Prozesse und Folgen der Gentrification

Protest und Diskurs


Seminararbeit, 2012

28 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


INHALT

Einleitung

1. Begriff der Gentrification

2. Erklärungen für Gentrification
3.1. Angebotsorientierte Erklärungsansätze
3.2. Nachfrageorientierte Erklärungsansätze
3.3. Stadtpolitische Erklärungsansätze

3. Verlaufsmodelle der Gentrification

4. Gentrification der Lower East Side, New York

5. Protest: Forderung nach dem „Recht auf Stadt“

6. Diskurs: Aufwertung vs. Verdrängung

7. Zusammenfassung

Literatur

Verzeichnisse

EINLEITUNG

In den letzten Jahren hat die Gentrificationforschung an neuer Bedeutung gewonnen. Nach einem gesunkenen Interesse Anfang der 1990er Jahre, wurde durch viele wissenschaftliche Arbeiten Gentrification in aktuelle Themengebiete der Stadtforschung integriert. Mithilfe der Gentrification eröffnen sich neue Perspektiven auf die Theorien der Globalisierung und der Global Cities sowie auf soziale Phänomene wie Exklusion und Polarisation. Neue Protestkulturen und Forderungen nach mehr Bürgerbeteiligung lassen sich mit einem Verständnis für städtische Umwandlungsprozesse besser verstehen. Weiterhin wird die geographische Konsumforschung ebenso wie Debatten um Privatisierung und öffentlichen Raum in Erklärungsansätzen eingebunden (Lees et al. 2008).

Der in den letzten Jahrzehnten beobachtete Wandel im Diskurs und in der Anwendung stadtpolitischer Instrumente ist Teil des neoliberalen Urbanismus. Erstes Anzeichen der Neoliberalisierung ist eine Stadterneuerung durch Gentrification (ebenda). Städte und Regionen befinden sich in einer globalen Konkurrenzsituation, aus der heraus Handlungsnotwendigkeiten und Praktiken abgeleitet werden (Mattissek 2008: 55 ff.).

In dieser Arbeit wird die Theorie der Gentrification näher erläutert. Nach einer Auseinandersetzung mit dem Begriff Gentrification und einer Übersicht der vorhandenen Erklärungsansätze in der Literatur, erfolgt eine Darstellung der theoretischen Verlaufsmodelle. Zur Annäherung an die Bewertung des Prozesses wird die Gentrification der Lower East Side rekonstruiert und der Slogan „Recht auf Stadt“ des städtischen Protests vorgestellt. Der letzte Teil befasst sich mit dem wissenschaftlichen Diskurs um die Folgen von Gentrification für die Stadt und deren Bewohner.

1. BEGRIFF DER GENTRIFICATION

Der Begriff Gentrification stammt aus dem Jahr 1964 und wurde zum ersten mal von der britischen Geografin Ruth Glass verwendet. Sie untersuchte Veränderungen der Altbauquartiere im Londoner Stadtteil Islington seit den späten 1950er Jahren. Unter Gentrification verstand sie die Wiederaufwertung von Wohnquartieren durch eine Erneuerung der Bausubstanz, was den Austausch der Bewohner zur Folge hat. Die ursprüngliche Bevölkerung der Arbeiterklasse weicht einer neuen städtischen Mittelklasse. Dies ist der Grund weshalb sich Ruth auf den „gentry“ bezog, den niederen englischen Landadel des 18. und 19. Jh bzw. die alte ländliche Mittelklasse

(vgl. Glatter 2007; Holm 2012).

Bis Mitte der 1980er Jahre existierten mehrere Begriffe für den Veränderungsprozess, beispielsweise Neighbourhood-reinvestment (Clay 1980), back-to-the-city-movement (Laska/Spain 1980) oder private market housing renovation (Black 1980). Erst dann konnte sich der Begriff Gentrification gegen alternative Bezeichnungen durchsetzen. Zuvor wurde kritisiert, dass dieser, durch seinen Bezug auf die gentries, in erster Linie die Verhältnisse in britischen Städten wiederspiegeln könne

(Glatter 2007: 7).

Dies bedeutet jedoch nicht, dass es ein einheitliches Verständnis über die Ursachen, den typischen Verlauf und die Folgen von Gentrification besteht. Robert Beauregard bezeichnet diesen Umstand als das „chaos of gentrification“ und sieht die Komplexität städtischer Prozesse als Grund für das Fehlen einer eindeutigen Definition (vgl. Beauregard 1986; Holm 2012).

Als eine grundlegende Begriffsbestimmung in der deutschsprachigen Gentrificationforschung gilt die Definition von Jürgen Friedrichs. Er bezeichnet Gentrification als den "Austausch einer statusniedrigen Bevölkerung durch eine statushöhere in einem Wohngebiet" (Friedrichs 1998: 14) und betont somit den speziellen Nachbarschaftswandel im Prozess als Schlüsselmerkmal. Friedrichs repräsentiert damit einige Ansätze, die mithilfe quantitativ-empirischen Methoden den Bevölkerungsaustausch untersuchen (Bernt et al. 2010). Die Vielzahl an Definitionen lässt sich durch die Anzahl an einbezogenen Merkmalen differenzieren. Während Friedrichs sich auf ein Merkmal beschränkt, beziehen viele Wissenschaftler weitere Merkmale in ihre Definition mit ein

(Glatter 2007: 7 f.). Angenommen werden bauliche Veränderungen (Berry 1985), wohnungswirtschaftliche Wertsteigerungen (Smith 1979,1986; Clark 1987) oder ein kultureller (Bernt/Holm 2002) und symbolischer Wandel (Beauregard 1986; Hamnett 1984). Neuere Arbeiten betonen außerdem die Bedeutung der Stadtpolitik (Lees et al. 2008).

Peter Marcuse bezieht sich auf den neutralen Begriff Bewohneraustausch und ersetzt diesen durch Verdrängung.

„Verdrängung ist das Wesen der Gentrification, nicht ein unerwünschter Nebeneffekt. Verbesserung der Bausubstanz ist lediglich ein Mittel zum Zweck der Verdrängung und nicht ein Ziel an sich. Vielfach wird der Verdrängungsprozeß durch Aufbesserungen der Infrastruktur oder der Dienstleistungen und/oder durch steuerliche Maßnahmen und/oder direkte Darlehen oder Zuschüsse seitens der öffentlichen Hand unterstützt.“ (Marcuse 1992: 80)

Nach Marcuse werden drei Formen der Verdrängung definiert (Marcuse 1985):

1. direkte Verdrängung
2. indirekte Verdrängung
3. exclusionary displacement

Direkte Verdrängung bezeichnet den unmittelbaren Druck, durch beispielsweise Mieterhöhungen, aus einer Wohnung beziehungsweise aus einem Wohngebiet auszuziehen. Dagegen werden indirekte Verdrängungen durch Veränderungen im Wohnumfeld ausgelöst. Der Wandel der Bewohner oder der Infrastruktur missfällt einem Haushalt, weshalb er sich dazu entscheidet wegzuziehen (vgl. Friedrichs 1998: 63). Unter dem Begriff exclusionary displacement wird die langfristige Schließung von Räumen für untere Einkommensschichten beschrieben. Damit gemeint ist der freiwillige Außzug eines Hauhaltes, dessen frei gewordene Wohnung anschließend gentrifiziert wird. Dadurch steht die Wohnung für ähnliche Haushalte nicht mehr zur Verfügung. Die Anzahl der in Frage kommenden Wohnungen für diese Nachfrager wird auf dem Immobilienmarkt verringert (Marcuse 1985: 206). Jürgen Friedrichs fügt außerdem die Form der neutralen Verdrängung hinzu. Haushalte verlassen ein Gebiet aufgrund von Gründen, die nicht durch Gentrificationprozesse beeinflusst werden

(Friedrichs 1998: 63).

In der Gentrificationforschung ist dieser Begriff der Verdrängung jedoch umstritten. Es bestehen Probleme Verdrängung eindeutig zu definieren, da es fast immer aus mehreren Gründen zu Umzugsentscheidungen kommt. Daher ist es schwierig einen einzelnen als am bedeutensten zu bestimmen. Weiterhin ist Verdrängung nur schwer empirisch zu belegen. Für die Bestimmung der Verdrängung reicht die Betrachtung des Moments des Auszug eines Haushalts nicht aus. Es bedarf einer längerfristigen Untersuchung (Bernt et al. 2010).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab. 1 Merkmale von Gentrification und Incumbent Upgrading (Quelle: Clay 1979; aus Dangschat 1988: 275)

Zur Abgrenzung des Begriffs der Gentrification ist es hilfreich diesen mit anderen Formen der Wiederaufwertung zu vergleichen. In der Literatur wird Gentrification am häufigsten mit Incumbent Upgrading verglichen (siehe Tab. 1).

„The major nature of this process is that physical improvement by incumbent residents takes place at a substantial rate with no significant change in the socio-economic status or characteristics of the population. The lower- or working-class ambience of the neighborhood is not changed, and the physical imvestments reflect greater confidence on the part of owner-investors in the neighborhood“ (Clay 1979: 7).

Im Gegensatz zur Gentrification wird die Aufwertung von den Bewohner und Hausbesitzern ausgelöst und verläuft langsamer bzw. weniger intensiv. Dadurch werden die Bewohner nur in sehr geringem und verzögerten Maß ausgetauscht (vgl. Friedrich 2000; Glatter 2007).

2. ERKLÄRUNGEN FÜR GENTRIFICATION

Zur Ursachenbeschreibung von Gentrification wird auf die marktwirtschaftliche Grundannahme von Angebot und Nachfrage zurückgegriffen. Zusätzlich gewinnt der Einfluss des Staates auf die Akteure des Marktes zunehmend an Bedeutung. Um die komplexen Prozesse zu verstehen, werden verschiedene Sachverhalte einzeln betrachtet. Deren Zusammenwirken kann nur in Fallstudien durch die genaue Betrachtung der Ausgangssituation, der Einflussfaktoren und eventueller Feedback-Effekte rekonstruiert werden (vgl. Glatter 2007; Kecskes 1997).

3.1. ANGEBOTSORIENTIERTE ERKLÄRUNGSANSÄTZE

Es ist festzustellen, unter welchen ökonomischen Rahmenbedingungen Investoren sich dazu entscheiden, Kapital in die Modernisierung alter Baustrukturen zu investieren. Dieser Frage folgend wird Gentrification durch ertragreiche Investitionsmöglichkeiten ausgelöst (vgl. Holm 2012). Neil Smith gilt als einer der bekanntesten Vertreter dieses Ansatzes des veränderten Angebots. Bereits in den 1970er Jahren bezeichnete er Kapitalströme als wichtigsten Faktor von Aufwertungsprozessen. Er bezeichnete Gentrification als „back to the city movement, by capital not by people“ (Smith 1979).

Im Folgenden werden drei Aspekte vorgestellt, die ökonomische Erklärungen städtischer Aufwertungsprozesse aufzeigen.

Makroökonomische Investitionszyklen

In der Immobilienwirtschaft kommt es zu einem zyklischen Verlauf von Bauinvestitionen. Dies wird mit der Regelhaftigkeit der kapitalistischen Produktion erläutert. Kommt es im ersten Kaptalkreislauf, der Warenproduktion, zur Verringerung des Ertrags, wird regelmäßig in den zweiten Kapitalkreislauf investiert. Dazu zählt der Immobilienmarkt und die Infrastruktur. Während wirtschaftlicher Krisen wird dadurch der Konkurrenzdruck im ersten Kapitalkreislauf verringert. Es besteht eine konjunkturelle Abhängigkeit zwischen beiden Kapitalkreisläufen Gentrification ist also die Folge einer zyklischen Bewegungen „des nach räumlicher Fixierung strebenden Kapitals“ (Holm 2012: 665).

Mikroökonomische Rationalität

Für das Verständnis von Auf- und Abwertungsprozessen ist es wichtig zu wissen, dass Investitionen in Immobilien, zumindest in den westlichen Ländern, immer im Rahmen einer kapitalistischen Ökonomie geschehen. Grundstücke und Immobilien sind frei handelbar. Daraus leitet sich die Bedeutung der Bodenrente als Erklärungsansatz der räumlichen Verteilung von innerstädtischen Zentren ab. Weiterhin ist der Wert einer Immobilie nicht festgelegt. Modernisierungen beeinflussen die Bodenrente einer Immobilie sowie der umliegenden Grundstücke. Zu welchem Preis eine Immobilie verkauft wird spiegelt auch den Bodenwert wieder. Ein Grundstück bedarf, im Gegensatz zur Bebauung, keiner Investitionen, um sein Nutzenpotential zu wahren. Hohe Anfangsinvestitionen erfordern die Vergabe von Krediten durch Banken. Für Investoren ist es daher wichtig den möglichen Nutzungszeitraum einer Immobilie und den Zeitraum bis zur Amortisation zu betrachten
(Smith 1996: 58).

In der Gentrificationforschung wurden zwei Theorien zur Erklärung der Rentabilität von Modernisierungsmaßnahmen entwickelt. Gerade in Fallstudien über US-amerikanische Städte wurde die Rent-Gap-Theorie verwendet. In westeuropäischen Untersuchungen kommt eher eine modifizierte Value-Gap-Theorie zum Einsatz. Beide Ansätze gehen von einer Rentabilitätsdifferenz zwischen der aktuell erwirtschafteten Bodenrente und den durch Verkauf und Investition erwarteten Erträgen aus
(Holm 2012: 665). Die „rent gap“ ist die Differenz des höchst möglichen Ertrags und der Bodenrente aus der aktuellen Nutzung. Die Ertragslücke entsteht durch die Abwertungsprozesse und den Anstieg der innerstädtischen Bodenrente durch ein positives Städtewachstum (Smith 1979, 1996). Dagegen bezeichnet die „value gap“ die Wertlücke zwischen dem erzielten Ertrag aus der Vermietung der Immobilie und dessen Verkaufswert als modernisierte Eigentumswohnungen
(vgl. Hamnett/Randolph 1986; Glatter 2007).

Renditeökonomie

Bevor es in Wohngebieten zu Gentrification-Prozessen kommt werden viele Viertel durch Einzeleigentümer geprägt. Diese sehen von Instandsetzungsmaßnahmen ab, da sie somit ihre Gewinnspanne bei den Mieteinnahmen erhöhen oder weil ihnen das Kapital für Investitionen fehlt. In einem abgewerteten Wohnviertel existiert für sie außerdem kein Anreiz ihre Immobilien zu verkaufen. Einzeleigentümer erwirtschaften durch die Verzinsung ihrer Grundstücke eine Rente. Steigende Bodenpreise durch mögliche Aufwertungsprozesse erhöhen jedoch die Wahrscheinlichkeit eines Verkaufs. Nachfrager sind meitens professionelle Immobilienfirmen, die auf einen weiteren Anstieg der Grundrente spekulieren. Sie sind darauf angewiesen den Kaufpreis möglichst schnell zu amortisieren und eine Rendite zu erzielen. Andrej Holm spricht von dem „Übergang von der Wohnungsverwaltung zur Wohnungsverwertung in einer Beschleunigung des Wohnungshandels und in verstärkten Umwandlungsaktivitäten“ (Holm 2012: 666).

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Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Prozesse und Folgen der Gentrification
Untertitel
Protest und Diskurs
Hochschule
Technische Universität Dresden
Note
1,3
Autor
Jahr
2012
Seiten
28
Katalognummer
V213435
ISBN (eBook)
9783656415947
ISBN (Buch)
9783656536796
Dateigröße
988 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Recht auf Stadt, Gentrifizierung, Gentrification, Verdrängung, Modernisierung, Aufwertung, Wohnungspolitik, Verlaufsmodelle, Gentrifier, Pioniere, Lower East Side, New York, Protest, Henri Lefebvre, Stadtsoziologie
Arbeit zitieren
Stefan Oertel (Autor:in), 2012, Prozesse und Folgen der Gentrification, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/213435

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