Schillers "Die Jungfrau von Orleans" im Vergleich zu Anouilhs "Jeanne und die Lerche"


Facharbeit (Schule), 2011

43 Seiten, Note: Sehr gut (14 Punkte)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Analyse des Stücks „Die Jungfrau von Orleans“ von Friedrich Schiller
2.1. Hintergrund der Entstehung
2.2. Inhaltsangabe
2.3. Charakteristiken
2.3.1. Johanna
2.3.2. Repräsentanten des französischen Königshauses
2.3.3. Repräsentanten Englands
2.3.4. Randfiguren
2.4. Stil und Sprache
2.5. Aufbau des Dramas
2.6. Einordung ins klassische bzw. romantische Drama
2.7. Interpretationsansätze
2.8. Rezeption und Kritik

3. Analyse des Stückes „Jeanne oder die Lerche“ von Jean Anouilh
3.1. Biographie
3.2. Inhaltsangabe
3.3. Charakteristiken
3.3.1. Jeanne
3.3.2. Warwick, Ankläger, Inquisitor, Ladvenu, Cauchon
3.4. Einordung des Dramas in die Form des absurden Theaters
3.5. Interpretationsansatz

4. Vergleich der beiden Dramen
4.1. Inhalt und historische Korrektheit
4.2. Darstellung der Johanna
4.3. Dramaturgische Gestaltung

5. Abschließendes Fazit

6. Bibliographie

7. Anhang
7.1. Personenkonstellation zu „Die Jungfrau von Orleans“
7.2. Personenkonstellation zu „Jeanne oder Die Lerche“

1. Einleitung

Die Gestalt der Jeanne d’Arc hat Künstler über Jahrhunderte immer wieder fasziniert. Die Anzahl der Darstellungen in den Gattungen Literatur, Bildende Kunst und Musik sind zahlreich. Wichtige Werke in der dramatischen Kunst, die eine vielfältige Interpretation ihres Lebens darstellen, wurden neben Schiller (Die Jungfrau von Orleans) und Jean Anouilh (Jeanne oder die Lerche) von William Shakespeare (Heinrich VI.), und George Bernard Shaw (Die heilige Johanna) geschrieben. Bertolt Brecht überträgt in seinem Drama Die heilige Johanna der Schlachthöfe Jeannes Schicksal in die Gegenwart.

Im Zuge meines Referates werde ich nun zwei ausgewählte Werke analysieren und vergleichen, die den historischen Stoff der Johanna von Orleans umsetzen: Friedrich Schillers „Die Jungfrau von Orleans“ sowie Anouilhs „Jeanne oder Die Lerche“.

2. Analyse des Stücks „Die Jungfrau von Orleans“ von Friedrich Schiller

2.1. Hintergrund der Entstehung

Schiller schrieb „Die Jungfrau von Orleans“ im Jahre 1801. Eine Anregung zur Umsetzung des historischen Stoffs der Johanna erhielt Schiller durch Voltaire, dessen 1762 erschienene „La Pucelle d´Orleans“ als Parodie des Geschehens um die Gestalt der Johanna zu sehen ist. Voltaires Werk gab die Jungfrau dem Spott und der Lächerlichkeit preis, indem er aus dem heiligen Bauernmädchen eine vulgäre, grobsinnliche Magd machte, um den Jungfräulichkeitskult der katholischen Kirche zu entlarven.

Schiller strebte eine dichterische Wiederherstellung des Rufs der Jungfrau an. Dies thematisierte er in seinem Gedicht „Das Mädchen von Orleans“ von 1802, indem er sich auf Voltaires bezieht, der es gewagt habe das „edle Bild der Menschheit zu verhöhnen“1.

Der Dichter wusste, dass bei den gebildeten Voltaires komisches Epos noch hoch im Kurs stand, und musste damit rechnen, dass unter Kennern anzüglich über Johanna geredet werden würde. Sogar der Herzog hatte ihn vor diesem Stoff gewarnt: „Das Sujet ist äußerst scabrös, und einem Lächerlichen ausgesetzt, das schwer zu vermeiden sein wird“2. Doch Schiller empfand dies gerade wegen dieses Umstands als Herausforderung. Er wollte beweisen, dass er imstande war, ein Publikum zu verzaubern, das zu „Frivolitäten“3 neigt.

Der Hintergrund der Entstehung des Werkes „Die Jungfrau von Orleans“ ist also der Umstand, dass Schiller das Image der historischen Jeanne d´Arc retten will, was eine seiner Intentionen darstellt.

2.2. Inhaltsangabe

Im Prolog der romantischen Tragödie Schillers beklagt Thibaut, Johannas Vater, die Unsicherheit der Lebensverhältnisse und das Vordringen der Engländer in Frankreich, weswegen er angesichts der bevorstehenden Bedrohung seine drei Töchter verheiraten will. Nur seine jüngste Tochter, Johanna, weigert sich den schon drei Jahre um sie werbenden Raimond zu heiraten. Von warnträumen beunruhigt, deutet Thibaut Johannas merkwürdiges Verhalten als Eitelkeit, weil sie sich anscheinend ihrer niederen Herkunft schäme. Er sieht ihren Aufstieg und Fall voraus. Zwar nimmt Raimond sie in Schutz, kann jedoch die schlimmen Ahnungen des Vaters nicht entkräften. Als der Landmann Bertrand mit einem Helm auftritt, reißt ihn Johanna an sich. Er berichtet von der Belagerung Orleans´ und dem Vormarsch der Feinde bis zur Loire, von dem schlechten Einfluss der Königinnenmutter Isabeau und von den Schandtaten der Engländer gegen die Bevölkerung, während sich der rechtmäßige König untätig zurückgezogen habe. Die Kunde, dass wenigstens der Ritter Beaudricourt mit seiner Truppe den Belagerern standhält, versetzt Johanna in Begeisterung, sie prophezeit den Sieg über die Engländer und offenbart die Vision von einem befreiten Frankreich als gerechten Gottesstaat. In einem Monolog verabschiedet sich Johanna von ihrer Heimat und nennt ihren Sendungsauftrag von Gott kommend. Sie müsse enthaltsam leben, da an sie die Mission ergangen sei, Frankreich zu retten und ihren König zu krönen. Den Helm sieht sie als göttliches Zeichen des Kriegsauftrags.

Der erste Auftritt des ersten Aufzugs zeigt das königliche Hoflager zu Chinon, wo sich Dunois, der uneheliche Sohn des Herzogs von Orleans, über den schwächliche König empört, dem er vorwirft, sich höfischem Zeitvertreib hinzugeben statt sein Land zu verteidigen. Im nächsten Auftritt berichten drei Ratsherren dem König von der ausweglosen Lage, die sogar Befehlshaber von Orleans genötigt hat, mit den Feinden eine Kapitulationsfrist auszuhandeln. Die Nachricht vom Tod eines anderen Offiziers und vom drohenden Rückzug eines verbündeten Heeres versetzt den König in tiefe Resignation. Die Geliebte des Königs, Agnes Sorel, will ihren kostbaren Schmuck zu Geld machen lassen, um die Truppen des Königs Karl zu bezahlen. Der königliche Offizier La Hire bringt die Nachricht, dass der Herzog Burgund, der sich mit dem englischen Feind verbündet hat, ein Versöhnungsgesuch abgelehnt hat. Der Herzog fordert die Auslieferung Du Chatels, der seinen Vater ermordet hat. Zudem hat das Parlament in Paris Karl seiner Thronansprüche enthoben und Heinrich

VI. als neuen französischen König eingesetzt. Resigniert will Karl die Stadt Orleans aufgeben und sich hinter die Loire zurückziehen. Sorel und Dunois appellieren an den Nationalstolz ihres Königs, damit dieser den Verteidigungskrieg weiterführe. Karls beharrt auf seinen Entschluss, was Dunois sehr enttäuscht. Unerwartet kehrt La Hire zurück und verkündet, dass während des Kampfes plötzlich eine Jungfrau aufgetaucht sei, die die Engländer verwirrte, sodass die französischen Truppen siegen konnten. Die Jungfrau wolle ausschließlich dem König ihre Identität offenbaren. Um die prophetischen Gaben des Mädchens zu prüfen, vertauschen Karl und Dunois die Rollen. Johanna erkennt Karl, obwohl sie ihn noch nie gesehen hat. Sie nennt ihm sogar den Inhalt seiner drei nächtlichen Gebete. Sie offenbart ihre Herkunft und ihre göttliche Berufung. Angesichts der Legitimation durch die heilige Mutter Gottes, bekundet der Erzbischof seine Demut und Karl ernennt sie zur Heerführerin. Um den Sieg herbeiführen zu können, verlangt sie eine weiße Fahne mit dem Angesicht Marias und des Jesuskind und das Schwert von Fierboys. Beim Auftritt des englischen Herolds enttarnt Johanna seine Nachricht als die eines Toten und schickt ich fort zu verkünden, dass sie die Engländer aus Frankreich vertreiben werde und nur König Karl in Paris einziehen werde.

Im Lager der Engländer beklagt Heerführer Talbot die Niederlage, die die feigen Burgunder zu verantworten hätten, da durch ihre Furchtsamkeit vor der Jungfrau das Chaos ausgebrochen sei. Talbot, Lionel und der Herzog von Burgund drohen sich zu entzweien. Königin Isabeau stiftet Eintracht, doch der englische Anführer Lionel fordert sie auf nach Paris zurückzukehren, kaum dass sie Feldherren sich versöhnt haben. Talbot und Lionel planen einen Überraschungsangriff bei Tagesanbruch, in derselben Nacht jedoch dringt Johanna mit den Soldaten in das feindliche Lager ein und befiehlt dessen völlige Vernichtung. In Todesangst ergreifen die Engländer die Flucht, die erbittert von den Franzosen verfolgt werden oder von Talbot niedergestreckt werden, der erbost über die Desertation ist. Der Soldat Montgomery begegnet Johanna und bittet um Gnade und appelliert an Johannas weibliches Mitleid, was sie nicht erweicht. Montgomery stürzt sich auf Johanna, die ihn aber gnadenlos niedermetzelt. Ein ihr unbekannter Ritter mit geschlossenem Visier taucht auf, der Johanna ihr nahes Ende prophezeit. Es ist der Herzog von Burgund, der sie im Kampf töten will. Johanna gelingt es, den Streit zwischen den königlichen Offizieren Dunois und La Hire und dem abtrünnigen Herzog von Burgund zu schlichten. Dieser lässt sich erst skeptisch von Johannas ernstem Einsatz für das französische Vaterland anrühren und ist zur Aussöhnung bereit, worauf sich die Verbündeten umarmen.

Dunois und La Hire haben sich beide in Johanna verliebt und beabsichtigen sie zu ehelichen. Im nächsten Auftritt wird dem eintreffenden Herzog von Burgund ein gebührender Empfang gerichtet und Karl und der Herzog versöhnen sich umarmend. Johanna betritt das königliche Hoflager und erweicht Burgunds Herz, sodass er schließlich Du Chatel, dem Mörder seines Vaters, vergibt. Von Karl für die herbeigeführte Schicksalswendung gelobt, sagt die Jungfrau das Wiedererstarken Frankreichs voraus. Karl erhebt Johanna in den Adelsstand, weshalb der Werbung ihrer Freier Dunois und La Hire scheinbar nichts mehr im Wege steht und beide bitten um ihre Gunst. Johanna muss das Ansinnen jedoch zurückweisen, da sie durch ihren göttlichen Auftrag jeglicher Neigung zu einem Mann entsagen muss.

König Karl und der Herzog von Burgund stürzen sich siegesgewiss in die Schlacht, wo der englische Feldherr Talbot tödlich verwundet wird. Ein geheimnisvoller, schwarzer Ritter hat Johanna vom Schlachtfeld weggelockt. Er warnt die Jungfrau vor weiteren Kampfhandlungen und widersteht ihrem Angriff, wonach er unter Blitz und Donnerschlag im Boden versinkt. Der unvermittelt auftauchende englische Anführer Lionel versuchte Johanna anzugreifen, wird aber von ihr entwaffnet. Gewaltsam reißt sie ihm den Helm vom Kopf herunter und ist im Begriff ihn zu töten, als sein Anblick sie so sehr rührt, dass sie ihn verschont. Sie spürt, dass sie ihr Gelübde gebrochen hat und fordert ihn auf sie zu töten. Lionel fühlt sich wegen ihrem Großmut zu ihr hingezogen und will mit ihr fliehen. Bevor er vor den Franzosen flieht, drängt er darauf sie wiedersehen zu dürfen. Als die französischen Mitstreiter Johanna entdecken, sinkt die leicht Verletzte ohnmächtig zu Boden.

Der vierte Aufzug handelt von der Krönung Karls in Reims. Johanna kann an der allgemeinen Freude keinen Anteil nehmen, weil ihre Gedanken von ihrer schweren Schuld überschattet werden; sie bezichtigt sich gegen ihr Keuschheitsgebot verstoßen zu haben und fragt sich, wie sie für Lionel Mitleid empfinden konnte. Sehnsüchtig wünscht sie sich die Zeit zurück, als sie noch als Hirtin in Unschuld gelebt hat. Agnes Sorel bedankt sich ehrfürchtig bei Johanna und versucht, sie an ihre Weiblichkeit zu erinnern, damit sie dem Kampf entsage und der Liebe des Grafen Dunois nachgebe. Johanna preist die reinen Liebe, die Sorel überall verströme, fühlt sich aber selbst mit Schande befleckt. La Hire und Dunois reichen Johanna ihre Fahne, die sie nur widerwillig ergreift. Unter den Schaulustigen, die sich vor der Kathedrale zu Reims drängen sind auch Bertrand sowie die Schwestern Johannas und Raimond. Auch Thibaut ist erschienen, um seine Tochter vor ihrem vermeintlichen Verderben zu retten. Als Johanna verstört aus der Kirche tritt und ihre Schwestern erblickt, sehnt sie sich wieder in ihre Heimat zurück. König Karl tritt vor das Volk und preist Johanna als die von Gott gesandte Befreierin. Ihr Vater löst sich aus der Menge und klagt seine Tochter des Teufelspakts an, wodurch die Nahestehenden entsetzt zurückweichen. Obwohl Johanna zu dem Vorwurf schweigt, ist Dunois von ihrer Unschuld überzeugt und möchte ihr zum Zeichen des Vertrauens die Hand reichen, doch Johanna wendet sich von ihm ab. Erst als Raimond sie auf Erlaubnis des Königs aus der Stadt führt, erwacht sie aus ihrer trancehaften Starre und fasst bewegt seine Hand.

Ein Köhlerpaar gewährt Johanna und Raimond Obdach, doch der aus der Stadt zurück gegekehrte Köhlerjunge erkennt Johanna. Johanna versichert Raimond ihre Unschuld und erklärt ihm ihr Schweigen, nämlich dass sie sich ganz der göttlichen Fügung überlassen will.

Königin Isabeau trifft auf ihrem Weg ins englische Lager auf Johanna und lässt sie in Ketten legen. Johanna erbittet ihre Tötung, um sich einem Zusammentreffen mit Lionel zu entziehen.

Inzwischen beschuldigt Dunois Du Chatel, als Erster an Johannas Aufrichtigkeit gezweifelt zu haben, worauf der Bischof zur Besonnenheit ermahnt. Raimond wird vorgelassen und berichtet von der Gefangennahme Johannas, was Dunois dazu bewegt, alle Franzosen für den Kampf und die Errettung der Jungfrau zu mobilisieren.

Johanna, eingekerkert in einem Gefängnisturm, wird bedrängt von Lionels Liebeswerben und seinem Bestreben sie auf die Seite Englands zu ziehen, was sie jedoch ablehnt.

Johanna vernimmt den S,chlachtenlärm, ein englischer Soldat berichtet ihr, dass Dunois schwer verwundet und König Karl gefangen ist, was Johanna dazu veranlasst, zu Gott zu beten. Ihr Gebet wird erhört, ihre Ketten springen entzwei und Johanna entreißt dem Soldat das Schwert und stürmt ins Freie. In der Schlacht, die den Franzosen schließlich den Sieg bringt, wird Johanna tödlich verwundet und liegt von ihren Landsleuten umringt auf dem Schlachtfeld. Mit den ihren ausgesöhnt, richtet sie das letzte Mal ihre Fahne auf, bevor sie erfüllt von ewiger Freude stirbt.

2.3. Charakteristiken

2.3.1. Johanna

Das grundlegende Charakterbild der Johanna präsentiert der Prolog der Tragödie. Zunächst wird sie aus zwei unterschiedlichen Perspektiven von ihrem Vater und ihrem Verlobten Raimond charakterisiert. Thibaut, Johannas Vater, kritisiert ihren Drang zur Einsamkeit und kann ihr Widerstreben gegen die Ehe nicht verstehen: „Du, meine Jüngstem, machst mir Gram und Schmerz“4; „Er wirbt um dich, schon ist´s der dritte Herbst (…), du stoßest ihn verschlossen, kalt zurück“5. Raimond dagegen verteidigt Johannas weltentrücktes Sein als Schäferin und lobt ihre Bescheidenheit, ihr Frömmigkeit und ihr Demut: „Wer hegt bescheidern tugendlichern Sinn als eure fromme Tochter? Ist sie´s nicht, die ihren älteren Schwestern freudig dient? Sie ist die hochbegabteste von allen, doch seht ihr sie wie eine niedre Magd die schwersten Pflichten still gehorsam üben“6 Der Prolog führt Johanna demnach als unschuldig, schwärmerisch, in sich gekehrt und verschlossen gegenüber der Liebe ein.

Eine Besonderheit ihrer Exposition ist es, dass Johanna zwar anwesend ist, sie selbst jedoch schweigt. Die Unmöglichkeit eines Dialogs mit ihrem Vater ist „Indiz einer außerordentlichen Entfremdung“7, wofür auch Thibauts Unverständnis seiner Tochter gegenüber spricht.

Johannas erste Äußerung ist ein Befehl („Gebt mir den Helm“8) und deutet auf ihre dominierende Rolle in der Tragödie. Des Weiteren wird Johanna als Gegenfigur zu ihrem Vater eingeführt, der sich dem Schicksal ergibt und in unterwürfigem Gottvertrauen und mit Opportunismus auf die Kriegsgefahr reagiert: „Lasst uns still gehorchend harren, wen uns der Sieg zum König geben wird. Das Glück der Schlachten ist das Urteil Gottes (…) Kommt an die Arbeit! Und denkt jeder nur an das Nächste“9. Im Gegensatz dazu interessiert sich Johanna für das Kriegsgeschehen, von dem sie aus Bertrands Bericht erfährt. Sie unterbricht ihn mit einer Frage und schaltet sich in das Gespräch zwischen ihrem Vater, Bertrand und Raimond ein, indem sie voller „Begeisterung“ (Bühnenanweisung V.301) die Rettung durch die Jungfrau ankündigt und ihren Hass über den „Reichsverräter“ Burgund ausbreitet. Aus diesem Monolog, der nicht mehr an ihre Gesprächspartner gerichtet ist, sondern an ganz Frankreich („Verzagt nicht! Fliehet nicht!“10) wird ersichtlich, dass Johanna eine rigorose Prinzipientreue Gott gegenüber hat, den sie nationalistische als vaterländischen Gott versteht: „Der Herr wird mit ihr sein, der Schlachten Gott“11; „Dieses Land (…) das Gott liebt, wie den Apfel seines Auges“12. Des Weiteren offenbart sich ihre Liebe für ihr Volk und für Frankreich: „ Dieses Land des Ruhms, das Schönste, das die ew´ge Sonne sieht in ihrem Lauf, das Paradies der Länder…“13. Im Schlussmonolog des Prologs ist Johanna von Wehmut erfüllt, ihre Heimat verlassen zu müssen: „Lebt wohl ihr Berge (…) Johanna wird nun nicht mehr auf euch wandeln, (…) Johanna geht und nimmer kehrt sie wieder!“14. Hier offenbart sie auch ihre Berufung, die sie bedingungslos hinnimmt, und ist durchdrungen von freudiger Aufbruchsstimmung: „Ins Kriegsgewühl hinein will es mich reißen“15.

Johannas nächster Auftritt zeigt bereits ihre dominierende Stellung und gleichsam den Befehl als die charakteristische Sprechhandlung Johannas, was sich auch im weiteren Verlauf des Dramas zeigen wird. Im königlichen Hoflager durchbricht Johanna die Inszenierung von Dunois und Karl. Im Gespräch mit Karl bezeugt sie ihre seherische Gabe und schließt den Auftritt mit einem Befehl, das Schwert von Fierboys und ein Fahne zu beschaffen und mit der Forderung an den Bischof nach Handauflegung und Segnung. Sie beherrscht die Situation.

Im gesamten Drama beinhalten ihre Sprechhandlungen Überredungsdialoge, Prophezeiungen, Erörterungen, Schmähung und Drohung, Rechtfertigung und knappe Antworten in Gefangenschaft, was sie als „ Situationsmächtige Handelnde“16 zeigt. Sie ist nicht umzustimmen, was sie aller menschlichen Beeinflussung enthebt. Dieser Umstand kennzeichnet auch ihre Fallhöhe, die ihren Sturz umso schmerzlicher erscheinen lässt. Die scheinbar unerschütterliche Sicherheit und rhetorische Überlegenheit Johannas werden jedoch in zwei Auftritten erschüttert. Zum einen in der Kampfszene mit dem schwarzen Ritter, die nicht verläuft, wie Johanna sie bestimmen will, da Drohungen und Hassreden den Ritter nicht beeindrucken, und zum anderen die Begegnung mit Lionel, dessen Anblick Johanna überwältigt. Hier werden die Befehle Johannas nicht befolgt und auch die Überredungsversuche Lionels, mit ihm zu fliehen, weist sie nur kraftlos zurück. Obwohl Schiller nicht ausdrücklich von entbrannter Liebe spricht, legt Johannas Äußerung dies nahe: „Ich sterbe, wenn du fällst von ihren Händen“17. Als Lionel sie fragt „Bin ich dir treu?“18, ruft sie erschrocken aus „Heilige des Himmels“ und kann sich im nächsten Auftritt nur noch den Bruch ihres Gelübdes eingestehen. Das Verlieren ihrer sprachlichen Dominanz, geht einher mit Johannas Sinnesänderung.

Montgomerys Tod ist für sie eine militärische Notwendigkeit: Obwohl sie hier in diesem Stadium zu gefühlsmäßiger Regung nicht fähig ist, zeigt sich schon hier ihre zunehmende Verstrickung in militärische Ziele und ihre Menschlichkeit: „Schon des Eisens blanker Schneide schaudert mir, doch wenn es Not tut, alsbald ist die Kraft mir da“19. Hier offenbart sich, dass sich Johanna des Todes und der Menschen bewusst ist, und somit auch ihrer Verantwortlichkeit, jedoch als Mensch hinter ihrem Sendungsauftrag Schutz sucht. Der Kampf stellt die Übereinstimmung mit ihrer Sendung jedoch nur für die Dauer der Tat wieder her. Der Verstoß gegen das Tötungsgebot bei der Begegnung mit Lionel schließlich bewirkt das Aufbrechen in Pflicht und Menschlichkeit, der Verstoß gegen das Liebesverbot das Aufbrechen in Gefühl und Auftrag. Es bewirkt das Wahrnehmen ihrer eigenen Person, deren Bedürfnisse sie hinter ihre Sendung gestellt hat, wodurch der Ruhm, die Sendung und die übermenschliche Verehrung nur noch eine Last darstellen: „Musstest du ihn auf mich laden diesen schrecklichen Beruf?“20. Durch das Bewusstwerden ihrer eigenen Verantwortlichkeit, wird sie vom Objekt zum Subjekt21.

Betrachtet man die Pathoslinie des Herzens, so ist Johannas verschlossenes Herz das Motiv des Prologs bis zum Montgomery-Auftritt. Die Verleugnung ihrer Gefühle, ihrer weiblichen Natur wird ihr im Monolog im ersten Auftritt des vierten Aufzugs bewusst: „Konnt ich dieses Herz verhärten, das der Himmel fühlend schuf!“22. In diesem Monolog wird der Zwiespalt zwischen Herz und Sendung, zwischen Neigung und Pflicht, durch den reaktiven Wechsel der Perspektiven von Schuldgeständnis und Rechtfertigung dargestellt. Dass sie ihre Taten als blinden Vollzug erkennt, deutet auf den beginnenden Zweifel an ihrem Handeln hin: „Verdient ich´s, die Gesendete zu sein, wenn ich nicht blind des Meisters Willen ehrte?“23. Die Fremdbestimmung ,,die von ihrem Sendungsauftrag ausgeht, wird zuvor durch das Verwenden des Imperativs deutlich: „ Es jagt mich (…) und treibt mich fort“24.

Obwohl sich Johanna wünscht nicht erwählt worden zu sein und in die heimatliche Idylle zurückkehren zu können, orientiert sich ihr Denken weiterhin an ihrer Sendung, nur will sie nun den

„verhassten Schmuck“ des Ruhms von sich werfen, der sie den Schwestern trennt: „Ihr liebt mich, doch ihr betet mich nicht an“25. Als ihr Vater sie anklagt, verteidigt sich Johanna nicht, wofür sie als Gründe angibt: „Ich unterwarf mich schweigend dem Geschick, das Gott, mein Meister, über mich verhängte“; „Weil es vom Vater kam, so kam´s von Gott, und väterlich wird auch die Prüfung sein“26. In der Natur erfährt Johanna Reinigung und Läuterung: „Doch in der Öde lernt ich mich erkennen. Da, als der Ehre Schimmer mich umgab, da war der Streit in meiner Brust, ich war die Unglückseligste, da ich in der Welt am meisten zu beneiden schien – Jetzt bin ich geheilt, und dieser Sturm in der Natur (…) war mein Freund, er hat die Welt gereinigt und auch mich“27. Indem Johanna ihr Schicksal und damit den Verzicht auf ein normales Leben bewusst akzeptiert, findet sie innere Ruhe und Kraft, ihren Weg zu Ende zu gehen.

Das Bewusstsein der eigenen Verantwortlichkeit umfasst nun die Sendung, wodurch sie vom Objekt zum Subjekt sich wandelt. In ihrem Gebet in Gefangenschaft bezieht sich Johanna auf den geblendeten und gefesselten Simson, indem sie sich mit ihm vergleicht, weiß sie sich auch in der Erniedrigung wieder als Gesendete Gottes. Zu Beginn, wo Johanna keine Zweifel an ihrem Auftrag hegte, war sie mit sich selbst im Reinen. Ihr innerer Konflikt durch das Bewusstwerden ihrer Menschlichkeit wird in der Apotheose vollkommen gereinigt: Das „Bei sich sein im Tode“, „die Freude des Menschen, mit dem Idealentwurf seiner Menschheit identisch geworden zu sein“28 wird hier zur ewigen Freude. Dass Johanna mit sich selbst nun wieder identisch ist, wird durch die Beschreibung Johannas als unschuldiges Kind bekräftigt: „Schmerzlos und ruhig wie ein schlafendes Kind! Des Himmels Friede spielt auf ihren Zügen“29, was ihr Weg von Arkadien nach Elysium vergegenwärtigt.

Zum Ende entscheidet sie sich also gegen die irdische Liebe und sich doch Gottes Wille zu unterwerfen. Sie wird wieder sicherer und ist wieder in der Lage, Gottes Aufgabe vollenden, wodurch sie, noch während sie stirbt, fast euphorische Freude empfindet, da sie ihre Aufgabe zur Vollendung bringen konnte. Dass Schillers Johanna am Ende ihre Schuld annimmt und sühnt, gelangt ihr durch Leid, Gehorsam und Busse zur letzten Vereinigung mit dem Gott.

Ihr innerer Konflikt wird im Drama durch die Zwiegespaltenheit der Fremdcharakteristiken Johannas vorausgedeutet: Attribute und Bezeichnungen wie „reine“, „zarte“ Jungfrau, „Braut der Engel“ zeigen die religiöse Dimension der Reinheit und Unschuld Johannas, Namen wie „Seherin“ und „Prophetin“,

„Gottgesandte“ ihre überirdischen Fähigkeiten sowie ihren Sendungsauftrag, wohingegen Bezeichnungen seitens der Engländer über ihre unmenschlichen Taten aufklären: „Furchtgespenst“,

„tödliche Gewalt“. Diese Vielfalt an Perspektiven lässt schon zu Beginn darauf schließen, dass Johannas Natur und ihre Menschlichkeit mit ihrem Auftrag in Konflikt geraten werden.

Auch Schillers Vorschlag als Titelkupfer die schöne antike Minerva zu wählen, die die jungfräuliche Göttin des Krieges und des Friedens war, zeigt, dass Johanna widersprüchlich beide Aspekte bedient: Durch das Tötungsgebot bringt sie den Krieg, ist jedoch zugleich Friedensbringerin, da sie als Versöhnerin fungiert. Darin jedoch liegt ihr Potential zum Bruch des Tötungsgebots: Mit der

Versöhnung Karls mit Burgund und Burgunds mit Du Chatel erweitert sie den göttlichen Auftrag und dies bringt ihre Menschlichkeit zum Vorschein, die ihren inneren Konflikt verursacht.

2.3.2. Repräsentanten des französischen Königshofs

Karl VII., dem Dauphin (Thronfolger) von Frankreich, kommt eine wichtige Rolle zu. Er hat als oberster Herrscher die völlig ausweglose Kriegssituation zu verantworten, da der aussichtslose Widerstand durch die sentimentale Realitätsferne Karls verursacht wird. Diese besteht darin, dass der Monarch die Augen vor der „rau barbar´schen Wirklichkeit“30 verschließt und sich stattdessen in romantische Zeiten zurückträumt: „Sich eine schuldlos reine Welt zu gründen (…), wo zarte Minne herrscht…“31. Sein Idealbild eines Herrschers ist René der Gute, Graf der Provence, an dessen Hof die provenzalische Schäferdichtung blühte. Wegen dieser sehnsüchtigen Gedanken ist Karl für die Erfordernisse der politischen Wirklichkeit unempfänglich. Angesichts der fehlenden finanziellen Mittel und des Aberkennung seines Thronanspruchs, ist er des Krieges müde und zeigt sich als Opportunist. Dunois kritisiert Karls Pflichtvergessenheit und Vergnügungssucht: „Den König denk ich kriegerisch gerüstet (…) und find ihn – hier! Umringt von Gaukelspielern und Troubadours, spitzfindige Rätsel lösend und der Sorel Feste gebend, als walte im Reich tiefster Friede!“32.

Schiller zeichnet einen menschlisch anrührenden König, der sich weichlich in die private Gefühlswelt zurückzieht und dessen Rückwärtsgewandtheit und Naivität im Gegensatz zu Johannas Handeln steht, die die von Karl angestrebte Schäferidylle aufgegeben hat, um ihre geschichtliche Rolle wahrzunehmen. Auch wenn er innere Größe zeigt, indem er Johannas Leistungen mit der Erhebung in den Adelsstand belohnt, hat Karl seine innere Schwäche nicht ganz überwunden und unterwirft sich dem Zeitgeist, was sich in seiner Reaktion auf die Anschuldigung Thibauts zeigt. Dennnoch bleibt er seiner Haltung treu, indem er Johanna freies Geleit gewährt, anstatt sie einer Verurteilung auszusetzen. Ein Hinweis auf die Entwicklung Karls vom Zaudernden zum Befehlshaber zeigt sich am Schluss des Dramas: „Gebt ihr die Fahne!33“, womit er Johanna die ersehnte Ehrenrettung gewährt.

An der Figur des Königs demonstriert der Autor, dass die Sehnsucht nach einem Leben in naiver Friedlichkeit nicht zu erfüllen ist und entlarvt Karls Vorstellungen von einem idyllischen Leben als Utopie.

Eine Kontrastfigur zu Karl ist Graf Dunois: Sein Denken ist politisch und an den Idealen des ritterlichen Kriegers ausgerichtet, womit er gegen die feinsinnige Gefühlswelt Karls opponiert. Sein Verdienst besteht darin, Karls zur Standhaftigkeit gegen England aufzufordern. Da er für eine entschlossene Kriegsführung ist, weiß er um den Nutzen von Johannas charismatischer Erscheinung und will sie deshalb als Heerführerin einsetzen. Obwohl er von Johanna zurechtgewiesen wird, wirbt er um ihre Gunst und statt sich wegen eines abgelehnten Antrags zu rächen, bekennt er an ihrer Unschuld nie gezweifelt zu haben und vertraut ihr. Doch seine auf ihrer Lauterkeit und Unschuld geründete Liebe zu ihr wird enttäuscht, da sich Johanna von ihm abwendet34. Sein letzter Einsatz für sie gilt der Befreiung aus den Händen der Engländer.

[...]


1 Karthaus, Ulrich (Hg.): Erläuterungen und Dokumente: Friedrich Schiller: Die Jungfrau von Orleans. Stuttgart: Reclam, 2006. (Reclam Universal-Bibliothek. 16053), S.65

2 Safranski, Rüdiger: Schiller oder die Erfindung des Deutschen Idealismus. Wien: Carl Hanser Verlag, 2004,

S.484

3 Ebd.

4 Schiller, Friedrich: Die Jungfrau von Orleans. Stuttgart: Reclam (2002), V. 45

5 Ebd. V. 50 f.

6 Schiller, Friedrich: Die Jungfrau von Orleans. Stuttgart: Reclam, 2002. V.133 f.

7 Sauder, Gerhard: Die Jungfrau von Orleans. In: Interpretationen. Schillers Dramen. Hrsg. Von Walter Hinderer. Stuttgart: Reclam, 1992. S.366

8 Schiller, Friedrich: Die Jungfrau von Orleans. Stuttgart: Reclam, 2002. V. 191

9 Ebd. V. 369-375

10 Ebd. V. 310

11 Ebd. V. 324

12 Ebd. V. 335

13 Ebd. V. 332 ff.

14 Ebd. V. 383-392

15 Ebd. V. 429 ff.

16 Sauder, Gerhard: Die Jungfrau von Orleans. In: Interpretationen. Schillers Dramen. Hrsg. Von Walter Hinderer. Stuttgart: Reclam, 1992. S.365

17 Schiller, Friedrich: Die Jungfrau von Orleans. Stuttgart: Reclam, 2002. V. 2501

18 Ebd. V. 2501 f.

19 Ebd. V. 1684

20 Ebd. V. 2595

21 Vgl. Sauder, Gerhard: Die Jungfrau von Orleans. In: Interpretationen. Schillers Dramen. Hrsg. Von Walter Hinderer. Stuttgart: Reclam, 1992. S. 374

22 Schiller, Friedrich: Die Jungfrau von Orleans. Stuttgart: Reclam, 2002. V. 2596

23 Ebd. V. 3165

24 Ebd. V. 2269 f.

25 Schiller, Friedrich: Die Jungfrau von Orleans. Stuttgart: Reclam, 2002. V. 2931

26 Ebd. V. 3147 f. / V. 3150 f.

27 Ebd. V. 3170-3179

28 Sauder, Gerhard: Die Jungfrau von Orleans. In: Interpretationen. Schillers Dramen. Hrsg. Von Walter Hinderer. Stuttgart: Reclam, 1992. S. 375

29 Schiller, Friedrich: Die Jungfrau von Orleans. Stuttgart: Reclam, 2002. V. 3509

30 Schiller, Friedrich: Die Jungfrau von Orleans. Stuttgart: Reclam, 2002. V. 515

31 Ebd. V. 514 ff.

32 Ebd. V. 445-450

33 Ebd. V. 3535

34 Ebd. V. 3038 ff.

Ende der Leseprobe aus 43 Seiten

Details

Titel
Schillers "Die Jungfrau von Orleans" im Vergleich zu Anouilhs "Jeanne und die Lerche"
Veranstaltung
Deutsch Leistungskurs
Note
Sehr gut (14 Punkte)
Autor
Jahr
2011
Seiten
43
Katalognummer
V212419
ISBN (eBook)
9783656400295
ISBN (Buch)
9783656400936
Dateigröße
724 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Schiller, Die Jungfrau von Orleans, Anouilh, Jeanne oder die Lerche, Drama, Vergleich, Deutsch
Arbeit zitieren
Madleen Wendt (Autor:in), 2011, Schillers "Die Jungfrau von Orleans" im Vergleich zu Anouilhs "Jeanne und die Lerche", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/212419

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