Sparta und die griechische Kolonisation


Hausarbeit (Hauptseminar), 2013

43 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Die Große Griechische Kolonisation
II.1 Begriffsklärung und Überlieferungssituation
II.2 Anlässe zur Gründung einer griechischen Kolonie
II.3 Gründungsakt einer griechischen Kolonie
II.4 Das Orakel von Delphi
II.5 Die Rolle der Frauen
II.6 Beziehung zwischen griechischen Kolonisten und indigener Bevölkerung
II.7 Beziehung zwischen Metropolis und Apoikie

III. Kolonien Spartas
III.1 Taras
III.2 Die Kolonisationszüge des Dorieus
III.3 Herakleia Trachis

IV. Fazit

V. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

In der griechischen Geschichte gab es drei prägende Expansionsbewegungen.[1] Die erste war die Zeit der Wanderungen, in der sowohl die dorische Bewegung als auch die der Äoler und Ionier zu verorten sind (11. bis 9. Jahrhundert v. Chr.). Das Zeitalter der Großen Griechischen Kolonisation war die zweite Expansionswelle, die Mitte des 8. Jahrhunderts begann und in dessen Folge sich die Griechen an fast allen Küsten des Mittelmeers und des Schwarzen Meers niederließen und sie laut Platon letztendlich um das Mittelmeer saßen „wie Ameisen und Frösche um einen Sumpf“.[2] Die dritte Expansionsbewegung war die hellenische Kolonisation. Diese wurde mit den Eroberungen Alexander des Großen begonnen und von seinen Nachfolgern fortgeführt.

Diese Arbeit soll sich mit der zweiten Expansionsbewegung beschäftigen, die die Archaische Zeit entschieden prägte. Im Allgemeinen gilt die Schlacht bei Alalia um 540 v. Chr. als das Ende der Großen Griechischen Kolonisation, in deren Folge Karthager und Etrusker die Siedler aus Phokaia von Korsika vertrieben.[3] Die Hauptwelle der griechischen Kolonisation war damit zwar beendet, doch wurden auch noch in der Folgezeit Kolonien von Griechen gegründet, allerdings in leicht modifizierter Form. Mit der Ausbreitung der Griechen über die Küsten des Mittelmeers und des Schwarzen Meeres verbreitete sich auch die griechische Kultur (urbanes Leben, politische Institutionen, Ackerbau, Weinanbau etc.) in diesen Gebieten. Zuerst machten die Griechen sich Sizilien und Unteritalien zur Besiedelung zugänglich; hier siedelten sich Eretrier aus Chalkis und Korinther als erste an.[4] Neben diesen beiden Städten waren auch Megara, Milet und Eretria auf Euboia führende Mutterstädte.[5] Nach einiger Zeit hatten die ursprünglichen Kolonien bald so an Größe zugenommen, dass sie wiederum selbst Kolonisten entsenden konnten, um an anderer Stelle eigene Tochterstädte anzulegen.

Die berühmtesten Poleis des antiken Griechenlands, Athen und Sparta, hatten im Vergleich zu Städten wie Korinth kaum Anteil an der Großen Griechischen Kolonisation. Dennoch sind einige Gründungsgeschichten von ihren wenigen Kolonien überliefert, die durch archäologische Funde bestätigt werden. Darüber hinaus beriefen sich einige Städte des Mittelmeerraumes auf ihre athenische oder spartanische Herkunft, doch ist es meist zweifelhaft, ob diese Städte wirklich von den beiden antiken Großmächten gegründet wurden. Wahrscheinlicher ist es, dass sie sich diese Herkunft selbst andichteten, um ihrer Stadt mehr Prestige zu verleihen.

Für die vorliegende Arbeit sollen im Folgenden zwei Kolonien Spartas betrachtet werden, Taras, das heutige Tarent, und Herakleia Trachis am Golf von Malia. Neben diesen erfolgreich angelegten Siedlungen sollen ebenso die beiden fehlgeschlagenen Kolonisationszüge des Spartiaten Dorieus beleuchtet werden. Da Sparta keine griechische Kolonisationsmacht war, stellt sich die Frage, inwieweit diese Gründungen als „typisch griechische“ Kolonien angesehen werden können. Um diese Frage in dieser Arbeit zu beantworten, wird der Analyse der spartanischen Kolonien die Betrachtung der Großen Griechischen Kolonisation im Allgemeinen vorausgehen und somit im Vorfeld zu klären, was das „typisch Griechische“ an der Kolonisationsbewegung war bzw. ob es überhaupt einen gesamtgriechische Nenner im Anlegen von Kolonien gab.

II. Die Große Griechische Kolonisation

II.1 Begriffsklärung und Überlieferungssituation

Wenn man sich mit den Kolonien Spartas und denen anderer griechischer Poleis beschäftigt, muss im Vorfeld klar gemacht werden, was den Begriff „Kolonie“ ausmacht, wenn wir ihn für den Zeitraum der Großen Griechischen Kolonisation benutzen. Der Gebrauch dieses Terminus ist in vielerlei Hinsicht problematisch, da er falsche Assoziationen mit Ereignissen des Imperialismus im 19./20. Jahrhundert weckt.[6] Zur Zeit, die in dieser Arbeit behandelt wird, waren allerdings kaum Voraussetzungen gegeben, die die Macht der griechischen Mutterstädte erweitert hätten. Allein die Entfernungen zwischen den Kolonien und ihren Gründerstädten waren zu groß, um eine effektive Kontrolle gewährleisten zu können. Man sollte bemüht sein, den Begriff „Kolonie“ weitestgehend zu vermeiden, um nicht den „anachronistischen Vorstellungen von primär ökonomischen Motiven und Zielen der Auswanderung zu erliegen.“[7] Um diese falschen Assoziationen zu vermeiden, bietet sich der Begriff der „Apoikie“ an, den man hinlänglich mit „Kolonie“ übersetzt. Die wortwörtliche Übersetzung des griechischen apoikia lautet „fern von Zuhause und Haushalt“ und nicht – wie oft fälschlicherweise behauptet wird – „ein Zuhause fern von zu Hause“ und noch viel weniger „a community created by another community in its own image but on foreign soil“.[8] Somit bezeichnet im Kontext dieser Arbeit Apoikie bzw. Kolonie in erster Linie die territoriale Separierung einer Bevölkerungsgruppe einer Polis (oder mehrerer Poleis). Diese Bevölkerungsgruppe gründete dann außerhalb Griechenlands das, was in dieser Arbeit Kolonie bzw. Apoikie genannt wird.[9]

Zur Überlieferungssituation ist zu sagen, dass nur wenige zusammenhängende Darstellungen zur Großen Griechischen Kolonisation existieren; hauptsächlich sind es nur Berichte über einzelne Kolonisationszüge. Einzig Thukydides gibt zu Beginn seines 6. Buches über den Peloponnesischen Krieg einen kurzen Überblick zur Kolonisation Siziliens.[10] Er nutzt hierfür höchstwahrscheinlich die verschollene Lokalgeschichte seines Zeitgenossen Antiochos von Syrakus.[11] Eine weitere Ausnahme bildet die ausführlich bei Herodot beschriebene Besiedelung Kyrenes in Nordafrika durch die Griechen von der Insel Thera, dem heutigen Santorin.[12] Allerdings ist diese Schilderung nicht gegen kritische Einwände gefeit.[13] Allein die Zeitspanne von rund 200 Jahren zwischen der Gründung Kyrenes und deren Aufzeichnung durch Herodot lässt manche Zweifel an einer wahrheitsgetreuen Darstellung aufkommen. Generell ist die Quellenbasis zur Untersuchung der Kolonisation umso besser, je näher die Ereignisse den antiken Berichterstattern standen, und epigraphische, archäologische und numismatische Materialien bieten dazu wertvolle ergänzende Informationen.[14] Die Quellen zur Großen Griechischen Kolonisation stammen fast ausschließlich aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. (oder noch später),[15] wodurch das Problem entsteht, dass das griechische Selbstverständnis des 5. und 4. vorchristlichen Jahrhunderts die Darstellungen über die vorhergehende Epoche stark prägen und verzerren.[16] Hinzu kommt die Intention, mit der Darstellungen einzelner Kolonisationszüge verfasst wurden. Die Geschichte einer Kolonie sollte möglichst edel, ruhmvoll und „griechisch“ dargestellt werden, um mit der Tradition der Städte des Mutterlandes mithalten zu können.[17] Dies regte vor allem im Hellenismus die Phantasie der Autoren an, die unscheinbaren Gründungsgeschichten mit Erfindungen aufzubessern. Für die Autoren war dies insofern nicht problematisch, da „die griechische Geschichtsüberlieferung wie der griechische Mythos in weiten Bereichen flexibel war und immer wieder den neuen Gegebenheiten angepaßt werden konnte.“[18] Hierbei gerieten real mögliche Kolonisationsanlässe in den Hintergrund, wurden allerdings nicht völlig eliminiert. Für viele Kolonisationsgeschichten ist dieser Charakter typisch, der neben vorstellbaren Begebenheiten auch eine Stilisierung in Form von Orakeln und unfassbaren Fügungen aufweist.[19] Bei der griechischen Bevölkerung war das Interesse an Kolonisationsberichten und Gründungsgeschichten stark ausgeprägt, was unter anderem in Platons Hippias maior (285d) deutlich wird.[20] Mitunter war es den Autoren von Gründungsgeschichten auch zu wenig, nur über die Entstehung von Kolonien zu berichten. Neben vielen anderen Autoren der archaischen und klassischen Zeit brach zum Beispiel Herodot mit anderen Griechen zur Gründung von Thurii im Golf von Tarent auf (444/443 v. Chr.) und erlebte einen Kolonisationszug aus erster Hand.[21]

II.2 Anlässe zur Gründung einer griechischen Kolonie

Damit überhaupt etwas wie die Große Griechische Kolonisation entstehen konnte, mussten die einzelnen griechischen Mutterstädte Kenntnisse über die Küstengebiete des Mittelmeers besitzen. Hierbei kam den Griechen zugute, dass sie bereits in den Jahrhunderten vor den ersten griechischen Kolonisationszügen intensive Beziehungen mit ihrer Außenwelt pflegten.[22] Besonders durch die Kontakte mit phönikischen Händlern, die die Ägäis und das westliche Mittelmeer befuhren, erhielten Griechen wichtige Informationen über die Gebiete außerhalb ihrer Landesgrenzen.[23] Aber die Gründe, dieses „Ausland“ letztendlich mit griechischen Bevölkerungsgruppen zu besiedeln, waren so vielfältig wie die Auswanderer selbst.[24] Als Hauptgrund für eine griechische Kolonisation des Mittelmeerraums wird Überbevölkerung in der griechischen Heimat angegeben. Archäologische Untersuchung von Gräberfeldern – vorwiegend in Attika und Argolis – lassen für die Wende vom 9. zum 8. Jahrhundert v. Chr. eine Bevölkerungsexplosion konstatieren.[25] Laut diesen Untersuchungen soll sich in Attika die Bevölkerung innerhalb von zwei Generationen (ca. 780-720 v. Chr.) um das Siebenfache vergrößert haben; eine ähnliche Entwicklung schlussfolgerte man für Argolis.[26] Durch Binnenkolonisation machte sich allerdings in Attika und auch in Sparta kein Bevölkerungsdruck deutlich. In anderen Regionen Griechenlands nutzte man die Kolonisation als Ventil für den Bevölkerungsdruck und den daraus resultierenden Hunger[27] und die Landknappheit. Der griechische Rechtbrauch, der die gleichmäßige Erbteilung auf alle Söhne vorsah, verstärkte die Landnot umso mehr, was zur Folge hatte, dass bald Parzellen entstanden, die zu klein waren, um eine Familie zu versorgen.[28] In manchen Städten Griechenlands war die Bevölkerungszahl so hoch, dass sie innerhalb einer Generation mehrmals Siedler aussenden konnten.

Bei einer solchen Wechselwirkung von Ursache und Folge ist es nicht einfach zu bestimmen, ob die Kolonisationsbewegung eher eine Antwort auf ernstliche innere Probleme der Stadt war, auf Landhunger, Armut oder Mangel, oder ob sie mehr eine Reaktion war auf die sich außen anbietenden Möglichkeiten wie Wohlstand, Gleichheit und Freiheit von gesellschaftlichen Zwängen in den neuen Gründungen.[29]

Für den ersten Grund spricht vor allem die Tatsache, dass sich die griechischen Kolonien vorwiegend im Raum der mediterranen Vegetation befanden – vor allem dem des Ölbaums und des Weins –, den die Griechen auch schon in ihrer Heimat agrarisch zu nutzen wussten.[30]

Darüber hinaus musste eine Apoikie autark sein, um überleben zu können, was in erster Linie durch die Einnahme eines Gebiets mit ausreichend Ackerland garantiert wurde.[31] Einige Historiker stehen der These von Überbevölkerung als Anlass der griechischen Kolonisation skeptisch gegenüber. So wird argumentiert, dass die Überbevölkerung meistens nur eine relative gewesen sei, die durch die ungleiche Verteilung von Grundeigentum bedingt wurde.[32] Des Weiteren sei die Überbevölkerungsthese heutzutage nicht mehr aufrecht zu halten, da hierfür bzw. für eine Bevölkerungsexplosion in Griechenland die Beweise nicht stichhaltig genug seien. Vielmehr geht man davon aus, dass nicht Überbevölkerung sondern maritimer Unternehmungsgeist und ökonomische Interessen eine weitaus wichtigere Rolle spielten.[33]

Gewiss war das Handelsinteresse der Griechen auch einer der Gründe für deren zahlreiche Kolonien im Mittelmeerraum und im Gebiet des Schwarzen Meers. Ohne den Fernhandel ließe sich das Phänomen der Großen Griechischen Kolonisation gar nicht im Ganzen erklären.[34] Während der Wende von den Dunklen Jahrhunderten zur Archaik begannen Griechen über das Mittelmeer Handel zu betreiben und tauschten zunächst Erz- und Keramikprodukte gegen Metall und Luxusgüter.[35] Allmählich legten die griechischen Händler am Ende von Handelsrouten aus dem Binnenland Handelsposten an, die das Ansammeln von Waren und den leichteren Zugang zu Erzen ermöglichten.[36] Die Häufung von Handelsposten entlang der Handelswege garantierte später auch die Sicherung dieser Routen, die des Öfteren von Piraten überfallen wurden. Mit der Gründung von Byzantion sicherte sich zum Beispiel Megara die Verkehrsroute zu den Getreide-, Schiffsbauholz- und Metallvorkommen des Schwarzmeergebiets.[37] Tartessos, das im Westen der Straße von Gibraltar lag, wurde zum Lieferanten seltener Metalle wie Zinn und Silber aus dem Nordwesten Spaniens.[38] Die von Phokaiern gegründete Kolonie Massalia, das heutige Marseilles, befand sich auf wenig fruchtbarem Boden, weshalb man davon ausgeht, dass sich hier Phokaier ansiedelten, um den Handelsweg im Norden entlang der Rhône zu kontrollieren.[39]

Am bekanntesten sind die chalkidischen Handelsniederlassungen in den heutigen Orten Al Mina und Sukas (antike Namen unbekannt) an der nordsyrischen Küste und auf Pithekussai, dem heutigen Ischia [im Golf von Neapel]; in Pethekussai (vielleicht auch in Sukas) wurden Griechen dauerhaft ansässig und wohnten mit Phönikern zusammen.[40]

Zumeist ist es schwierig eine griechische Kolonie als reinen Handelsposten zu identifizieren, da es meist mehrere Faktoren waren, die zu einer solchen Gründung führten. Hierzu heißt es bei Murray treffend:

Ein emporion [Handelsposten] wird als spontan gewachsener Zusammenschluß einer gemischten Händlergemeinde angesehen, während zur apoikia ein zeitlich fixierter öffentlicher Akt einer speziellen Stadt oder Gruppe für notwendig gehalten wird. Diese Unterscheidung ist zwar sinnvoll, doch sind die Grenzen nicht so deutlich, wie es scheinen könnte: Waren z.B. die griechischen Gründungen auf Pithekussai oder in Spina apoikia oder emporia ? Herodot nennt (4, 24) sogar alle Kolonien an der Nordküste des Pontos emporia. Außerdem ist es sicher, daß auch in traditioneller Weise gegründete Kolonien von Zeit zu Zeit aus reinen Handelsinteressen heraus ins Leben gerufen worden waren, z.B. zum Schutz eines Handelswegs, wie das bei der Eroberung und Neubesiedlung von Korkyra durch Korinth der Fall war.[41]

In den antiken Kolonisationsgeschichten finden sich kaum Berichte über Handelsinteresse als Motiv einer Gründung.[42] Dies scheint vor allem dem Umstand geschuldet, dass das Handelswesen bei den Griechen dieser Zeit nur ein geringes Ansehen hatte; Spartiaten war zum Beispiel jedwede Art des Handels verboten.[43] Wenn nun Gründungsgeschichten möglichst ruhmvoll dargestellt werden sollten, ist es nicht verwunderlich, dass man dem Handel in den literarischen Quellen eine geringe Rolle zuschreibt.[44]

Neben Überbevölkerung und ökonomischen Interessen waren auch innere Konflikte oft Ausgangspunkte für die Gründung einer Kolonie. Eine Form dieser Konflikte waren Herrschaftsstreitigkeiten. Hier musste der Verlierer dieser Rivalitätskämpfe seine Heimat mit seinen Anhängern verlassen, was so gesehen eine Win-Win-Situation war, da der Sieger seine Politik in der Heimat weiterführen konnte, ohne dass seine Rivalen ihn dabei im Wege standen, während die Verlierer zwar ihre Heimat verlassen mussten, aber eine neue Siedlung nach ihren eigenen politischen Vorstellungen gründen konnten und nicht mehr vom Sieger unterdrückt wurden. Diese politischen Machtkämpfe stehen eng im Zusammenhang mit dem Übergang vom Königtum zur Aristokratie während der Großen Griechischen Kolonisation.[45] Eine weitere Form des inneren Konfliktes war die Stasis, einem bürgerkriegsähnlichen – nicht zwangsläufig gewalttätigen – Zustand innerhalb der Polis, in dem ganze Bevölkerungsgruppen gegen die herrschenden Zustände aufbegehrten.[46] Ebenso wie bei den Herrschaftsstreitigkeiten musste die besiegte Partei die Heimat verlassen und ins Exil gehen. Die Verbannung ins Exil war die wichtigste Technik, um die Unterlegenen am Ende der Stasis aus der Polis zu entfernen.[47]

Neben diesen häufig vorkommenden Kolonisationsanlässen wurden auch vereinzelt Kolonien im Zuge von Kriegen gegründet. Zum einen, um der Gefahr des Feindes zu entgehen, wie im Falle der griechischen Städte Kleinasiens im Zuge der Perserkriege,[48] und zum anderen auch, um die eigene Macht auszuweiten.[49] Andere Kolonisten konnte auch einfach nur die Aussicht auf Abenteuer, Macht und/oder Reichtum zum Auszug in ein fremdes Gebiet gelockt haben.[50]

Vereinzelt wird auch der Auftrag eines Gottes bzw. Orakels als Gründungsanlass angegeben; so geschehen bei Rhegion, Tarent, Siris und Kyrene.[51]

Antike Autoren, die sich direkt oder indirekt mit den Gründen für die Errichtung von griechischen Kolonien beschäftigten, sind meist der Überzeugung, dass Überbevölkerung und deren Folgen die Hauptursache für Koloniegründungen waren.[52] Laut Thukydides haben besonders Gegenden mit fruchtbarem Boden oft Probleme mit Staseis und müssen Bevölkerungsgruppen ins Exil schicken; im Kontrast zur inneren Stabilität Attikas.[53] Allerdings sieht er vor allem bei der ionischen „Kolonisation“ Kleinasiens und der ägäischen Inseln Landmangel als hauptsächlichen Grund.[54]

II.3 Gründungsakt einer griechischen Kolonie

Zu Beginn dieses Kapitel sei angemerkt, dass es nicht einfach ist, ein allgemeines Bild von der tatsächlichen Koloniegründung während der Großen Griechischen Kolonisation zu zeichnen, denn die vorhandenen literarischen Belege liegen nur verstreut vor.[55] Die Quellen sind zumeist von anekdotischem Charakter und können daher leicht in die Irre führen,[56] wodurch Gründungsgeschichten immer mit archäologischen Funden abgeglichen und gegebenenfalls korrigiert werden müssen. Obwohl nicht zu allen Koloniegründungen auch archäologische Zeugnisse vorliegen, soll hier dennoch versucht werden, die wichtigsten Eckdaten eines Gründungsaktes[57] zusammenzutragen.

Damit überhaupt griechische Siedler aufbrechen konnten, um fern der Heimat eine Kolonie zu gründen, mussten viele Faktoren zusammenkommen:

Seemännische Erfahrung und Tüchtigkeit, die den Transport stärkerer Lasten an Menschen und Material, wenn auch in Tragfahrt und Küstennähe, gestatteten; stete Bereitschaft, sich den anderen seefahrenden Völkern des Mittelmeers, den Phönikern und Etruskern, in regional beschränkterem Kreis auch den Ägyptern, zu stellen oder ihnen mit Geschick aus dem Wege zu gehen; ferner ein festgefügter politscher Verband, der sich gegenüber physisch stärkeren, doch durch geringere staatliche Organisation unterlegenen barbarischen Bewohnern des Binnenlandes behaupten konnte; und endlich ein gewisser Anreiz für eben diese, die Neuankömmlinge als willkommen zu empfinden, ein Anreiz, der nur in der kulturellen und zivilisatorischen Überlegenheit der Hellenen liegen konnte, die Kenntnisse und Waren zu vermitteln, zu verkaufen hatten, deren man bedurfte.[58]

Waren diese Faktoren gegeben, konnte die Mutterstadt (Metropolis) Schiffe bereitstellen und eine Kolonistenabordnung unter der Führung eines vorher bestimmten Stadtgründers (Oikist) losschicken.[59] Die Kolonisten waren meist Freiwillige aus der Mutterstadt, konnten aber zum Teil auch gezwungen werden an dem Kolonisationszug teilzunehmen, wie im Falle der Kolonisation Kyrenes.[60] Es bestand mitunter auch die Möglichkeit sich später in die Kolonie zu begeben, wenn man diesen Wunsch rechtzeitig bekundete, und sich gegen Bezahlung einen Platz in der Kolonie zu sichern.[61]

Inwieweit es sich bei der griechischen Kolonisation um einen „souveränen Akt des Staates“[62] handelte, ist eher fraglich. Für den Beginn der Kolonisationsbewegung ist dies mit Sicherheit auszuschließen, da im 8. Jahrhundert v. Chr. in Griechenland immer noch „vorstaatliche“ Verhältnisse herrschten.[63] Kolonisationszügen wurden in der Frühphase somit vorwiegend von Einzelpersönlichkeiten initiiert.

Dass ein Oikist nur Auszugswillige einer einzigen Polis um sich sammelte, scheint die Ausnahme zu sein. In der Regel waren es zwei Poleis, die Teile ihrer Bevölkerung zum Aussiedeln aufriefen und darüber hinaus auch anderen Griechen die Teilnahme gewährte.[64] Die Polis, die die meisten Siedler stellte, meist die Polis des Oikisten, bekam später auch den Zuschlag, die neue Kolonie als ihre Tochterstadt zu bezeichnen, obwohl auch Griechen an der Gründung teilnahmen, die nicht aus dieser Polis stammten. Damit lässt sich auch erklären, warum relativ kleine Städte wie Megara, Chalkis oder Eretria innerhalb weniger Jahrzehnte so viele Kolonisationszüge ausrichten und zu bedeutenden Metropoleis werden konnten.[65] Anscheinend verfügte man dort über ein beachtliches Wissen bezüglich Koloniegründung, sodass sich zahlreiche auswanderungswillige Griechen unter ihre Führung begaben.[66]

[...]


[1] Vgl. im Folgenden Miller, Theresa: Die griechische Kolonisation im Spiegel literarischer Zeugnisse, Tübingen: 1997, S. 3f.

[2] Vgl. Platon Phaidon 109b.

[3] Vgl. Lotze, Detlef: Griechische Geschichte. Von den Anfängen bis zum Hellenismus, 3., bearbeitete und erweiterte Auflage. München: 1999, S. 30 und Bayer, Erich: Griechische Geschichte, 3., verbesserte Auflage, Stuttgart: 1987, S. 46.

[4] Vgl. Murray, Oswyn: Das frühe Griechenland, 5. Auflage, München: 1995, S. 133.

[5] Vgl. Welwei, Karl-Wilhelm: Die Griechische Frühzeit. 2000 bis 500 v. Chr. München: 2002, S. 47f.

[6] Vgl. Fischer, Josef: Griechische Frühgeschichte bis 500 v. Chr., Darmstadt: 2010, S. 67. Auch die Verwendung des Begriffs „Große Griechische Kolonisation“ ist ähnlich problematisch, dennoch hat sich dieser Begriff im wissenschaftlichen Sprachgebrauch fest verankert und soll deshalb auch weiterhin in dieser Arbeit verwendet werden.

[7] Günther, Linda-Marie: Griechische Antike, Tübingen und Basel: 2008, S. 84.

[8] Vgl. Descœudres, Jean-Paul: Central Greece on the eve of the colonisation movement. In: Gocha R. Tsetskhladze (Hrsg.): Greek colonisation. An account of Greek colonies and other settlement overseas, Bd. 2, Leiden u.a.: 2006, S. 290.

[9] Natürlich konnte eine griechische Bevölkerungsgruppe auch innerhalb der Grenzen Griechenlands (um)siedeln. Diese Binnenkolonisation soll allerdings in dieser Arbeit nicht weiter behandelt werden.

[10] Vgl. Thukydides 6, 2-6.

[11] Vgl. Murray, Oswyn: Das frühe Griechenland, 5. Auflage, München: 1995, S. 145.

[12] Vgl. Herodot 4, 145-159.

[13] Vgl. Bayer, Erich: Griechische Geschichte, S. 50.

[14] Vgl. Günther, Linda-Marie: Griechische Antike, S. 84.

[15] Also aus einer Zeit, in der der Großteil der Kolonisationsgründungen bereits schon stattgefunden hat.

[16] Vgl. Miller, Theresa: Die griechische Kolonisation, S. 5 und Günther, Linda-Marie: Griechische Antike, S. 84.

[17] Vgl. Miller, Theresa: Die griechische Kolonisation, S. 10f.

[18] Miller, Theresa: Die griechische Kolonisation, S. 6.

[19] Vgl. Ebd. S. 54.

[20] Vgl. Ebd. S. 8.

[21] Vgl. Ebd. S. 8f.

[22] Vgl. Schuller, Wolfgang: Griechische Geschichte, 5., überarbeitete und erweiterte Auflage, München 2002, S. 13.

[23] Vgl. Ebd. S. 13.

[24] Vgl. Antonaccio, Carla M.: Colonization. Greece on the move, 900-480. In: Harvey Alan Shapiro (Hrsg.): The Cambridge Companion to archaic Greece, Cambridge: 2007, S. 210 und Lotze, Detlef: Griechische Geschichte, S. 26.

[25] Vgl. Schuller, Wolfgang: Griechische Geschichte, S. 11 und Günther, Linda-Marie: Griechische Antike, S. 85 sowie Thommen, Lukas: Sparta. Verfassungs- und Sozialgeschichte einer griechischen Polis, Stuttgart und Weimar: 2003, S. 28 und Miller, Theresa: Die griechische Kolonisation, S. 31.

[26] Vgl. Miller, Theresa: Die griechische Kolonisation, S. 31.

[27] Das bekannteste Beispiel hierfür ist die Gründung Kyrenes aufgrund einer siebenjährigen Dürre auf der Insel Thera. Vgl. Herodot 4, 151.

[28] Vgl. Murray, Oswyn: Das frühe Griechenland, S. 144.

[29] Ebd. S. 144.

[30] Vgl. Werner, Robert: Probleme der Rechtsbeziehungen zwischen Metropolis und Apoikie. In: Chiron 1 (1971), S. 34.

[31] Vgl. Murray, Oswyn: Das frühe Griechenland, S. 143f. und Werner, Robert: Probleme der Rechtsbeziehungen, S. 34.

[32] Vgl. Lotze, Detlef: Griechische Geschichte, S. 26.

[33] Vgl. Günther, Linda-Marie: Griechische Antike, S. 85 und Fischer, Josef: Griechische Frühgeschichte, S. 69.

[34] Vgl. Lotze, Detlef: Griechische Geschichte, S. 27.

[35] Vgl. Schuller, Wolfgang: Griechische Geschichte, S. 13.

[36] Vgl. Murray, Oswyn: Das frühe Griechenland, S. 139.

[37] Vgl. Welwei, Karl-Wilhelm: Die Griechische Frühzeit. 2000 bis 500 v. Chr. München: 2002, S. 50.

[38] Vgl. Murray, Oswyn: Das frühe Griechenland, S. 141.

[39] Vgl. Ebd. S. 141.

[40] Schuller, Wolfgang: Griechische Geschichte, S. 13. Vgl. auch Lotze, Detlef: Griechische Geschichte, S. 27 und Miller, Theresa: Die griechische Kolonisation, S. 40.

[41] Murray, Oswyn: Das frühe Griechenland, S. 139f.

[42] Vgl. Miller, Theresa: Die griechische Kolonisation, S. 40 und 42.

[43] Vgl. Xenophon Lakedaimonion politeia 7, 1-2 als auch Isokrates 12, 46.

[44] Vgl. Miller, Theresa: Die griechische Kolonisation, S. 44.

[45] Vgl. Ebd. S. 47.

[46] Vgl. Bayer, Erich: Griechische Geschichte, S. 49 sowie Fischer, Josef: Griechische Frühgeschichte, S. 69 und Miller, Theresa: Die griechische Kolonisation, S. 50.

[47] In Großgriechenland wurden die Besiegten in 50 Prozent der Fälle am Ende der Stasis ins Exil geschickt. Vgl. Berger, Shlomo: Revolution and Society in Greek Sicily and Southern Italy, Stuttgart: 1992, S. 102.

[48] Vgl. Miller, Theresa: Die griechische Kolonisation, S. 60.

[49] Vgl. Herakleia Trachis im Kapitel III.3.

[50] Vgl. Lotze, Detlef: Griechische Geschichte, S. 27 sowie Bayer, Erich: Griechische Geschichte, S. 49 und Fischer, Josef: Griechische Frühgeschichte, S. 69.

[51] Vgl. Werner, Robert: Probleme der Rechtsbeziehungen, S. 33.

[52] Unter anderen Hesiod, Euripides, Isokrates und Platon. Vgl. Lotze, Detlef: Griechische Geschichte, S. 26 sowie Bayer, Erich: Griechische Geschichte, S. 46 und Miller, Theresa: Die griechische Kolonisation, S. 31f. als auch S. 35-37.

[53] Vgl. Thukydides 1, 2.

[54] Vgl. Ebd. 1, 2, 6 und 1, 15, 1.

[55] Vgl. Murray, Oswyn: Das frühe Griechenland, S. 145.

[56] Vgl. Ebd.

[57] An sich beginnt die Gründung einer Kolonie mit der Ankunft im Siedlungsgebiet und endet mit dem Tod des Gründers. Dies sind etwa 20 bis 40 Jahre. Symbolisch gesehen punktiert die erste Ankunft zum Beispiel „im Jahre 734 v. Chr.“ auf nette Weise die genaue Gründungszeit. Historisch gesehen macht eine Koloniegründung eine gesamte Generation aus, wenn physische, soziale, religiöse und politische Aufgaben ausgeführt und gefestigt wurden, um somit ein Gemeinwesen mit seiner eigenen Identität zu erschaffen. Vgl. Malkin, Irad: Foundations. In: Kurt A. Raaflaub und Hans van Wees (Hrsg.): A companion to archaic Greece, Malden, Massachusetts u.a.: 2009, S. 375.

[58] Bayer, Erich: Griechische Geschichte, S. 47f.

[59] Vgl. Lotze, Detlef: Griechische Geschichte, S. 26.

[60] Vgl. Thommen, Lukas: Sparta, S. 28.

[61] Vgl. Günther, Linda-Marie: Griechische Antike, S. 89.

[62] Vgl. Murray, Oswyn: Das frühe Griechenland, S. 156.

[63] Vgl. Welwei, Karl-Wilhelm: Die Griechische Frühzeit, S. 45-47.

[64] Vgl. Günther, Linda-Marie: Griechische Antike, S. 87.

[65] Vgl. Fischer, Josef: Griechische Frühgeschichte, S. 70.

[66] Vgl. Günther, Linda-Marie: Griechische Antike, S. 88.

Ende der Leseprobe aus 43 Seiten

Details

Titel
Sparta und die griechische Kolonisation
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Institut für Altertumswissenschaften)
Veranstaltung
Sparta
Note
1,3
Autor
Jahr
2013
Seiten
43
Katalognummer
V215019
ISBN (eBook)
9783656428282
ISBN (Buch)
9783656436805
Dateigröße
740 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Antike, Sparta, Griechen, Griechenland, griechisch, griechische Kolonisation, Kolonisation, Große Griechische Kolonisation, Athen, Attika, Kolonie, Delphie, Orakel, Orakel von Delphi, Frauen, Metropolis, Apoikie, Taras, Tarent, Dorieus, Herakleia, Herakleia Trachis, Gründung, Gründungsakt, Oikist, Ionier, Peloponnes, Platon, Expansion, Schlacht bei Alalia, Karthago, Karthager, Etrusker, Mittelmeer, Schwarzes Meer, Sizilien, Unteritalien, Großgriechenland, Eretria, Chalkis, Korinth, Milet, Euboia, Mutterstadt, Tochterstadt, Stadt, Polis, Großmacht, Thera, Afrika, Nordafrika, Kyrene, Herodot, Thukydides, Helenismus, Peloponnesischer Krieg, Thurii, Ägäis, Auswanderung, Überbevölkerung, Hunger, Hungersnot, Binnenkolonisation, Bevölkerungsdruck
Arbeit zitieren
Falk Hesse (Autor:in), 2013, Sparta und die griechische Kolonisation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/215019

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