Ethik in der journalistischen Recherche

Untersuchung anhand des Pressekodex


Seminararbeit, 2010

20 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Bestandsaufnahme: Recherchekultur im deutschen Journalismus
2. 1 Einstellungen von Journalisten zu Recherchemethoden

3. Journalistische Recherche im Licht der Medienethik

4. Recherche im Licht der Rechtslage und des Pressekodex‘
4.1 Pressefreiheit vs. Persönlichkeitsrechte
4.2 Rechercheregelungen im Pressekodex

5. Unlautere Recherchemethoden
5.1 Problemfelder
5.2 Beispiel: Der Fall „Sebnitz“
5.2.1 Fazit

4. Schluss

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Journalistische Recherche ohne Moral? Rechercheure - skrupellose Journalisten, die mittels scharfsinniger Spürarbeit skandalträchtige Enthüllungsgeschichten ans Licht bringen?

Diesen Fragen soll in dieser Arbeit nachgegangen werden.

Zuerst erfolgt eine Bestandsaufnahme der deutschen Recherchekultur im Bezug auf die heutigen beruflichen Leitbilder und die Einstellungen von Journalisten zu Recherchemethoden. Im Anschluss wird aufgezeigt, was Medienethik für die Recherche bedeutet und in welchem Spannungsverhältins der Journalist agiert. Ergänzend dazu werden im folgenden Teil die rechtlichen und presseethischen Schranken und Freiheiten hinsichtlich der Recherche dargestellt. Abschließend werden die Problembereiche von unlauteren Recherchemethoden allgemein und dann exemplarisch am Fall „Sebnitz“ beleuchtet.

Diese Arbeit will nicht nur die Art und Weise der Recherche untersuchen und ethisch beurteilen, sondern auch die Frage, ob überhaupt recherchiert wird, erörtern.

2. Bestandsaufnahme: Recherchekultur im deutschen Journalismus

Die journalistische Recherche ist das Basishandwerk eines jeden Journalisten und Garant für publizistische Unabhängigkeit und Qualität. Ohne sie würde in den Medien nur noch Recycling von Agenturmeldungen, Pressemitteilungen oder Pressekonferenzen betrieben und der Journalist somit zum „Textmanager“ degradiert, der sich nurmehr „aufs Kürzen und oberflächliche Neutralisieren von Texten beschränke“, so der Schweizer Publizist René Grossenbacher.[1] Folglich läge der Fokus nicht mehr auf sorgfältigem Sammeln und Prüfen von Informationen aus verschiedenen Quellen, sondern konzentriere sich - wenn überhaupt - auf eine bloße „Ergänzungs- Recherche“ mit dem Ziel, eine Story möglichst rasch und unkompliziert umzusetzen. Leider hält ein solcher Recherche-Tonus weitverbreitet Einzug in deutschen Redaktionen. Nur noch jeder zehnte Artikel entstehe aus journalistischer Initiative und fast zwei Drittel der Berichterstattung beruft sich auf PR-Quellen.[2]

Zwar nimmt die Recherchearbeit mit täglich rund zweieinhalb Stunden einen großen Teil der journalistischen Arbeit ein, jedoch sind bei diesem Terminus Verwaltungsarbeiten und Routinearbeiten, wie das Einholen von Informationen bei offiziellen Stellen, mit inbegriffen.[3] Gespräche mit Experten, Interviews mit Augenzeugen, Kontakte zu Politikern, Umfragen oder gar investigative Ansprüche, sind im Vergleich zu angelsächsischen Redaktionen selten.[4]

Eine weitere Quelle, aus der sich deutsche Redaktionen verstärkt bedienen, ist das schlichte Übernehmen von Inhalten oder sogar Berichten anderer Medien ohne weitere Überprüfung, das zweifelsohne ein geringes Reflexionsniveau widerspiegelt. Die Selbstreferentialität zählt zu den Grundproblemen journalistischer Recherche. Einen Beleg dafür bietet die von Huismann durchgeführte Analyse des Basisdienstes der „Deutschen Presseagentur“ (dpa). Aus ihr geht hervor, dass der Anteil von dpa - Meldungen, die sich auf Medienzitate beziehen, von vier auf neun Prozent gestiegen ist. Konkret entspricht dies einer Vervierfachung von 120 auf 468 Medienzitate pro Woche.[5] Durch die Selbstreferentialität, noch dazu verbunden mit Verzicht auf Gegenrecherche, können gefährliche Kettenreaktionen bis hin zu kollektivem Irrtum entstehen, was der Fall „Sebnitz“ eindrucksvoll gezeigt hat[6] (siehe Kap. 5.2).

Angesichts eines nie dagewesenen Aktualitätsdrucks und des Mangels der wichtigsten Rechercheressourcen Zeit und Geld, herrscht in deutschen Redaktionen eine Tendenz zu Personalabbau und Kosteneinsparungen, die eine gründliche Recherchearbeit immer schwieriger gestaltet. Dabei vernachlässigen immer häufiger auch Qualitätsblätter, die dafür bekannt waren, über ausreichende Ressourcen für Recherchejournalismus zu verfügen, journalistische Sorgfaltspflichten.[7]

Jochen Bölsche und Hans Werner Kilz kritisierten bereits in den 80er Jahren des 20.

Jahrhunderts die Nebenrolle der Recherche in Deutschland: „Im bundesdeutschen Journalismus sind investigative Recherche und kritische Berichterstattung, die bilanzierende Dokumentation unsauberer politischer Vorgänge, viel zu wenig entwickelt. Die Deutschen sind Weltmeister im Meinungsjournalismus, der Leitartikel wird als Ausweis höchster Kompetenz angesehen. [...] Aber die Zeitungen beschäftigen nur wenige Rechercheure, die Enthüllungsstories liefern - die Sparte ist unterbesetzt.“[8]

Tatsächlich muss die aus den USA geläufige „investigative Recherche“ mit gutbezahlten Reporter-Teams, die weitgehend von Tagesberichterstattung befreit sind und sich vollkommen einer tiefgründige Recherche widmen können, in Deutschland als große Ausnahme gelten. Im Gegensatz zum amerikanischen Ideal des Investigative Reporting wird in Deutschland eher von einem „Recherchejournalismus“ als breit angelegtem Begriff gesprochen. Hier hat man einen Journalismus im Sinn, der durch das Prüfen zahlreicher Quellen und das intensive Nachforschen mehr als nur Routinetätigkeiten verlangt, allerdings nicht zwingend einen Skandal zu Tage bringt, was mit dem investigativen Journalismus verbunden wird. Somit gehört zum Recherchejournalismus eine umfassende Themenrecherche, die neue Perspektiven auf Geschehnisse aufzeigt, ohne dass Korruption oder Machtmissbrauch angeklagt werden.[9]

Doch leider ist nicht nur ein umfassender Recherchejournalismus zur Aufdeckung von gesellschaftlichen Missständen, sondern auch die Berücksichtigung von Minimalregeln der journalistischen Recherche, Mangelware in deutschen Redaktionen, wie Hans Leyendecker, eine der Gallionsfiguren des investigativen Journalismus, konstatiert.[10]

Weiterhin weist Leyendecker auf das Fehlen eines Selbstbewusstseins der Presse als kontrollierende „vierte Gewalt“ hin, wie es beispielsweise in den USA und Großbritannien fest verankert ist. Das berufliche Selbstverständnis gestalte sich in Deutschland anders: „Wer bei einer Zeitung den Leitartikel schreiben und sonntags im Presseclub sitzen darf, hat den Ausweis höchster Kompetenz erreicht“[11]. Die beruflichen Leitbilder werden in Deutschland eher durch die Feuilletonisten und Kommentatoren geprägt, als durch die Rechercheure.[12]

Jedoch sollte an dieser Stelle erwähnt werden, dass aus dieser Beobachtung nicht schlusszufolgern ist, dass die USA im Bereich der journalistischen Recherche vorbildlich agieren, wenn man sich beispielsweise vor Augen hält, wie in Folge der Terroranschläge vom 11. September eine Welle des Patriotismus in der amerikanischen Presse Einzug gefunden und zu einer weitgehenden Synchronisierung von politischer und publizistischer Macht geführt hat.[13]

Hinzu kommt, dass die Ausbildung einer Recherchekultur in Deutschland schon durch das unklare Tätigkeitsprofil der deutschen Journalisten erschwert wird. So findet in Großbritannien und den USA eine eindeutige Trennung zwischen den Aufgabenfeldern des recherchierenden reporters und des schreibenden editors statt, wobei in Deutschland eine Aufgabenüberlappung vorherrscht. Laut der international vergleichenden Journalistenstudie „Media and Democracy“ liegt der Anteil der Journalisten, die sowohl selbst recherchieren als auch kommentieren, in Deutschland bei 74 Prozent gegenüber 17 Prozent in den USA. Durch die geringere Spezialisierung und nicht zuletzt durch Kosteneinsparungen sind klare Hindernisse bei der Herausbildung eines Leitbildes eines „Rechercheurs“ gestellt.[14]

2.1 Einstellungen von Journalisten zu Recherchemethoden

Wenn man das Rollenselbstbild und die journalistischen Einstellungen deutscher Journalisten betrachtet, die in verschiedenen Studien untersucht wurden, bestätigt sich der Eindruck, dass die journalistische Recherche ausbaufähig ist.

Im Vordergrund steht nach einer großen Studie der Forschungsgruppe Journalistik eindeutig die Informationsfunktion, die von 41 Prozent der im klassischen Nachrichtenfeld tätigen Medienvertreter als „extrem wichtig“ bezeichnet wird. Allerdings stufen nur 13 Prozent die Aufgabe „Aussagen und Stellungnahmen der Regierung zu überprüfen“ als zentral ein, wohingegen diese Kontrollfunktion in anderen Ländern ähnlich hoch wie die Informationsfunktion rangiert.[15]

Von der Rolle, in der sich der Journalist selbst sieht, lässt sich ableiten, welche Güter für ihn Priorität besitzen. Diese Güterabwägungen sind eng mit den ethischen Entscheidungen von Journalisten verbunden, die in der Studie „Journalismus in Deutschland“ von Weischenberg et al. untersucht wurden. Die Ergebnisse von 2005 zeigen, dass deutsche Medienvertreter heute mehrheitlich auf problematische Recherchemethoden verzichten.[16]

Deutsche Journalisten lehnen es vor allem ab, Informanten unter Druck zu setzen (1 Prozent) und versteckte Mikrofone zu nutzen (5 Prozent). Inkognito in einem Betrieb zu arbeiten um an vertrauliche Informationen zu gelangen wird ebenso wenig Akzeptanz entgegengebracht wie dem Vorgeben falscher Meinungen, um Vertrauen gegenüber Informanten zu gewinnen (jeweils 11 Prozent). Lediglich 8 Prozent würden es befürworten, sich bei der Recherche als eine andere Person auszugeben. Ähnlich kritisch ist die Haltung gegenüber dem sogenannten „Scheckbuchjournalismus“, die Bereitschaft, Informanten zu bezahlen. Die größte Zustimmung lag in der Bereitschaft, vertrauliche Regierungsunterlagen zu nutzen (25 Prozent).

Interessant ist die Entwicklung der prozentualen Anteile, die im Vergleich zur Vorgängerstudie aus dem Jahr 1993 fast ausnahmslos stark gesunken sind.[17] Die deutschen Journalisten sind sozusagen im Laufer der Jahre „bräver“ geworden. Außerdem ist zu beachten, dass die Befragten „die entsprechenden Arbeitsweisen zwar prinzipiell ablehnen, in Abhängigkeit von konkreten Situationen aber dennoch anwenden würden.“[18]

Die empirischen Befunde haben gezeigt, dass deutsche Journalisten nicht besonders skrupellos sind und sich weitgehend an das halten, was der Pressekodex und das Medienrecht vorgeben. Im internationalen Vergleich stellt sich die Akzeptanz problematischer Recherchemethoden bei deutschen Medienvertretern eher verhalten dar. Ihre amerikanischen Kollegen billigen unlautere Methoden viel häufiger, wobei die größte Akzeptanz in Großbritannien zu erkennen ist.[19]

Aus den empirischen Befunden lässt sich folgern, dass deutsche Journalisten sich im Zweifelsfall immer noch für ethische Normen entscheiden. Ob man ihre auffallende Zurückhaltung bei der Recherche bedauern oder begrüßen soll, hängt vom Standpunkt des Betrachters und gesellschaftlichen Maßstäbe ab.

[...]


[1] Grossenbacher zitiert in Leif, Thomas: Leidenschaft Recherche: Die Kontrollfunktion der Medien braucht Pflege und Ermutigung. In: Leif, Thomas (1998) (Hrsg.): Leidenschaft: Recherche. Wiesbaden:

Westdeutscher Verlag. S. 13. Im Folgenden angegeben als Leif (1998).

[2] Vgl. ebenda.

[3] Vgl. Scholl/Weischenberg (1998) zitiert in Redelfs, Manfred: Recherchekultur im deutschen Journalismus. In: Leif, Thomas (2003) (Hrsg.): Mehr Leidenschaft Recherche. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. S.18f. Im Folgenden angegeben als Leif (2003)

[4] Vgl. Redelfs. In: Leif (2003), S. 18f.

[5] Vgl. Reinemann/Huismann, S. 465, zitiert in Bradtka, Melanie(2008): Zwischen öffentlichem Interesse und Voyeurismus. Die Ethik der journalistischen Informationsbeschaffung- und verwertung anhand von Fallbeispielen. S.50.

[6] Vgl. Leyendecker (2001), S.2 zitiert in Bradtka, Melanie (2008), S.49.

[7] Vgl. Redelfs. In: Leif (2003), S. 17.

[8] Bölsche/Kilz zitiert in Leif (1998), S.13.

[9] Vgl. Redels. In: Leif (2003), S. 19.

[10] Vgl. Haller, Michael: „So was kann doch nur eine Fälschung sein.“ In den Nachrichtenmedien steigt die zahl der Falschmeldungen und Falschbehauptungen. Der Recherchierjournalist Hans Leyendecker erläutert SAGE&SCHREIBE, wie es zum Verfall journalistischer Sitten gekomm en - und was dagegen zu tun ist.

In:SAGE&SCHREIBE 5/1994, S. 10f.

[11] ebenda.

[12] Vgl. Leyendecker zitiert in Leif(1998), S.14.

[13] Vgl. Redelfs. In: Leif (2003), S. 19.

[14] Vgl. ebenda, S. 26.

[15] Vgl. Scholl/Weischenberg (1998): Journalismus in der Gesellschaft. Theorie, Methodologie und Empirie, Opladen. zitiert in Redelfs. In Leif(2003), S.25.

[16] Vgl. im Folgenden Weischenberg/Mallik/Scholl (2006): Souffleure der Mediengesellschaft. Report über

die Journalisten in Deutschland. Konstanz. S. 174ff.

[18] Weischenberg/Malik/Scholl (2006): Journalismus in Deutschland 2005. Zentrale Befunde der aktuellen Repräsentativbefragung deutscher Journalisten. In: Media Perspektiven 7/2006, S. 357.

[19] Vgl. Kuczik/Zipfel (2001), S.213, zitiert in Bradtka (2008), S. 53.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Ethik in der journalistischen Recherche
Untertitel
Untersuchung anhand des Pressekodex
Hochschule
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt  (Journalistik)
Veranstaltung
Ethik und Qualität in der öffentlichen Kommunikation
Note
1,0
Autor
Jahr
2010
Seiten
20
Katalognummer
V212324
ISBN (eBook)
9783656399247
Dateigröße
619 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ethik, Medienethik, Journalismus, Recherche
Arbeit zitieren
B.A. European Studies Franziska Caesar (Autor:in), 2010, Ethik in der journalistischen Recherche, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/212324

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