Das Leib-Seele-Problem im Kontext von Karl Poppers Kosmologie


Bachelorarbeit, 2013

38 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Das Leib-Seele-Problem

3 Der Physikalismus

4 Der Interaktionalistische Pluralismus

5 Die Kosmologie

6 Die Welten 2 und

7 Die Darwinistische Theorie

8 Der Darwinismus-Streit

9 Poppers Interpretation der Darwinistischen Theorie

10 Die Plastische Steuerung

11 Die Darwinistische Theorie und die emergente Evolution

12 Das Bewusstsein und die emergente Evolution

13 Die Sprache und die emergente Evolution

14 Die Wechselwirkung zwischen Ich und Welt

15 Resümee

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Der Mensch hat sich aus einem affenähnlichen Lebewesen zu einem greifenden und begreifen­den Wesen entwickelt, das aktiv seine Umwelt gestaltet. Als Instrument der aktiven Gestaltung dienen ihm seine Schaffenskraft und seine mentalen Fähigkeiten. Durch diese ist die Kultur zu seiner zweiten Natur geworden.[1] Der Mensch ver­sucht nicht nur sich im Hier und Jetzt zu verstehen oder seine Zukunft zu begreifen, sondern auch sein eigenes Wesen zu ergründen. Daher besinnt er sich immer wieder auf sich selbst und versucht seine Position mit der Fähigkeit der Selbstreflexion zu erfassen. Somit ist es auch nicht verwunderlich, dass er die Natur seines Geistes zu verstehen versucht. Eine Untersu­chung der mentalen Seite des menschlichen Lebens führt zwangsläufig zu einer Reihe von komplexen Fragen, die Gegen­stand der Philosophie des Geistes sind. Sie ist eine Diszip­lin innerhalb der Philosophie, wel­che sich mit der Beschaffenheit des geistigen Vermögens des Menschen beschäftigt. Im Vordergrund stehen epistemologische und ontologische Fragen in Bezug auf den Menschen. Zentral für diese Fragen ist das sogenannte Leib-Seele-Problem. Einer der Philosophen, der sich mit diesen Fragen auseinander gesetzt hat, ist Karl Raimund Popper. Er kann mit Recht als einer der größten Denker unserer Zeit bezeichnet werden. Große Bekanntheit hat er durch das Konzept des Falsifikationismus auf dem Gebiet der Wissenschaftstheorie, als auch durch seine Theorie der Offenen Gesellschaft auf dem Gebiet der Sozialphilosophie erlangt. Seine Konzeption der kritischen Rationalität ist noch heute von großer Bedeutung. Weniger Be­kanntheitsgrad hat er auf dem Gebiet der Philosophie des Geistes erlangt. Hier kritisiert man ihn für seine Ausführungen, die keine Lösung des sogenannten Leib-Seele-Problems darstel­len würden. Diese Kritik hat je nach Autor mal mehr, mal weniger Gewicht. Ihnen kann erwi­dert werden, dass Popper niemals behauptet hat, er könne das Leib-Seele-Problem lösen. Viel­mehr sieht er seinen Beitrag darin, dass Problem neu zu stellen, indem er die Existenz dreier teilweise autonomer, aber dennoch in Wechselwir­kung stehender Welten postuliert.[2]

Das Ziel dieser Arbeit ist es, Poppers Beitrag zum Leib-Seele-Problem vorzustellen. Dies ist aus folgendem Grund erforderlich. Poppers Beitrag verteilt sich auf mehrere Werke. Ein umfassendes Werk, das seine Gesamtkonzeption widerspiegelt, gibt es nicht. Daher sind die Rezeptionen oft zu kurz gegriffen und beziehen sich meist nur auf die Drei-Welten-Theorie, aber blenden den übergeordneten Zusammenhang aus, der zwischen der Kosmologie, der emergenten Evolution und der Drei-Welten-Theorie besteht. Dieser große Zusammenhang wird nicht oder nur sehr wenig thematisiert. Hierdurch wird ersichtlich, warum Kritik und Re­zeption oft zu kurzen gefasst sind, denn gerade diese Verbindung zwischen Drei-Welten-Theorie, Kosmologie und emergenter Evolution macht die Plausibilität von Poppers Beitrag zum Leib-Seele-Problem aus und soll in dieser Arbeit daher vorgestellt werden.

Karl Popper ging davon aus, dass eine evolutionäre Betrachtungsweise bei biologischen Problemen als äußert wichtig zu erachten ist. Dies ist von Bedeutung, da sich im Zentrum der Frage um das Leib-Seele-Problem die Frage nach der Funktion des Geistes befindet, sofern er existiert. Ist der Geist ein hoch entwickeltes Organ oder ist er nur ein Nebenprodukt neurona­ler Funktionen? Beides sind Fragen nach biologischer und evolutionärer Funktion des Geis­tes.[3] Um Poppers Theorie genauer zu verstehen wird zu Beginn der Arbeit im Folgenden das Leib-Seele-Problem als Basis für die nachfolgenden Kapitel kurz vorgestellt.

2 Das Leib-Seele-Problem

Das Leib-Seele-Problem ergibt sich aus folgendem Aspekt: die erfahrbare Umwelt des Men­schen besteht aus unbelebter und belebter Materie. Unter dem Begriff der unbelebten Materie können beispielsweise Gegenstände wie Maschinen, Mineralien oder andere physische Kör­per gefasst werden, die kein aktives Austauschverhältnis mit ihrer Umwelt haben. Diesen Körpern stehen Pflanzen, Tiere und Menschen gegenüber. Lebewesen unterscheiden sich von unbelebten Körpern, indem sie ein aktives Austauschverhältnis mit der Umwelt haben und ein artspezifisches Verhalten aufweisen. Beispielsweise wachsen Pflanzen, da sie das Sonnenlicht zur lebensnotwendigen Photosynthese brauchen, immer zum Licht hin. Alle Lebewesen sind mit der Fortpflanzung sowie mit dem Erhalt des Körpers durch Nahrung bzw. Nährstoffe be­schäftigt und haben hierfür arttypische Verhaltensweisen entwickelt. Unter allen Lebewesen nimmt der Mensch eine Sonderstellung ein.[4] Er verhält sich nicht nur zu seiner Umwelt, son­dern der philosophischen Anthropologie zufolge, handelt er vielmehr. Er hat Kultur und „(…) er erlebt sein Erleben.“[5] Dieses Erle­ben ist kennzeichnend für den Menschen und kann als das mentale Leben des Menschen zusammengefasst werden. Der Mensch hat also ein menta­les Leben, das durch komplexe geis­tige Prozesse ermöglicht wird. Hieraus ergibt sich die Frage „(...), wie sich die Bereiche des Physischen, des Biologischen und des Mentalen zueinander verhalten.“[6] An dieser Stelle setzt das Leib-Seele-Problem an, in dessen Zentrum eine Reihe von Fra­gen stehen, wie beispielsweise die Folgende. Gibt es eine Wechselwirkung zwischen der mentalen und physischen Seite des Menschen? Für eine Wechselwirkung spricht unsere Intui­tion, denn wer würde abstreiten, dass er nicht „Herr im eigenem Haus“ wäre? Wir sind abso­lut davon überzeugt, dass unsere Handlungen und unsere Absichten auf uns selbst beruhen. Unser geistiges Vermögen ist für unsere Handlungen verantwortlich oder wenn man so will unser Ich. Dagegen sprechen die fortschreitenden wissenschaftlichen Erkenntnisse aus dem Bereich der Neurowissenschaften, welche die Phänomene der Natur durch physikalische Gesetzmäßigkeiten erklären können. Dementsprechend wären die mentalen Eigenschaften des Menschen auf physische Vorgänge zurückführbar. Aber lassen sich mentale Lebensäußerun­gen hierunter subsumieren? Sind menschliche Gefühle, Überlegungen und Entscheidungen durch Gehirnvorgänge physikalisch verursacht oder ist das Mentale ontologisch eigenstän­dig?[7] Eine ontologische Eigenständigkeit würde beinhalten, dass wir eine Seele oder einen Geist haben, der grundsätzlich verschieden ist, von dem Physischen und von diesem nicht de­terminiert wird, sowie im metaphysischen Sinne eine eigenständige Exis­tenz darstellt, die unabhängig vom Physischen ist. Aber wie sollte diese beschaffen sein? Die Fachliteratur zum Leib-Seele-Problem lässt sich Formal in zwei Extrempole unterteilen. Diese sind auf der einen Seite der interaktionalistische Dualismus und auf der anderen Seite der Physikalismus, der auch als Materialismus bezeichnet wird. Diesbezüglich muss aber be­tont werden, dass dies eine sehr grobe Aufteilung ist, denn die Philosophie des Geistes hat eine große Anzahl von Theorien und Konzepten hervorgebracht. Daher ist es nicht verwunderlich, dass unter diesen Begriffen verschiedene Theorien zu finden sind, die mal mehr, mal weniger einem strikten interaktionalistischen Dualismus oder einem Physikalismus zugeordnet werden kön­nen. Der interaktionalistische Dualismus betont eine ontologische Eigenständigkeit des Mentalen gegenüber dem Physischen und geht daher davon aus, dass es sowohl physische, als auch mentale Ereignisse gibt. Diese beiden menschlichen Lebensäußerungen sind unabhängig voneinander, können sich aber kausal beeinflussen, d.h. in Wechselwirkung miteinander treten.[8] Wie bereits erwähnt, ist jene Dualität intuitiv nachvollziehbar. Zwar erfährt der Mensch sich selbst als Körper, der von anderen physischen Objekten umgeben und durch seine Physis begrenzt ist, aber andererseits nimmt er sich selbst wahr, „(...) als Zentrum eines Stroms von Erlebnissen, Gefühlen, Wün­schen und Vorstellung.“[9] Diametral steht dieser Posi­tion der Physikalismus oder Materialismus gegenüber. Auf ihn wird im Folgenden näher eingegangen, da er die Gegenposition zu Karl Poppers Perspektive darstellt.

3 Der Physikalismus

Anhänger des Physikalismus oder Materialismus vertreten die Auffassung, dass das, was der Mensch als mentales Leben bezeichnet, physischer Natur ist. D.h. der Mensch ist determiniert durch die physischen Ereignisse, die in ihm ablaufen und unterliegt physischen Gesetzen. Daher ist das Mentale aus dieser Sicht auf keinen Fall ontologisch eigenständig. Eine Wechselwirkung zwischen dem Mentalen und dem Physischen wird so generell ausgeschlos­sen, wobei hiermit im Einzelnen unterschiedlich verfahren wird. Beispielsweise sehen einige Physikalisten das Mentale als ein Epiphänomen, d.h. als ein Nebenprodukt physikalischer Prozesse innerhalb des Körpers, während wieder andere die eigenständige Existenz des Mentalen prinzipiell abstreiten und diese als etwas Physikalisches identifizieren. Aus dieser Perspektive unterliegt der Mensch einer Täuschung, wenn er an die Eigenständigkeit des Mentalen glaubt. Die physikalistischen oder materialsistischen Positionen lehnen eine vom Mentalen ausgehende Verursachung ab. Somit wäre ein Entschluss oder Wunsch, nicht als mentales Leben zu bezeichnen, sondern sie wären lediglich ein Produkt physikalischer Ereig­nisse. Grundlegend für diese Sichtweise ist die naturwissenschaftliche Perspektive, die wie bereits erwähnt, davon ausgeht, dass sich mit Hilfe der Naturwissenschaften die Geheimnisse der Welt restlos erklären lassen. Dies ist eine Auffassung, die von einer kausalen Geschlossen­heit der Welt ausgeht. Popper bezeichnet diese Auffassung als kennzeichnendes Prinzip des Physikalismus bzw. Materialismus und definiert es als ein physikalistisches Prinzip oder eine physikalische Theorie.[10] Dies ist eine naturwissenschaftliche Perspektive, die auf der Wissen­schaft der Naturgesetze, der Physik beruht. Es ist prinzipiell nicht abwegig, die Physik in diese Diskussion um das Verhältnis von Leib und Seele einzubringen - vor allem aus heutiger Sicht, denn wir wissen, dass innerhalb des Körpers physikalische Gesetze von statten gehen, die das Leben erst ermöglichen. Desweiteren sind Wechselwirkungen auf dem Gebiet der Physik erforscht und somit ist die Beeinflussung von physikalischen Körpern keine Zauberei, sondern wissenschaftlich erforscht und fundiert. Somit können alle Wechselwirkungen, wie z.B. von physischen Gegenständen in der Natur, detailliert dargestellt werden. D.h. mit Hilfe der physikalischen Gesetze lässt sich der modus operandi genau beschreiben: Wechselwirkun­gen können kleinteilig zerlegt und somit die spezifischen Ereignisse offengelegt werden, die zusammengenommen die vollständige Ursache einer Naturerscheinung sind. Die Grundan­nahme ist, dass sich jedes physikalische Ereignis durch die Angabe einer physikalischen Ursa­che erklären lässt. Hierin liegt die Argumentation des Physikalismus begründet, dass die physikalische Welt in sich geschlossen ist. Diesbezüglich spricht man auch von der kausalen Geschlossenheit des physikalischen Bereichs. Eine Intervention von außen in diesen physikalischen Bereich ist dieser Annahme entsprechend nicht möglich. Nur physikalische Kausalgesetze können in der physikalischen Welt wirken. Bezieht man diese Perspektive auf das Leib-Seele-Problem würde das, was der Mensch als Ich, Geist oder Seele bezeichnet, nur etwas physikalisch Begründetes sein, denn sonst wäre eine Wechselwirkung zwischen dem Geist, bzw. der Seele und dem eigenen Körper, bzw. dem Leib nicht möglich.[11] Die ontologi­sche Frage nach der menschlichen Existenz, die das Leib-Seele-Problem stellt, wäre dement­sprechend dadurch beantwortet, dass letztendlich auch das menschliche Seien vollständig durch das Physikalische bestimmt wird. Diese kausale Geschlossenheit stellt für Popper ein Unding dar. Er bezeichnet sie als Alptraum, weil die physikalische Welt als komplett abge­schlossen betrachtet wird und somit eine Einwirkung von außen undenkbar ist.[12] Popper be­tont treffend:

„Alles, was in einer solchen Welt geschieht, ist physikalisch vorherbestimmt, auch alle unsere Bewegungen und damit alle unsere Handlungen.“[13]

Damit hätten Gedanken, die das Produkt unseres Geistes sind, aber auch Gefühle und Anstrengungen keinen Einfluss darauf, was in unserer physikalischen Welt passiert. Der Mensch wäre somit Sklave der Naturgesetze, die um ihn und in ihm wirken.

Anhand der Ausführungen wird deutlich, dass der Dreh- und Angelpunkt zur Beantwortung des Leib-Seele-Problems, die Frage der Geschlossenheit der physikalischen Welt ist. In die­sem Licht ist auch Poppers Beitrag zur Philosophie des Geistes zu betrachten, wie die folgen­den Ausführungen zeigen werden.

4 Der Interaktionalistische Pluralismus

Um die kausale Geschlossenheit der physikalischen Welt und damit den von Popper beschriebenen Alptraum zu durchbrechen, vertritt er die Position, dass eine Wechselwirkung zwischen den Sphären der menschlichen Existenz besteht. Aber anders als es typisch für den interaktionalistischen Dualismus ist, welcher die Wechselwirkung zwischen der physischen und der mentalen Seite der menschlichen Existenz postuliert, geht Popper nicht alleine von einer Unterteilung der erfahrbaren Welt des Menschen in einem physischen und mentalen Be­reich aus. Er erweitert dieses Konzept, indem er zwischen drei Welten differenziert, wobei er betont, dass dies nur eine grobe Unterteilung ist und eine weitere Differenzierung durchaus denkbar sei.[14] Insofern könnte man Popper als einen interaktionalistischen Pluralisten bezeichnen.

Charakteristisch für seine Ausführungen ist das Bemühen um den Einbezug von wissenschaftlicher Erkenntnis. D.h. Popper versucht mit seiner Argumentation nicht bekannte wissenschaftliche Erkenntnisse weg zu erklären, um eine Wechselwirkung plausibler zu machen, sondern er bezieht diese ein, wodurch sie in einem neuen Licht betrachtet werden können. Popper geht davon aus, dass die physischen und chemischen Gesetze für alle Lebewesen bindend sind. In diesem Punkt stimmt er mit den Physikalisten und Materialisten überein. Aber die gängige Schlussfolgerung, dass ein Prinzip der Geschlossenheit der physi­schen Welt existiert, hat für ihn keine Gültigkeit. Lebewesen sind materielle Körper und zu­gleich auch Prozesse, die sich unter den materiellen Körpern hervorheben, da sie für Popper offene Systeme darstellen. Ein offenes System kann mit seiner Umwelt in Austausch treten.[15] Diese materiellen Körper gehören der physischen Welt an, die Popper als Welt 1 bezeichnet.[16] Diese Systeme treten mit ihrer Umwelt über Prozesse und Kraftfelder in Wechselwirkung. So­mit stehen materielle Kör­per, zu denen auch diese Systeme gehören, in Wechselwirkung. Die Wechselwirkung wird für Popper als Indikator für die Existenz von jenen materiellen Körpern herangezogen. Als anschauliches Beispiel aus der physikalischen Welt hierfür kann die Elektrizität genannt werden, die als solche nicht direkt von uns beobachtet werden kann, weil wir sie mit unseren Sinnen nicht direkt wahrnehmen können, ihre Existenz aber durch die Wechselwirkung mit ihr erkannt werden kann. Diese Argumentationsweise ähnelt prinzipiell sehr stark der von Physikalisten und Materialisten. Der entscheidende Unterschied ist der, dass Popper davon ausgeht, dass es neben den physischen Gegenständen und Zuständen noch psychische Zu­stände gibt und diese als solche wirklich sind, denn sie können mit dem Körper in Wechselwirkung treten.

In diesem Punkt unterscheidet sich seine Auffassung in Bezug auf Lebewesen von der Argu­mentationsweise der Theorien, die vom Prinzip der Geschlossenheit der physischen Welt ausgehen, denn diese vertreten die Ansicht, dass sofern es so etwas wie psychische Zustände gibt, diese keine Wirkung auf die physische Welt haben können, außer sie sind selbst physi­scher Natur. Die Basis hierfür ist, dass die Natur und alle in ihr verborgenen Geheimnisse restlos durch die Physik, d.h. durch physikalische Wechselwirkung, erklärt werden können. Gewissermaßen stellt sich hier die Frage, ob die Biologie restlos auf die Physik reduziert wer­den kann.[17] Diesbezüglich ist darauf zu verweisen, dass Karl Popper die Welt als offen ver­steht.[18] Grundlegend dafür ist die Auffassung, dass die dogmatische Ansicht von der Invarianz physikalischer Gesetze problematisch ist, da sie ursprünglich auf der materialistischen Vorstellung beruht, dass Mate­rie ewig sei und das Veränderung einzig und allein durch die Bewegung ihrer Teilchen erklärt werden kann. Popper bezieht damit eine Gegenposition zu den klassischen materialistischen und physikalistischen Theorien, die gewissermaßen den Ausspruch, es gibt nichts Neues unter der Sonne, als Wahrheit annehmen. D.h. die übliche materialistische und physische Ansicht besteht darin, dass sich im Laufe der Zeit und durch die Evolution alle Möglichkeiten verwirklicht haben, die von Anfang an potenziell da gewe­sen sind. Für Popper ist dies inso­fern falsch, da hieraus nicht geschlossen werden kann, dass die Zukunft im Prinzip vorherseh­bar wäre. Diese Ansicht spielt laut Popper in der Weltanschauung einiger Materialisten oder Physikalisten, trotz der Tatsache, dass diese seit Darwin überholt ist, immer noch eine Rolle. Daher ist diese Perspektive im Kern problema­tisch und widerspricht der Auffassung, dass wirklich Neuartiges durch die Evolution hervorgebracht wurde.[19] Die Einbeziehung der Evolutionstheorie innerhalb Poppers Argumentation, die sich um das Leib-Seele-Problem dreht, ist prinzipiell nicht verwunderlich, da das Leib-Seele-Problem nach der Existenz und der Beschaffenheit des Geistes fragt. Die Evolutionstheorie fragt nach dem evolutionären Vorteil bestimmter Organe. Begreift man den Geist als ein hoch entwickel­tes Organ, wie Popper dies macht, dann ist eine Einbindung in die Evolutionstheorie sinnvoll.[20] Sofern die Existenz des Geistes nicht bestritten wird, stellt sich somit die Frage, welchen evolutionären Vorteil dieser bringt. Bevor hierauf eingegangen wer­den kann, ist zuvor darauf zu verweisen, dass Popper eine nicht reduktionistische Position inner­halb der Wissenschaft und der Philosophie einnimmt. Diese Perspektive Poppers wird anhand seiner Theorie der emergenten Evolution deutlich, die als solche das Argument für ein kreatives Universum darstellt. Die Evolution hat somit Neuartiges hervorgebracht, wie im Folgenden beschrieben wird.

5 Die Kosmologie

Poppers Theorie der emergenten Evolution zufolge bringt die Evolution des Universums und besonders die des Lebens immer wieder Neuartiges hervor, wie z.B. den menschlichen Geist. Emergenz bedeutet, dass etwas völlig Neuartiges entstehen kann. Neuartig in dem Sinne, dass es zuvor nicht im Seienden vorhanden war und somit eine komplett neue Stufe darstellt.[21] Das Universum ist für Popper kreativ und hat niemals aufgehört kreativ zu sein. Dieser Vorstel­lung zufolge, wirkt ein fortwährender, emergenter, evolutionärer Prozess im Universum und im Leben. Besonders zeigt sich dies durch die Evolution empfindender Lebewesen, die bewusstes Erleben haben, d.h. Lebewesen, die bewusst erleben und die mit diesen Erlebnissen neues Erschaffen.[22]

[...]


[1] Vgl. Gehlen, Arnold: Ein Bild vom Menschen, in: Kühne-Bertram, Gudrun; Lessing, Hans-Ulrich; Steenblock, Volker: Mensch und Kultur. Klassische Texte der Kulturphilosophie. Hannover: Siebert, 2008, S. 210.

[2] Vgl. Popper, R. Karl: Alles Leben ist Problemlösen. Über Erkenntnis, Geschichte und Politik. 4. Aufl., München: Piper, 1995a, S. 110.

[3] Vgl. Popper, R. Karl: Ausgangspunkte. Meine intellektuelle Entwicklung. Hamburg: Hoffmann und Campe, 1979, S. 275.

[4] Vgl. Beckermann, Ansgar: Das Leib-Seele-Problem. Eine Einführung in die Philosophie des Geistes. Paderborn: Wilhelm Fink GmbH & Co, 2008, S. 7.

[5] Plessner, Helmuth: Die Stufen des Organischen und der Mensch. Einleitung in die philosophische Anthropologie. 3., unveränderte Aufl., Berlin: Walter de Gruyter, 1975, S. 292.

[6] Beckermann 2008, S. 7.

[7] Vgl. Beckermann 2008, S. 7.

[8] Vgl. ebd., S. 38.

[9] Brüntrup, Godehard: Das Leib-Seele-Problem. Eine Einführung, 3. Aufl. Stuttgart: Kohlhammer, 2008, S. 8.

[10] Vgl. Popper, R. Karl; Eccles, John C.: Das Ich und sein Gehirn. München: Piper, 1982, S. 78. - Vgl. auch: Popper, R. Karl: Objektive Erkenntnis. Ein Evolutionärer Entwurf, 2 Aufl., Hamburg: Hoffmann und Campe, 1974, S. 243.

[11] Vgl. Brüntrup 2008, S. 46ff.

[12] Vgl. Popper 1974, S. 242.

[13] Ebd., S. 242.

[14] Vgl. Popper 1995a, S. 96.

[15] Vgl. Popper, Eccles 1982, S. 61ff.

[16] Vgl. Popper 1995a, S. 94.

[17] Vgl. Popper, Eccles 1982, S. 61.

[18] Vgl. Popper 1974, S. 282.

[19] Vgl. Popper, Eccles 1982, S. 35.

[20] Vgl. Popper 1979, S. 275.

[21] Vgl. Falkenburg, Brigitte: Mythos Determinismus: Wieviel erklärt uns die Hirnforschung? Heidelberg: Springer, 2012, S. 315.

[22] Vgl. Popper, Eccles 1982, S. 34ff.

Ende der Leseprobe aus 38 Seiten

Details

Titel
Das Leib-Seele-Problem im Kontext von Karl Poppers Kosmologie
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum  (Institut für Philosophie )
Note
1,3
Autor
Jahr
2013
Seiten
38
Katalognummer
V215035
ISBN (eBook)
9783656431794
ISBN (Buch)
9783656438144
Dateigröße
570 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
leib-seele-problem, kontext, karl, poppers, kosmologie
Arbeit zitieren
Elias Buck (Autor:in), 2013, Das Leib-Seele-Problem im Kontext von Karl Poppers Kosmologie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/215035

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