Entwertung von Expertenwissen


Seminararbeit, 2000

20 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Experten und ihr Wissen
2.1 Der Akademiker im Profil
2.2 Akademiker und der Arbeitsmarkt
2.3 Standardisierung und Entwertung von Wissen

3. Gründe des Entwertungsprozesses
3.1 Computer statt Experten
3.2 Deklassifikation
3.3 Die Degradierung zum (Teilzeit-)Bürokraten
3.4 Partizipation als Gegenbewegung
3.5 Die Selbstentwertung der Experten

4. Informatiker als „neue Klasse“? – Die Professionalisierungsdebatte

5. Schlußfolgerung

Literatur

1. Einleitung

Seit Beginn der Bildungsexpansion drängen die Abiturienten verstärkt auf die Hochschulen und Universitäten. Ergebnis dieser Entwicklung ist eine immer größer werdende Anzahl von Akademikern, die sich auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft behaupten müssen. Trotz der Tatsache, daß die Aussichten für Akademiker auf dem Arbeitsmarkt vergleichsweise gut sind, sind immer mehr Akademiker arbeitslos, wobei festzuhalten gilt, daß die fächerspezifische Lage sehr unterschiedlich ist.

Auf der anderen Seite ist eine kontinuierliche Abwertung des sozialen Status von Akademikern und des Glaubens in ihre fachliche Kompetenz festzustellen, wobei auch dies nicht für alle Fachgruppen in gleicher Weise gilt.- -

Die vorliegende Arbeit untersucht die Gründe für diese Divergenz der Fachgruppen.

Dazu werden zunächst die benötigten Definitionen gegeben, um anschließend das Profil der Akademiker, die spezifische Lage auf dem Arbeitsmarkt und den Vorgang der Standardisierung von Expertenwissen zu beschreiben (Kapitel 2).

Weiterhin werden die Gründe der Entwertung von Expertenwissen für die betroffenen Gruppen analysiert, und zwar besonders im Hinblick auf die Zunahme gesellschaftlicher Partizipationsmöglichkeiten und der daraus resultierende „Laienkritik“ an den Experten (Kapitel 3).

Schließlich wird eine kurze Analyse der Gruppe der Informatiker dieser Analyse gegenübergestellt (Kapitel 4). Hierbei wurde die Debatte bewußt auf die Gruppe der Informatiker begrenzt, um den Rahmen der Arbeit nicht zu sprengen. In der Tat existieren „Berufs“gruppen, die gewissermassen im „Fahrtwind“ der Entwicklung bei den Informatikern eine Aufwertung erhalten haben, beispielsweise Webdesigner, Graphiker, Layoutspezialisten, Mediendesigner, Kommunikationswissenschaftler usw.; diese werden allerdings vom Kontext der Arbeit nur gestreift und allenfalls am Rande erwähnt.

Der letzte Abschnitt faßt die Debatte zusammen und gibt einen Ausblick. Dabei wird insbesondere die Frage aufgeworfen, ob die von Hartmann/Hartmann zu Beginn der 80er Jahre festgestellten Trends anhalten.

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2. Experten und ihr Wissen

Das folgende Kapitel enthält Definitionen, die für die weitere Arbeit mit den Begriffen unerläßlich sind. Dabei wird auch auf das „Profil des Akademikers“ eingegangen, das sich in vielen Punkten von dem eines Angestellten, Arbeiters oder Beamten unterscheidet. Außerdem werden die Chancen der Akademiker auf dem Arbeitsmarkt sowie die Standardisierung von Fachwissen als Grundlage für die Professionalisierung erörtert.

2.1 Der Akademiker im Profil

Als „Akademiker“ werden Erwerbstätige bezeichnet, die eine Ausbildung an einer Universität oder einer Technischen bzw. Pädagogischen Hochschule absolviert haben.[1] Er unterscheidet sich nicht nur durch seinen höheren Bildungsstand von den sonstigen Erwerbstätigen, sondern auch durch seinen akademischen Grad, der diesen Bildungsstand formal und für alle sichtbare zum Ausdruck bringt. Akademiker treten mit dem Anspruch auf, mit den Tätigkeiten, deren Ausübung nur auf dem von ihnen erreichten Bildungsniveau möglich ist, Leistungen von besonderem Wert für die Gesellschaft anzubieten. Zugleich unterscheidet sie „Interesse an beruflicher Autonomie, vorrangige Orientierung an der eigenen Fachgemeinschaft [sowie] Identifikation mit einem besonderen Berufsethos“ von den anderen Erwerbstätigen (Hartmann/Hartmann 1982: 194). Beate Krais (1980: 85) geht davon aus, daß die Hochschulabsolventen gegenüber den Beamten, die sich die Bewahrung der etablierten Ordnung auf die Fahnen geschrieben haben, und den Arbeitern und Angestellten, die primär am Verteilungskampf teilnehmen, um ihre Existenz zu sichern, eine grundsätzlich andere Einstellung zu Ihrer Tätigkeit besitzen: Die Freiheit der Handlung sowie den Zugriff auf spezielle Qualifikation und Fachkompetenz sowie das Gefühl, eine Leistung zu vollbringen, welche die Gesellschaft als Ganzen voranbringt.

In den folgenden Kapiteln werden die Akademiker bzw. Hochschulabsolventen als „Experten“ oder „Professionals“ bezeichnet. Nichtexperten werden als „Laien“ bezeichnet.

2.2 Akademiker und der Arbeitsmarkt

Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts ist die Zeit der kontinuierlicher Akademisierung der deutschen Erwerbsgesellschaft. Innerhalb von knapp dreißig Jahren stieg der Anteil der Akademiker an den Erwerbstätigen von 2,9% auf etwa 12%.[2]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Drei Faktoren haben besonderen Anteil an diesem steilen Anstieg des Akademikeranteils: Zur fortschreitenden Rationalisierung von Produktion, Verwaltung und des gesamten Arbeitslebens wurden Experten benötigt, welche die Rationalisierung planen, durchführen und im rationalisierten Betrieb neu entstandene Aufgaben übernehmen. Die deutlich bessere Beschäftigungsaussicht für Universitäts- und Fachhochschulabsolventen[3] sowie die überdurchschnittlichen hohen Gehälter[4] sind wesentliche Gründe für den Akademikerboom[5].

Der stark ausgeprägte Glaube an die formale Ausbildung und die gesellschaftliche Anerkennung der Experten aufgrund zurückliegender – vor allem ökonomischer – Erfolge trugen außerdem dazu bei, daß die Zahl der Hochschulabsolventen stark anstieg.

Dabei ist besonders zu berücksichtigen, daß nicht etwa die Stellenzahl an den Universitäten und den Forschungseinrichtungen derart angestiegen wäre, daß alle Akademiker dort einen Arbeitsplatz gefunden hätten. Vielmehr gilt seit Beginn der 80er Jahre „als Wachstumsbereich [...] insbesondere die Wirtschaft.“ (Hartmann/Hartmann 1982: 196). Hier wurden aufgrund der technisch-ökonomischen Veränderung von Akademikern zu besetzende Stellen neu geschaffen oder freiwerdende Stellen von Nichtakademikern mit Akademikern besetzt. Eine ähnliche Entwicklung vollzog sich in der öffentlichen Verwaltung. Gleichzeitig ging der „berufliche Vererbungsprozeß“ (Hartmann/Hartmann 1982: 196) in den akademischen Reihen weiter: Zwei Drittel aller Hochschulabsolventen hatten 1979 eine Stellung inne, die vorher ebenfalls von einem Akademiker besetzt war.

Zusätzliche Hinweise auf die zunehmende Professionalisierung findet sich bei der Umstrukturierung von Berufen durch die Aufwertung von Studiengängen wie z.B. vom Diplom-Landwirt zum Diplom-Agraringenieur oder die Einrichtung neuer Berufe wie z.B. des Diplom-Sicherheitsingenieurs; beide Maßnahmen erhöhen die Wissenssystematik der Berufe und tragen zur einer Professionalisierung der Praxis bei.

Als Ergebnis dieses Veränderungsprozesses in Wirtschaft und Verwaltung gewinnen Hochschulabsolventen also zunehmend Terrain in der Praxis. Inwieweit ist dieses Wachstum in Zahlen mit einer Professionalisierung der Arbeitswelt gleichzusetzen? Bewirkt alleine der zahlenmäßige Anstieg der Akademiker eine Verwissenschaftlichung der Praxis? Oder trifft das Gegenargument zu, daß sich die Hochschulabsolventen als „Qualifikationsverlierer“ an die Praxis anpassen, statt eine Akademisierung der Praxis zu bewirken? Mit dem quantitativen Geländegewinn der Absolventen auf dem Arbeitsmarkt und in den Betrieben geht eine zunehmend kritische, teilweise abwertende Auseinandersetzung mit genau den Eigenschaften einher, die immer als Merkmale der Professionalisierung galten (siehe Abschnitt 2.1), vor allem dem akademischen Anspruch, einen fachlich hochqualifizierten Beitrag mit sozialer Wertigkeit zu leisten. Die Gründe dieser Auseinandersetzung werden in Kapitel 1 beleuchtet.

2.3 Standardisierung und Entwertung von Wissen

Die Frage des Wertes von Expertenwissen ist eng mit der Standardisierung von Wissen verknüpft. Als Standardisierung von Wissen wird die Entwicklung einer theoretisch-wissenschaftlichen Basis auf einem bestimmten Gebiet und die gleichzeitige oder nachfolgende Entwicklung von Handlungsanleitungen für den praktischen Einsatz der wissenschaftlichen Theorien oder Erkenntnisse, also die Implementation, bezeichnet. Die Standardisierung des Wissens ist wesentliche Voraussetzung für die Etablierung einer Gruppe von Personen, die für bestimmte existente Probleme allgemein als zuständige Problemlöser anerkannt werden. Ist die Gruppe etabliert, spricht man von einer erfolgreichen „Professionalisierung“, d.h. die Gruppe hat durch Definition von Standards und der Entwicklung praktischer Handlungsanleitungen sich selbst in den Stand der Experten erhoben. Hierdurch werden die Mitglieder der Gruppe als Experten auf ihrem Gebiet betrachtet. Dabei bildet das Experten wissen die wesentliche Grundlage, ohne die eine Standardisierung – also auch eine Professionalisierung – nicht möglich wäre. Dabei spielt die Konkurrenz mit anderen Expertengruppen um die Zuständigkeit eine entscheidende Rolle. Alle formale Zuständigkeit hat keinen Sinn, ohne daß der eigene Lösungsweg für Probleme auch von der Öffentlichkeit als der beste betrachtet wird. Dieser Kampf um die „Zuständigkeit in der Köpfen“ ist der Dreh- und Angelpunkt für eine gelungene Standardisierung und Professionalisierung.[6]

[...]


[1] In jüngster Zeit werden zu den Akademikern auch die Fachhochschulabsolventen gezählt.

[2] Hier ist zu berücksichtigen, daß die Fachhochschulabsolventen inzwischen als Akademiker gezählt werden, die drei ersten Werte also nicht direkt mit dem Wert von 1993 verglichen werden können. Der Trend ist dennoch eindeutig.

[3] Die Arbeitslosenquoten für diese Gruppe lag 1995 bei 3,9% bzw. 3,6%; die allgemein Arbeitslosenquote lag bei 8,1% (Bundesanstalt für Arbeit 1996).

[4] Die Gehälter von Akademikern liegen im Durchschnitt (!) bei Universitätsabsolventen 61%, bei Absolventen von Fachhochschulen um 47% über dem durchschnittlichen Einkommen von Nichtakademikern (Bundesanstalt für Arbeit 1996).

[5] Detaillierte Zahlen finden sich bei Krais 1980: 68ff.

[6] Diese Problematik ist allerdings nicht neu. Sie besteht darin, daß in den modernen Gesellschaften die Wahl des „richtigen“ Problemlösers nicht „einfach quasi automatisch aus der ‚objektiven’ Struktur des jeweiligen Problems abzuleiten“ ist. (Hartmann 1995: 14)

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Entwertung von Expertenwissen
Hochschule
Technische Universität Darmstadt  (Institut für Soziologie)
Veranstaltung
Proseminar Einführung in die Berufssoziologie
Note
1,7
Autor
Jahr
2000
Seiten
20
Katalognummer
V2147
ISBN (eBook)
9783638113168
Dateigröße
537 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Entwertung, Expertenwissen, Proseminar, Einführung, Berufssoziologie
Arbeit zitieren
Bjoern Egner (Autor:in), 2000, Entwertung von Expertenwissen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/2147

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