Nachrichten- und Informationsselektion in Zeiten virtueller Öffentlichkeit

Über Logiken und Mechanismen der Fragmentierung im Internet durch persönliche und personalisierte Nachrichtenströme


Hausarbeit, 2013

22 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Öffentlichkeit und der Prozess ihrer Fragmentierung
2.1 Normative Funktionen demokratischer Öffentlichkeit
2.2 Fragmentierung von Öffentlichkeit

3. Fragmentierung durch neue Selektionsmechanismen
3.1 Jan Schmidts Ansatz persönlicher Öffentlichkeiten
3.1.1 Größe und Zusammensetzung des Publikums
3.1.2 Statik und Dynamik von Inhalten
3.1.3 Kommunikationsorte
3.2 Eli Parisers Theorie der Filter Bubble
3.2.1 Entstehung und Entwicklung personalisierter Filter
3.2.2 Auswirkungen der Filter Bubble

4. Fazit

Literatur- und Quellenverzeichnis

1. Einleitung

Kommunikation über politische Inhalte findet heute immer häufiger im Internet statt. Zwar sind das Fernsehen und die Printmedien in politischen Fragen noch die wich- tigsten Informationsquellen der Deutschen, doch insbesondere bei Internetnutzern sinkt ihre Bedeutung langsam, aber kontinuierlich.1 Gleichzeitig steigt die Zahl derer, die Zugang zum Internet haben und sich darin über Politik informieren: Waren im Jahr 2002 erst 41,6 Prozent der Bundesbürger online und lasen lediglich 28 Prozent politische Inhalte im Web, so stieg die Quote der Onliner bis 2009 auf 63,7 Prozent und die derer, die das Internet nutzen um sich politisch zu informieren, auf fast 50 Prozent.2 Glaubt man aktuellsten Zahlen, hat sich beides bis 2012 noch einmal kräf- tig gesteigert: So sollen mittlerweile rund 76 Prozent der Deutschen Zugang zum In- ternet haben, von denen wiederum 59 Prozent im Netz aktuelle Nachrichten lesen.3

Mit der zunehmenden Bedeutung des Internets für die politische Kommunikation ändert sich für die Rezipienten jedoch nicht nur die Informationsquelle. Beeinflusst wird immer öfter auch das Informationsangebot selbst. Schließlich gelten im Web ganz eigene Logiken und Mechanismen, die die Selektion und Verbreitung von In- formationen bestimmen. So tritt neben das Strukturmerkmal der grundsätzlichen Of- fenheit des Netzes, durch das die etablierten Gatekeeper und Meinungsführer der Massenmedien verstärkt entmachtet werden,4 ein undurchschaubares System von Al- gorithmen und persönlichen Beziehungsgeflechten. Es bestimmt darüber, wer im In- ternet welche Informationen angezeigt bekommt und wer nicht. Der ohnehin bereits vielfach konstatierte Trend zur fortschreitenden Fragmentierung von Öffentlichkeit könnte so durch das Internet noch weiter verstärk werden. Immer deutlicher zeigt sich, dass die virtuelle Öffentlichkeit im Netz vor allem eine hochgradig kleinteilige, persönliche und zugleich personalisierte Sphäre ist, die prinzipiell für jeden Rezipi- enten anders aussehen kann. Dafür verantwortlich sind einerseits individuell-persön- liche Auswahllogiken, die insbesondere innerhalb sozialer Netzwerkseiten Wirkung entfalten und andererseits spezifisch programmierte Algorithmen, die sowohl Inter- netseiten als auch Suchanfragen auf den einzelnen Nutzer zuschneiden, also persona- lisieren. So werden herkömmliche Gatekeeper lediglich durch neue und andersartige abgelöst,5 derer sich ein Großteil der Nutzer allerdings bisher nicht bewusst ist.6

Hier etwas mehr Licht ins Dunkel zu bringen, ist Ziel der vorliegenden Hausar- beit. Sie geht der leitenden Frage nach, welche Logiken und Mechanismen der In- formationsselektion zur Fragmentierung virtueller Öffentlichkeit führen könnten. Bevor in diesem Zusammenhang mit Jan Schmidts Ansatz zu pers ö nlichen Ö ffent- lichkeiten und Eli Parisers Konzept der Filter Bubble zwei einschlägige Theorien zum Thema dargelegt werden, wird anhand von Friedhelm Neidhardts Grundmodell zunächst erklärt, was die Wissenschaft unter Öffentlichkeit versteht, welche normati- ven Funktionen sie erfüllen sollte und wieso ihre Fragmentierung von einigen For- schen kritisch betrachtet wird. Abschließend werden die gewonnenen Ergebnisse dann in einem resümierenden Fazit noch einmal zusammengefasst und bewertet.

Dass die erschöpfende Behandlung eines solch umfangreichen und in seiner Ent- wicklung hochgradig dynamischen Themas im Rahmen einer Hausarbeit nicht ab- schließend möglich ist, liegt auf der Hand. Trotzdem sollte es auch in diesem Um- fang gelingen, einen Einblick in die Strukturen des modernen Internets zu erhalten.

2. Öffentlichkeit und der Prozess ihrer Fragmentierung

Die These der Fragmentierung von Öffentlichkeit ist nicht neu. Ihre Entstehung geht ungefähr mit der Einführung des Privatfernsehens in Deutschland einher. Bereits damals sahen Kritiker in der Ausdifferenzierung und Zielgruppenorientierung media- ler Angebote eine Gefahr für die Integrationsleistung der Medien.7 Um zu verstehen, wieso damit womöglich gesellschaftliche Probleme einhergehen, muss man die nor- mativen Ansprüche kennen, die oft an Öffentlichkeit gestellt werden. Daher soll im Folgenden zunächst Friedhelm Neidhardts Öffentlichkeitsmodell skizziert werden, bevor anschließend das Fragmentierungsphänomen genauer beschrieben wird.

2.1 Normative Funktionen demokratischer Öffentlichkeit

„Öffentlichkeit ist an und für sich nichts weiter als ein leeres Feld, dessen Besonder- heit darin besteht, frei zugänglich zu sein für alle, die etwas sagen oder das, was an- dere sagen, hören wollen.“8 Innerhalb dieses Feldes, werden drei unterscheidbare Akteursklassen tätig: Das Publikum, die Vermittler und die Sprecher. So konstituiert sich für Friedhelm Neidhardt das, was ganz allgemein als ein Grundmodell von Öf- fentlichkeit innerhalb moderner Demokratien verstanden werden kann.9

Konstitutiv für öffentliche Kommunikation ist danach in erster Linie das Publi- kum, das aus einer großen aber nicht exakt bestimmbaren Anzahl von Bürgern bes- teht. Sie treten je nach Thema und Interesse unverbindlich als ein prinzipiell unabge- schlossenes, also offenes soziales Kollektiv zusammen. Das allerdings bleibt hoch- gradig heterogen und instabil. Schließlich gibt es weder formale Mitgliedschaftsbe- dingungen beim Eintritt in, noch Sanktionen beim individuell-willkürlichen Austritt aus dem Publikum. Es bleibt daher meist wenig vernetzt und unstrukturiert, was öf- fentliche Kommunikation und Meinungsbildung stets unkalkulierbar macht.10

Als Vermittler innerhalb des leeren Feldes werden die Massenmedien tätig. In ste- tiger Konkurrenz zueinander, versuchen sie dem Publikum ein thematisches Angebot zu bieten, mit dem dieses seine jeweiligen Interessen befriedigen kann. Um die Nachfrage nach Medieninhalten möglichst effizient zu stillen, differenzieren sich zu- nehmend Kommunikationsmärkte aus, in denen wiederum hoch professionalisierte Berufs- und Tätigkeitsfelder entstehen. Deren innere Ausgestaltung und Logik wird zugleich zum Erfolgsfaktor für die Sprecher, die sich innerhalb des leeren Feldes mit ihren Themen und Meinungen an das Publikum richten. Sie konkurrieren um dessen Aufmerksamkeit und Zustimmung. Dabei bleiben sie aber stets von den Massenme- dien abhängig, die darüber entscheiden, ob sie überhaupt Gehör finden oder nicht.11

Das Ergebnis dieser kontinuierlichen Interaktionen zwischen Publikum, Vermitt- lern und Sprechern, ist die Ausbildung eines gesellschaftlichen Informationsniveaus innerhalb der Öffentlichkeit. Ihr kommen laut Neidhardt gerade in modernen Demo- kratien drei normative Funktionen zu, die zur Selbstbestimmung durch Herausbildung kollektiv verbindlicher und akzeptierter Entscheidungen notwendig sind: Die Beobachtungsfunktion, die Kritikfunktion sowie die Orientierungsfunktion.12

„Die primäre Funktion politischer Öffentlichkeit besteht darin, durch die Wahr- nehmung von Problemen, Problemlösungsansprüchen und darauf bezogenen Ent- scheidungen Transparenz zu erzeugen.“13 Es geht sowohl darum, dass etablierte Funktionäre ihre Positionen sowie Entscheidungen vor dem Publikum offenlegen und rechtfertigen, als auch um die Inklusion der Meinungen derer, die sich am Rand des politischen Betriebs befinden. Insbesondere die Publikumsansichten sollten durch eigene Sprecher repräsentiert werden, um dessen Partizipation zu garantieren. Die Beobachtungsfunktion stellt also sicher, dass öffentlich wahrnehmbar gemacht wird, wovon die einzelnen Bürger ansonsten keinesfalls Kenntnis haben würden.14

Demgegenüber ist mit Kritikfunktion die Informationsverarbeitung innerhalb der Öffentlichkeit gemeint. Sie ist notwendig, da die Masse von Informationen und Nachrichten nicht vollständig an das Publikum weitergeben werden kann. Deshalb müssen die Sprecheräußerungen nach ihrer gesellschaftlichen Relevanz bewertet und Behauptungen auf deren normative oder empirische Stichhaltigkeit überprüft wer- den. Nur so ist letztlich zu selektieren, welche Kommunikationsinhalte von Bedeu- tung für die Allgemeinheit sind und welche sich nur an bestimmte Gruppen richten.15

Die Orientierungsfunktion beschreibt schließlich, dass erst durch Öffentlichkeit erkennbar wird, „[...] welche Probleme sozial virulent sind und welche Problemlö- sungen aus welchen Gründen bei wem auf hinreichende Akzeptanz stoßen - und welche nicht.“16 Zwar ist keineswegs garantiert, dass innerhalb der Öffentlichkeit öffentliche Meinungen entstehen. Dennoch geben die in ihr behandelten Themen in jedem Fall eine gewisse Orientierungshilfe für politische Entscheidungsprozesse und Entscheidungsträger. Darauf gründet letztlich auch ihre hohe politische Relevanz.17

2.2 Fragmentierung von Öffentlichkeit

Im Januar 1985 gingen mit Sat.1 und RTL - damals noch unter anderen Namen - die ersten beiden privaten Fernsehprogramme mit bundesweiter Reichweite auf Sen- dung. Damit begann auf dem deutschen Fernsehmarkt eine Kanalvermehrung, die in der Wissenschaft schnell auf kritische Beobachter traf. Unter dem Schlagwort der Fragmentierung wurde die These aufgestellt, dass die zunehmenden Wahlmöglich- keiten durch die zusätzlichen Fernsehangebote zu einer Auflösung des bis dahin als weitgehend homogen eingeschätzten Publikums führen könnten. Verknüpft wurde damit außerdem die Befürchtung, dass eine Fragmentierung des Publikums langfris- tig zur weitgehenden Zersetzung von Öffentlichkeit führen könnte. Diese wiederum wäre dann nicht mehr in der Lage, ihre oben skizzierten Funktionen zu erfüllen.18

Der Fragementierungsthese lag bereits damals die Annahme zu Grunde, dass sich die Rezipienten aufgrund von unterschiedlichen Themeninteressen und Programm- vorlieben durch ihr jeweils individuelles Programmwahlverhalten auf die unter- schiedlichen Fernsehkanäle verstreuen würden. Mitunter beeinflusst durch den per- sönlichen Bildungs- und Familienhintergrund, die eigene soziale Lage sowie die in- dividuelle Vorliebe für Informations- oder Unterhaltungsinhalte, würden sie sich in zunehmend freier Entscheidung für jene Programme aus einem immer weiter diffe- renzierten Angebot entscheiden, die ihnen selbst am ehesten zusagen. Während die Massenmedien in diesem Prozess weitgehend an Prägekraft verlieren, so die These, würde sich die Fernsehnutzung durch die Wahlfreiheit der Rezipienten zunehmend an deren jeweiligen Bedürfnissen, Interessen und Vorlieben orientieren. Die Tage ei- ner durch die Medien weitgehend integrierten gesellschaftlichen Gesamtöffentlich- keit - für die die allabendliche Tagesschau exemplarisch stand - seien gezählt. Statt- dessen entstünden kommunikativ voneinander getrennte Bevölkerungsteile.19 Mit Blick auf das duale System in Deutschland, konnten in den 1990er-Jahren sogar erste Anhaltspunkte für die befürchteten Phänomene gefunden werden.20

Gleichwohl blieb es stets schwer zu beurteilen - oder gar zu messen - ob durch die Zunahme des Programmangebots tatsächlich eine Fragmentierung des Publikums bzw. der Öffentlichkeit eingesetzt hat.

[...]


1 Vgl. Emmer, Martin et. al.: Bürger online. Die Entwicklung der politischen Online-Kommunikation in Deutsch- land, Konstanz 2011, S. 87 ff

2 Vgl. Emmer: Bürger online, S. 100 & S. 117

3 Vgl. Eimeren, Birgit van & Frees, Beate: 76 Prozent der Deutschen online - neue Nutzungssituationen durch mobile Endgeräte, in: Media-Perspektiven, Nr. 7-8/2012 S. 363 & S. 370

4 Vgl. Leggewie, Claus: Die Medien in der Demokratie. Eine realistische Theorie der Wechselwirkung von De- mokratisierung und Medialisierung, in: Marcinkowski, Frank & Pfetsch, Barbara [Hrsg.]: Politik in der Mediendemokratie, Wiesbaden 2009, S. 75

5 Vgl. Meckel, Miriam: Vielfalt im digitalen Medienensemble. Medienpolitische Herausforderungen und Ansätze, St. Gallen 2012, S. 12 ff

6 Vgl. Pariser, Eli: Filter Bubble. Wie wir im Internet entmündigt werden, München 2012, S. 11

7 Vgl. Hasebrink, Uwe: Politikvermittlung im Zeichen individualisierter Mediennutzung. Zur Informations- und Unterhaltungsorientierung des Publikums, in: Sarcinelli, Ulrich [Hrsg.]: Politikvermittlung und Demokratie in der Mediengesellschaft, Wiesbaden 1998, S. 359 f

8 Neidhardt, Friedhelm: Jenseits des Palavers. Funktionen politischer Öffentlichkeit, in: Wunden, Wolfgang [Hrsg.]: Öffentlichkeit und Kommunikationskultur, Hamburg 2005, S. 19

9 Vgl. Neidhardt: Jenseits des Palavers, S. 19 f

10 Vgl. Neidhardt: Jenseits des Palavers, S. 20

11 Vgl. Neidhardt: Jenseits des Palavers, S. 20 f

12 Vgl. Neidhardt: Jenseits des Palavers, S. 21 ff

13 Neidhardt: Jenseits des Palavers, S. 23

14 Vgl. Neidhardt: Jenseits des Palavers, S. 23 f

15 Vgl. Neidhardt: Jenseits des Palavers, S. 24 ff

16 Neidhardt: Jenseits des Palavers, S. 26

17 Vgl. Neidhardt: Jenseits des Palavers, S. 26 ff

18 Vgl. Hasebrink: Politikvermittlung im Zeichen individualisierter Mediennutzung, S. 354 ff

19 Vgl. Hasebrink: Politikvermittlung im Zeichen individualisierter Mediennutzung, S. 359 ff

20 Vgl. Hasebrink: Politikvermittlung im Zeichen individualisierter Mediennutzung, S. 355 ff

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Nachrichten- und Informationsselektion in Zeiten virtueller Öffentlichkeit
Untertitel
Über Logiken und Mechanismen der Fragmentierung im Internet durch persönliche und personalisierte Nachrichtenströme
Hochschule
Universität Duisburg-Essen  (Institut für Politikwissenschaft (NRW School of Governance))
Veranstaltung
Öffentlichkeit und öffentliche Meinung in der Demokratie
Note
1,0
Autor
Jahr
2013
Seiten
22
Katalognummer
V214291
ISBN (eBook)
9783656425885
ISBN (Buch)
9783656434962
Dateigröße
645 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
nachrichten-, informationsselektion, zeiten, öffentlichkeit, über, logiken, mechanismen, fragmentierung, internet, nachrichtenströme
Arbeit zitieren
Florian Philipp Ott (Autor:in), 2013, Nachrichten- und Informationsselektion in Zeiten virtueller Öffentlichkeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/214291

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