Die Interdependenztheorie in empirischer Anwendung

Deutschlands Beziehungen mit ausgewählten Mitgliedern der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion auf dem Prüfstand.


Hausarbeit, 2013

16 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Interdependenztheoretischer Ansatz
2.1 Grundlage der Interdependenztheorie von Keohane und Nye
2.2 „Vulnerability“ und „sensitivity“

3. Empirische Analyse
3.1 Export- und Importsummen
3.2 Ausländisch gehaltene Unternehmen in Deutschland

4. Fazit

1. Einleitung

In der politischen Diskussion um die Eurokrise bzw. um die weitere Vertiefung der europäischen Integration gibt es in Deutschland immer wieder ein Statement, das die Bedeutsamkeit des europäischen Projekts aufzeigen soll: „Die Bundesrepublik Deutschland ist wirtschaftlich und politisch auf seine europäischen Nachbarn angewiesen.“ Dass soll bedeuten, dass die herausragende wirtschaftliche Situation Deutschlands, durch die engen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Beziehungen zu den europäischen Nachbarn ermöglicht wurde. Im Mittelpunkt dieser Sichtweise stehen vor allem die europäischen Länder, die mit Deutschland zusammen die europäische Währungs- und Wirtschaftsunion bilden. Grund dafür ist, dass durch einen gemeinsamen Wirtschaftsraum und eine gemeinsamen Währung, so die Verfechter dieser Aussage, die gegenseitige Abhängigkeit stark steigt. Wollen wir diesem Argument glauben, stellt sich natürlich die Frage, ob Deutschlands Lage wirklich derart abhängig ist von der Situation und dem Verhalten seiner europäischen Nachbarn.

Exakt an diesem Punkt möchte diese Arbeit ansetzten. Es soll überprüft werden, ob und inwieweit Deutschland in einer Abhängigkeitsbeziehung mit Europa steht. Um diese Abhängigkeitsbeziehung darzustellen und zu analysieren wird hier der interdependenzanalytische Ansatz im internationalen Staatensystem genutzt, um einen theoretischen Zugang zur Thematik herzustellen. Das heißt genauer, dass die Abhängigkeitsbeziehung unter dem Begriff der „Interdependenz“, der im späteren Verlauf definiert und erklärt werden soll, spezifiziert und erweitert wird. Daraus ergibt sich dann auch die konkrete Fragestellung für diese Arbeit: „ Inwiefern besitzt die Bundesrepublik Deutschland mit den Mitgliedern der Wirtschafts- und Währungsunion Frankreich, den Niederlanden und Österreich eine Interdependenzbeziehung?“

Diese Fragestellung ermöglicht zwei Dinge: Zum einen die Bearbeitung der grundsätzlichen Frage nach der Abhängigkeit Deutschlands mit seinen europäischen Nachbarn, zum anderen aber auch eine empirische Anwendung des interdependenztheoretischen Ansatzes. Wichtig ist diese empirische Anwendung, da man durch sie ein Stück weit die Erklärungskraft der Theorie aufzeigen kann, aber auch die Möglichkeit besitzt, mögliche Stärken und Schwächen der Theorie aufzuzeigen und zu verdeutlichen. Das heißt für diese Arbeit, dass der interdependenztheoretische Ansatz nicht nur allein als theoretischer Ansatz benutzt wird, sondern, dass auch versucht wird, eine empirische Verarbeitung dieser Theorie zu erbringen. Die Bearbeitung der Fragestellung soll in zwei Schritten geschehen. Einmal in einem theoretischen Schritt, in dem die theoretischen Grundlagen der Arbeit geklärt werden soll und einmal in einem empirischen Schritt, in dem die Interdependenz Deutschlands mit Österreich, Frankreich und den Niederlanden überprüft werden soll.

Im ersten Schritt wird der interdependenztheoretischer Ansatz von Robert O. Keohane und Joseph S. Nye in überarbeiteter Form aus dem Jahr 2001 erläutert und um einige Anmerkungen durch andere Autoren ergänzt. Um die Relevanz der Fragestellung noch einmal abschließend zu verdeutlichen sollen auch die möglichen Folgen von Interdependenz, die von verschiedenen Autoren aufgezeigt und diskutiert wurden, dargelegt werden.

Im zweiten Schritt soll nun wie oben erwähnt eine empirische Analyse erfolgen. Als beispielhafte Mitglieder der Wirtschafts- und Währungsunion sind hier Frankreich, die Niederlande und Österreich gewählt worden. Die Wahl der Länderbeispiele begründet sich zum einen darin, dass für vollständige Daten vorhanden waren. Zum anderen konnten aus Platz- und auch aus Übersichtsgründen die anderen Mitglieder der Wirtschafts- und Währungsunion nicht mit eingebunden werden.

Die Interdependenz soll durch zwei ökonomische Indikatoren empirisch nachgewiesen werden. Die Export- und Importsummen der einzelnen Länder sowie die ausländisch gehaltenen Unternehmen in Deutschland sollen die Roller der Indikatoren übernehmen. Die Wahl der Indikatoren und deren Relevanz für die Messung von Interdependenz werden im empirischen Teil begründet und erklärt. Es soll nach der Aufarbeitung der beiden Indikatoren möglich sein, jeweils Aussagen treffen zu können, inwiefern Deutschland eine Interdependenzbeziehung mit den Beispielländern aufweist.

Abschließend sollen die Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst werden und es soll eine Einschätzung abgeben werden, welche Ansatzpunkte man noch wählen könnte, um die Interdependenz Deutschlands mit seinen europäischen Nachbarn deutlicher zu charakterisieren.

2. Interdependenztheoretischer Ansatz

Viele Autoren haben sich innerhalb der internationalen Beziehungen mit dem Phänomen der gegenseitigen Abhängigkeit von Staaten befasst. Einer der wichtigsten Begriffe auf diesem Gebiet ist der der Interdependenz. Einfach definiert, handelt es sich bei Interdependenz um die einfache „Gegenseitigkeit von Parteien“ (Waltz 1979: S.243). Problematisch an dieser Definition ist, dass hier keine wirkliche Abgrenzung zur simplen Verflechtung stattfindet. Eine bessere und vor allem anwendbarere Definition von Interdependenz liefern Robert O. Keohane & Joseph S. Nye in ihrer Interdependenztheorie.

2.1 Grundlagen der Interdependenztheorie von Keohane und Nye

Keohane und Nye legen ihrer Intedependenztheorie vier Annahmen zu Grunde. Die grundlegendste Annahme, die die beiden Autoren treffen, beruht auf der klassischen Ansicht, dass die Staatenwelt sich durch Anarchie auszeichnet (vergl. Milner & Moravcsik 2009: S.15). Das heißt, es gibt innerhalb des internationalen Systems keine Institutionen, welche ordnend in die Staatenwelt eingreifen kann, also ein Gewaltmonopol besitzt. Des Weiteren beziehen sich Keohane und Nye auf die relevanten Akteure im internationalen System. So sehen sie nicht nur Staaten sondern auch internationale Organisationen und innerstaatliche Eliten als wichtige und einflussreiche Akteure an (vergl. Keohane & Nye 2001: S.25). Neben diesen strukturellen Annahmen legen Keohane und Nye auch Änderungen in der inhaltlichen Dimension von internationaler Politik fest. Militärische Gewalt ist für sie nicht unbedingt immer ein zweckmäßiges oder notwendiges Mittel zum Erreichen eines Zieles für die Staaten sein. Außerdem ist die politische Agenda der Staaten nicht wie beim Realismus streng hierarchisch aufgebaut. „Sicherheit“ ist nicht das allein dominierende Ziel und die einzelnen Akteure können eine eigene Prioritätenreihenfolge der Ziele festlegen (vergl. Keohane & Nye 2001: S.25).

Aus diesen vier Annahmen leiten die beiden Autoren die Existenz von Interdependenz zwischen verschieden Staaten ab. Wichtig ist, dass man an diesem Punkt die einfache Interdependenz zwischen Staaten von der „komplexen Interdependenz“ abgrenzt. Diese stellt eine Erweiterung des Begriffs der Interdependenz dar, welcher an dieser Stelle nicht von Bedeutung ist.

Zurück zur einfachen Interdependenz: Den Begriff der Interdependenz verstehen Keohane & Nye folgendermaßen: „Interdependence, most simply defined, means mutual dependence.“ (Keohane & Nye 2001: S.7). Das heißt genauer formuliert, dass Interdependenz allgemein gegenseitige Effekte beschreibt, die zwischen verschiedenen Staaten oder anderen Akteuren aus unterschiedlichen Herkunftsländern bestehen. (vergl. Keohane & Nye 2001: S7).

Wichtig ist nun, dass die beiden Autoren ein Kriterium einführen wodurch man Interdependenz von einer einfachen Verflechtung von Staaten unterscheiden kann. Dieses Kriterium sind Kosten. Interdependenz definiert sich durch gegenseitige Kosteneffekte, die bei jeder Transaktion zwischen Akteuren auftreten kann. Daher würden Beziehungen zwischen Akteuren, die eben keine nennenswerten Kosten nach sich ziehen, nicht als Interdependenz verstanden werden, sondern als reine Verflochtenheit der Akteure (Keohane & Nye 2001: S.8). Diese Kosten müssen nicht zwangsweise von einem anderen Akteur ausgehen, sondern können auch durch die Umwelt entstehen (Keohane & Nye 2001: S.8).

Nun ist es aber nicht so, dass Interdependenz sich nur auf Kosteneffekte beschränkt. Interdependenzen können auch Vorteile für die jeweiligen Akteure bedeuten (Gasiorowski 1986: S.24). Diese Vorteilhaftigkeit von Interdependenzen haben auch Keohane & Nye gesehen, sie haben aber bewusst darauf hingewiesen, dass man berücksichtigen muss, dass Interdependenzen sich eben nicht nur auf vorteilhafte Beziehungen beschränken, sondern auch Interaktionen die für beide Akteure nur Kosten beinhalten (vergl. Keohane & Nye 2001: S.8). Ansonsten würde möglicherweise eine unglückliche theoretische Fixierung von Interdependenz auf rein vorteilhafte Beziehungen entstehen.

2.2 „Vulnerability“ und „sensitivity“

Der Begriff Interdependenz ist mit diesem definitorischen Merkmal der Kosten aber noch nicht vollends beschrieben. Die Väter der Interdependenztheorie haben den Begriff der Interdependenz nach ihrer grundlegenden Definition in zwei Dimensionen aufgeteilt. Für Keohane & Nye gliedert sich Interdependenz in „sensitivity“ und „vulnerability“. (Keohane & Nye 2001: S.10). Die Dimension der „Sensitivity“ bezieht sich auf den Grad der Empfänglichkeit von Akteuren. Genauer heißt das, dass durch „sensitivity“ die Existenz und die Höhe von Kosten beschrieben werden, die bei einem Staat A entstehen, wenn in einem anderem Staat B in irgendeiner Form Änderungen geschehen, ohne dass sich das Verhalten des Staates A ändert (vergl. Keohane & Nye: S.10). Entscheidendes Merkmal von „sensitivity“ ist, dass die Änderungen „[…]routine, occuringe in the context of rules and polices“ sind. (Gasiorowski 1986: S.24). Daraus resultiert, dass „sensitivity“ nur die gegenseitigen Effekte auf die jeweiligen Akteure beschreibt (Baldwin 1980: S. 490).

Die Dimension der „vulnerability“ geht nun einen deutlichen Schritt weiter. Denn auf dieser Ebene geht es nun um konkrete Verhaltensanpassungen. „Vulnerability“ beschreibt nämlich die Kosten, die bei einem Staat A entstehen, wenn bei Staat B Änderungen auftreten und Staat A gleichzeitig versucht durch Verhaltensänderung die eigene Situation zu verbessern. Daraus resultiert, dass es auf dieser Ebene der Interdependenz wichtig ist, ob es Alternativen zur jetzigen Interaktion gibt und welche Kosten diese Interaktionen haben (Keohane & Nye 2001: S.11). Grundsätzlich ist die „vulnerability“ davon abhängig, ob es für einzelne Interaktionen und waren Ersatzmöglichkeiten gibt. (vergl. Keohane & Nye 2001: S. 181). Außerdem ist der Begriff der „vulnerability“ nicht nur auf Staaten anwendbar. Er kann auch auf gesellschaftliche Gruppen ausgeweitet werden (Kirby 2006: S.635). Wobei gesellschaftliche Gruppen hier mit anderen Gruppen oder mit der Gesellschaft als Ganzes in einer Interdependenzbeziehung stehen können. Wichtig ist, dass sich „vulnerability“ auf zwei Dimensionen bezieht: Eine Erhöhung der Bedrohung gekoppelt mit einer Schwäche der Bewältigungssysteme (Kirby 2006: S.336). Damit ist gemeint, dass sich durch das Verhalten bzw. durch Änderungen innerhalb eines Staates A, die Grundsituation eines Staates B verschlechtert. Um die Situation zu verbessern muss Staat B sein Verhalten ändern, kann aber durch die interdependente Beziehung nur begrenzt auf kostengünstige Alternativen zurückgreifen.

Interdependenz tritt nun nicht nur in symmetrischer Form auf sondern auch in asymmetrischer Form. Asymmetrische Interdependenz heißt, dass es einen weniger interdependenten Staat gibt und einen stärker interdependenten Staat (Keohane & Nye 2001: S.9). Bedeutsam ist so eine asymmetrische Interdependenz, da sie es dem weniger interdependenten Staat ermöglicht Druck auf den stärker interdependenten Staat auszuüben und dadurch asymmetrische Interdependenz eine Machtquelle für Staaten sein kann (Keohane & Nye: 2001: S.9). Daher spielt die Unterteilung in „vulnerability“ und „sensitivity“ bei asymmetrischen Interdependenzen eine wichtige Rolle. Allgemein führt eine asymmetrische „sensitivity“ zu „short-term power“ und „vulnerability“ zu „long-term power“ (Nye 2000: S.184-5). „Vulnerability“ bildet dadurch die Hauptquelle für Macht, ist also wesentlich bedeutender (vergl. Keohane & Nye2001: S.11). Das begründet sich darin, dass durch eine hohe asymmetrische „vulnerability“ die Möglichkeiten des benachteiligten Staates stark eingeschränkt sind und der weniger interdependente Staat dadurch die Situation zu seinen Gunsten beeinflussen kann.

[...]

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Die Interdependenztheorie in empirischer Anwendung
Untertitel
Deutschlands Beziehungen mit ausgewählten Mitgliedern der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion auf dem Prüfstand.
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Seminar Internationale Beziehungen
Note
2,0
Autor
Jahr
2013
Seiten
16
Katalognummer
V213508
ISBN (eBook)
9783656416142
Dateigröße
742 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Interdependenz, EU, Deutschland
Arbeit zitieren
Michael Cattarius (Autor:in), 2013, Die Interdependenztheorie in empirischer Anwendung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/213508

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