmung im Sinne einer Definition[13] für ‚Religion‘ nicht gelingen kann. Das liegt schon allein an der Tatsache, dass sehr viele verschiedene Fachrichtungen mit beiden Begriffen operieren. In letzter Zeit beschäftigen sich zum Beispiel die modernen Neurowissenschaften intensiv mit dem Religionsphänomen.[14] Die Begriffsbestimmung ist immer eine Gradwanderung zwischen einer zu engen und einer zu weiten Eingrenzung. Unter kulturwissenschaftlicher Perspektive wollen wir einen Mittelweg wählen und zuerst vom reinen Wort ausgehen: Nach Cicero stammt religio vom Verb relegere ab, was so viel wie ‚wieder lesen‘ oder ‚gewissenhaft beachten‘ heißt.[15] Er assoziierte mit dem Begriff eine Tugend, nämlich die Pflichterfüllung gegenüber der numina, dem ‚göttlichen Willen‘. Die Pflicht bestand in der sorgfältigen Ausführung kultischer Handlungen und Gebete. Demgegenüber ist die Untugend der superstitio (‚Aberglaube‘) nur ein eigennütziges Scheinbekenntnis.[16] Eine andere etymologische Interpretation findet sich bei Laktanz, der den Wortstamm religare in der Bedeutung von ‚verbinden‘ oder ‚zurückbinden‘ zugrunde legte.[17] Der Wortsinn lässt sich metaphorisch so erklären, dass die Menschen in der Religion an einen Gott ‚gebunden‘ sind. Zumindest die erste Etymologie impliziert also bereits eine personale Gottesfigur, denn im ersten Fall verweist der Wortstamm auf den göttlichen Willen, den es zu erfüllen gilt. Im zweiten Fall wird Gott als ein verbindendes Element vorausgesetzt. Doch letztlich reicht eine historische Wortanalyse allein niemals aus, um den Wortsinn – das Signifikat – zu erschließen; mit Wittgenstein gesprochen: „Die Bedeutung eines Wortes ist [allein] sein Gebrauch.“[18]

[...]


[1] Han (2002), S. 22.

[2] Hegel (1986), S. 28.

[3] Bromand/Kreis (2011), S. 10.

[4] Vgl. Adorno (1966), S. 378.

[5] Vgl. Han (2002), S. 18.

[6] Vgl. Pulsfort (2010), S. 15.

[7] Vgl. Tworuschka/Tworuschka (2006), S. 63.

[8] Luhmann (1998), S. 137.

[9] Kippenberg/Stuckrad (2003), S. 11.

[10] Vgl. Otto (1987), S. 8.

[11] Die Darstellung orientiert sich an der religionsphilosophischen Untersuchung von Saskia Wendel. Vgl. Wendel (2010), S. 7-63.

[12] Vgl. das Vorwort von Andreas Bock-Raming. In: Oldenberg (2006).

[13] Der lateinische Wortstamm lautet definitio, was so viel wie ‚festsetzen‘ heißt.

[14] Die Theorie von einem neuronalen „Gottesmodul“ wird besonders in Magdeburger Kreisen vertreten. Genannt sei hier der emeritierte Professor für Neurobiologie, Gerald Wolf, der mit seinen zwei Romanen Der HirnGott (2005) und Glaube mir, mich gibt es nicht (2009) für kontroverse Diskussionen sorgte. Er ist ein prominenter Vertreter der sogenannten ‚Neurotheologie‘.

[15] Vgl. Lutz-Bachmann (2003), S. 149.

[16] Vgl. ebd., S. 150.

[17] Vgl. ebd.

[18] Wittgenstein, PU 43 [Ergänzung in Klammern: S.W.].

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Religion und Buddhismus: Braucht die Welt also einen Gott?
Hochschule
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg  (Institut für Philosophie)
Veranstaltung
Der Grund der Welt
Note
1,3
Autor
Jahr
2013
Seiten
24
Katalognummer
V215449
ISBN (eBook)
9783656441861
ISBN (Buch)
9783656442622
Dateigröße
620 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Religion, Religionsphilosophie, Buddhismus, Nirvana, Gott, Gottesbeweise, Philosophie, Kulturwissenschaften, Buddha, Siddhartha Gautama, Religionswissenschaft
Arbeit zitieren
Sebastian Wendt (Autor:in), 2013, Religion und Buddhismus: Braucht die Welt also einen Gott? , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/215449

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