Der kindliche Spracherwerb

Die Wörter- und Regeltheorie am Beispiel der Pluralbildung im Deutschen


Bachelorarbeit, 2010

29 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung – Spracherwerb

2. Hauptteil –
Was Kinder während des Spracherwerbs lernen müssen:
Wörter und Regeln
2.1 Wörter und Regeln – Grundlagen des Spracherwerbs nach Chomsky und Pinker
2.1.1 Chomskys Universalgrammatik
2.1.2 Zum angeborenen Sprachinstinkt nach Pinker
2.2 Zur Pluralbildung im Deutschen
2.2.1 Überblick über die Systematik der Pluralformen nach Eisenberg
2.3 Die Pluralbildung im Deutschen im Zusammenhang mit der Wörter- und Regeltheorie
2.3.1 Studien „pro“:
Park (1978)
Clahsen et al. (1992)
Bartke (1994)
2.3.2 Studien „contra“:
Chris Schaner-Wolles (1988)
Klaus-Michael Köpcke (1993)
Gawlitzek-Maiwald (1994)
2.4 Ergänzende Kritik zur Wörter- und Regeltheorie – Gisela Szagun

3. Zusammenfassung

4. Fazit

5. Quellenverzeichnis

Anhang: Selbstständigkeitserklärung

1. Einleitung – Spracherwerb

In der folgenden Bachelorarbeit soll der Erwerb der Pluralbildung des Deutschen im Kindesalter unter dem speziellen Gesichtspunkt der Wörter- und Regeltheorie im Fokus der Bearbeitung stehen.

Im Vorfeld der Erarbeitung stellte sich mir zunächst die Frage nach dem Wie.

Wie schafft es ein Sprecher eine Idee in eine sprachliche Äußerung zu verwandeln, die zudem auch noch grammatisch korrekt ist?

Wie erlangt und erweitert ein Mensch sein für den Sprachgebrauch unabdingbares mentales Lexikon?

Und vor allem: Wie wendet er es an?

Ist es ein angeborener Sprachinstinkt, wie Steven Pinker es beschreibt? Und gibt es eine Universalgrammatik, durch die man nach Noam Chomsky aus bestimmten sprachlichen Einheiten, unabhängig von natürlichen Einflüssen, theoretisch unendlich viele Sätze formen kann?

Beide Ansätze stützen sich auf ein unbeeinflussbares, festes Regelsystem, welches die Sprache beherrscht.

Doch genau an diesem Punkt gehen die Meinungen der Sprachwissenschaftler auseinander. Es gibt immer wieder Theorien, die einen angeborenen Sprachinstinkt und die dazu gehörende Anwendung sprachlicher Regeln in Frage stellen und behaupten, dass das mentale Lexikon allein durch das Auswendig lernen jedes neu angewendeten Wortes aufgebaut werden könne.

Dieser Zwiespalt soll im Laufe der vorliegenden Bachelor-Arbeit aufgegriffen und auf der Grundlage verschiedener Studien namenhafter Sprachwissenschaftler analytisch betrachtet werden.

Am Ende folgt eine kurze Zusammenfassung, welche die Ergebnisse bezüglich der verschiedenen Standpunkte zur Wörter- und Regeltheorie und des Erwerbs der Pluralbildung im Deutschen allgemein nochmals aufgreift und abschließend bewertet.

In der hier vorliegenden Bachelor-Arbeit kann die Problematik des dargestellten Sachverhalts mit seinen verschiedenen Denkansätzen natürlich nicht gänzlich geklärt werden, sondern lediglich ein Einblick in die kontroversen Standpunkte gegeben und eventuell mögliche Lösungsansätze auf der Basis der hier verzeichneten Erkenntnisse vorgestellt werden.

2. Hauptteil – Was Kinder während des Spracherwerbs lernen müssen: Wörter und Regeln

Wie bereits erwähnt, sind Wörter und Regeln ein fester Bestandteil des Spracherwerbs und darüber hinaus eng miteinander verbunden. Das mentale Lexikon bietet die Basis für die Anwendung der ebenso wichtigen Regeln.

Im nun folgenden Unterkapitel werden die Bedeutungen eben dieser Wörter und Regeln im Zusammenhang mit den Ansichten der Sprachwissenschaftler Noam Chomsky und Steven Pinker im Hinblick auf ihre Rolle im Spracherwerb näher betrachtet.

2.1 Wörter und Regeln – Grundlagen des Spracherwerbs nach Chomsky und Pinker

Noam Chomsky und Steven Pinker.

Zwei Sprachwissenschaftler, die ihr Leben der Spracherwerbsforschung widmeten und bezüglich dessen für die Gegenwart und Zukunft revolutionäre Theorien aufgestellt haben.

Chomsky war der Vorreiter der beiden, der mit seinen Ansichten zur Universalgrammatik behauptete, der Mensch könne mit einem begrenzten Instrumentarium von grammatikalischen Regeln und einer endlichen Anzahl von Wörtern eine unbegrenzte Menge von Sätzen bilden, darunter solche, die noch nie zuvor gesagt wurden1.

Darauf aufbauend erweiterte Steven Pinker diese Art von Theorien zum Spracherwerb und stellte die Behauptung auf, dass die Sprachfähigkeit ein dem Menschen angeborener Instinkt sei2 und hat in diesem Zusammenhang die sogenannte Wörter- und Regeltheorie aufgestellt, auf die im weiteren Verlauf dieser Arbeit noch näher eingegangen wird.

2.1.1 Chomskys Universalgrammatik

Der am 7. Dezember 1928 in Philadelphia geborene Avram Noam Chomsky lernte durch seinen Vater bereits als Kind die Sprachwissenschaft kennen. Als Hebraist hat sich William Chomsky mit „der hebräischen Sprache und [deren] Kultur“3 beschäftigt und somit vielleicht die Zukunft seines Sohnes hinsichtlich der Wissenschaft bedeutend geprägt.

Noam Chomsky entschied sich nach dem Schulabschluss für ein Studium der Linguistik und Philosophie, welches er an der Universität von Pennsylvania begann, dann einige Jahre in Harvard fortsetzte und schließlich wieder in Pennsylvania erfolgreich abschloss.

Sein wohl berühmtestes Buch Syntactic Structures wurde im Jahre 1957 veröffentlicht. Es entwickelte sich schnell zu „einem der bekanntesten Werke der Linguistik“4. In diesem Buch, das eigentlich nur ein Auszug aus seiner Doktorarbeit Logical Structure of Linguistic Theory darstellt, erklärt Chomsky erstmals ausführlich seine Hypothesen von der Transformationsgrammatik.

„Die Theorie nimmt Äußerungen (Worte, Phrasen, Sätze) und setzt sie mit Oberflächenstrukturen in Zusammenhang, die selbst wieder mit abstrakten Tiefenstrukturen korrespondieren (Ebd., Unterkapitel: Beiträge zur Linguistik).

In diesem Zusammenhang dürfen natürlich die bereits erwähnten Regeln nicht fehlen, da sie laut Chomsky die Grundlage für den Spracherwerb darstellen.

Diese Regeln sind angeboren, d. h. sie werden nicht im Laufe des Lebens erlernt, versetzen den Sprecher aber theoretisch in die Lage, jede Sprache zu erlernen und das nur aufgrund dieses bereits vorhandenen Regelwissens.

Darüber hinaus ist es möglich, mit eben diesen Regeln und grammatischen Fertigkeiten theoretisch eine unendliche Anzahl von Sätzen bilden zu können.

Aus diesem Grund nennt sich die Grammatik, die „ein Teil des genetischen Programms des Menschen“ (Ebd., Unterkapitel: Beiträge zur Linguistik) ist, Universalgrammatik.

Kurz gesagt: Universalgrammatik ist „die Menge von grammatischen Prinzipien und Parametern, die allen Sprachen gemeinsam sind, weil sie auf ein angeborenes Inventar von Eigenschaften und Restriktionen zurückzuführen sind“5.

2.1.2 Zum angeborenen Sprachinstinkt nach Pinker

Der am 18. September 1954 in Montreal geborene Steven Pinker hat nach einem erfolgreichen Schul- und Studienabschluss den Beruf des Psychologieprofessors an der Harvard Universität ergriffen und sich seitdem vor allem mit den Problemen des Spracherwerbs beschäftigt. Sein wohl berühmtestes Werk ist das Buch Wie das Denken im Kopf entsteht.6

Steven Pinker ist als Schüler aber auch als Nachfolger von Noam Chomsky zu bezeichnen, da er dessen Ansichten aufgegriffen und erweitert hat. Er hat sich vor allem mit den unregelmäßigen Verben beschäftigt, da bei deren Gebrauch sehr viele Fehler während des Spracherwerbs gemacht werden.

Unregelmäßige Verben sind nicht im mentalen Lexikon gespeichert, müssen also erst gelernt werden. Die Problematik besteht jedoch darin, dass man in diesem Fall keinen spezifischen Regeln folgen kann und daher ausschließlich auf das Auswendiglernen zurückgreifen muss. Das ist jedenfalls die Auffassung der Behavioristen, die den Glauben vertreten, „dass der menschliche Geist unstrukturiert und leer sei“7.

Pinker und bereits vor ihm natürlich Chomsky sind jedoch Anhänger des sogenannten Rationalismus, der behauptet, „dass der menschliche Geist von Geburt an im wesentlichen strukturiert und ausgebildet sei“ (Ebd.).

Aus diesen verschiedenen Ansichten resultiert ein grundlegender Konflikt zwischen den führenden Sprachwissenschaftlern.

An Pinker, der einer jüngeren Generation als Chomsky angehört, sind die Theorien der Behavioristen jedoch nicht spurlos vorbei gegangen. Er konnte sich gegen den Aufschwung, den der Behaviorismus in den 80iger Jahren durch die Unterstützung der Computertechnik erhielt, nicht weiter wehren. „Seither wird der Streit von Rationalisten und Behavioristen auf dem Felde der irregulären Verbformen ausgetragen“ (Ebd.). Steven Pinker hat sich aufgrund der damaligen Eindrücke das Ziel gesetzt, „die wesentlichen Grundideen von Behaviorismus und Rationalismus miteinander auszusöhnen und einen Jahrhunderte langen Streit zu beenden. Im Zentrum dieses Vorhabens steht seine Wörter- und Regel-Theorie, die Aspekte beider Schulen in sich vereinigt“ (Ebd.).

Laut dieser Theorie existieren beim Menschen bezüglich des Spracherwerbs hauptsächlich Wörter und Regeln. Die Regeln werden intuitiv benutzt, um neue Wörter zu gebrauchen, die einem regelmäßigen System folgen. Regelmäßige Formen können demnach leichter gebildet werden.

Wie bereits erwähnt, können diese Regeln nicht angewendet werden, wenn das neu erlernte Wort keinem regelmäßigen System folgt. Solche Wörter werden im mentalen Lexikon des Sprechers gespeichert und bei Bedarf aus diesem abgerufen, nachdem man einmal mit ihnen konfrontiert wurde. „Folglich sollte der Geist seine Sprache durch unterschiedliche Arbeitsweisen des Gehirns erzeugen“8. Pinker betont immer wieder, dass das mentale Lexikon keine „eintönige Wortliste ist, die stumpfsinnig Stück für Stück auswendig gelernt werden muß“ 9. Mit anderen Worten:

„Kinder erlernen Sprache nicht wie das Lesen einer Uhr oder die Namen der größten deutschen Flüsse, sie erlernen sie so, wie Spinnen lernen, Netze zu weben oder Vögel das Fliegen lernen“ (Ebd., S. 562).

Somit nimmt das mentale Lexikon im Kindesalter sehr schnell an Größe zu. Mit zunehmendem Alter wird dieser Anstieg natürlich immer schwächer, da auf den Sprecher nie wieder so viele neue Informationen zukommen, wie in den ersten Lebensjahren.

Zusammenfassend lässt sich an dieser Stelle sagen, dass Pinker, von dem Vorhandensein eines Sprachinstinktes bei allen Menschen ausgehend, der Meinung ist, dass die Fähigkeiten für das Erlernen einer Sprache angeboren und bei jedem Menschen für jede einzelne Sprache universell abrufbar sind. Wörter und Regeln spielen diesbezüglich die größte Rolle, da nur ein gleichzeitiger Gebrauch dieser beiden Kriterien einen optimalen Spracherwerb ermöglichen kann.

2.2 Zur Pluralbildung im Deutschen

Nachdem die Grundzüge der Theorien von Noam Chomsky und Steven Pinker vorgestellt und kurz erläutert wurden, soll nun die Pluralbildung des Deutschen im Mittelpunkt der Betrachtung stehen.

Daher werden im folgenden Abschnitt zunächst die Pluralformen anhand der Systematik von Peter Eisenberg beleuchtet sowie die häufigsten Fehler der Pluralbildung allgemein aufgezeigt.

Trotz der Theorie des angeborenen Sprachinstinktes ist es für Erwachsene immer wieder verblüffend, wie früh und schnell ihre Kinder den Sprach- und besonders den Grammatikerwerb in ihrem Leben vollziehen. Im Durchschnitt „Steigt das Kind mit ungefähr 18 Monaten in den Grammatikerwerb ein, d. h. zu dem Zeitpunkt, wenn sein aktiver Wortschatz eine Größe von ungefähr 50 Wörtern erreicht hat. [...] [und] bei aller gebotenen Vorsicht gegenüber Altersangaben bleibt festzuhalten, dass Kinder im Laufe des vierten Lebensjahres die grundlegenden Regeln des grammatischen Systems ihrer Muttersprache erworben haben und sie fast immer korrekt anwenden können“10.

2.2.1 Überblick über die Systematik der Pluralformen nach Eisenberg

Der Sprachwissenschaftler Peter Eisenberg tastet sich in seinem „Grundriss der deutschen Grammatik“ (Band 1: Das Wort) sehr langsam, aber gleichzeitig mit der Thematisierung einiger Problemstellungen an die Pluralbildung bzw. –formen des Deutschen heran.

So zeigt er z. B. zu Beginn die Schwierigkeit auf, Substantive und deren passende Numerussuffixe in einer schlüssigen Systematik unterzubringen. Laut Eisenberg „ergeben sich sechs Pluralklassen“11, die er, wie im Folgenden dargestellt, zusammenfasst.

[...]


1 vgl.: http://www.grin.com./e-book/47810/chomskys-universalgrammatik-und-ihre-bedeutung-fuer-die-generative-grammatik (Zugriff am 02.07.2010)

2 vgl.: http://www.Spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518/577618,00.html

(Zugriff am 02.07.2010)

3 zitiert nach: Bibliografisches Institut & F. A. Brockhaus AG, 2007 (Stichwort: Hebraistik)

4 Hier und im Folgenden zitiert nach: http://www.chomskyarchiv.de (Zugriff am 02.07.2010)

5 zitiert nach: Bußmann, Hadumod (2002): Lexikon der Sprachwissenschaft (S. 722) 3

6 vgl.: http://www.Spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518/577618,00.html

7 hier und im Folgenden zitiert nach: http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php

(Zugriff am 02.07.2010) 4

8 zitiert nach: http://www.amazon.de/W%C3%B6rter-Regeln-Die-Natur-Sprache/dp/3938478594 (Zugriff am 10.05.2010)

9 Hier und im Folgenden zitiert nach: Pinker, Steven (1998): Der Sprachinstinkt.

10 zitiert nach: Iven, Claudia (2006): Sprache in der Sozialpädagogik (S.44f.)

11 hier und im Folgenden zitiert nach:

Eisenberg, Peter (2006): Grundriss der deutschen Grammatik. Das Wort. (S. 162ff.)

Ende der Leseprobe aus 29 Seiten

Details

Titel
Der kindliche Spracherwerb
Untertitel
Die Wörter- und Regeltheorie am Beispiel der Pluralbildung im Deutschen
Hochschule
Universität Potsdam
Veranstaltung
Germanistik Sprachwissenschaft
Note
2,3
Autor
Jahr
2010
Seiten
29
Katalognummer
V214075
ISBN (eBook)
9783656443933
ISBN (Buch)
9783656443629
Dateigröße
527 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
spracherwerb, wörter-, regeltheorie, beispiel, pluralbildung, deutschen
Arbeit zitieren
Master of Education Anne Marquardt (Autor:in), 2010, Der kindliche Spracherwerb, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/214075

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