Shakespeares Sonette in deutscher Übersetzung

Am Beispiel von Stefan George und Karl Kraus


Seminararbeit, 2011

26 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die wichtigsten Übersetzungstheorien
2.1. Friedrich Schleiermacher
2.2. A. W. Schlegel

3. Schwierigkeiten der Shakespeare-Übersetzung

4. Stefan Georges Übersetzungstechnik

5. Karl Kraus' Übersetzungstechnik

6. Vergleich: Georges und Kraus' Übersetzung von Sonett 29

7. Fazit

8. Literaturverzeichnis
8.1. Primärliteratur
8.2. Sekundärliteratur

1. Einleitung

Wenn es nun möglich wäre, ihn treu und zugleich poetisch nachzubilden, Schritt vor Schritt dem Buchstaben des Sinnes folgen, und doch einen Theil der unzähligen, unbeschreiblichen Schönheiten, die nicht im Buchstaben liegen, die wie ein geistiger Hauch über ihm schweben, zu erhaschen! Es gilt ein Versuch![1]

Wie bereits einige Shakespeare- Übersetzer vor ihm, stellt Schlegel fest, dass es eine nahezu unmögliche Aufgabe ist, einen Ausnahmedichter wie William Shakespeare adäquat zu übersetzen. Man kann es, wie im Zitat erwähnt, lediglich versuchen. An dieses Experiment wagen sich vor und nach Schlegel zahlreiche andere deutsche Autoren. Neben den häufig übersetzten Dramen Shakespeares, die vor allem durch Schlegel und Tieck eine bedeutende Übersetzung erfahren, sind seine Sonette die am häufigsten übertragenen oder nachgedichteten Werke europäischer Lyrik. Sie sind in Deutschland immer wieder ein Übersetzungsprojekt, da sie auch nach zahlreichen Versuchen noch interessant sind, weil sie noch nicht klar dechiffriert werden konnten und immer wieder neue Ansichtspunkte gefunden werden.[2] Die Diskussion darüber, wie eine korrekte Übersetzung auszusehen hat, beginnt bereits in der Antike. Bis heute konnte noch kein einheitliches Ergebnis erzielt werden. Denn Übersetzungen sind keine einfache Arbeit, sie erfordern literarisches Talent, sowie Kenntnis der fremden Sprache und Kultur, um das Original adäquat übertragen zu können. Die deutschen Shakespeare-Übersetzungen schaffen es zumindest, den englisch-deutschen Kulturaustausch zu fördern und bringen das geniale Werk Shakespeares somit nach Deutschland.

Zwei Übersetzer haben sich besonders intensiv mit Shakespeares Sonetten auseinandergesetzt. Stefan George und Karl Kraus sind Teil einer großen Kontroverse innerhalb der Tradition der Sonett-Übersetzungen Shakespeares. Die beiden äußerst unterschiedlichen Übersetzer und deren eingedeutschte Shakespeare-Sonette sollen Hauptthema dieser Arbeit sein. Zunächst werden die beiden wegweisendsten Übersetzungstheorien der Romantik dargelegt, um die theoretische Basis für die spätere Analyse beider Übersetzungen zu schaffen. Dem folgend sollen die Schwierigkeiten der Übersetzung Shakespeares ins Deutsche erläutert werden, da diese essentiell wichtig für die Analyse sind. Schließlich soll jeweils ein Sonett von Karl Kraus und Stefan George nebeneinander gestellt und verglichen werden. Es soll herausgearbeitet werden, inwieweit sich beide Übersetzer unterscheiden und in welcher Art und Weise sie versuchen Shakespeare gerecht zu werden. Letztlich sollen alle Ergebnisse im Fazit zusammengefasst werden.

2. Die wichtigsten Übersetzungstheorien

2.1. Friedrich Schleiermacher

Die wohl wichtigste Theorie für die allgemeine Übersetzungsdiskussion stammt von Friedrich Schleiermacher. An ihm orientieren sich alle weiteren Übersetzer und bauen ihre Theorie auf der seinen auf. In seiner Abhandlung „Über die verschiedenen Methoden des Übersetzens“ stellt er seine Auffassung zur Übersetzung dar. Diese ist seiner Meinung nach für die Entwicklung der Sprache und dem Miteinander von verschiedenen Kulturen sehr wichtig. Durch die Übersetzung fremder Literatur, können Menschen und Kulturen voneinander lernen, obwohl sie tausende Kilometer voneinander entfernt leben.[3]

Das Übersetzen erfolgt stets schriftlich und ist auf Kunst und Wissenschaft beschränkt.[4] Der Übersetzer muss Gedanken und Gefühle übertragen und künstlerisch, wie wissenschaftlich komplexe Themen übersetzen. Dafür bedarf es eines höheren literarischen und kulturellen Verständnisses.[5] Es herrscht ein interdependentes Verhältnis zwischen Mensch und Sprache, sowie die Gedanken Erzeugnis dieser Sprache sind. Verstand und Phantasie sind an sie gebunden. Menschen bilden und modifizieren sich ihrerseits ihr Sprachsystem und diese „lebendige Kraft des einzelnen“[6] bringt neue Formen der Sprache hervor. Der Übersetzer sollte das Fremde, welches der Leser eigentlich ergründen will, in einer anderen Sprache wiedergeben, was in dieser Form nicht exakt gelingen kann. Daher hält Schleiermacher das Übersetzen für ein äußerst schwieriges Unterfangen.[7] Er nennt zwei Methoden, mit denen man an eine Übersetzung herangehen kann: Erstens die Paraphrase, bei der einzelne Teile zusammengefügt und inhaltlich genau wiedergegeben werden sollen. Durch Zwischensätze versucht man die verloren Gedankenverbindungen wieder herzustellen, welche aber mehr oder weniger Kommentare und Erklärungen sind, als Übersetzungen. Dadurch werden aber Ausdruck und Lebendigkeit der Originalsprache zerstört. Zweitens die Nachbildung, die von vorneherein eingesteht, dass kein direktes Abbild möglich ist, sondern nur eine Rekonstruktion. Für den Leser soll ein möglichst ähnliches Abbild geschaffen werden, das den Eindruck des Originals retten soll, gleichzeitig aber die sprachliche Identität des Werkes aufgibt.[8]

Entweder der Uebersetzer läßt den Schriftsteller möglichst in Ruhe, und bewegt den Leser ihm entgegen; oder er läßt den Leser möglichst in Ruhe und

bewegt den Schriftsteller ihm entgegen.[9]

Der erste Satzteil deutet an, dass dem Leser die Kenntnis der Fremdsprache abgenommen wird und der Übersetzer versucht, seinen Eindruck des Originalwerkes an den Leser zu vermitteln. Dabei sollen die Leser lediglich den Geist des Originals spüren, da die Begriffssysteme und auch der Sprachrhythmus anderer Sprachen völlig anders funktionieren und daher das Original nicht Wort für Wort übertragen werden kann.[10] Da es sowohl für den Autor als auch für den Leser schwierig ist in der eigenen Muttersprache das Fremde zu erahnen, muss der Leser Nachsicht mit dem Übersetzer haben, da beim Versuch das Fremde ins Deutsche zu übertragen, die Sprachkunst zum Teil auf der Strecke bleibt.[11] Die andere Möglichkeit wäre, den Autor so übersetzen, wie er selbst deutsch geschrieben hätte. Die Sprache des Übersetzers nimmt dabei keinen Schaden, da die sprachliche Reinheit definitorisch gesichert ist.[12] Diese Methode hält Schleiermacher allerdings für nicht realisierbar. Die Sprache bringt nämlich die innersten Gedanken zu Tage, sowie der Schriftsteller in seiner Muttersprache denkt und schreibt. Die Frage, wie er in einer anderen Sprache geschrieben hätte, ist daher irrelevant, da er niemals in zwei Sprachen genau das gleiche ausdrücken könnte. Also ist lediglich die erste Methode eine realistische, wenn auch nicht perfekte Möglichkeit zur Übersetzung fremder Sprachen.[13]

2.2. A. W. Schlegel

Die übersetzungstheoretischen Bemerkungen Schlegels sind stark mit seinen eigenen Shakespeare-Übersetzungen verbunden. Er fordert eine poetische Übersetzung, die in einem gewissen Sinne treuer sei, als die treueste prosaische, bei der die charakteristischen Formmerkmale des Originals nicht fehlen dürfen. Es ist also ein tiefes Eindringen in das Originalwerk erforderlich um poetisch übersetzen zu können.[14]

Einerseits, behauptet er, ist Übersetzen für einen Autor einschränkend und eine undankbare Arbeit. Die Übersetzung kann nie an das Original heranreichen und wird nie gleichwertend behandelt, und der Übersetzer selbst bemerkt, je tiefer er sich in das Original einarbeitet, desto unvollkommener scheint seine Arbeit zu sein. Andererseits sieht er im Übersetzer, wie auch Schleiermacher, einen nationen-übergreifenden Boten, der gegenseitige Achtung und Bewunderung sät, wo sonst Konkurrenz und Streit wohnen. Dabei überträgt er nicht nur den Gehalt, sondern auch die Form, die über die Grenzen einer Sprache hinaus arbeitet.[15]

Die Poesie ist ein so komplexes Geflecht aus Silben, Worten und Rhythmen, dass man sie kaum in theoretische Worte fassen kann. Aus diesem Grund ist eine Übersetzung auch so schwierig zu gestalten. „Wort-für-Wort“-Übersetzungen hält Schlegel für schlecht, da die innersten Anschauungen des Geistes nicht immer mit den gleichen Worten übertragen und nicht wie eine Formel verwendet werden können.[16] Die Vielseitigkeit mancher Wörter hindert den Übersetzer daran, immer ein und dasselbe Wort für ein fremdsprachiges zu verwenden. Er ist sich bewusst, dass eine Übersetzung nie perfekt sein kann, ist aber der Überzeugung, dass man es immer wieder versuchen muss, um der Heimat das fremdsprachige Genie näher zu bringen.[17] Er beschreibt Shakespeare, im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen, nicht als regellos, er habe lediglich neue Regeln geformt, die es nachzubilden gilt. Diese Regeln begründet er aus dem Inneren des Originals heraus. Die Übereinstimmung von Inhalt und Form bei Shakespeare ist äußerst wichtig, dies muss die Übersetzung unbedingt versuchen zu übertragen. Die Übersetzung sollte die Dunkelheit des Originals hervorbringen können, das heißt, etwas das lediglich in der Sprache zu erahnen und noch nicht klar differenziert ist. Die Übersetzung begründet sich stets aus einer Bewegung heraus, findet quasi nie einen Endpunkt und wird daher immer unvollkommen bleiben.[18]

3. Schwierigkeiten der Shakespeare-Übersetzung

Wie man den Übersetzungstheorien Schleiermachers und Schlegels bereits entnehmen kann, ist es allgemein schon schwierig eine dem Originalwerk gerecht werdende Übersetzung anzufertigen, egal um welchen Autor es sich handelt. Wenn es sich allerdings um eine Übersetzung von William Shakespeare handelt, häufen sich die Schwierigkeiten.

Die erste Hürde im Übersetzungsprozess ist die englische Sprache selbst. Um sie zu verstehen ist eine umfangreiche Kenntnis der elisabethanischen Sprache erforderlich, um die Eigenheiten der damaligen Dichtung ganz erfassen zu können. Das Altenglische muss dann in ein verständliches, zeitgemäßes Deutsch übertragen werden, wofür es aber kein sprachlich- und kulturhistorisches Äquivalent gibt, auch nicht in dem zu Shakespeares Zeit in Deutschland gesprochenen Barock-Deutsch. Unterschiede in beiden Sprachen erschweren die Übersetzung. Da eine große Anzahl von einsilbigen Worten im Englischen existiert, wird dadurch die Kürze des Ausdrucks begünstigt und lässt im Blankvers die männlichen Endungen dominieren. Dadurch wirken die Enjambements fließender und die Endung konziser. Durch Partizipialkonstruktion des Englischen werden die Sätze präziser und da solche im Deutschen nicht sehr häufig vorkommen, kann die englische Direktheit in der deutschen Sprache nicht genau übertragen werden.[19]

Die deutsche Sprache ist nämlich stark flektiert, weswegen der deutsche Vers meist weibliche Endungen trägt. Diese erscheinen in der deutschen Sprache natürlicher als die männlichen, die nur sehr selten verwendet werden. Im Englischen dagegen sind sie als Folge der Einsilbigkeit der Worte natürlich.[20]

[...]


[1] Zit. n. Korninger, Siegfried: Shakespeare und seine deutschen Übersetzer. In: Jahrbuch der deutschen

[1] Zit. n. Korninger, Siegfried: Shakespeare und seine deutschen Übersetzer. In: Jahrbuch der deutschen

Shakespeare-Gesellschaft. Hg. v. Hermann Heuer. Heidelberg: Quelle & Meyer-Verlag, 1956. S. 34.

[2] Vgl. Apel, Friedmar: Poesie der Konstanz, Poetik der Differenz. Shakespeares Sonette deutsch. In: Die

Sonette. Hg. v. Wolfgang Kaußen. Frankfurt am Main/ Leipzig: Insel-Verlag, 1998. S. 329.

[3] Vgl. Schleiermacher, Friedrich: Über die verschiedenen Methoden des Übersetzens. In: Das Problem des Übersetzens. Hg. v. Hans Joachim Störig. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1963. S. 38.

[4] Vgl. ebd. S. 39.

[5] Vgl. ebd. S. 41f.

[6] Ebd. S. 43.

[7] Vgl. Schleiermacher: Übersetzen. S. 45.

[8] Vgl. ebd. S. 46.

[9] Ebd. S. 47.

[10] Vgl. ebd. S 52f.

[11] Vgl. ebd. S. 55f.

[12] Vgl. ebd. S. 59.

[13] Vgl. Schleiermacher: Übersetzen. S. 60.

[14] Vgl. Apel, Friedmar: Literarische Übersetzung. Stuttgart: Metzler-Verlag, 1983. S. 52-53.

[15] Vgl. Schlegel, August Wilhelm von: Über die Bhagavad-Gita. In: Das Problem des Übersetzens. Hg. v.

Hans Joachim Störig. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1963. S. 98.

[16] Vgl. ebd. S. 99f.

[17] Vgl. ebd. S. 100.

[18] Vgl. Apel: Übersetzung. S. 53-54.

[19] Vgl. Erken, Günther: Die deutschen Übersetzungen. In: Shakespeare Handbuch. Die Zeit – Der MENSCH – Das Werk – Die Nachwelt. 5. Ausgabe. Hg. v. Ina Schabert. Stuttgart: Kröner-Verlag, 2009. S. 821.

[20] Vgl. Kahn, Ludwig: Shakespeares Sonette in Deutschland. Straßburg: Universitätsbuchdruckerei Heitz & Co., 1934. S. 21-22.

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Shakespeares Sonette in deutscher Übersetzung
Untertitel
Am Beispiel von Stefan George und Karl Kraus
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Note
2,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
26
Katalognummer
V212347
ISBN (eBook)
9783656401636
ISBN (Buch)
9783656402015
Dateigröße
567 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
shakespeares, sonette, übersetzung, beispiel, stefan, george, karl, kraus
Arbeit zitieren
Charlotte Seeger (Autor:in), 2011, Shakespeares Sonette in deutscher Übersetzung , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/212347

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