Thesen zu Arno Schmidts "Die Umsiedler"


Hausarbeit, 2013

15 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Thesen
2.1. Die Umsiedler liefert einen realitätsgetreuen und kritischen Bezug zum politischen Geschehen der westdeutschen Nachkriegszeit.
2.2. Die Umsiedler spiegelt erstmals in der deutschen Nachkriegsliteratur die Armut und die Not der Flüchtlinge und Umsiedler in ganzer Breite wider.
2.3. Der anonyme Ich-Erzähler weist zahlreiche Parallelen zu Schmidts Biographie auf.
2.4. In Die Umsiedler wird Schmidts Atheismus deutlich.
2.5. Die Umsiedler enthält zahlreiche typische Stilmittel Schmidts.
2.6. Die Neue Prosaform des Fotoalbums wird in Die Umsiedler exakt umgesetzt.

3. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Arno Schmidts Nachkriegserzählung Die Umsiedler aus dem Jahr 1953 liefert ein eindrucksvolles Zeitzeugnis vom Leben in Westdeutschland nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Erzählt wird die Umsiedlung einer Gruppe Menschen per Zug aus ihrer Heimat Niedersachsen nach Rheinhessen. Die Neuankömmlinge stoßen in der neuen, ihnen zugewiesenen Heimat bei den Bewohnern des Dorfes auf Zurückhaltung, Misstrauen, Voreingenommenheit und nur widerwillige Aufnahme. Nach anfänglicher Unterbringung der Flüchtlinge in notdürftigen Unterkünften findet der Erzähler der Geschichte mit Katrin - einer jungen Witwe, die er bereits bei Beginn der Reise kennenlernte und in die er sich schnell verliebt - eigenständig eine neue Bleibe.

Die Erzählung Schmidts spiegelt drastisch und auf bedrückende Weise das Leben von vielen Millionen Umsiedlern, Flüchtlingen und Vertriebenen in Deutschland nach Kriegsende 1945 wider. Was heute kaum vorstellbar ist, wird zumindest ansatzweise durch Die Umsiedler ausgeführt und der heutige Leser beginnt das gesamte Ausmaß der fatalen Situation der Nachkriegszeit zu erahnen.

Die Umsiedler nimmt eine Sonderstellung in der deutschen Nachkriegsliteratur ein. Schmidt bricht mit seiner Themenwahl ein Tabu: Bis dato gab es keine öffentliche Diskussion über das große Problem (unfreiwilliger) Umsiedlungen und Kriegsflüchtlinge im zertrümmerten Deutschland und erst recht keine literarische Verarbeitung dessen.

2. Thesen

Ein Teil der nachfolgenden Thesen zu Schmidts Die Umsiedler bezieht sich im weiteren Sinne auf Tabubrüche des Autors: Das Aufzeigen der Armut und des weitreichenden Elends der Menschen im zerstörten Deutschland sowie eine sexualisierte Darstellung einer modernen, emanzipierten Frau. Die übrigen Thesen der folgenden Arbeit zeigen für Schmidt typische Merkmale am Text auf. So sollen Bezüge zu Schmidts Biographie, seinem Atheismus und allgemeinen stilistischen Besonderheiten anhand seiner Erzählung hergestellt werden. Abschließend wird geprüft, inwiefern Schmidts eigens aufgestellte Theorie zu der Neuen Prosaform des Fotoalbums in Die Umsiedler umgesetzt wurde.

2.1. Die Umsiedler liefert einen realitätsgetreuen und kritischen Bezug zum politischen Geschehen der westdeutschen Nachkriegszeit.

Der Blick der Menschen auf das politische Geschehen der Nachkriegszeit und dessen Akteure war geprägt von Hilflosigkeit, Resignation und Wut. Diese Gefühle werden in Die Umsiedler deutlich, wenn einer der Reisenden Gründe für den Aufbruch aufzählt: „Von der Regierung helfen sie uns da nicht, da wollen wir selber lostreckern.“1 Die Hilflosigkeit der Menschen wird verstärkt von einem Gefühl der Unwissenheit und Machtlosigkeit: „[M]an rangierte uns hin, her (90).“ Eigeninitiative und Mut zu Unbekanntem waren oft die einzige Chance auf ein besseres Leben.

Zu den gravierenden Problemen in der neuen Heimat der Flüchtlinge zählen keine (langfristigen) Erwerbschancen und eine völlige Überbevölkerung kleiner Gebiete; „in den aufnehmenden Gebieten verschärft[e] der große Bevölkerungsstrom die ökonomischen und sozialen Probleme.“2 Auf dieses Chaos reagierte schließlich die Politik. Das Potsdamer Abkommen vom 02.08.1945 sollte die Überführung der deutschen Aussiedler aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn „in ordnungsgemäßer und humanerWeise“3 regeln.

Später sollte eine vom Bundestag am 11.11.1949 gebilligte Verordnung der Bundesregierung die Entlastung überbevölkerter Regionen beschleunigen. Der Plan war, „300 000 Flüchtlinge aus den am stärksten beanspruchten Bundesländern Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein in weniger belastete Länder (insbesondere die französische Zone) umzusiedeln.“4 Im Jahr 1949 schätzte man die Zahl der Vertriebenen und Ausgesiedelten in Westdeutschland auf etwa 7,7 Millionen.5 So wurden „Abfahrt, Transport in zugigen Zügen, Ankunft und provisorische Einrichtung in der 'neuen Heimat' [zu] Themen der Reportage [Schmidts], die Unzählige anging, und die stellvertretend für jene die erduldete Demütigung festhält.“6

Da die Versorgung mit Lebensmitteln in der Nachkriegszeit sehr schlecht war, behielten die Besatzungsmächte „die in den Kriegsjahren eingeführte Zwangsbewirtschaftung bei: Lebensmittel, Brennstoff und Kleidung gibt es offiziell nur aufZuteilung [,..].“7 Diese Zuteilung erfolgte durch verteilte Lebensmittelmarken. Ein weiterer Schritt der Politik war das sogenannte Lastenausgleichsgesetz, welches am 01.09.1952 in Kraft trat. Nach dessen § 1 ist das Ziel des Lastenausgleichs

[d]ie Abgeltung von Schäden und Verlusten, die sich infolge der Vertreib­ungen und Zerstörungen der Kriegs- und Nachkriegszeit oder durch Schäden im Schadensgebiet [...] ergeben haben, sowie die Milderung von Härten, die infolge der Neuordnung des Geldwesens im Geltungs­bereich des Grundgesetzes einschließlich Berlin (West) eingetreten sind [...] die erforderlichen Mittel werden nach Maßgabe dieses Gesetzes aufgebracht (Lastenausgleich).8

Diese Unterstützung von Seiten der Regierung erfolgte allerdings zu spät für die Figuren der Erzählung Schmidts: „Kein Lastenausgleich, Hausratshilfe, Aufwertung der Ostsparkonten (Fluch den Ministern !) (77 f.).“ Bei ihrer Ankunft am Bahnhof in Gau-Bockenheim wird ihnen erneut bewusst, dass der politische Gutwille trügt. Der Landrat des Dorfes, der die Neuankömmlinge nach ihrer anstrengenden Reise begrüßt, hat es äußerst eilig, sich vom Schauplatz des Elends und damit den bevorstehenden Probleme zu entfernen (Vgl. 98). Die Flüchtlinge fühlen sich von Anfang an nicht willkommen. Die Menschen in Die Umsiedler sehen sich von den

Politikern im Stich gelassen;

[a]n ihnen vor allem wird veranschaulicht, wo die Politiker versagen. [...] Begriffe wie 'Wohnungsnot' und 'Rentenzuteilung' bekommen figürliche Gewichtung, Klassen- und Geschlechtertrennung erhalten persönliche Substanz.9

Der am 15.09.1949 zum Bundeskanzler gewählte Konrad Adenauer steht aufgrund seines Alters und seines (Nicht-) Handelns in der Kritik des Erzählers:

[...] was müssen das für Ochsen sein, die sich den Fleischer zum König wählen! [...] in jedem Beruf ist ein Mensch mit 65 ausrangiert; aber der Staatsmann, Senillissimus, wird scheinbar erst mit 75 so recht reif, eiskalt, total unmenschlich, greisig gräulich griesgram Gräber grimmig (78).

Konrad Adenauer, 1876 geboren, war 1950 bereits 74 Jahre alt.10 Nicht nur der Kanzler ist dem Erzähler zu alt: „Aber in der Regierung sitzen ja Alles Solche, die nischt mehr mitmachen brauchen; Keiner unter 60 : was brauchen wir da noch Altersheime, wo wir doch die Parlamente haben (107) !“ Das Durchschnittsalter der Mitglieder des 1. Bundestages betrug 58,3 Jahre.11 2.2. Die Umsiedler spiegelt erstmals in der deutschen Nachkriegsliteratur die Armut und die Not der Flüchtlinge und Umsiedler in ganzer Breite wider.

Der Begriff „Flüchtlingstreks“ wurde zum Inbegriff der Flüchtlingsbewegungen. Es handelt sich um Flüchtlingsströme Ende des Zweiten Weltkriegs, die teilweise auch schon während der letzten Kriegsmonate von russischer Front in Ost- und Westpreußen, Pommern, Schlesien und dem Sudetenland in Richtung Westen führten. Zur Verfügung standen den fliehenden Menschen - wenn überhaupt - nur primitive Fortbewegungsmittel; meistens legten sie jedoch hunderte von Kilometern zu Fuß zurück. Überladene Fuhrwerke, große Distanzen, schlechte Ausrüstung und nur wenige Lebensmittel hatten viele Tote zur Folge.

[...]


1 Arno Schmidt: Die Umsiedler. In: Ders.: Seelandschaft mit Pocahontas/Die Umsiedler, Frankfurt am Main 1966, S. 92. Im Folgenden werden Zitate unter Angabe der Seitenzahl im Text nachgewiesen.

2 Wolf-Rüdiger Baumann u.a.: Die Fischer Chronik Deutschland 1949-1999. Ergebnisse, Personen, Daten, hrsg. von der Weltalmanach-Redaktion, Frankfurtam Main 1999, S. 35.

3 Ebd.

4 Ebd., S. 54.

5 Ebd.

6 Bert Blumenthal: Der Weg Arno Schmidts. Vom Prosaprotest zur Privatprosa, München 1980, S. 94.

7 Wolf-Rüdiger Baumann: Die Fischer Chronik Deutschland 1949-1999, S. 37.

8 Bundesministerium der Justiz: Gesetz über den Lastenausgleich. URL: <http://http://www.gesetze- im-internet.de/lag/>, Datum des letzten Zugriffs: 19.03.2013.

9 Bert Blumenthal: Der Weg Arno Schmidts, S. 95.

10 Vgl.: Wolf-Rüdiger Baumann: Die Fischer Chronik Deutschland 1949-1999, S. 1080.

11 Vgl.: Bert Blumenthal: DerWeg Arno Schmidts, S. 97.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Thesen zu Arno Schmidts "Die Umsiedler"
Hochschule
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)  (Institut für Literaturwissenschaft)
Veranstaltung
Das Frühwerk Arno Schmidts
Note
1,7
Autor
Jahr
2013
Seiten
15
Katalognummer
V213235
ISBN (eBook)
9783656414230
ISBN (Buch)
9783656414537
Dateigröße
430 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Arno Schmidt, Thesen, Die Umsiedler, Nachkriegsliteratur, Umsiedlung, Flucht, Deutschland nach 1945
Arbeit zitieren
Gabriela Augustin (Autor:in), 2013, Thesen zu Arno Schmidts "Die Umsiedler", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/213235

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