Die Märchen „Vom Fischer und seiner Frau“ und „Der Kreis der Neunundneunzig“ im Werte & Normen-Unterricht

Analyse des Begriffspaares Habsucht und Bescheidenheit


Bachelorarbeit, 2009

40 Seiten, Note: 1,85


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1.Einleitung

2. Was sind Märchen und warum sollte man sie im Werte & Normen-Unterricht behandeln?
2.1 Märchen allgemein
2.2 Märchen und ihre Wirkung auf Kinder
2.3 Märchen im Werte und Normen Unterricht

3. Märchen zum Thema Habsucht und Bescheidenheit
3.1 Begriffsklärung
3.1.1 Habsucht
3.1.2 Bescheidenheit
3.1.3 Ehrgeiz
3.2 Der Fischer und seine Frau
3.2.1 Inhalt
3.2.2 Interpretaion
3.3 Der Kreis der Neunundneunzig
3.3.1 Inhalt
3.3.2 Interpretation

4. Stundenentwürfe
4.1 Entwurf I: Jahrgang 5
4.1.1 Einordnung in den Unterrichtszusammenhang
4.1.2 Didaktische Überlegungen
4.1.3 Lernziele
4.1.4 Stundenverlauf und Methodische Überlegungen
4.2 Entwurf II: Sekundarstufe II
4.2.1 Einordnung in den Unterrichtszusammenhang
4.2.2 Didaktische Überlegungen
4.2.3 Lernziele
4.2.4 Stundenverlauf und Methodische Überlegungen
4.3 Vergleich der Stundenentwürfe

5. Fazit

6. Literatur

1. Einleitung

Auf der Suche nach einem Thema für meine Bachelorarbeit bin ich zum ersten Mal darauf gestoßen, dass man Märchen zum Philosophieren mit Kindern und auch im Werte und Normen Unterricht als Medium nutzen kann. Dieses Thema fand ich sofort sehr interessant, da es mir in den Didaktik Veranstaltungen meines Studiums noch nicht begegnet war. Als angehende Lehrerin bin ich immer bemüht, mir neue Anregungen und Inspirationen für einen guten, aber auch anderen, neuen Unterricht zu suchen. Märchen sind meiner Erfahrung nach als Textsorte in der Schule nicht allzu weit verbreitet und deswegen befand ich es als lohnenswert, mich intensiver mit diesem Thema auseinanderzusetzen.

Die beiden zu untersuchenden Begriffe, in denen es in den von mir ausgesuchten Märchen geht, sind Habsucht und Bescheidenheit. Diese Begriffe sind noch immer, wie damals als die Märchen entstanden, gegenwärtig. In philosophischer wie auch in gesellschaftlicher Hinsicht verlieren Begriffe wie diese nie ihre Aktualität. Deswegen bietet es sich an, sich gründlicher mit ihnen zu beschäftigen. Auch für Schüler ist es von Vorteil zu lernen, was für eine Bedeutung Habsucht und Bescheidenheit auf ihr Leben haben können.

Unter diesen beiden Aspekten möchte ich meine Arbeit schreiben: Zum einen der Märcheneinsatz im Unterricht und zum anderen die Vermittlung der Begriffe Habsucht und Bescheidenheit als Lernziel.

Anfangen werde ich mit der Frage, was Märchen überhaupt sind und warum und inwiefern sie für den Werte und Normen Unterricht geeignet sind. Als nächstes werde ich mich den beiden Märchen „Vom Fischer und seiner Frau“ und „Der Kreis der Neunundneunzig“ widmen. Nach einer kurzen Begriffserklärung zu Habsucht, Bescheidenheit und Ehrgeiz, wird der Inhalt der Märchen dargestellt. Im Weiteren werde ich die Märchen interpretieren, um zu wissen, was an ihnen für den Unterricht herauszuholen ist und in welcher Art und Weise man sie am besten einbringen könnte. Dieses führt zu den beiden Unterrichtsentwürfen. Sie unterscheiden sich ein wenig von den Entwürfen, die üblich für einen Praktikumsbericht sind, weil ich die Stunden nicht praktisch ausführen werde. Deswegen entfällt die Beschreibung der Lerngruppe und die Reflexion der Stunde. An die Stelle der Sachanalyse treten die vorangegangenen Märcheninterpretationen. Ich beginne mit dem Unterrichtsentwurf für die 5. Klasse und stelle dann den für die Sekundarstufe II vor. Danach folgt ein Vergleich dieser Stundenentwürfe. Die Arbeit abschließen möchte ich mit einem Fazit.

2. Was sind Märchen und warum sollte man sie im Werte und Normen Unterricht behandeln?

2.1 Märchen allgemein

Märchen sind seit mehr als 2000 Jahren in den unterschiedlichsten Kulturkreisen bekannt und beliebt. Das Wort ‚Märe’ bedeutet soviel wie Botschaft oder Erzählung, die anfangs von Mund zu Mund gingen. Die Verkleinerungsform ‚Märchen’ will vermutlich deutlich machen, dass es sich um eine kurze Geschichte handelt.[1] In der internationalen Märchentheorie wird unterschieden zwischen Volks- und Kunstmärchen. Volksmärchen kommen bei allen Völkern vor. Sie wurden von Generation zu Generation überliefert und meist in einer Märchensammlung, wie z.B. der der Gebrüder Grimm, festgehalten. Sie geben Hinweise auf nationale Ess- oder Trinkgewohnheiten, die wichtigste Rolle spielen allerdings Lebensweisheiten und philosophische Probleme. Auch in Kunstmärchen werden philosophische Probleme behandelt, da sie von Dichtern meist mit der Intention verfasst wurden, den Leser moralisch zu belehren.[2] Deswegen sind, im Gegensatz zum Volksmärchen, die Autoren eines Kunstmärchens bekannt.[3]

In Bezug auf Medien des Philosophierens zählen Märchen zu den symbolisch-präsentativen Medien. Denn anders als die symbolisch-diskursiven Medien, wie z.B. Essays oder philosophische Romane, in denen philosophische Denkergebnisse in einer wissenschaftlich systematisierten Form dargestellt werden, erheben Märchen keinen Anspruch auf eine wissenschaftliche Darstellung. Die in ihnen vorkommenden Resultate reflexiven Nachdenkens werden nicht linear, sondern komplex und mehrdimensional dargestellt. Es geht nicht wie bei den diskursiven Medien um verallgemeinerbare Aussagen, sondern um einen stärkeren Bezug zu praktischen Erfahrungen und Lebenszusammenhängen.[4] Zudem werden, im Gegensatz zu philosophischen Fachtexten, im Märchen die philosophischen Erkenntnisse in sprachlichen Bildern, d.h. Metaphern, Allegorien und Analogien, präsentiert.[5]

Gerade diese Bildhaftigkeit der Märchen macht sie zu einem gut geeigneten Hilfsmittel des Philosophierens mit Schülern im Unterricht.

2.2 Märchen und ihre Wirkung auf Kinder

Für jüngere Schüler können Märchen nützlich für die Entwicklung sein. Viele Geschichten sind zwar im Stande ein Kind zu fesseln, indem sie unterhalten und seine Neugier wecken, um aber sein Leben zu bereichern, müssen sie die Phantasie anregen und Emotionen klären. Dabei darf die Geschichte die kindlichen Nöte nicht verniedlichen, sie muss diese ernst nehmen und das Vertrauen des Kindes in sich selbst und in seine Zukunft stärken. Hierbei ist das Märchen am fruchtbarsten: Es lehrt zwar nichts über die Verhältnisse des modernen Lebens, da es dafür zu früh entstanden ist, man erfährt jedoch viel über innere Probleme des Menschen und die richtigen Lösungen dafür.[6] Des Weiteren helfen Märchen bei der moralischen Erziehung. Denn sie führen dem Kind moralisch richtiges Handeln greifbar vor Augen und bringen ihm so unterschwellig Vorteile eines moralischen Verhaltens näher.[7] Dieses wird vom Kind besser verstanden als abstrakte ethische Vorstellungen. Märchen haben nämlich eine spezifischen Charakter bezüglich Form und Inhalt, der etwas dem Geist des Kindes Gemäßes enthält.[8]

Aus Sicht des psychoanalytischen Persönlichkeitsmodells vermitteln Märchen dem Kind wichtige Botschaften auf bewusster, vorbewusster und unbewusster Ebene entsprechend ihrer jeweiligen Entwicklungsstufe. Sie lösen vorbewusste und unbewusste Spannungen und fördern die Entfaltung des Ichs.[9]

Märchen eröffnen für die Phantasie des Kindes eine neue Dimension, denn Form und Gestalt der Märchen erzeugen Bilder, durch die seinem Leben eine bessere Orientierung gegeben werden kann. Es wird dem Kind vermittelt, dass Probleme im Leben unvermeidlich sind und zur menschlichen Existenz dazugehören, so wird in vielen Märchen z.B. das Thema Tod behandelt.[10] Dabei wird ein existenzielles Drama kurz und pointiert festgestellt, was dem Kind ermöglicht, sich mit der wesentlichen Gestalt des Problems auseinanderzusetzen. Zudem vereinfacht das Märchen Situationen: Gestalten sind klar gezeichnet, Einzelheiten werden kaum erwähnt und Charaktere sind typisch.[11] Dabei erhebt das Märchen nicht den Anspruch, die Welt so zu beschreiben, wie sie ist und es rät auch nicht, was man zu tun hat.[12] Es will sich nicht logisch, sondern psychologisch ausdrücken. Es benutzt Aussagen, die sich nicht an Intellekt und Bewusstsein richten, sondern an ‚tiefere’ seelische Bereiche.[13] Durch seinen unrealistischen Charakter wird deutlich, dass das Märchen keine nützlichen Informationen über die Außenwelt vermitteln möchte, sondern dass es um die inneren Vorgänge beim Menschen gehen soll.[14] Hierbei gebraucht das Märchen Worte, die das Kind unmittelbar ansprechen. Rein realistische Geschichten informieren, ohne zu bereichern. Faktisches Wissen dient nur dann der Gesamtpersönlichkeit, wenn es in persönliches Wissen umgewandelt werden kann.[15] Außerdem sind realistische Erklärungen bei Kinderfragen oft unverständlich für das Kind, da es noch nicht über ein abstraktes Begriffsvermögen verfügt.[16] Allerdings kann es intuitiv erkennen, dass Märchen zwar unrealistisch, jedoch nicht unwahr sind. Ihre Ereignisse tragen sich so in der Realität nicht zu, aber geschehen als innere Erfahrung.[17] Die Wahrheit des Märchens ist die Wahrheit der Phantasie.[18] Ohne Phantasien, die Hoffnung schaffen, hat man nicht die Kraft, den Widrigkeiten des Lebens zu trotzen.[19]

Somit können Märchen einen positiven Beitrag zum inneren Wachstum des Kindes leisten, indem sie unterhalten, über das Innere aufklären und die Persönlichkeitsentwicklung fördern.

2.3 Märchen im Werte und Normen Unterricht

Gerade im Werte und Normen Unterricht bietet sich die Möglichkeit, mit den Schülern zu philosophieren. Dabei ist eine Methode, einen Text, der das philosophische Thema oder den Begriff enthält, zu behandeln. Aber warum sollte bei diesem Text die Wahl gerade auf ein Märchen fallen? Sind Märchen nicht nur etwas für Kleinkinder und gar nicht zu gebrauchen für Schüler der Sekundarstufe I geschweige denn II? Tolstoi antwortete einst einer Dame, die darüber besorgt war, dass ihr Sohn ständig Märchen lese: „Es gibt nichts schöneres […] als Märchen, da sie den Hauch des Geheimnisvollen und Wundersamen mit dem Leben der Menschen verbinden.“[20]

Schon Leo Tolstoi erkannte also, dass Märchen zum Philosophieren besonders gut geeignet sind. Er schrieb viele Märchen speziell für Kinder, in denen er philosophische Fragen in den Vordergrund stellte, worin er ein Mittel der Anregung zur Selbstreflexion sah.[21]

Philosophie und Märchen beschäftigen sich mit einer gemeinsamen Frage in unterschiedlichen Kontexten: das Märchen wendet sich individuellen Problemen menschlicher Existenz zu, während die Philosophie nach universellen Antworten zu allgemeinen Problemen sucht.[22]

Eine weitere Verbindungslinie besteht zwischen dem Märchen und der Moralphilosophie. Im Märchen werden Normen wie Ehrlichkeit oder Tapferkeit in Handlungen der Figuren dargestellt ohne diese Normen zu begründen. Dies bietet einen Ansatzpunkt zum Philosophieren: die Schüler können selbst überlegen, warum so gehandelt wurde, welche Folgen dieses Handeln hat und ob auch ein alternativer Handlungsweg möglich[23] bzw. besser gewesen wäre.

Ein weiterer Ansatz zum Philosophieren sind die Widersprüche im Leben, die im Märchen in Form von Gegensatzpaaren wie Gut und Böse oder auch Habsucht und Bescheidenheit vorkommen. Schon kleine Kinder machen die Erfahrung, dass die Welt aus Gegensätzen besteht: tags ist es hell und nachts dunkel, Feuer ist heiß und Eis kalt. Märchen zeigen, dass diese antinomischen Begriffe keine feststehenden Kategorien sondern, dass sie veränderlich sind, so wird z.B. der Arme zum Reichen.[24] Dies lässt das Kind wichtige Erkenntnisse für sein eigenes Leben ableiten: wenn es selbst oder jemand in seiner Umgebung z.B. ‚böse’ gehandelt hat, heißt das nicht, dass dieses ‚böse Sein’ ein für immer geltendes Charakteristikum ist. Der Schüler lernt, dass solche Begriffe nicht starr festgelegt, sondern von Handlungen und Kontexten abhängig sind.[25] Auch interessant ist das Vermischen bestimmter als positiv geltender Begriffe mit welchen, die negativ gesehenen werden. So lassen z.B. manche Märchen die Frage aufkommen, ob jemand, der klug ist, auch böse sein kann oder ob jemand, der reich ist, gleichzeitig unglücklich sein kann. Diese Herangehensweise erfordert eine der Grundmethoden des Philosophierens, nämlich die der Begriffsanalyse. Hierbei kann man als Lehrer nach dem Bedeutungsinhalt von Begriffen fragen, z.B. nach einem gegenteiligen Begriff oder einem Synonym.[26]

Ferner eigenen sich Märchen, die Schüler zur freien Meinungsäußerung anzuregen. Es kann z.B. nach der Meinung zu der Handlungsweise einer Märchenfigur gefragt werden. Wenn man die Schüler nun noch dazu auffordert, ihre Meinungen zu begründen, dann wird zusätzlich das Argumentieren geschult. Beide Methoden, die Begriffsanalyse und das Argumentieren, sind Vorgehensweisen eines rational-analytischen Zugangs zum Märchen beim Unterrichten.[27]

Eine weitere Methode mit und über Märchen zu philosophieren, ist der kreative Zugang. Hierbei kann durch kreatives Schreiben z.B. ein neues Ende für ein Märchen geschrieben oder auch eine andere Handlungsweise erdacht werden. Das Märchen oder ein Teil kann aber auch in einem Rollenspiel von den Schülern dargestellt werden. Dadurch wird die Fähigkeit gefördert, eine andere Perspektive einzunehmen und sich in eine Rolle hineinzuversetzen.[28]

Der dritte methodische Zugang ist der kommunikative. Dieser stellt das Gespräch in den Vordergrund und legt den Schwerpunkt auf die im Märchen behandelten Fragen bezüglich menschlicher Existenz.[29]

Abgesehen von den vielen Methoden des Philosophierens, die von Märchen angeregt werden, und des positives Einflusses auf die Entwicklung der Schüler, haben Märchen noch einen weiteren Vorteil: Viele in Märchen behandelte Themen passen gut in das heutige Kerncurriculum der Gymnasien.

In den Jahrgängen 7 und 8 ist das Thema „Freundschaft, Liebe, Sexualität“ vorgesehen. Viele Märchen greifen das Thema Freundschaft mit unterschiedlichen Aspekten auf. Diese können hilfreich sein zum Vergleich mit den persönlichen Erfahrungen der Schüler.[30]

In den Jahrgängen 9 und 10 ist ein wichtiger Gegenstand des Unterrichts die Beschäftigung mit dem Altern, dem Sterben und dem Tod.[31] Auch hierzu gibt es viele Märchen, die sich mit dem Umgehen der Hinterbliebenen mit dem Tod als auch mit dem Sterbenden beschäftigen. Es geht auch um ein Leben nach dem Tod und in einigen Märchen wird der Tod selbst personifiziert und agiert. Diese Märchenarten können helfen, den Tod als etwas Unvermeidbares und nicht unbedingt nur als etwas Negatives zu sehen.

Märchen sind also in vielerlei Hinsicht gut geeignet für den Werte und Normen Unterricht. Welche Märchen zu welchem Thema passen und in welcher Art und Weise man sie praktisch im Unterricht anwenden kann, wird in den nächsten Kapiteln an dem Beispiel des Begriffspaares Habsucht und Bescheidenheit dargestellt.

3. Märchen zum Thema Habsucht und Bescheidenheit

3.1 Begriffsklärung

3.1.1 Habsucht

Habsucht ist die leidenschaftliche Gier nach mehr Besitz. Dabei gibt es keinen anderen Grund für das Begehren als das bloße Haben wollen. Mit der Habsucht verhält es sich bezüglich äußerem Besitz wie mit der Selbstsucht: der Habsüchtige will um jeden Preis mehr Besitz während der Selbstsüchtige nach jedem Vorteil strebt.[32] Im Sinne des Mordparagraphen stellt die Habsucht ein übersteigertes Gewinnstreben dar.[33]

3.1.2 Bescheidenheit

Bescheidenheit ist die Mäßigung in Selbsteinschätzung und Ansprüchen, die aus natürlicher Selbsterkenntnis entspringt. Sie äußert sich in der Anerkennung der Erfolge anderer und in der Verzichtsleistung auf eigene Ehre und persönlichen Gewinn.[34]

3.1.3 Ehrgeiz

Ehrgeiz ist das Bestreben, andere durch Eigenleistung zu übertreffen. Normaler Ehrgeiz ist meist mit dem Bedürfnis nach Anerkennung der Leistung verbunden und wird pädagogisch positiv bewertet. Übertriebener Ehrgeiz hingegen, bei dem zusätzlich versucht wird die Leistung anderer unterzubewerten, wird als negativ angesehen.[35]

3.2 Der Fischer und seine Frau

3.2.1 Inhalt

Das Märchen „Der Fischer und seine Frau“, welches auch bekannt ist unter dem Namen „Vom Fischer und seiner Frau“, ist ein niederdeutsches Märchen und wurde von den Gebrüdern Grimm aufgezeichnet. Diese erhielten 1809 eine Version, die in pommerischer Mundart von dem Maler Phillip Otto Runge abgefasst wurde.[36]

Es geht in dem Märchen um einen Fischer, der eines Tages einen verwunschenen Prinzen in der Gestalt eines Fisches angelt, welchen er verschont. In seiner armseligen Hütte bei seiner Frau angekommen, erzählt er ihr von dem Vorfall. Diese schickt ihren Mann wieder zurück zu dem Fisch, mit der Aufgabe, sich ein schönes Haus zu wünschen. Obwohl dem Mann nicht ganz wohl dabei ist, geht er wieder zu dem Fisch. Doch die Frau ist nicht lange mit dem Haus zufrieden. Danach möchte sie ein Schloss, dann will sie Königin werden, dann Kaiserin und dann Papst. All diese Forderungen kann der Fischer zwar nicht unterstützen, wünscht sie sich aber nacheinander für seine Frau, in der Hoffnung, sie wäre nach der nächsten Erfüllung endlich zufrieden gestellt. Dabei verfärben sich bei jedem neuen Wunsch der Himmel und das Wasser dunkler und es stürmt von mal zu mal mehr.

Doch auch Papst sein reicht der Frau nicht; nun möchte sie Gott werden. Dieser Wunsch macht dem Fischer zwar Angst, aber er wünscht es sich trotzdem. Allerdings erfüllt der Fisch diesen Wunsch nicht. Stattdessen nimmt er der Frau all ihre erwünschten Güter und Titel uns gibt den beiden ihre armselige Hütte wieder.

3.2.2 Interpretation

Gut geeignet für das Philosophieren im Unterricht ist im Märchen „Vom Fischer und seiner Frau“ das gegensätzliche Begriffpaar Habsucht und Bescheidenheit. Die Habsucht wird von der Frau dargestellt: Sie will immer noch mehr haben. Anfangs lässt sich ihr Wunsch nach einem schöneren Haus noch leicht nachvollziehen. Selbst ihr Mann, der Fischer, der in dem Märchen die Bescheidenheit verkörpert, sieht die Wendung positiv („Dem Fischer gefiel es selber sehr gut und er war zufrieden“)[37]. Doch die nächsten Wünsche werden von Mal zu Mal größer und enden in völliger Maßlosigkeit, als die Frau sich wünscht, Gott zu sein. In einer Version des Märchens[38] vergeht eine Nacht nach der Wandlung zum Papst, in der die Frau völlig zerfressen von Gier nicht schlafen kann, sondern die ganze Zeit überlegt, was sie noch größeres als Papst werden könne. Erst als sie die Sonne aufgehen sieht, fällt ihr auf, wie gern sie auch darüber bestimmen möchte. Der Fischer versucht seiner Frau diesen Wunsch auszureden, doch diese schreit wie von Sinnen, dass sie es nicht aushalten könne, wenn sie nicht wird wie Gott. Diese Stelle zeigt auf, wie ungemein stark das Gefühl der Habsucht in der Frau mit der Zeit geworden ist. Mit allem was sie vom Fisch bekommen hat, ist sie unzufrieden. Meistens fällt ihr dabei sofort ein, was sie noch besseres werden könnte. Doch als ihr als Papst nichts Besseres einfällt, könnte man meinen, dass die Frau sich damit abfindet und bemerkt, dass es vielleicht nichts Besseres gibt. Auf diesen Gedanken kommt die Frau nicht. Obwohl es schon eine enorme Steigerung von einer ärmlichen Fischerfrau wohnend in einer alten Hütte zum Papst ist, genügt es ihr nicht. Der Gedanke, noch immer nicht alles erreicht zu haben, lässt ihr keine Ruhe. Sie geht sogar so weit, dass sie im höchsten Maße gotteslästerlich wird. Dabei zieht sie ihren Mann in ihre ganzen maßlosen Wünsche mit hinein. Dieser hat schon beim ersten Wunsch ein schlechtes Gefühl. Von selbst wäre er nie auf die Idee gekommen, von dem verzauberten Fisch eine Gegenleistung für die Verschonung zu erhalten („Der Mann jedoch verstand nicht recht, was sie meinte. „Was hätte ich mir denn wünschen sollen?“, fragte er.“)[39]. Es ist ihm somit auch unangenehm, den Fisch mit dem Wunsch seiner Frau zu ‚belästigen’, doch ihr zuliebe geht er doch hin. Dass er von sich aus nichts zu wünschen begehrt, zeigt seine Bescheidenheit. Er ist mit dem zufrieden, was er hat, auch wenn es nur eine kleine Hütte ist. Doch als er dann in einem größeren Haus leben kann, gibt er sich auch damit zufrieden. Es ist ihm demnach gleich, wie seine äußeren Umstände aussehen, so lange er fischen kann und seine Frau befriedigt ist, ist er es auch. Deswegen geht er auch die weiteren Male zum Fisch, obwohl ihm bei jedem Mal unwohler wird. Doch wenn er wieder nach Hause kommt, freut er sich für sie und mit ihr über die Rangerhöhung („Ach Frau, wie ist das schön, dass du jetzt Kaiserin bist!“)[40]. Allerdings denkt er jedes Mal, dies war der letzte Wunsch. In seinem bescheidenen Gemüt besteht gar nicht der Gedanke, dass man noch mehr haben müsste. Der Fischer kennt gar nicht die Möglichkeit, dass es noch was Größeres, Besseres geben kann als seine momentane Lage ihm bietet („Jetzt bleibt dir nichts mehr zu wünschen übrig.“)[41].

[...]


[1] Brüning, Mit dem Kompass durch das Labyrinth der Welt, 1990, S. 70.

[2] Brüning, Philosophieren in der Sekundarstufe, 2003, S. 117.

[3] Gutter, Märchen und Märe, 1986, S. 117.

[4] Ebd. S. 114.

[5] Brüning, Anschaulich philosophieren, 2007, S. 20.

[6] Bettelheim, Kinder brauchen Märchen, 1977, S. 11.

[7] Ebd.

[8] Bühler, Das Märchen und die Phantasie des Kindes, 1971, S. 23.

[9] Bettelheim, Kinder brauchen Märchen, 1977, S. 11.

[10] Ebd. S. 13.

[11] Ebd. S. 14.

[12] Ebd. S. 29.

[13] Gutter, Märchen und Märe, 1986, S. 42.

[14] Bettelheim, Kinder brauchen Märchen, 1977. S. 29.

[15] Ebd. S. 55.

[16] Ebd. S. 49.

[17] Ebd. S. 72.

[18] Ebd. S. 112.

[19] Ebd. S. 116.

[20] Nach Brüning, Wer ist ein Narr?, S.142.

[21] Brüning, Wer ist ein Narr?, S. 141.

[22] Ebd. S. 142.

[23] Ebd. S. 143.

[24] Brüning, Mit dem Kompass durch das Labyrinth der Welt, 1990, S. 72.

[25] Brüning, Philosophieren in der Sekundarstufe, 2003, S. 43.

[26] Ebd. S.50.

[27] Ebd. S. 121.

[28] Ebd. S. 108.

[29] Ebd. S. 122.

[30] Niedersächsisches Kultusministerium, Kerncurriculum für das Gymnasium Schuljahrgänge 5-10, 2009, S. 25.

[31] Ebd. S. 29.

[32] http://www.textlog.de/cgi-bin/search/proxy.cgi?terms=Habsucht&url=http%3A%2F%2Fwww.textlog.de

%2F941.html

[33] Meyers neues Lexikon, Band 3, 1979, S. 507.

[34] http://www.textlog.de/cgi-bin/search/proxy.cgi?terms=Bescheidenheit&url=http%3A%2F%2www.textlog.de

%2F7603.html

[35] Meyers neues Lexikon, Band 2, 1979, S. 474.

[36] http://www.maerchenlexikon.de/at-lexikon/at555.htm

[37] Siehe Anhang S. 33.

[38] Ebd. S. 36.

[39] Ebd. S. 33.

[40] Ebd. S. 35.

[41] Ebd.

Ende der Leseprobe aus 40 Seiten

Details

Titel
Die Märchen „Vom Fischer und seiner Frau“ und „Der Kreis der Neunundneunzig“ im Werte & Normen-Unterricht
Untertitel
Analyse des Begriffspaares Habsucht und Bescheidenheit
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Note
1,85
Autor
Jahr
2009
Seiten
40
Katalognummer
V212171
ISBN (eBook)
9783656400486
ISBN (Buch)
9783656401216
Dateigröße
713 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Werte & Normen, ;Märchen, Unterricht, Habsucht, Bescheidenheit
Arbeit zitieren
Anna-Maria Salomon (Autor:in), 2009, Die Märchen „Vom Fischer und seiner Frau“ und „Der Kreis der Neunundneunzig“ im Werte & Normen-Unterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/212171

Kommentare

  • Gast am 31.7.2013

    Wirklich sehr hilfreich! Danke

Blick ins Buch
Titel: Die Märchen „Vom Fischer und seiner Frau“ und „Der Kreis der Neunundneunzig“ im Werte & Normen-Unterricht



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