Die Berliner-Reformschulpädagogik in der gegenwärtigen Diskussion


Élaboration, 2012

15 Pages


Extrait


Inhalt

1. Vorwort

2. Historischer Hintergrund und Ursachen

3. Ziele der Lebensgemeinschaftsschule

4. Pädagogischer Ansatz der Berliner Lebensgemeinschaftsschulen

5. Unterrichtsgestaltung und Unterrichtspraxis

6. Leistungsbewertung und Ergebnissicherung in Lebensgemeinschaftsschulen

7. Aktuelle Relevanz der Berliner Lebensgemeinschaftspädagogik

8. Literatur

9. Anhang

1. Vorwort

Wenngleich der Begriff „Reformpädagogik“ im öffentlichen Bewusstsein in der Regel intuitiv mit Montessori- und Waldorfpädagogik verknüpft ist und häufig als „Kuschelpädagogik“ abgetan wird, so spielten in der Vergangenheit und spielen bis heute Fragen nach der Reformierung des Bildungswesens eine entscheidende Rolle. Häufig muss der Autor feststellen, dass – wenn von der Notwendigkeit der individuellen Förderung des Kindes die Rede ist – er nicht selten auf die gleichen Reaktionen stößt. „Im Berufsleben nimmt auch niemand auf persönliche Befindlichkeiten Rücksicht“, oder: „Es kann doch nicht sein, dass die Schüler machen können, worauf sie gerade Lust haben“, ist da recht oft zu hören. Tatsächlich werden im öffentlichen Bewusstsein viele Ansätze der Reformpädagogik nicht zuletzt über Massenmedien falsch transportiert. Das Fernsehen scheint den Eindruck zu vermitteln, dass wenn Lernende in der Schule gerade das machen, wonach sie Lust haben, sie angeblich am effektivsten Lernen würden. Es steht außer Frage, dass Schüler dann irgendetwas lernen würden, nur kann auf diese Weise kein Grad der Allgemeinbildung erreicht werden, zumal das auch nicht erklärte Absicht der Reformpädagogiken ist, worunter auch Montessori- und Waldorfpädagogik fallen. Während der Verfasser dem Grundprinzip der Waldorfpädagogik eher skeptisch gegenübersteht, da sie aufgrund ihrer Temperamentlehre einen antiaufklärerischen Ansatz verfolgt, steckt vor dem Hintergrund einer emanzipatorisch-aufklärerischen Erziehung in der Schule hinter dem Satz Maria Montessoris, „Hilf mir, es selbst zu tun“, ein wichtiger Ansatzpunkt zahlreicher anderer Reformschulen des ausgehenden 19. (Tolstoi) und beginnenden 20. Jahrhunderts. Die vorliegende Arbeit stellt nicht nur eine Verschriftlichung des Referats zu den Grundgedanken des Berliner Reformschulwesens dar; vielmehr werden die Grundsätze vor dem Hintergrund des gegenwärtigen Bildungswesens und der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung reflektiert und ihre aktuelle Relevanz aufgezeigt. Zu beachten gilt, dass diese Reflexion zum Teil sehr zuspitzend formuliert ist, um auf diese Weise den Versuch zu unternehmen, auf den Kern unseres, im Hinblick auf die Idee der Aufklärung in vielen Punkten immer noch rückständiges, Bildungssystem zu stoßen. Wie aus der Verschriftlichung hervorgehen wird, hat oben zitierte Aussage Maria Montessoris auch für die Berliner Reformpädagogen eine entscheidende Rolle gespielt, wenngleich sie unabhängig voneinander unterschiedliche Konzepte entwickelten. Nicht zuletzt soll durch diese Verschriftlichung aufgezeigt werden, dass Reformpädagogik nicht mit Kuschelpädagogik gleichzusetzen ist. Es ist eine andere Pädagogik, die auch an den Lehrenden neue und zum Teil auch größere Anforderungen stellt, schließlich ist – insbesondere bei der Berliner Reformschule – der Lehrer nicht Führer, sondern Teil einer Gruppe, der die Lernenden dazu anleiten soll, selbst denken und handeln zu können.

2. Historischer Hintergrund und Ursachen

Das Jahr 1919 stellte in der Deutschen Geschichte eine markante Zäsur dar. Zum ersten Mal ist es gelungen, den Kaiser vom Thron und eine Republik aus der Taufe zu heben. Doch mit dem Ende des Kaiserreiches ist nicht zwingend das Ende des autoritär geprägten Bildungswesens einhergegangen. Als Leo Tolstoi Ende des 19. Jahrhunderts den Drill, die Legitimität der Prügelstrafe, den permanenten Druck und die Huldigung des Kaisers im Deutschen Bildungswesen kritisierte, kann festgehalten werden, dass sich auch das – abgesehen von der Huldigung des Kaisers – 1919 nur kaum geändert hat. Während das Parlament neu zusammengesetzt wurde, sich das Deutsche Reich eine neue Verfassung gab, änderte sich in der Verwaltung häufig nur wenig. Es dominierten bei Militär und Bildungswesen nach wie vor Gepflogenheiten und Gesetze aus dem Kaiserreich. Im Bildungswesen wurde nach der Revolution von 1918/19 das preußische Gesetz zur Volksschulbildung von 1906 beibehalten.[1]

Dennoch erwuchsen im Umfeld der Revolution vor allem unter Vertretern der deutschen Sozialdemokratie sowie in linksliberalen Kreisen Ideen und Konzepte einer demokratischen Schule. Deutsche Reformpädagogen der 20iger Jahre setzten sich vor allem mit der Frage auseinander, wie demokratische und soziale Werte durch die Schule vermittelt werden könnten. Ihre Ideen und Konzepte waren von der Hauptforderung geleitet, dass sich die gesellschaftliche Revolution auch im Bildungswesen widerspiegeln solle.[2] Eines dieser zahlreichen Konzepte ist jenes der Berliner Lebensgemeinschaftsschulen, das während der Amtszeit des Berliner Stadtschulrates Wilhelm Paulsen versuchsweise im Stadtbezirk Berlin-Neukölln sowie in der sogenannten Schulfarminsel Scharfenberg initiiert worden war.[3]

3. Ziele der Lebensgemeinschaftsschule

Ziel des Berliner Lebensgemeinschaftsschulprojektes war es, die autoritären Unterrichts- und Erziehungsstrukturen des preußischen Bildungswesens abzubauen. Anstelle dem Folgen einer vorgegebenen Meinung und Auslegung einer Sache sollten Rechte von Kindern geltend gemacht werden und Kinder zur freien Meinungsbildung ermutigt werden.[4] Die überragende Stellung des Lehrers, militärische Schuldisziplin, Prügelstrafen und Rangordnung durch Zensuren galt es ebenso abzuschaffen, wie den Klassencharakter der Schule. Ebenso setzten sich Berliner Reformpädagoginnen und Reformpädagogen zum Ziel, beide Geschlechter gemeinsam in einer Schule und Klasse zu unterrichten sowie Eltern, Kinder und Laien Möglichkeit zur Gestaltung am Unterricht zu geben.[5]

Hauptkritikpunkt am vom Kaiserreich übernommenen Schulwesen war der verpflichtende Religionsunterricht. Insbesondere aus Kreisen der SPD und USPD wurde der Ruf nach „weltlichen Schulen“, also Schulen ohne verpflichtenden Religionsunterricht zunehmend lauter. Da vor allem in Preußen Arbeiter – trotz anderer Gesetzeslage – zunehmend vom Religionsunterricht abmeldeten, begann die Regierung damit, weltliche Klassen an den Regelschulen zuzulassen. Die Idee der Lebensgemeinschaftsschule, die von dem Berliner Oberstadtschulrat Wilhelm Paulsen erarbeitet und der Hamburger Reformpädagogik entlehnt worden war, ging jedoch um einiges weiter und beschränkte sich nicht nur auf die Einrichtung weltlicher Klassen in Regelschulen.[6]

"Die Elterschaft und Lehrerschaft wollte ernstlich eine neue Schule, eine neue Erziehung 'fort von der Lernschule, fort von der alten Autoritätserziehung - hin zur Arbeitsschule, Erziehungsschule, Lebensschule'. Dieser Wille zur Neugestaltung ist für diese Schulen charakteristisch geworden. Sie versuchen im Rahmender bestehenden Bestimmungen, die eine mehr, die andere weniger, den Weg ins neue Land zu gehen", weiß der Berliner Stadtschulrat Jens Nydahl 1928 in einer Ausgabe zum Berliner Schulwesen zu berichten.[7] Die erste dieser Schulen entstand 1920 im Berliner Stadtteil Adlershof, ab Herbst 1920 entstanden zahlreiche weitere im Berliner Stadtteil Neukölln. Die Berliner Rütli-Schule, die vor einigen Jahren traurige Berühmtheit erlangte, befand sich ebenfalls unter den Reformschulen und hatte vor allem für ihre künstlerisch-musische Ausrichtung einen hohen Bekanntheitsgrad.[8] Die sogenannten Sammelschulen, beziehungsweise „weltlichen Schulen“ wurden vor allem in Arbeitervierteln errichtet.[9]

[...]


[1] Redde, Gerd: Schulreform in Berlin am Beispiel der Lebensgemsinschaftsschulen, in: Amlung, Ullrich/ Haubfleisch, Dietmar/ Link, Jörg-W./ Schmitt, Hanno (Hrsg.): Die alte Schule überwinden. Reformpädagogische Versuchsschulen zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 1993.

[2] Haubfleisch, Dietmar: Berliner Reformpädagogik in der Weimarer Republik. Überblick, Forschungsergebnisse und – perspektiven, in: Pehnke, Andreas/ Röhrs, Hermann (Hrsg.): Die Reform des Bildungswesens im Ost-West-Dialog. Geschichte. Aufgaben.Probleme, Frankfurt am Main 21998, S. 143.

[3] Haubfleisch: Berliner Reformpädagogik, S. 143.

[4] Hansen-Schaberg, Inge: Demokratische Bestrebungen von Lehrerinnen und Lehrern an weltlichen Schulen und Lebensgemeinschaftsschulen in Berlin, in: Neuhäuser, Heike/ Rülcker, Tobias: Demokratische Reformpädagogik (Berliner Beiträge zur Pädagogik), Frankfurt am Main 2000, S. 89.

[5] Hansen-Schaberg: Demokratische Bestrebungen, S. 91.

[6] Haubfleisch: Berliner Reformpädagogik, S. 144.

[7] Jens Nydahl zitiert nach Haubfleisch, Dietmar, in: http://archiv.ub.uni-marburg.de/sonst/1998/0013.html#5

[8] Haubfleisch, Dietmar:

[9] http://archiv.ub.uni-marburg.de/sonst/1998/0013.html#5

Fin de l'extrait de 15 pages

Résumé des informations

Titre
Die Berliner-Reformschulpädagogik in der gegenwärtigen Diskussion
Université
Ernst Moritz Arndt University of Greifswald  (Institut für Erziehungswissenschaft)
Cours
Innovative Regelschulen Gestern und Heute
Auteur
Année
2012
Pages
15
N° de catalogue
V212971
ISBN (ebook)
9783656410614
ISBN (Livre)
9783656412014
Taille d'un fichier
552 KB
Langue
allemand
Mots clés
Reformpädagogik, Berliner Lebensgemeinschaftsschulen, Allgemeine/ Historische/ Vergleichende Pädagogik, Staatsschulwesen
Citation du texte
Marco Wagner (Auteur), 2012, Die Berliner-Reformschulpädagogik in der gegenwärtigen Diskussion, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/212971

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