Giorgiones 'Bildnis eines jungen Mannes' / „Brocardo“. Vom repräsentativen Staatsporträt zum „Seelenbildnis“


Hausarbeit, 2013

12 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Die Entwicklung des Porträts in der venezianischen Malerei

2. Forschungsstand

3. Vergleich zwischen Giovanni Bellinis Porträt des Dogen Leonardo Loredan und Giorgiones Bildnis eines jungen Mannes (gen. „Brocardo“)
3.1 Giovanni Bellini Porträt des Dogen Leonardo Loredan
3.2 Giorgione Bildnis eines jungen Mannes (gen. „Brocardo“)

4. Interpretation des Bildnisses eines jungen Mannes (gen. „Brocardo“)
4.1 Identifikation
4.2 Intention der Auftraggeber
4.3 Hintergrund des Liebesdiskurses

5. Abschließende Betrachtungen

6. Literaturverzeichnis

7. Abbildungsverzeichnis

1. Die Entwicklung des Porträts in der venezianischen Malerei

Das selbstständige Bildnis prägt die Porträtmalerei der italienischen Renaissance in einer besonderen Weise. Individualität und Repräsentation, das neue Selbstbewusstsein des humanistisch geschulten Menschen auf der Suche nach Erkenntnis seiner selbst, Bildnisse idealer Schönheit und ausgelebter Macht kennzeichnen den Aufbruch zur Neuzeit und Abkehr von mittelalterlichen Vorstellungen. Im Mittelalter dient das Porträt überwiegend der Personifikation, in allgemeinen Wertvorstellungen in einem liturgischen Kontext tritt die Persönlichkeit der Figur vor einer übergeordneten Idee zurück. Das autonome Porträt stellt indes die Individualität des Einzelnen in den Mittelpunkt, das Porträt dient als Mittel zur Darstellung einer sich im stetigen Wandel befindenden Persönlichkeit, die sich abhängig von ihrer Gesellschaft, Politik und Religion verändert.[1]

Eine besondere Stellung in der Entwicklung der italienischen Porträtmalerei nimmt ein Bildtyp ein, der im Folgenden als lyrisches Männerporträt[2] bezeichnet wird. Diese in Venedig entwickelte und auf den venezianischen Raum konzentrierte Porträtform, fand in Giorgione ihren wichtigsten Vertreter. Vereinzelte Beispiele lassen sich zeitgleich mit der Entwicklung in Venedig auch in Rom und an den oberitalienischen Höfen verfolgen.[3] Während die Bildnisse mittelitalienischer und venezianischer Maler vor Giorgione Repräsentation, Charakterisierung und Machtdarstellung zum Ausdruck bringen, erweitert sich die Individualität im venezianischen Porträt mit Giorgione, erhebt sich über die materielle Seite, übersteigt die Bildgrenzen und gewährt einen Einblick in das Innenleben, die Seele des Porträtierten. Gefühle, seelische Regungen und flüchtigste Stimmungen werden im Bildnis festgehalten und erwecken den Wunsch nach ihrer Deutung.[4] Die Porträtierten scheinen in einen Dialog mit dem Betrachter zu treten, mit einem Betrachter ihrer Zeit, der die Ambivalenz der Bildsymbolik, ihre aussagekräftigen Blicke und Gesten besser zu verstehen wusste, als ein moderner Zuschauer. Dieser Bildtyp stellt eine außergewöhnliche und neuartige Entwicklung in der Porträtkunst dar, die ihresgleichen sucht. Seine Ursprünge, Inhalte und Absichten werfen viele Fragen auf und verleiten zu neuen Interpretationen, die bis heute wichtiger Gegenstand kunstgeschichtlicher Forschung sind.

Im Folgenden werden Giovanni Bellinis Porträt des Dogen Leonardo Loredan und Giorgiones Bildnis eines jungen Mannes (gen. „Brocardo“) einander gegenübergestellt, um die Entwicklung des männlichen Porträts insbesondere im venezianischen Raum zu verdeutlichen, sowie kultur – und sozialgeschichtliche Interpretationsansätze zum lyrischen Männerporträt formuliert.

2. Forschungsstand

Die Bildnisse ideal schöner Jünglinge dienten nicht der öffentlichen Präsentation, sondern erfolgten als privater Auftrag wohlhabender venezianischer Patrizierfamilien, die ihre privaten Gemächer in Palästen und Villen mit diesen Bildnissen ausstatteten.[5] Die Porträts waren einem kleinen Betrachterkreis zugänglich, die wenigen erhaltenen Kopien sind nicht von professioneller Hand, Beschreibungen nicht aufschlussreich, sie konnten sich nicht so gut erhalten, wie die repräsentativen Bildnisse venezianischer Dogen. Die Bildnisse sind nicht signiert, die Zuschreibung einem bestimmten Maler des Giorgionismo fällt aufgrund fehlender Inventarkataloge und stilistischer Ähnlichkeiten schwer. Die Schwierigkeit der Zuschreibung, Datierung und Identifikation ist ein Hindernis für eine weiterführende Auseinandersetzung. Ein weiteres Problem besteht in der Bestimmung der Emotion, die durch Gestik und Ausdruck des Porträtierten vermittelt wird, da diese nicht eindeutig in der menschlichen Gebärdensprache definiert ist. Genaue Kenntnis über eine Gebärdensprache, die an einen kleinen Kreis adressiert war, bleibt dem modernen Zuschauer entzogen.[6] Die meisten Jünglingsbildnisse, die Giorgio Vasari in seiner Vita über Giorgione benennt, sind der kunstgeschichtlichen Forschung nicht bekannt und man geht davon aus, dass sie verloren sind.[7]

In der Ausführung wird auf Beiträge der Kunsthistorikerin Marianne Koos, ihren Aufsatz Amore dolce – amaro. Giorgione und das ideale Knabenbildnis der venezianischen Renaissancemalerei und Bildnisse des Begehrens Bezug genommen, da diese Werke für das folgende Thema am aufschlussreichsten sind.

3. Vergleich zwischen Giovanni Bellinis Porträt des Dogen Leonardo Loredan und Giorgiones Bildnis eines jungen Mannes (gen. „Brocardo“)

Giorgione war zusammen mit Tizian in der Werkstatt Giovanni Bellinis tätig. Umso erstaunlicher ist die Erkenntnis, dass Giorgione als Begründer eines neuen Porträttyps gilt, der in jeder Hinsicht als Antonym und eine Weiterentwicklung gegenüber der von Bellini geprägten Bildnisform betrachtet werden kann. Diese These soll anhand eines Vergleichs zwischen Bellinis Porträt des Dogen Leonardo Loredan und Giorgiones Bildnis eines jungen Mannes (gen. „Brocardo“) ausgelegt werden.[8]

3.1 Giovanni Bellini: Porträt des Dogen Leonardo Loredan

Leonardo, Bellini und Antonello prägten den Prototyp des Renaissancemenschen im Porträt, den selbstbewussten, willensstarken und stolzen Mann nach Vorbild des Burkhardschen l´uomo universale. Zudem gilt Bellini als Hauptvertreter der venezianischen Malerei der Jahrhundertwende und Begründer der Darstellung im ¾ Profil.[9]

Das Bildnis des Dogen, um 1501 entstanden, stellt einen älteren Herren im ¾ Profil, hinter einem hölzernen parapetto und vor einem blauen, himmelähnlichen Hintergrund dar. Auf dem parapetto ist in einem gemalten weißen, papierartigen Streifen, Cartellino, die Signatur Bellinis zu sehen. Das Bildnis ist geometrisch konstruiert, der Doge genau in die Bildmitte gesetzt. Sein Kopf in der Achse des Körpers, der Rumpf aufrecht und der Blick geradeaus nach vorn gerichtet. Der Mann ist in ein kostbares, gemustertes, weißes Dogenornat gekleidet, das einen farblichen Kontrast zu dem dunkleren blauen Hintergrund bildet und die Figur des Dogen hervorhebt. Scharf gemalte Konturen und klare Umrisse scheinen den Dogen einzurahmen. Die tief liegenden, verschatteten Augen und ein leichtes Lächeln auf seinen Lippen heben die Individualität, den Charakter des Dogen hervor und die feinmalerisch ausgearbeiteten Falten am Gesicht und in der Halspartie unterstreichen das würdevolle Alter. Das hochgeschlossene Dogenornat verleiht ihm eine würdevolle und ehrenhafte Ausstrahlung. Die Figur wirkt bewegungslos und skulptural. Der Antikebezug wird in der büstenhaften Form deutlich, die Würde römischer Kaiser lebt im venezianischen Dogen weiter. Der Herrscher zeigt eine undurchdringbare Mimik, die keine Möglichkeit bietet einen Blick hinter die äußere Hülle zu wagen, er distanziert sich vom Betrachter und wirkt emotionslos, seine Gedanken allein seinem Amt gewidmet. Das hölzerne parapetto grenzt den realen Raum des Betrachters deutlich vom imaginären Raum des Porträtierten ab.[10]

Dieses Staatsporträt trägt einen repräsentativen Charakter, das ehrenvolle Amt des Dogen, die Charaktereigenschaften eines Herrschers, seine Willensstärke, Macht und Zielgerichtetheit werden in diesem Bildnis akzentuiert.

[...]


[1] [Vgl.] Boehm, Gottfried: Bildnis und Individuum. Über den Ursprung der Porträtmalerei in der italienischen Renaissance, München 1985, S. 19 – 21.

[2] [Vgl.] Koos, Marianne: Bildnisse des Begehrens. Das lyrische Männerporträt in der venezianischen Malerei des frühen 16. Jahrhunderts – Giorgione, Tizian und ihr Umkreis, Emsdetten 2006, S. 28.

[3] Ebenda, S.46.

[4] [Vgl.] Boehm 1985, S.155 – 157. 1

[5] [Vgl.] Koos, Marianne: Amore dolce – amaro. Giorgione und das ideale Knabenbildnis der venezianischen Renaissance Malerei , in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 33 (2006), S. 139.

[6] Ebenda, S. 113.

[7] [Vgl.] Boehm 1985, S.155. 2

[8] [Vgl.] Boehm 1985, S.155.

[9] [Vgl.] Koos 2006, S.19 – 21. 3

[10] [Vgl.] Koos 2006, S.23. 4

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Giorgiones 'Bildnis eines jungen Mannes' / „Brocardo“. Vom repräsentativen Staatsporträt zum „Seelenbildnis“
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Department Kunstwissenschaften, Institut für Kunstgeschichte)
Veranstaltung
Proseminar: Die Anfänge der Porträtmalerei im 14.und 15.Jhtd
Note
1,0
Autor
Jahr
2013
Seiten
12
Katalognummer
V212525
ISBN (eBook)
9783656407867
ISBN (Buch)
9783656408703
Dateigröße
496 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
staatsporträt, seelenbildnis, giorgiones, bildnis, mannes, brocardo
Arbeit zitieren
Elisaveta Andreeva (Autor:in), 2013, Giorgiones 'Bildnis eines jungen Mannes' / „Brocardo“. Vom repräsentativen Staatsporträt zum „Seelenbildnis“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/212525

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