Unterschichtenfernsehen. Medienklassifikation und soziale Ungleichheiten


Hausarbeit, 2010

18 Seiten, Note: 14


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Was meint „Unterschichtenfemsehen“?

3 Der Diskurs in den Medien

4 Die Popularität von „Reality“-TV

5 Medien als „Identitätsräume“?

6 Zusammenfassung und Fazit

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Im Oktober 2008, während der Verleihung des Deutschen Femsehpreises, kam es zum Eklat. Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki sollte den Deutschen Fernsehpreis entgegennehmen. Reich-Ranicki trat auf die Bühne und lehnte den Preis kategorisch ab. Die Begründung für seine vom Publikum unerwartete Reaktion fand er in der mangelhaften Qualität, die das Fernsehen mittlerweile seiner Ansicht nach angenommen hatte. Nicht nur Reich-Ranicki äußerte sich kritisch über die Entwicklung des Fernsehprogramms. Debatten, die die Qualität des heutigen Fernsehprogrammes betreffen, gibt es mittlerweile zu genüge. Auch Harald Schmidt äußerte sich diesbezüglich und verwendete hierbei den Begriff des „Unterschichtenfernsehen“, um seine früheren Arbeitgeber, die privaten Fernsehsender der Pro7/Sat.L-Gruppe, zu betiteln. Doch was genau meint der Ausdruck „Unterschichtenfernsehen“? Welche Sendungen oder Sender werden dazu gezählt? Wie und wodurch kam der Begriff zustande? Mit diesen und weiterführenden Fragestellungen bezüglich des Phänomens „Unterschichtenfernsehen“ befasst sich die vorliegende Hausarbeit im Detail.

Zu Beginn wird die Begrifflichkeit des „Unterschichtenfernsehens“ erörtert. Hierbei wird geklärt, woher der Ausdruck stammt, welche Formate er beinhaltet und welches Publikum er aus welchen Gründen adressiert. Im Folgenden wir der Fokus auf die Diskussion über „Unterschichtenfernsehen“ in den Qualitätszeitungen gerichtet. Die verschiedenen Ansätze werden vorgestellt und durchleuchtet. Dies geschieht, indem die differenten Argumentationslinien dargelegt und kritisch analysiert werden. Aufgrund der Tatsache, dass der Ausdruck „Unterschichtenfernsehen“ weitestgehend mit „Reality“-TV verknüpft wird, soll schließlich „Reality“-TV selbst betrachtet werden. Es wird hinterfragt, woher die große Popularität und Attraktivität dieses Genres rührt und weshalb Sendungen dieses Typs zunehmend produziert werden. Weiterhin wird erläutert, warum es sich bei Sendungen des Genres „Reality“- und „Lifestyle“-TV nicht lediglich um zeitlich befristete Modeerscheinungen handelt. Außerdem werden die Auswirkungen des Mediums Fernsehen auf Wandel und Kontinuität der Gesellschaft erörtert. Zuletzt widmet sich diese Hausarbeit der Frage, ob Medien als „Identitätsräume“ gelten. Dieser Abschnitt beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern „Reality“-TV an der Gestaltung von präskriptiven, „normalen“ Lebensentwürfen beteiligt ist und welchen Einfluss es darauf nimmt.

2 Was meint „Unterschichtenfernsehen?“

Die Begrifflichkeit des „Unterschichtenfemsehens“ existiert seit Mitte der neunziger Jahre. Geprägt wurde der Ausdruck von dem Satiremagazin Titanic. Der Begriff „Unterschichtenfernsehen“ wurde inzwischen vielfach zitiert und häufig verwendet, um - wie Harald Schmidt dies tat - gewisse Sendungen und Formate im heutigen Fernsehprogramm negativ zu kategorisieren und sie einem gewissen Publikum zuzuschreiben. Als „Unterschichtenfernsehen“ werden in der Regel Sendungen wie beispielsweise Talk-Shows (Vera am Mittag, Zwei bei Kallwass), Gerichts-Shows (Richterin Barbara Salesch), Talent- und Casting-Shows (Deutschland sucht den Superstar, Popstars, Germany’s Next Top Model, The Biggest Loser), „Lifestyle“- Sendungen (Raus aus den Schulden, Das Model und der Freak, Einsatz in vier Wänden) und ähnliche Formate bezeichnet.[1] Allgemein können diese dem Genre des „Reality“- TV beziehungsweise dem Subgenre „Lifestyle“-TV zugeordnet werden.[2] Ausgestrahlt werden Produktionen dieses Genres größtenteils durch die privaten Fernsehsender wie beispielsweise Pro7, Rtl, Sat.l, Vox oder Rtl2. Neben den privaten Sendeanstalten wird das öffentlich-rechtliche Fernsehen oftmals als qualitativ hochwertigeres und „gutes“ Fernsehen zum Vergleich herangezogen.[3]

Der Soziologe Paul Nolte versuchte den Begriff „Unterschichtenfernsehen“ argumentativ zu durchdringen und dessen Bedeutung zu klären. Noltes Ansicht nach handelt es sich bei Konsumenten des „Unterschichtenfernsehens“ um Menschen, die nicht unbedingt von materieller, sondern vordergründig von kultureller Verarmung betroffen sind.[4] Ergänzend äußert sich Nolte hierzu wie folgt:

„Die Kultur und der Lebensstil der Unterschichten hat sich in weiten Bereichen von der ökonomischen Basis, von materiellen Notlagen längst entkoppelt.“[5]

„Die kulturelle Verwahrlosung“[6] sieht er als zentrale Ursache für prekäre Lagen in der Gesellschaft. Das „Unterschichtenfernsehen“ kennzeichne laut Nolte die kulturelle Verarmung von Gesellschaftsgruppen.[7] [8] Den Menschen in prekärer Lage wird hierdurch ein spezifischer Fernsehkonsum als Erkennungsmerkmal ihrer sozialen Lebensverhältnisse zugeschrieben. Nolte legt dar, dass sich die Ursachen von Diskriminierung und sozialer Degradierung in dem vorhandenen Kulturkapital, den Geschmacksäußerungen und dem Konsummuster der Betroffenen finden lassen. Nolte konstatiert außerdem, dass die menschlichen Entscheidungen bezüglich des Konsumverhaltens und des persönlichen Geschmacks keinem Zwang unterliegen, wodurch sie gewissermaßen selbstverschuldet seien.[9] Dies führe en passant zu dem Eindruck, dass die „Unterschicht“ selbst die Schuld an ihrer prekären Lebenssituation trage, da sie nicht gewillt sei sich an die kulturellen Vorgaben der höheren Klassen anzupassen, um sich aus ihrer Misere zu befreien.[10]

3 Der Diskurs in den Medien

Die Debatte bezüglich „Unterschichtenfemsehens“ wurde von diversen Qualitätszeitungen, wie beispielsweise Die Zeit, Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine, Die Welt und anderen, angefacht und diskutiert.[11] Innerhalb dieses Diskurses gab es zwei differenzierte Betrachtungsweisen. Der erste Ansatz bedient sich des Begriffs affirmativ und diskutiert das Phänomen selbst, während der zweite Ansatz sich mit dem Begriff des „Unterschichtenfernsehens“ auseinandersetzt und über den Zusammenhang von Medien und Klasse kritisch reflektiert.[12]

Der affirmative Gebrauch des Begriffs setzt voraus, dass es den Begriff grundsätzlich gibt und dass gewisse Formate als „Unterschichtenfernsehen“ deklariert werden können. Beiträge in den oben genannten Zeitungen, die das Thema affirmativ aufgriffen, blieben „[...] auffallend blass.“ So wurde in Der Zeit beispielsweise diesbezüglich die verallgemeinernde Aussage getroffen, dass der Begriff „Unterschichtenfernsehen“ die deutschen Privatsender und ihr Publikum meine.[13] [14] In den Zeitungen wurden von Seiten vieler Autoren private Sender wie Rtl, Rtl2, Sat.l oder NeunLive und deren Programmangebote klischeehaft und undifferenziert als „Unterschichtenfernsehen“ kategorisiert.[15] Hierzu werden in der Regel Sendungen wie beispielsweise Big Brother, Talk-Shows oder Gerichts-Shows gezählt.[16] Neben der undifferenzierten Sicht auf die Sender und Formate, findet die Charakterisierung des (vermeintlichen) Publikums ebenso pauschal statt und bedient sämtliche Klischees:

„Die „Unterschicht“ im Fernsehen - und auch vor dem Bildschirm - ist
tätowiert und gepierct, die Männer sitzen Bier trinkend am
Nachmittag vor dem Fernseher, die zusehenden Frauen sind durch ein tätowiertes „Arschgeweih“ zu erkennen.[17]

[...]


[1] Thomas, Tanja (2010): Wissensordnungen im Alltag: Offerten eines populären Genres. In:

Röser, Jutta/Thomas, Tanja/ Peil, Corinna (Hrsg.): Alltag in den Medien - Medien imAlltag. Wiesbaden: VS. 25.

[2] Ebd.

[3] Klaus, Elisabeth/ Röser, Jutta (2008): „Unterschichtenfernsehen": Beobachtungen zum Zusammenhang von Medienklassifikationen und sozialer Ungleichheit. In: Wischermann, Ulla/Thomas, Tanja (Hrsg.): Medien - Diversität - Ungleichheit. Wiesbaden: VS. 263.

[4] Nolte, Paul (2004): Generation Reform: Jenseits der blockierten Republik. München: Beck.

[5] Nolte, Paul (2003): Das große Fressen. In: Die Zeit vom 17.12.2003. URL: http://www.zeit.de/2003/52/Essay_Nolte [21.03.2010, 15:24 Uhr].

[6] Nolte, Paul (2004): Generation Reform: Jenseits der blockierten Republik. München: Beck.

[7] Ebd.

[8] Müchler, Günther (2004): Rezension von Paul Nolte: Generation Reform. Jenseits der blockierten Republik. In: DeutschlandRadio Berlin vom 30.04.2004. URL: http://www.dradio.de/dlr/sendungen/ politischesbuch/260077/ [21.03.2010, 16:14 Uhr].

[9] Nolte, Paul (2004): Generation Reform: Jenseits der blockierten Republik. München: Beck.

[10] Klaus, Elisabeth/ Röser, Jutta (2008): „Unterschichtenfernsehen": Beobachtungen zum Zusammenhang

[11] Ebd.

[12] Ebd.

[13] Ebd. 267.

[14] Amend, Christoph (2005): Was guckst du? In: Die Zeit vom 10.03.2025. URL: http://www.zeit.de/2005/11/Titel_2fUnterschicht_11 [21.03.2010, 21:56 Uhr].

[15] Klaus, Elisabeth/ Röser, Jutta (2008): „Unterschichtenfernsehen": Beobachtungen zum Zusammenhang von Medienklassifikationen und sozialer Ungleichheit. In: Wischermann, Ulla/ Thomas, Tanja (Hrsg.): Medien - Diversität- Ungleichheit. Wiesbaden: VS. 267.

[16] Ebd.

[17] Ebd.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Unterschichtenfernsehen. Medienklassifikation und soziale Ungleichheiten
Hochschule
Justus-Liebig-Universität Gießen  (Politikwissenschaften)
Veranstaltung
Seminar: Soziale Ungleichheiten in Medienkulturen
Note
14
Autor
Jahr
2010
Seiten
18
Katalognummer
V213653
ISBN (eBook)
9783656420170
ISBN (Buch)
9783656420866
Dateigröße
550 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
unterschichtenfernsehen, medienklassifikation, ungleichheiten
Arbeit zitieren
Nils Hübinger (Autor:in), 2010, Unterschichtenfernsehen. Medienklassifikation und soziale Ungleichheiten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/213653

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