Sui Yangdi als traditioneller Negativ-Kaiser im historischen Diskurs


Essay, 2013

14 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


„Yang Guang [Sui Yangdi] ist ein Vater- und Brudermorder, der mit Gewalt die Stellung eines despotischen Kaisersan sichriss.“(“[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]“, Ubers. d. Verf.)1

Gewalttatig, eigensuchtig, grausam - so wird Sui Yangdi ( [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten], 569 -618, personlicher Name Yang Guang [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] ) in einem popularwissenschaftlichen chinesischen Geschichtsbuch dargestellt. Dieses Zitat ist nur eine von zahlreichen geringschatzenden Charakterisierungen des letzten Kaisers der Sui-Dynastie (suichao [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]) in Zhang Guoliangs ([Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]) Geschichtsdarstellung Klassische Erzahlungen aus der Allgemeinen Geschichte Chinas (Zhongguo tongshi jingdian gushi [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]).Warum wird dieser Kaiser negativ beschrieben und wie kam und kommt es zu einer solch kontinuierlichen negativen Konnotation Sui Yangdis im historischen Diskurs?

Der theoretische Teil dieser Arbeit wird sich hauptsachlich mit den historiographie-analytischen Betrachtungen Nicola Spakowskis und den Ansatzen des New Historicism beschaftigen. Erganzend dazu wird noch auf einzelne Historiographie-Anschauungen Denis Twitchetts und Yang Lienshengs ( [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]) eingegangen. Primarquellen bezuglich der Darstellung Sui Yangdis im chinesischen Kontext stellen einerseits kurze Auszuge aus dem Buch der Sui (Sui Shu [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]636) und aus dem Zusammengefasste[n] Zeitspiegel zur Hilfe in der Regierung (Zizhi tongjian [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] 1065 - 1084) als temporar langer zuruckliegende Quellen dar; andererseits das Zhongguo tongshi jingdian gushi als Werk moderner chinesischer Geschichtsschreibung aus dem Jahr 1997.

Zuerst wird ein Blick auf die Formen und den Aufbau traditioneller Geschichtsschreibung im kaiserlichen China geworfen, woraufhin anhand verschiedener Konzepte gezeigt werden soll, wie personliche Praferenzen und konfuzianische Moralanschauungen negative Darstellungen farben konnen. Erganzend dazu wird versucht kurz zu erlautern, was gewissermahen als negative Darstellung im historisch-konfuzianischen Kontext Chinas verstanden werden kann. Daruber hinaus gelangt man zu dem Punkt, dass diese historischen Konzepte auf die gegenwartige Geschichtsschreibung ubertragen werden konnen.

Anschliehend wird kurz die Narrativikdebatte, die ihre Anhanger hauptsachlich in der literaturtheoretischen Stromung des New Historicism findet, angerissen. Es soll schliehlich versucht werden die bis dahin aufgezeigten historischen Konzepte und den theoretischen Rahmen der Narrativikdebatte Stephen Greenblatts (*1943), Louis Montroses und Hayden Whites (*1928) auf das Negativ-Beispiel Sui Yangdi zu ubertragen. Der Ansatz dabei ist, zu untersuchen, inwieweit die Narrativitat von Geschichtsschreibung die Konstruktion negativer Personlichkeit in der Geschichte ermoglicht. Das Ziel dieser Arbeit soll es sein, Moglichkeiten aufzuzeigen, wie diese Kreation in einem kulturellen Kollektiv anhand geschriebener Texte mit historischem Anspruch gelingt. Als konkretes Beispiel einer durchgangig negativ konnotierten Person im chinesischen historisch- traditionellen Kontext soll Sui Yangdi dienen.

Historische Konzepte von individueller und exemplarischer Geschichtsschreibung im kaiserlichen China und deren konfuzianisch-moralische Bewertung

Der Konfuzianismus war seit der Han-Dynastie (206 v. Chr. - 220 n. Chr.) die gangige Staatsdoktrin im chinesischen Kaiserreich. Samtliche Macht- und Gesellschaftskonstellationen orientierten sich an einem konfuzianisch ausgerichteten Wertemafistab. Den Begriff des konfuzianischen Wertemafistabes23 hier zu erlautern, wurde den Rahmen dieser Arbeit allerdings um ein vielfaches sprengen. Darum beschranke ich mich diesbezuglich auf das Wesentlichste. Es existieren im konfuzianischen Denken unter anderem die Werte der sogenannten Drei sozialen Pflichten (Loyalitat zhong [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten], Kindespietat xiao [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] und die Einhaltung der Riten li [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten])4, welche das Grundgerust einer funktionierenden Gesellschaftsordnung im konfuzianischen Sinne darstellen. Vordergrundig fur das Bestehen einer konfuzianischen Gesellschaft ist die Einordnung des Einzelnen in Hierarchien, so zum Beispiel die zwischen Kaiser und Untertan oder Vater und Sohn. Jeder hat eine ihm in der Gesellschaft zugewiesene Stellung inne, der er zu entsprechen hat. Verstofie und Missachtung dieser moralischen Prinzipien fuhrten zu Ausgliederung aus dem sozialen Bereich und weiterhin zu Existenznot fur das Individuum. Verhielt sichjemand getreu der konfuzianischen Pflichten, war dies moralische in Ordnung und kann in diesem Kontext als positives Exempel beschrieben werden. Samtliche Abweichler von den konfuzianischen Werten hingegen stellten im Sinne der Machtkonstellationen des chinesischen Kaiserreichs ein verwerfliches und negatives Exempel dar. Ein Punkt, den man dabei nicht vergessen sollte, ist, dass Exempel fur moralisch verwerfliches Verhalten ebenso Aufnahme im Kanon finden - zwar mehr oder weniger zensiert und ausgegrenzt, aber keineswegs getilgt werden.5 Die offizielle Geschichtsschreibung im chinesischen Kaiserreich zielte oft explizit auf moralische Darstellungen des historischen Stoffes durch die ihrejeweiligen Verfasser ab.

Yang gibt in seinem Essay Organization of Chinese Official History eine pragnante Beschreibung zur offiziellen Geschichtsschreibung im chinesischen Kaiserreich, in der er vor allem auf die personlichen Interessen der Verfasser der einzelnen Geschichtsbande eingeht. Die Standardgeschichtswerke aus den Zeiten vor der Tang-Dynastie (618 - 907) wurden ublicherweise als private Projekte einer Familie oder von einem Einzelnen begonnen. Zusammengefasst wurden diese Aufzeichnungen prinzipiell von Ministern, die normalerweise nur von autorisierten Personen hinterfragt wurden. Meist war nur eine offizielle und eine sekundare Kopie der Aufzeichnungen vorhanden.6 Yang widmet sich in seinem Essay den verschiedenen Geschichtsniederschriften ab der Tang-Dynastie, die meist von einer historiographischen Kommission nach dem Ende eines Herrscherhauses zusammengestellt wurden.7 Diese wurden in den „24 standard-histories“8 (zhengshi [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]) zusammengefasst. Bei diesem Monumentalwerk handelt es sich um eine Zusammenfassung der 24 Dynastiegeschichten9 von der Tang bis zur vorletzten Dynastie, der Ming (1368 - 1644). Es besteht aus insgesamt 24 einzelnen Buchern, wovonjedes

„[...] regelmaBig aus drei Teilen [besteht]. Der erste Teil sind die 'Annalen' (chi) \ji[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]], die in knappen Notizen fur die Herrschaftszeiten der Kaiser ein chronologisches Gerust bereitstellen. Ein zweiter Teil mit 'Traktaten' (chih) [zhi[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] ] beschreibt fur die jeweilige Dynastie wichtige Sachverhalte, zum Beispiel Amterordnung und Reichsgeographie. Am wichtigsten in einem solchen Werk sind jedoch die 'Biographien' (chuan) [liezhuan [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]] des dritten Teils.“10

Neben diesen offiziellen Dynastiegeschichten existieren noch eine Reihe weiterer Geschichtswerke, unter anderem das von Sima Guang ([Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten], 1019- 1086) verfasste Zizhi tongjian.

Yang fuhrt in seinem Essay einige Konzepte an, weshalb die kaiserliche Regierung mit einem speziell fur Geschichtsschreibung beauftragtem Amt derart kontinuierlich an der offiziellen Geschichtsaufzeichnung festhielt. Inhaltlich geht es dabei um personliche Praferenzen und Begunstigungen des Kaisers und der Beamten, sowie um Moralvorstellungen von Seiten des Herrscherhauses. In erster Linie dienten die Aufzeichnungen als Propagandamaterial fur die aktuelle Regierung. Der Akt, die Geschichte der gefallenen Dynastie aufzuarbeiten, sollte als groBzugig und edel von Seiten der regierenden Dynastie verstanden werden.11 Ein weiterer Punkt war es, Anreize fur Verfasser und Literaten zu schaffen, welche der gefallenen Dynastie gegenuber loyal waren um auch weiterhin deren Loyalitat fur das neue Herrscherhaus zu unterstutzen. Ihnen wurde das Verfassen der Geschichte der gefallenen Dynastie als Pflicht eines Kaisergetreuen auferlegt, wie ein Sohn seinem Vater gegenuber Kindespietat (xiao [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten])12 zu zollen hatte.13 Tat er dies nicht, geriet er in die Gefahr aus seiner gesellschaftlichen Position vertrieben zu werden, sollte er nicht im Sinne der herrschenden Dynastie handeln.

Neben den von der Dynastie indirekt auferlegten Pflichten, die den Schreiber beeinflussen konnten, erlautert Twitchett eine weitere Komponente bezuglich der verfassenden Personen. Seine Ausfuhrungen im Essay zu Chinese Biographical Writing gehen naher auf die Charakteristik chinesischer Geschichtsschreibung bezuglich historischer Geschichtsschreiber ein. Im Voraus sei erwahnt, dass sich Twitchett in seinem Essay thematisch grundlegend mit den lie zhuan- Abschnitten, den biographischen Abhandlungen der 24 Dynastiegeschichten, befasst. Twitchett sieht die Problematik in den personlichen Praferenzen und Abneigungen der im Ministerium agierenden Historiker im Kaiserreich. Die offizielle Geschichtsschreibung wurde, wie bereits erwahnt, von einem Ministerium bzw. mehreren Ministern bewaltigt und schrittweise von Bearbeitern aussortiert.14 Diese Bewaltigung des historischen Materials konnte oft sehr willkurlich und eigennutzig geschehen sein, was Twitchett zu der Aussage bringt, dass ,,[t]he official historian was above all compiling a corpus of precedent for future generations of confucian bureaucrats, not attempting to provide a complete picture ofhis age [...]. Most [historians] belonged to examination- bureaucrat classes and used this to criticize rival groups [i.e. enuchs, financal experts]."15

Neben diesem individuellen Akt der Geschichtsschreibung kann man in Twitchetts Ausfuhrungen ein weiteres Anliegen kaiserlicher Historiografie erkennen - die Geschichtsschreibung als Kritik an unorthodoxen Gruppen, Verhaltensweisen etc. zu verwenden um dementsprechend moralische Konzepte zu transportieren. Auch Yang fuhrt den Gebrauch der kaiserlichen Geschichtsschreibung als ,,[...] useful reference: using history as a mirror and source of lessons“16 an. Spakowski greift in ihrem Buch Helden, Monumente, Traditionen diese Thematik anhand des sogenannten exemplarischen Erzahlens in China etwas abstrakter auf. Solche Formen der Moralzuweisungen definiert Spakowski als Exempel, welches

[...]


1 Zhang, S.111.

2 Historisch hier im Sinne von vormodern, klassisch, nicht-gegenwartig.

3 Vgl. Spakowski, S.46.

4 Vgl. Seiwert, S.115ff.

5 Vgl. Spakowski, S.41.

6 Vgl. Yang,S.46.

7 Stumpfeldt, S.l.

8 Ibid., S.44.

9 Die Bezeichnung steht nicht fur die Geschichte von 24 Dynastien - die einzelnen Bucher uberschneiden sich vielfach. In anderen Quellen wird im gleichen Zusammenhang von 25 Dynastiegeschichten gesprochen (s. Stumpfeldt). Vertreter dieser Ansicht schlieBen die Aufzeichnungen aus der auf die Ming folgende Qing-Dynastie (1616- 1911) mit ein, um die Zeit des chinesischen Kaiserreichs bis zu seinem Ende 1911 zu fassen.

10 Stumpfeldt, S.l.

11 Vgl. Yang, S.47.

12 Die Kindespietat stellt eine der drei sozialen Pflichten im Konfuzianismus dar.

13 Vgl. ibid.

14 Vgl. Twitchett, S.100.

15 Ibid., S.101.

16 Yang, S.48.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Sui Yangdi als traditioneller Negativ-Kaiser im historischen Diskurs
Hochschule
Universität Leipzig  (Ostasiatisches Institut)
Veranstaltung
China als Idee und Diskurs
Note
2,0
Autor
Jahr
2013
Seiten
14
Katalognummer
V214207
ISBN (eBook)
9783656426479
ISBN (Buch)
9783656433422
Dateigröße
536 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sui Yangdi, Historischer Diskurs, New Historicism, Sui Dynastie
Arbeit zitieren
Linda Nestler (Autor:in), 2013, Sui Yangdi als traditioneller Negativ-Kaiser im historischen Diskurs, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/214207

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