Die Macht des Vorurteils revisited. Die Doublette des Rassismus


Masterarbeit, 2013

79 Seiten, Note: 1,1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einführung
1.1 Idee
1.2 Methodik

2. Zur Macht des Vorurteils
2.1 Zum Vorwort / Einleitung
2.2 Grund zum Misstrauen – Antirassismus auf dem Falschen Weg.
2.3 Definitorisches - oder: Von der Notwendigkeit, das Andere zu (Ver-)Achten
2.4 Das Wort „Rassismus“ in Alltag und Wissenschaft
2.5 Die Verortung des Antirassismus in der Wissenschaft
2.6 Idealtypische Darstellung des Rassismus durch den Antirassismus

3. Entwicklung der Vorurteilskritik
3.1 Intellektuelle Grundlagen.
3.2 Theorien zum Vorurteil
3.3 Rassismus und Antirassismus als Gegenspieler
3.4 Zur „Angst vor der Mischung“.
3.5 Idealtypische Verfahren und Charakteristika des Antirassismus.
3.6 Grundsätzliches zum Theoretischen Dualismus

4. Aussicht auf Verbesserung
4.1 Normative Annahmen „Jenseits des Rassismus“
4.2 Forderung eines „Diffizilen Universalismus“
4.3 Lösung im Recht?
4.4 Die Universalistische Möglichkeit

5. Schlussbetrachtungen
5.1 Zusammenfassendes
5.2 Epilog: Beispiel einer Verschobenen Logik

6. Quellenverzeichnis

1. Einführung

1.1 Idee

Freiheit ist nur denkbar als die Realisierung dessen,

was man heute noch Utopie nennt.“ [1]

- Herbert Marcuse

Tagtäglich können wir in allen Medien von rassistischen Übergriffen, rassistischen Regimen und rassistischer Ideologie hören, sehen und lesen. Da wir dies nicht einfach hinnehmen können und wollen, finden wir den Antirassismus lobenswert, der dieser scheinbar nie loszuwerdenden Geißel der Menschheit entgegentritt. Doch ist dem so? Finden wir hier zwei Systeme vor, die sich konträr gegenüberstehen? Wenn wir eine Suchmaschine im Internet bemühen, stoßen wir zum Thema „Rassismus“ auf ca. 6,8 Millionen Einträge[2], bei „Antirassismus“ auf immer noch 734.000. Wir können hierbei bezweifeln, dass die Masse an Gefundenem durch ihre Qualität besticht, die wir für eine Analyse benötigen. Wenn wir die Datenbank der Universitätsbibliothek Leipzig durchsuchen, kommen wir noch auf 1301 Treffer[3]. Alles zu sichten, zu ordnen und zu bearbeiten, würde für eine Seminargruppe zur Lebensaufgabe werden. Weil die Fülle an Theorien und Sichtweisen nur schwer zu überblicken ist, sehen wir uns deshalb eine Definition des wohl prominentesten deutschen Rassismusforschers Wulf D. Hund an, der uns über den Kern des Rassismus Auskunft gibt:

„Die Erfindung der Rassen zeigt, dass es sich bei ihnen um eine soziale Kategorie handelt, welche unter spezifischen Umständen zur Grundlage einer Politik rassistischer Herabminderung entwickelt worden ist, die sich unter verschiedenen Bedingungen verschiedener Legitimationsmuster bedient hat.“ [4]

Im Rahmen einer Analyse des Rassismus scheinen wir mit ihm auf dem richtigen Weg zu sein, allerdings fehlt etwas Entscheidendes: Eine Analyse des Antirassismus. Wir könnten uns die Frage stellen, warum dies nötig sein soll, da wir – durch eine fundierte Kenntnis des Rassismus – das Problem benennen, begreifen und auch angehen können.

Für den in Paris lebenden und arbeitenden Politologen, Soziologen und Philosophen Pierre-André Taguieff greift dies zu kurz. In seinem erstmals im Jahr 2000 ins Deutsche übersetze Werk „Die Macht des Vorurteils. Der Rassismus und sein Double“ formuliert Taguieff wie am Titel unschwer erkennbar die These, dass nicht nur der Rassismus, sondern auch der Antirassismus, das „Double“ des Rassismus, der Macht des Vorurteils unterliegt. Das im Ganzen 618 Seiten schwere Konvolut soll nun im Fokus dieser Arbeit stehen. Die außerordentlich komplexe Monografie, die so viele verschiedene wissenschaftliche Disziplinen umreißt wie die Soziologie, die Politikwissenschaft, die Philosophie, die Geschichtswissenschaft, die Linguistik, die (Sozial-)Psychologie und die Kulturwissenschaft, soll hier dargestellt und erklärt werden. Ziel ist hierbei den Kern der Argumentation herauszuarbeiten, verständlich zu machen und mit Querverweisen zu untermauern. Das grundlegende Argument der Arbeit von Taguieff kann folgendermaßen umschrieben werden: Der Rassismus als Ideologie ist sehr wirkungsmächtig. Der Antirassismus, der als Sammelbecken antirassistischer „Gesinnung“ bezeichnet werden kann, will den Rassismus bekämpfen. Der Antirassismus sitzt allerdings oftmals selbst Stereotypen und einem ritualisierten Habitus auf und (re-)agiert übermütig, ohne sich selbst zu reflektieren und zu analysieren. Taguieff fordert eine ideologiefreie Analyse des Rassismus sowie des Antirassismus, um besser zu bestimmen, wie dem Rassismus entgegengetreten werden kann. Keine einfache Umkehrung von Polemik, sondern kluge Konzepte müssen vorgelegt werden. Wie also können wir vorgehen?

1.2 Methodik

Der Inhalt dieser Arbeit ist die Auseinandersetzung mit der erstmals 1988 in Frankreich unter dem Titel „La Force du préjugé. Essai sur le racisme et ses doubles“ erschienenen Monographie des Antisemitismus-, Rassismus- und Populismusforschers Pierre-André Taguieff. Im Titel dieser Arbeit soll das vorhandene „revisited“ darauf hindeuten, dass in dieser Arbeit recht textnah verfahren wird, um die Argumentation des Autors zu jedem

Zeitpunkt genau verfolgen zu können. Die hierbei vollzogene Textanalyse dient der Darstellung des Forschungsgegenstandes der Taguieff'schen Analysen, die oftmals durch eine sperrige Sprache und den enormen Umfang nur schwer zu fassen sind. Zusammenhänge und Arbeitsweisen sollen Schritt für Schritt geklärt und erklärt werden, um einen tiefen Einblick zu erlangen und die gewagte Hypothese, dass der Antirassismus als Ideologie – aufgrund mangelhafter Fähigkeit zur Reflexion – den Rassismus geradezu generiert, nachvollziehen zu können. Somit will diese Arbeit eine informative Arbeit sein, die keine eigene „neue“ These formuliert, sondern die des französischen Autors auf den Prüfstand stellen will, seinen Forschungsstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung seines Werkes aufzeigen und in hermeneutischer Absicht klären möchte, inwieweit die These einer weiteren Klärung bedarf.

Durch ein Verstehen des Konvoluts soll dieses dem Leser hiermit zugänglich gemacht werden und hoffentlich zum besseren Verständnis dessen beitragen, was gemeinhin als Rassismus und Antirassismus begriffen wird. Mit Hilfe von Querverweisen und Zitaten anderer Autoren, sollen Argumente besser nachvollziehbar gemacht, unterfüttert oder in Frage gestellt werden. Wenn durch die Darstellung von „Die Macht des Vorurteils“ etwas Licht ins Dunkel der Dichotomie zwischen Rassismus und Antirassismus gebracht werden kann, so können wir besser verstehen, warum der alte Krieg der Vorurteile immer noch so erbittert geführt wird.

Schritt für Schritt werden die Kapitel besprochen, angefangen von einer Einordnung des Werkes durch Taguieff und der „Kritik der antirassistischen Vernunft“, die durch Definitionen, Begriffswandlungen und -verschiebungen erfolgen. Das kurze Kapitel zur Chronologie des Rassismusbegriffs in Frankreich wird geflissentlich übersprungen, da dies für die inhaltliche Stringenz des Werkes, als auch für den Erkenntnisgewinn des Lesers hierzulande als vernachlässigbar gesehen wird. Nach der Darstellung des zweiten Hauptteils zur „Genealogie der dogmatischen Kritik des Vorurteils“ und dem darauf folgenden Teil zu den Widersprüchlichkeiten zwischen Rassismus und Antirassismus, wird der Argumentation Taguieffs gefolgt, wie eine Zielsetzung im Kampf gegen den Rassismus (und sein Double) aussehen kann. Im Anschluss soll am Beispiel der Spaltung der

„Linken“ in Deutschland aufgezeigt werden, wie sich Begriffe und deren Deutungen verschieben und wie wichtig eine genaue Analyse dessen ist, was in der Alltagssprache Rassismus (oder Antirassismus) genannt wird. Wichtige und zu erklärende Schlüsselwörter sind kursi v gestaltet, da sie für ein Verständnis des Werkes von Taguieff

unabdingbar sind. In Anführungsstriche gesetzte Wörter und Begriffe weisen auf eine alltagssprachliche (und weniger wissenschaftliche) Verwendung dieser hin. Mit dem Beginn der Arbeit am Text sind wir bereits mitten in der zu beleuchtenden Thematik.

2. Zur Macht des Vorurteils

2.1 Zum Vorwort / Einleitung

Im 21.Jahrhundert prallen zwei unterschiedliche Zukunftsvisionen aufeinander: Einerseits das Ideal der Globalisierung, die als positives Konzept nichts weniger als eine Gesamtheit der Menschen anstrebt, die in „ewigem Frieden“ geeint eine postnationale Vereinigung eingehen soll[5], andererseits Identitätskonflikte, die, oftmals durch Separatismus gekennzeichnet, Eigenheiten im tribalistischen Sinn, als das Maß aller Dinge kennzeichnet. Beide stehen in unbedingtem Widerspruch zueinander, da sie im ersteren Fall auf den Einschluss aller Menschen, im zweiten Fall auf eine notwendige Abgrenzung abzielen.

Letzteres verbindet sich häufig mit einem latenten Rassismus, der sich einerseits biologistisch, andererseits auch kulturalistisch geriert und somit facettenreich und nicht immer auf den ersten Blick sichtbar erscheint.

Wir können bei genauerem Hinsehen ein Amalgam des Rassismus mit dem Nationalismus beobachten, welches als Konzept die Periode der Kolonalisierung begleitete. Das essentialistische Denken erfuhr eine Radikalisierung, da es nun völkisch geworden ist und Staaten ideellerweise zu homogenen Einheiten deklariert. Was nach Außen hin als fremd und volksfremd im Wechselspiel zwischen Normalität und Anormalität Ausdruck findet, wirkte auch innerstaatlich in anderen Bereichen:

„In derselben Epoche, d.h. im 16.-17. Jahrhundert, ist zu beobachten, wie in der Armee, in den Kollegien, in den Werkstätten, in den Schulen eine regelrechte Dressur des Körpers einsetzt, die eine Zurichtung auf den nützlichen Körper ist. Neue Verfahren der Überwachung, der Kontrolle, der räumlichen Anordnung, der Aufzeichnung usw. werden eingerichtet. Es ist eine neue politische Anatomie des Körpers mit Machtmechanismen, die darauf abzielen, ihn gleichermaßen gefügig und nützlich zu machen.“ [6]

Diese Form der Disziplinierung tritt in der Form des rassischen Nationalismus ebenfalls

auf. Die Zurechtweisung des Subjekts in seine essentiellen Schranken ist die Möglichkeit, die vorsäkulare Möglichkeit der Differenznivellierung zu umgehen. Die Chance durch religiösen Bekenntniswechsel Teil der Gesellschaft zu werden, oder durch Segregation ein unterscheidbarer Teil des sozialen Ganzen zu bleiben, ist nun verbaut. Assimilierung und Exterminierung scheinen beide Optionen ersetzt zu haben. Der homogene Staat bedarf einer bestimmbaren Masse:

„Eine territoriale politische Einheit wird nur in bestimmten Fällen ethnisch homogen: nämlich dann, wenn sie alle, die nicht der Nation angehören, tötet, vertreibt oder assimiliert.“ [7]

Untersucht werden sollen auch diese drei Techniken, die der Nationalstaat zur Hand hat, um seine Homogenisierung zu vollziehen. Die erste Möglichkeit, ist die der Assimilation von Minderheiten auf dem staatlichen Territorium. Diese kann ethnophagisch verlaufen,

d.h. die einzugliedernden Minderheiten werden der Mehrheit angepasst (z.B. durch Erziehung), wodurch neue Staatsbürger geschaffen werden, die der Mehrheit zugerechnet werden. Die Assimilation kann aber auch ethnogen vollzogen werden, indem aus den verschiedenen Gruppen ein neues Kollektiv produziert wird, welches durch den Gründungsakt alle Gruppen umfasst und sich somit alle auf einen gleichen Ursprung berufen können. Dieser Ursprung dient der Tradierung einer Gemeinschaft, die als solche einer Essentialisierung bedarf. Der Wille zur ethnischen Homogenität sitzt selbst einer Mythologisierung von Tatsachen auf, welche „Natur und Geschichte ständig miteinander verwechselt“[8].

Die zweite Möglichkeit, ist die der Abschiebung. Diese kann entweder durch eine – wenn auch zweifelhafte – vollzogene Rückführung von „Ungewollten“ in ihre Ursprungsländer erfolgen, die in gewissem rechtlichen Rahmen ohne prinzipiell gewalttätige Maßnahmen stattfindet. Oder aber sie basiert auf der Anwendung von Gewalt, die notwendiger modus vivendi ihrer Idee ist: Ethnis c h e Säuberung ist der Terminus, der diese Variante beschreibt. Die dritte und letztlich brutalste Möglichkeit der Homogenisierung besteht in der Vernichtung oder Extermination. Durch die Vermittlung des Bildes eines nicht- assimilierbaren „Feindes“, der so boshaft, unberechenbar und gefährlich für das soziale Ganze ist, dass ihm anders nicht beizukommen ist, wird der staatlich verordnete Mord

legitimiert. Das historisch prägnanteste Beispiel stellt der Holocaust dar, der in der millionenfachen physischen Vernichtung von Juden, Sinti und Roma, Homosexuellen und anderen, für das NS-Regime als vernichtenswert deklarierten „Volksfeinden“ gipfelte.

Die Verbindung des Nationalismus mit dem Rassismus führt also zur Unmöglichkeit einer Segregation, da keine Verortung von Nichtassimilierbaren innerhalb des nationalstaatlichen Raumes geduldet werden kann. Die rassische Klassifizierung und somit Hierarchisierung versperrt die Möglichkeit einer Duldung von Anderen, da diese so essentiell anders sind, dass sie eine beständige Gefahr für nationale Gemeinschaft darstellen:

„Daraus folgt, daß die Rassenbildung des Nationalismus nur die Möglichkeit der Abschiebung und Vernichtung zulässt.“ [9]

2.2 Grund zum Misstrauen – Antirassismus auf dem Falschen Weg

Aktionismus ist oftmals Ausdruck einer theoretische Leere, die aufgefüllt werden muss, so dass sich alle schulterklopfend vergewissern können, niemals untätig geblieben zu sein - wenngleich auch die Zielsetzung darunter leidet. So leidet der Antirassismus bereits an seinen Begriffsbestimmungen, die nur unzureichend beschreiben, was er zu bekämpfen vorgibt. Spätestens seit den 70er Jahren wirft sich der Antirassismus als Verteidiger einer

„wahren“ Wissenschaft in Pose, die jegliche biologistische Anthropologisierung als unhaltbar und voraufklärerisch negiert. Der Rassismus habe keine wissenschaftliche Legitimität und somit ist der Grundkonsens derer, die sich Antirassisten nennen, klar. Allerdings wird hierbei ausgeblendet, dass sich rassistische Diskurse nicht mehr auf der Ebene der Ungleichheiten von Rassen abspielen. Verschiedenartigkeit wird heute nicht mehr durch biologistische Ungleichheit begründet, sondern findet im differentialistischen Diskurs des Kulturalismus [10] statt:

„Von Anfang an kombinierte der Begriff des Rassismus natürliche und kulturelle

Faktoren. [...] Die Geschichte des Rassismus belegt zur Genüge, dass sich dessen phänomenologisches Glacis im Zweifelsfall ohne Zögern räumt und sich in die ontologische Bastion kulturalistischer Gewissheit zurückzieht.“ [11]

Pierre-André Taguieff unterscheidet hierbei drei Formverschiebungen der Konzepte des Rassismus:

Der Begriff der Rasse ist mittlerweile fast verschwunden, da biologistische Konzepte auf einen veralteten Rassismus hinweisen, für den der Antirassismus ja Gegenkonzepte parat hat. Statt Rasse wird von Kultur gesprochen und die Verlagerung weg von zoologischen Prämissen fordert Ethnologie und Anthropologie nun auf, die im Mythos der schweizerischen Eidgenossen proklamierte Gleichheit in der Verschiedenheit zu begründen. Der Rassismus, der sich kulturalistisch gibt, wird nun oftmals gar nicht mehr erkannt und der Antirassismus bleibt somit machtlos. Eine weitere Formverschiebung ist zu beobachten, wenn Ungleichheit, die immer hierarchisierend wirkt und somit kategorisiert, zugunsten eines Unterschieds verschwindet. Es bleibt beim gleichen Inhalt, der auf die Angst vor dem Anderen und die Rettung des Eigenen abzielt, wenngleich nun behauptet wird, es handelt sich nur um eine Feststellung und eben nicht um eine Wertung. Universalistisches – oder eben sein Ausdruck: die Globalisierung – wird aus Furcht vor einem „ Untergang von Individuen und Kulturen[12] abgelehnt, stattdessen ein

Fundamentalismus des Unterschieds“ [13] eingeführt.

Die dritte Form- und Begriffsverschiebung findet in der Übernahme von antirassistischen Begrifflichkeiten durch den Rassismus statt. Während sich antirassistische Argumentationen stets um die Glorifizierung der Andersartigkeit drehten, wurde das Andere durch den Rassismus stets phobisch delegitimiert oder auf niederer Stufe kategorisiert. Nun hat sich die rassistische Argumentationsweise gewandelt und aus einer Heterophobie wurde eine Heterophilie. Der Widerspruch wird hiermit deutlich: Einerseits wird von Antirassisten ein Respekt vor anderen Kulturen gefordert und somit eine Unterscheidbarkeit gefordert, andererseits wird aber diese Möglichkeit zur Unterscheidung abgelehnt, da die ideelle Gemeinschaft unterschiedslos sein soll:

„Man ist begeistert vom Pluralismus, von der Andersartigkeit, Vielfalt, preist zugleich

die Mischung, das Durcheinanderwerfen, die Kreuzung, das Mestizentum. Die Verwirrung in der Unterscheidung ist vielleicht zu grob, als dass man sie wahrnehmen könnte.“ [14]

Taguieff formuliert hieraus zwei Logiken, die eben genanntes illustrieren. Der Universalismus des Individuums setzt sich aus der Absage an Gruppenidentitäten und aus der Forderung nach universell gültigem, wie den Menschenrechten, zusammen. Der Kommunitarismus der Tradition hingegen fordert das Recht auf Andersartigkeit ein und verschreibt sich ethnischen Traditionen. Diese beiden Logiken des Antirassismus sind mit denen des Rassismus kompatibel, die sich konträr als universalistisch-inegalitär und kommunitaristisch-differentialistisch bezeichnen lassen.

Wenn wir uns nun der Polemik des Antirassismus zuwenden, stellen wir fest, dass der Antirassismus nur deshalb funktioniert, weil er den Rassismus – oder besser: das was geglaubt wird, was der Rassismus ist – scheinbar benennt, obwohl „Rassismus“ durchaus ein unklarer Begriff ist, von dem nicht wirklich behauptet werden kann, was er denn „ist“. Die Ideologisierung des Antirassismus hingegen funktioniert durch den Einsatz als Waffe gegen das „Konzept Rassismus“. Als funktionales Mittel im Kampf gegen falsche Ideologien wurde der Antirassismus selbst zu einem dogmatischen System, welches zwar vorgibt, dem Rassismus die Stirn zu bieten, allerdings gar nicht so genau umreißen kann, was Rassismus denn bedeutet. Taguieff verwehrt sich hierbei einer nur allzu zynischen Sicht aus der post-kritischen Ecke, die eine kritische Analyse verwirft, da sie nur ein Bestandteil des Denkens ist. Antirassismus geriert sich politisch wirksam und soziale Strukturen aufbrechend, ist dies aber nur in medienaffiner Weise.

Der Rassismus hingegen ist zwar auch als ideologisiertes System zu bezeichnen, allerdings erfährt dieser keine besondere Wertschätzung wie andere Ideologien: Namentlich der Sozialismus, der Liberalismus etc.. Der Rassismus – oder die Rassisten – das sind die anderen. Er ist ein Sammelbecken von Schlechtigkeit, die einem Gegner zugeschrieben werden, der sich „gegen den stellt, der von Rassismus spricht[15].

Einerseits ist er als ein Ensemble von scheinbaren Wahrheiten zu sehen, die sich in der Rassentheorie ausdrückt. Andererseits ist er eine gesellschaftliche Zukunftsbestimmung, die sich in Politik und Moral niederschlägt. Rassismus verfährt also im Gespann zwischen Rationalismus (Rassentheorie) und Leidenschaft (Präskription der Zukunft). Der

Antirassismus hingegen bedient sich in seinem Kampf der Aufdeckung des Mythos, der Verbindung von Leidenschaft mit scheinbarer Wissenschaft, welche nur der Verschleierung und Rationalisierung der Ressentiments und des Hasses dient. Ob der Antirassismus regen Zuspruch findet, hängt indes davon ab, inwieweit er es schafft, seinen Gegner zu objektivieren und darzustellen. Diese Darstellung vollzieht der Antirassismus durch eine kompromisslose Kritik am Rassismus, die ihn selbst jeglicher Möglichkeiten einer Kritik entzieht. Diese Doppelung der Kompetenz-Kompetenz [16] bietet dem Antirassismus die Chance, sich selbst zu legitimieren, während der Rassismus delegitimiert werden kann:

„Die effektivste Möglichkeit, sich einer Kritik zu entziehen, liegt in der Monopolisierung der Funktion des Kritisierens.“ [17]

Die Wirkungsmacht des Antirassismus strahlt auch auf andere ideologische System aus, die ihrerseits versuchen, seine Konzepte zu integrieren, um einerseits nicht mit ihm konkurrieren zu müssen, andererseits von seiner Macht zu profitieren. Alle großen Ideologien „benutzen“ den Antirassismus, um ihre Gegner zu delegitimieren: Der Sozialismus wirft dem Nationalismus antiuniversalistischen und biologisierenden Rassismus vor. Ebenso beschuldigt er den Liberalismus „rassistisch“ zu sein, da er sozialdarwinistisch verfährt. Andererseits wirft der Liberalismus dem Sozialismus ein latent rassistisches Klassendenken vor, usw.

So wütet ein Kampf um die Kompetenz, sich des Antirassismuses zu bedienen, da es scheinbar keine stärkere ideologische Waffe zur Delegitimation der Gegner gibt, als ihn als

„rassistisch“ zu denunzieren. Der Antirassismus fördert Konflikte, obwohl er vorgibt, sie zu verhindern oder einzudämmen, so Taguieff.

2.3 Definitorisches - oder: Von der Notwendigkeit, das Andere zu (Ver-)Achten

Aus dem eben genannten können wir nun schließen, dass sich der Legitimationskonflikt um Wahrheiten grundsätzlicher Natur dreht. Verschiedene Positionen werden

gegeneinander in Stellung gebracht und es ergeben sich paradoxe Konfliktsituationen: Deutlich wird dies an den zwei bereits erwähnten und sehr unterschiedlichen Polen, welche die Differenz auf der einen Seite als zwingend betonen (Heterophilie), diese auf der Gegenseite vehement ablehnen (Heterophobie).

Der heterophobe Rassismus, der die Differenz scheut und sich durch die Zielsetzung einer Homogenisierung definiert, ist durch die Angst vor der Andersartigkeit gekennzeichnet. Diese Andersartigkeit muss zugunsten einer Homogenität aufgelöst werden. Entweder geschieht dies durch das Erreichen einer Ähnlichkeit der Gruppen, also durch Inklusion. Mechanismen hierzu können Dialog (und somit eine Konsensualisierung) oder Assimilation sein, die sich durch eine Anhropophagie des Dialogs oder Anthropophagie durch Einverleibung umschreiben lassen.

Oder aber die Differenz, die diese Form von Rassismus fürchtet, wird verabsolutiert: Durch Rassentrennung (-oder vernichtung) oder tolerierte Andersartigkeit, die dennoch mit Sorge betrachtet wird. Taguieff umschreibt diese Formen der Anwendung mit Anthropoemie durch Genozid oder Anthropoemie der Toleranz [18].

Fassen wir hier zusammen: Die gefürchtete Andersartigkeit der Heterophobie wird also letztlich durch zwei Konzepte erreicht, einerseits durch das Erreichen von Ähnlichkeit, andererseits durch die Negation des Anderen. Taguieff bricht diese Unterscheidung auf den philosophischen Unterschied zwischen Hegel'scher Dialektik und formaler Logik herunter, wonach im ersteren Fall eine Synthetisierung und somit ein neues – der „Dritte“ - möglich ist, während in der formalen Logik stets tertium non datur gilt. Der Rassismus der Exklusion ist formalistisch und trennend, der Rassismus der Inklusion hingegen verschmelzend[19].

Der heterophile Rassismus kennt nur die Differenz und ist derart gelagert, dass Unterschiede essentialisiert werden. Eigenschaften, die auch halluziniert sind, werden als unveränderlich klassifiziert, somit auf Personengruppen festgeschrieben. Hier werden nun Stereotype manifestiert, die in dem gipfeln, was wir Essentialismus [20] nennen.

Der Rassismus greift hierbei auf Konzepte der Zoologie und der Anthropologie zurück, die unabänderliche Wesenseinheiten benennen. Dieses Feststehende ist aber möglicherweise nicht nur Ausdruck eines rassistischen Essentialismus, sondern auch sein Abbild. Taguieff behauptet, dass dem Rassismus eine essentialistische Struktur

angedichtet wird und eben gerade diese Andichtung, das schafft, was als Essentialismus wahrgenommen wird. Der Rassismus ist wandelbar und verharrt eben nicht in essentialistischer Eigentlichkeit [21] oder um Colette Guillaumin hier zu bemühen, sind Rassen eben keine natürlichen Einheiten, aus denen dann verschiedenstes abzuleiten wäre, sondern vielmehr werden „Rassen“ erst durch den Rassismus ermöglicht und naturalisiert[22].

Eine kulturelle Prägung wird somit zu Gunsten der Einteilung von Menschen in Naturgruppen negiert. Individuen können demnach gruppenspezifisch verortet werden und entindividualisiert werden. Jeder Mensch ist in dieser Logik nur Abbild seines Kollektivs, also wird aus einem Menschen aus einer Menge von z.B. Juden, der allgemeine Jude.

Die Heterophilie ist also das Herausstellen des Unterschieds und gibt sich ergo anti- universalistisch. Wenn das Universelle hierbei zum Feinbild erklärt ist, wird schnell klar, dass der hieran andockende Antirassismus universalistisch sein muss und ihm daher unterstellt wird, einen Ethnozid zu vollziehen:

„Der universalistische Antirassismus ist somit der wahre Rassismus, der einzige Rassismus“ [23] .

Hier werden die Legitimationskonflikte um das Label „Rassismus“ wieder deutlich. Ein Ethnologe wie Irenäus Eibl-Eibesfeldt spricht hier deutlich aus, was wir eben beobachtet haben:

„Die Befriedung der Menschheit sollte nicht über die Leichen der Kulturen und Rassen herbeigeführt werden.“ [24]

Der Kulturalismus ist erneut klar sichtbar. Die Heterophobie als Konzept hingegen, das keine Unterschiede duldet, fordert somit einen Antirassismus heraus, der das Universelle bekämpfen muss und ein Lob der Differenz bekräftigt.

Wir können nun Taguieff folgernd festhalten, dass jeder Rassismus einen ihn spezifisch negierenden Antirassismus bedingt, welche sich sodann im Wechselspiel gegenseitig

beeinflussen und auch verstärken. Dass sich hierbei universeller und pluralistischer Antirassismus abwechselnd die Argumente verbauen, ist offenkundig.

Gehen wir von einem Rassismus aus, der keine Differenz duldet, also als heterophob zu bezeichnend ist, dann setzt hier der heterophile Antirassismus an. Die Quintessenz der antirassistischen Idee hierbei ist das Loben einer Differenz, der Unterscheidbarkeit von Völkern und somit ein Pluralismus der Kulturen.

Betrachten wir im Gegensatz dazu den heterophilen Rassismus, der den Unterschied preist und als kulturelle Eigentlichkeit verklärt, setzt hier der heterophobe Antirassismus an. Dieser ist geprägt vom Diskurs des Universalistischen, der jeder Form von Differenzierung eine Ungleichheit und somit Ungerechtigkeit zur Folge erklärt. Diese ist die klassisch-egalitäre Argumentation und somit der Gegenspieler zur ersteren.

Der gesamte antirassistische Diskurs muss somit aus einer Zusammenführung aus beiden Argumentationsweisen verstanden werden.

Ohne eine Differenzierung bräuchte es keine Forderung nach Gleichheit und vice versa, ohne eine Gleichsetzung (die „einebnet“) bedürfte es keinerlei Differenzierung. Das Resultat synthetisiert sich in Fanons Forderung nach einer „ Gleichheit in der Differenz[25]. Doch dieses Unterfangen scheint nicht so recht plausibel, da dieser Slogan – der sich ja Paradox offenbart – zwangsläufig dazu führt, dass etwas Unterschieden werden kann und muss, andererseits aber keinerlei Wertung oder Hierarchisierung erfolgen soll. Die Unerfüllbarkeit dieser Forderung ist das große Problem des Antirassismus als Ganzem und „führt unvermeidlich zum schlechten Gewissen des fatal unglücklichen Antirassisten“ [26].

2.4 Das Wort „Rassismus“ in Alltag und Wissenschaft

„Rassismus“ als Begriff ist uneindeutig nebulös und nur schwer bestimmbar. Wenn wir den Antirassismus verstehen, können wir daraus möglicherweise ableiten, was Rassismus in etwa bedeutet. Antirassismus setzt als gedankliches System ja voraus, was Rassismus ist, bzw. was er gerade nicht ist – von welchem Punkt aus er selbst unbelastet agieren kann und wie ein binäres Schema (gut / schlecht) aufrechterhalten werden kann. Der

Antirassismus muss deshalb hier hinterfragt werden um einen, von Polemik freien Kern herauszuschälen.

Antirassist ist also der, der Rassismus missbilligt, ihn ablehnt oder sogar bekämpft. Das Bild das hierbei vom Rassismus gezeichnet wird, ist das des Anderen, der zum Gegner erklärt wird, der selbst entweder Opfer seiner Unwissenheit, einer Illusion, eines wahnhaften Geistes ist, oder aber willentlicher Vollstrecker einer perfiden Ideologie. Diese Bilder, die den Diskurs prägen unterliegen einer symbolischen Ordnung [27], die sich gegenseitig verstärkend ein symbolisches und damit auch politisches Feld [28] abstecken, welches ja letztlich der Kern dieser Arbeit hier sein soll (und ist).

Denn „wenn Diskurse weder aus dem Boden wachsen noch vom Himmel fallen, sondern als Ergebnisse gesellschaftlichen Mit- und Gegeneinanders ernst genommen werden, dann sind sie unweigerlich mit Fragen der Politik verknüpft“ [29] .

Unwirksam ist der Kampf gegen den Rassismus so lange, wie er sich mit Mythen umgibt und den erklärten Feind auf ein fiktives Bild reduzieren, welches aufzeigt, was der Rassismus für den Antirassismus gerne sein soll, aber nicht was er ist. Die rassistische Manier, die hier dem Antirassismus vorgeworfen werden muss, ist eben sein Unvermögen zu erkennen, selbst in Mustern zu verfahren, die er seinem Gegenspieler ja zur Last legt. Deutlich aufzeigen lässt sich dieses an der Semantik, mit der dem Rassismus begegnet wird, obwohl man ihm diese als Anklagepunkt vorwirft und mit welcher auch stets versucht wird, diesen zu erkennen. Worte, die in pathologischer, zoologischer oder unreiner Metaphorik verfahren, sind Ausdruck der Inkonsistenz. Wenn ein Rassist als „Nazi- Schwein“ oder „dreckiger Rassist“ bezeichnet wird, spricht dies Bände. Eine Rhetorik, die animalisiert oder kriminalisiert, ist somit die Doublette, die der wechselseitigen Etikettierung anhaftet. Stereotypen sind gegenseitig austauschbar und eine Mythologisierung des Gegners führt zur Umkehrung der „Argumente“ oder Vorwürfe:

„Der antirassistische Diskurs funktioniert gerade unter der Bedingung der

Verkennung der Paradoxa, die mit der mimetischen Rivalität von Rassismus und Antirassismus verbunden sind.“ [30]

Das sauber gezeichnete Bild des Rassisten, der in derartigen Grenzen fiktiv bleiben muss, kann nur widerlegt und auf neue Grundlagen gestellt werden, wenn Vorurteile im eigenen Lager erkannt und bekämpft werden. Eine schonungslose Selbstanalyse muss durchgeführt werden,

„die das mythische Element in 'unserem' Diskurs aufdeckt, den 'wir', die wie die 'Anderen' des Rassismus, seine fehlerlosen Feinde sein wollen, nicht ohne eine gewisse Arroganz und Naivität führen“ [31] .

Die Dekonstruktion eigener Bilder, Mythen und Formeln scheint notwendig, um eine Selbstanalyse durchzuführen, bevor versucht werden soll, den Anderen, also den Rassismus zu analysieren. Eine Selbstanalyse wiederum, kann mit dem Umreißen des Begriffs selbst einsetzen.

„Rassismus“ scheint sich – ähnlich dem Präfix „Anti“ - als Differenz gegen Kollektive zu richten. Eine Feindseligkeit steht hier im Mittelpunkt, die sich gegen Andere, wie z.B. Juden, Araber, etc. stellt. Diese Verwendung, die durch „ negative Erinnerung (nämlich an den Nazismus)[32] bekräftigt wird, dient der Delegitimierung der jeweils dieser Verwendung beschuldigten und präsentiert gleichzeitig die Opfer, welchen quasi durch das Anprangern der „Täter“, als „Opfer“ generelle Unschuld zugeschrieben wird. Diese Opfer werden allerdings als quasi-Rasse halluziniert, indem ein „Rassismus gegen XY“ angeprangert und der Einteilung in Rassen zugearbeitet wird. Eine Wahrnehmung von Anderen als Gruppen ist somit Vorläufer dessen, was angeprangert, aber gleichzeitig dadurch begünstigt wird:

„Indem man dem Objekt der Erkenntnis einen Namen gibt, beruft man es dazu, dies zu sein, d.h. man appelliert an das wissenschaftliche Interesse. (…). Doch die Schematisierung ist (…) dazu verurteilt, durch polemische Zielsetzungen (…) kontaminiert zu werden.“ [33]

Die Delegitimation des Rassismus trägt so selbst ungewollt zur „Rassisierung“ bei, da durch eine Legitimierung der polemischen Kritik am Rassismus, einer Differenzierung Tür und Tor geöffnet wird: Wenn „Rassisten“ oder deren „Opfer“ als Gruppe vorgestellt werden, ist es argumentativ schwierig, gegen einen Gruppismus [34] vorzugehen.

Andererseits wird der Begriff „Rassismus“ auch seiner vormaligen Semantik enthoben, da er so umfassend gebraucht wird, dass er beliebig mit Inhalten gefüllt werden kann. Er passt in scheinbar jede Konfliktsituation als Waffe, die zur Delegitimation des Anderen eingesetzt wird, der

„anders, untergeordnet / minderwertig ist oder die Spezifizität der Gruppe oder selbst den Egoismus des Einzelnen bedroht“ [35] .

Das Wort verkommt zur Unbestimmtheit und die Verwendung als Waffe hemmt den konzeptionellen Wert. Der Begriff wird dem Gegner, also dem Rassisten, zugeschrieben, dessen Einstellungen in den drei Kategorien des biosozialen Rassismus, des sozioprofessionellen Rassismus und den religiösen Rassismus lokalisiert werden. Rassismus wird also durch eine Exklusion beschrieben, die er auf spezifische Gruppen (soziale Kategorien) anwendet und andererseits sind es diese sozialen Kategorien, die durch eine Markierung [36] visualisiert werden und somit rassenbildend wirken.

Taguieff formuliert hier eine erste Definition, welche eben genannte Annahmen zusammenfasst:

„Es gibt immer dann Rassismus oder Rassisierung, wenn es in der konfliktiven Interaktion verschiedener sozialer Kategorien Modi der Exklusion und biologische (oder 'naturalistische') Marker gibt, die auf eine Kategorie (oder das, was als konstituierte Kategorie gilt) angewandt werden.“ [37]

Eine derart funktionale Begriffsbestimmung lässt uns vermuten, dass die Exklusionsmodi in den Kategorien Alterisierung, Biologisierung und Unterdrückung – wie meist angenommen – verfahren. Eine derartige Gleichsetzung dieser drei Kategorien, führt dazu, sie (die Objektivierten) in jedem Fall generalisiert als Opfer dargestellt werden. Egal

ob Klasse, Rasse, Geschlecht, religiöse Minderheiten o.ä., alle gelten als Benachteiligte. Somit wird eine Dichotomie zwischen Tätern und Opfern geschaffen, die der Komplexität nur wenig gerecht wird und ideologisiert ihre Wirkung entfaltet. Daraus folgt, dass die als Rasse Imaginierten per se unschuldig sein müssen und somit legitimiert werden kann, was aus gutem Grund mit Selbstverteidigung und Rechtsschutz beginnt, aber mit einer Idealisierung der Rassisierten endet. Ähnliche Muster finden wir bei anderen großen Ideologien wie dem Totalitarismus (oder: Kommunismus) und dem Terrorismus. Das absolut Böse im Anderen schafft das Gute im Selbst:

„Die obskuren Systeme heute leisten, was dem Menschen im Mittelalter der Teufelsmythos der offiziellen Religion ermöglichte: die willkürliche Besetzung der Außenwelt mit Sinn(...).“ [38]

Um den Begriff des Rassismus weitergehend zu analysieren, wird er nun in drei Ebenen beschrieben, mit denen wir das Abstraktum genauer umreißen können.

Der Primärrassismus und sein Gegenspieler, der ethische Antirassismus, können mit dem grundlegenden Misstrauen gegenüber anderen und den daraus resultierenden Reaktionen wie Flucht oder Aggression, sowie die Kritik daran, umschrieben werden. Als psychosoziales Phänomen äußert sich dieser erste Rassismus in spontanen Reaktionen. Es wird auf eine stete Natürlichkeit verwiesen, auf eine Art Instinkt, der sich gegenüber Fremden – also Nicht-Mitgliedern des eigenen Stammes – Bahn bricht. Die Legitimation dieses Phänomens funktioniert meist über biosoziale Argumente, in (wie wir noch sehen werden) falsch verstandener Rezeption der Theorie Darwins. Gegenseitige Hilfe innerhalb der eigenen Gruppe einerseits und Vermeidung oder Gewalt gegenüber Fremden andererseits. Dieser Primärrassismus wird somit als universell und anthropologisch verankert dargestellt. Verhaltensweisen, die eine Ablehnung des Anderen beinhalten, werden als genetische Disposition verklärt. Dies hat zur Folge, das der Antirassismus, auf zweierlei Ebenen der Gegenargumentation verfahren kann: Entweder verfällt der Antirassismus in einen Pessimismus, der sich im Glauben an ein Schicksal, an die biologische Grundlage des Rassismus äußert. Alle Menschen sind demnach Naturwesen und ewigen Gesetzen unterworfen, die uns alle zu latenten Rassisten machen. Gegen diese Grundstruktur muss folglich angekämpft und der Rassismus schließlich bezwungen werden.

[...]


[1] Marcuse, Herbert: Triebstruktur und Gesellschaft. Frankfurt a.M 1971, Einband.

[2] „Rassismus“ / „Antirassismus“ bei www.google.de (aufgerufen am 11.12.2012)

[3] Datenbanksuche der Universitätsbibliothek Leipzig, Stichwort „Rassismus“, auf https://katalog.ub.uni- leipzig.de/vufind/Search/Advanced (aufgerufen am 3.11.2012)

[4] Hund, Wulf D.: Rassismus. Bielefeld 2007, S. 8

[5] Kant, Immanuel: Zum ewigen Frieden und andere Schriften. Frankfurt a.M. 2008, S. 5 ff.

[6] Foucault, Michel: Die Anormalen. Frankfurt a.M. 2007, S. 258

[7] Gellner, Ernest: Nations et nationalisme. Paris 1989, S. 13

[8] Barthes, Roland: Mythen des Alltags. Frankfurt a.M. 1964, S. 7

[9] Tagueiff, Pierre-André: Die Macht des Vorurteils. Der Rassismus und sein Double. Hamburg 2000, S. 17

[10] Fuchs-Heinritz, Werner: Kulturalismus . In: Werner Fuchs-Heinritz u.a. (Hrsg.): Lexikon zur Soziologie.Opladen 1994, S. 381

[11] Hund, Wulf D.: Rassismus. Bielefeld 2007, S. 7

[12] Taguieff, Pierre-André: Die Macht des Vorurteils. Der Rassismus und sein Double. Hamburg 2000, S. 22

[13] Ebd.: S. 23

[14] Ebd.: S. 25

[15] Ebd.: S. 29

[16] Tilich, Horst / Arnold, Frank (Hg.): Deutsches Rechts-Lexikon. Bd. 2. München 2001, S. 2546 f .

[17] Taguieff, Pierre-André: Die Macht des Vorurteils. Der Rassismus und sein Double. Hamburg 2000, S. 32

[18] Taguieff, Pierre-André: Die Macht des Vorurteils. Der Rassismus und sein Double. Hamburg 2000, S. 38

[19] Ebd.: S. 39

[20] Hägler, Rudolf-Peter: Kritik des neuen Essentialismus. Paderborn 1994, S. 10

[21] Der Begriff wird hier absichtlich von Heideggers Existentialontologie entlehnt, um darauf hinzuweisen, wie absurd eine statische Perzeption von Gegebenheiten ist.

[22] Guillaumin, Colette: Sexism, Racism, Power and Ideology. Oxford 1995, S. 131 ff.

[23] Taguieff, Pierre-André: Die Macht des Vorurteils. Der Rassismus und sein Double. Hamburg 2000, S. 45

[24] Eibl-Eibesfeldt, Irenäus: Menschenforschung auf neuen Wegen. Wien 1976, S. 273

[25] Vgl.: Wolter, Udo: Das obskure Subjekt der Begierde. Frantz Fanon und die Fallstricke des Subjekts der Befreiung.München 2001

[26] Taguieff, Pierre-André: Die Macht des Vorurteils. Der Rassismus und sein Double. Hamburg 2000, S. 49

[27] Symbolische Ordnung ist hierbei als die Ordnung der Sprache und des Diskurses (der Macht) zu verstehen.Vgl.: Bourdieu, Pierre: Die verborgenen Mechanismen der Macht enthüllen. In: Die verborgenen Mechanismen der Macht. Hamburg 1992, S. 81-86

[28] Bourdieu, Pierre: Das politische Feld. Zur Kritik der politischen Vernunft. Konstanz 2001, S. 41

[29] Schindler, Delia: Rezension zu: Brigitte Kerchner & Silke Schneider (Hrsg.): Foucault: Diskursanalyse der Politik. Eine Einführung. Forum Qualitative Sozialforschung / 8(2), Art. 16, 2007 auf: http://nbnresolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs0702161 (am 21. Juli 2011)

[30] Taguieff, Pierre-André: Die Macht des Vorurteils. Der Rassismus und sein Double. Hamburg 2000, S. 53

[31] Ebd.: S. 54

[32] Ebd.: S. 55

[33] Ebd.: S. 56

[34] Brubaker, Rogers: Ethnizität ohne Gruppen. Hamburg 2007, S. 27 ff.

[35] Taguieff, Pierre-André: Die Macht des Vorurteils. Der Rassismus und sein Double. Hamburg 2000, S. 58

[36] Guillaumin, Colette: Racism, Sexism, Power and Ideology. Oxford 1995, S. 131 ff.

[37] Taguieff, Pierre-André: Die Macht des Vorurteils. Der Rassismus und sein Double. Hamburg 2000, S. 61

[38] Horkheimer, Max / Adorno, Theodor W.: Dialektik der Aufklärung, zit. nach: Adorno, Theodor W.: Gesammelte Schriften 3, Frankfurt a. M. 1981, S. 221 ff.

Ende der Leseprobe aus 79 Seiten

Details

Titel
Die Macht des Vorurteils revisited. Die Doublette des Rassismus
Hochschule
Universität Leipzig  (Institut für Politikwissenschaft)
Note
1,1
Autor
Jahr
2013
Seiten
79
Katalognummer
V215336
ISBN (eBook)
9783656440703
ISBN (Buch)
9783656442189
Dateigröße
891 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Eine beachtenswerte Konsequenz kluger Analyse, mit weitreichenden politischen Folgen.
Schlagworte
macht, vorurteils, doublette, rassismus
Arbeit zitieren
Patrick White (Autor:in), 2013, Die Macht des Vorurteils revisited. Die Doublette des Rassismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/215336

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