Grundlagen der Chronobiologie. Die Bedeutung der "Inneren Uhr" für Gesundheit und Leistungsfähigkeit


Hausarbeit (Hauptseminar), 2013

17 Seiten


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Grundlagen der Chronobiologie
2.1. Die innere Uhr: Individuelle Innenzeit
2.2. Störung des inneren Rhythmus‘
2.3. Kulturell-gesellschaftliche Phänomene und Erzeugung von Jetlag
2.4. Epidemiologische Perspektive

3. Ausblick

4. Literatur

1. Einleitung

Nicht nur, wenn die Leistung von Sportlern optimiert werden soll, auch bei der gesundheitlichen Betreuung gewöhnlicher Menschen, rücken eine Reihe von Faktoren in den Fokus: Ernährung, Training, Schlaf, Stressmanagement. Der Fortschritt in den entsprechenden Wissenschaftszweigen vollzieht sich schleppend. Der Grund dafür: Einzelbefunde sind nicht generalisierbar, sondern bedürfen Berücksichtigung der Genetik, des Lebensstils und der Umweltfaktoren, denen das Individuum ausgesetzt ist. Gepaart mit menschlichen und studienkonzeptionellen Schwächen kommt es so zu teilweise widersprüchlichen Ergebnissen, die Fortschritte in und Übertragbarkeit auf die Praxis erschweren. Besonders in der Schlafforschung ist man noch weit von wirklicher Erkenntnis und Verständnis entfernt.

Ein junger, sehr interdisziplinär ausgerichteter Wissenschaftszweig ist der der Chronobiologie, der sich auch aus Erkenntnissen der Schlafforschung bedient.

Bereits im 18. Jahrhundert wurden die ersten Forschungen auf diesem Gebiet durchgeführt; jedoch ruhten sie danach lange Zeit, bis sie wieder aufgenommen wurden. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts widmete man sich ihr aus Sicht der Humanphysiologie.

Wenn im Folgenden genauer auf den Faktor Schlaf und die Chronobiologie eingegangen wird, geschieht dies unter Beachtung der anderen Gesundheits- und Leistungskomponenten, also Ernährung, Training und Stressmanagement, da diese wiederum einen starken Wirkungseinfluss auf den ersteren haben. So führt Schlafmangel zur Erhöhung verschiedener Stressmarker im Blut, um nur ein Beispiel aufzuführen.

2. Grundlagen der Chronobiologie

2.1. Die innere Uhr: Individuelle Innenzeit

Dass das Leben praktisch alle Lebewesen dieser Erde, von Säugetieren bis zu Einzellern, von einer innere Uhr bestimmt wird, lässt darauf schließen, dass sie einen immensen Überlebensvorteil im Evolutionsprozess bot und bietet. Diese innere Uhr ist nicht bei allen Lebewesen gleich, vielmehr ist es so, dass es verschiedene Schlaflängen und Schlafzeiten gibt. Raubtiere schlafen generell sehr lange, da sie in kurzer Zeit große Kalorienmengen zu sich nehmen können, der umgekehrte Sachverhalt ergibt sich bei weidegrasenden Tieren wie Kühen (4h pro Tag) oder Giraffen (1,9h pro Tag), die sich aufgrund ihrer wenig energiedichten Ernährung durchschnittlich nur wenig Schlaf gönnen können. Genauso gibt es innerhalb einer Art Unterschiede, so auch beim Menschen: Hier sind individuell unterschiedlich ausgeprägte Schlafbedürfnisse konstitutionell vorgegeben. Die Zeittypen bezüglich der Schlafzeiten bezeichnet man als Chronotypen (gr. chronos = Zeit).

2.1.1. Evolutionsbiologischer Hintergrund

Jedes Lebewesen hat täglich schlafbedingt ein bestimmtes Zeitfenster zur Verfügung, in dem es Nahrung suchen, sich fortpflanzen, seinen Nachwuchs aufziehen und andere Bedürfnisse befriedigen kann und in dem es gleichzeitig physikalischen Risikofaktoren (Hitze, Trockenheit, Dunkelheit, Kälte etc.) und natürlichen Feinden bestmöglich aus dem Weg geht. Genauso wie Vögel durch die Eroberung des Luftraumes eine räumliche ökologische Nische nutzen, um Fressfeinden in dieser Dimension auszuweichen, wurden mit dem Erscheinen der Säugetiere vor rund 250 Millionen Jahren auch zeitliche ökologische Nischen besetzt. Durch Verschiebung ihrer Wachphasen in die nächtliche Dunkelheit kristallisierte sich ein immenser Überlebensvorteil heraus. Aus dieser Nachtaktivität hat sich vermutlich auch unsere Warmblütigkeit entwickelt, was unsere Körperfunktion im Gegensatz zu Reptilien relativ unabhängig von der Außentemperatur macht. Daraus wiederum lässt sich der hohe Stellenwert einer funktionierenden innere Uhr als Selektionskriterium herauslesen: Denn ohne Innenzeit und die damit verbundene Steuerung aller physiologisch wichtigen Prozesse wäre die Eroberung der ökologischen Nische Nacht für die Säugetiere nicht möglich gewesen. Genau wie sich jedoch heute flugunfähige Vögel aus der ökologischen Nische des Luftraums zurückgezogen haben, hat auch der Mensch dennoch den Tag zurückerobert.

2.1.2. Steuerung der inneren Rhythmik durch den Nucleus Suprachiasmaticus

Der Nucleus Suprachiasmaticus (SCN), der beim Menschen im Hypothalamus direkt über der Kreuzung der Sehnerven auffindbar ist, ist der Haupttaktgeber der biologischen inneren Uhr. Die Existenz eines internen Zeitgebermechanismus‘ in Gestalt des SCN wurde einerseits durch Transplantations- und Läsionsversuche bei Hamstern und andererseits durch die Tatsache bewiesen, dass die circadiane Rhythmik des SCN auch nach dem Wegfall zeitlicher Hinweisreize aus der Umwelt auf elektrischer, metabolischer und biochemischer Ebene in ihrer Oszillation nachweisbar bleibt. Die Information über Licht bzw. Dunkelheit beispielsweise wird von den Augen registriert und von dort über den nervus opticus an den SCN weitergeleitet. Dafür sitzen auf der Retina (Netzhaut) eigene photosensitive Ganglionzellen (Photorezeptoren), die weder Stäbchen noch Zäpfchen zuzuordnen sind und erst Ende des 20. Jahrhunderts entdeckt wurden.

Es gibt jedoch noch weitere circadiane Zeitgebermechanismen im Körper. Die erwähnten SCN-Läsionen beseitigen nämlich nicht alle circadianen Rhythmen.

2.1.3. Zelleigene circadiane Rhythmik

In fast jedem Zelltyp läuft die circadiane Rhythmik auch unabhängig vom SCN. Diese dezentrale Komponente ist jedoch demselben untergeordnet. Durch neuronale und hormonelle Signale findet üblicherweise eine Synchronisation statt. Alle Körpersysteme erhalten also tageszeitabhängige rhythmische Befehle. Dennoch ist vereinzelt eine Desynchronisation möglich, wie im Folgenden beschrieben wird.

2.1.4. Körpertemperatur

In Isolations-Experimenten mit freilaufenden inneren Rhythmen wurde beobachtet, dass sich die Oszillation der Körpertemperatur von der Schlaf-Wach-Rhythmik abkoppeln kann[1], was die These mehrerer innerer Zeitgeber, wie die der Existenz von Clock -Genen neben dem SCN, bekräftigt.

2.1.5. Innere Periodenlänge, Innenzeit und Zeitgeber

Die Dauer des inneren Tages ist genetisch festgelegt und reicht bei den meisten Menschen von 21-28 Stunden; eine Mehrzahl hat aber eher einen „zu langen“ inneren Tag von ca. 25,1 Stunden[2]. Durch Züchtungsexperimente bei Hamstern konnte man auftretende abnorm kurze freilaufende Rhythmen auf eine genetische Mutation zurückführen[3]. Das betroffene Gen nannte man Tau. In der Folge wurden weitere Gene, die die innere Uhrzeit generieren, entdeckt, heute kennt man über 20 solcher Gene. Diese Clock -Gene scheinen also die innere Periodenlänge festzulegen und sind potenziell in jeder Zelle aktiv. Ergo können phänotypisch relevante genetische Mutationen, die bei einigen Menschen auch auffindbar sind, einen wesentlichen Einfluss auf die innere Tageslänge haben.

Die Innenzeit ist unter anderem Folge des genetisch festgelegten Chronotypus‘. Mit dem Aufstehen beginnt der innere Tag (hier gemeint in Unterscheidung zur Nacht, denn nachts bleibt die chronobiologische Steuerung ebenso erhalten), mit dem Schlafeintritt endet er. Zwischen dem Zeitpunkt des Schlafeintritts und dem Aufsteh-Zeitpunkt liegt genau in der Mitte die „innere Mitternacht“ bzw. die „Schlafmitte“, unabhängig davon ob die äußere Uhr gerade 23:00 Uhr oder 04:00 Uhr zeigt. Der Zeitpunkt, der vom Aufsteh- und dem Schlafeintritts-Zeitpunkt gleichweit entfernt ist, ist der „innere Mittag“, gleicherweise egal wie hoch die Sonne gerade draußen auch steht.

Die innere Uhr passt sich indessen ständig an die Umweltfaktoren an, wodurch je nach Stärke dieser äußeren Zeitgeber intraindividuelle Veränderungen in der Rhythmik der inneren Zeitgeber resultieren. So leiden z.B. Büroarbeiter im Winter vermehrt unter Tagesmüdigkeit oder Winterdepression, da sie dem wichtigsten äußeren Hinweisreiz, dem Hell-Dunkel-Rhythmus, nur schwach ausgesetzt sind. In 1.3. wird darauf noch genauer eingegangen.

2.1.6. Von der inneren Periodenlänge zum Chronotyp

Aufgrund der Tatsache, dass bei den meisten Menschen die innere Periodenlänge nicht exakt mit der durch die Erdrotation bedingte äußere Periodenlänge von 24 Stunden übereinstimmt, wird diese Differenz über das Schlaf- und Wachtiming reguliert[4]. Die Körperuhr „schiebt“ bestimmte Phasen ihres inneren Tages ans Licht und „versteckt“ andere im Dunkeln. Bei allen Menschen finden wir, unabhängig vom Chronotyp, die Response-Charakteristik der Periodendauer-verkürzenden Eigenschaft von Licht am inneren Morgen. Lichtexposition zur inneren Abendzeit verlängert dagegen die innere Periodenlänge[5]. Die Dosis-Wirkungsbeziehung scheint nicht-linear: Kurze Lichtexposition hat relativ zur Zeitdauer einen deutlich stärkeren phasenverschiebenden als lange Exposition mit Licht.

Frühaufsteher-Typen haben normalerweise einen „zu kurzen“ (also kürzer als 24h währenden) inneren Tag, derweil er bei Spätaufsteher-Typen „zu lang“ (länger als 24h) ist. Wie wir im Folgenden sehen werden, ist das Schlaftiming nur Resultat der Interaktion von innerer Periodenlänge und erdrotationsbedingter äußerer Periodenlänge.

Durch frühes Aufstehen setzt sich ein Frühaufsteher-Typ während seines inneren Morgens nur weniger Licht aus als der Spätaufsteher-Typ und zum Zeitpunkt seines inneren Abends stärker dem Licht aus, da außen erst später Nachmittag bzw. früher Abend herrscht. Dadurch verlängert sich der innere Tag dieses Chronotypus‘ und nähert sich so den von außen vorgegebenen 24 Stunden an.

Beim Spätaufsteher finden wir den umgekehrten Sachverhalt: Wenn die Sonne schon hoch am Himmel steht, steht er erst auf. Während seines inneren Morgens, dem verkürzenden Bereich der inneren Uhr, setzt er sich durch sein Verhalten starkem Licht aus, wodurch sich sein innerer Tag dank dieses Response-Mechanismus‘ verkürzt und ebenfalls der 24-stündigen Periodenlänge annähert. Über die Exposition mit dem stärksten Hinweisreiz, dem Hell-Dunkel-Rhythmus, kann also die innere Periodenlänge der äußeren angeglichen werden.

Die vornehmliche innere Periodenlänge von rund 25 Stunden erzeugt folglich überwiegend Spätaufsteher, was zu dem in Abbildung 1 (Kapitel 1.4.) ersichtlichen normalverteilten Vorkommen der Chronotypen in der Allgemeinbevölkerung führt.

2.1.7. Auswirkungen der inneren Uhr auf psychophysische Zustände

Der innere Rhythmus bzw. die innere Tageszeit bestimmt eine Vielzahl von Parametern: Nicht nur unsere Schlaf-Wachmuster, unser Essens- und Fastenmuster, unsere Stimmung, Schmerzempfinden, Körpertemperatur und der Blutdruck werden reguliert, sondern auch die Genexpression[6], die endokrine Aktivität (Hormonausschüttung)[7] und Signaltransduktionsprozesse. Je nach Innenzeit laufen also im Körper andere Prozesse vermehrt ab, sodass wir zu bestimmten Zeiten Hunger spüren, zu anderen Zeiten Schmerz gedämpfter wahrnehmen oder uns besser konzentrieren können. Die Aktivität dieser Parameter ändert sich tageszeitlich (circadian), aber auch in längeren (infradian) oder kürzeren Zyklen (ultradian).

Unser Schlaf-Wach-Rhythmus wird, wenn man sozial-gesellschaftliche Faktoren ausklammert, durch den Schlafdruck und zwei "Uhren" reguliert: von der inneren Uhr, die von unserem genetisch festgelegten Chronotypus herrührt, und von der äußeren Uhr, die je nach der Zeit der inneren Uhr charakteristische Umweltsignale übermittelt. Je verschiedener diese beiden Uhren ticken, desto schwieriger kann es für Menschen sein, an allen Tagen gesunden Schlaf zu finden. Ein „innerer Vormittag“ erschwert einem Menschen trotz starkem Schlafbedürfnis das Einschlafen bzw. vermindert die Schlafqualität. Andere innere Tageszeiten provozieren dieses Phänomen in abgeschwächter Form.

[...]


[1] Aschoff 1967

[2] Mummert et al. 2011

[3] Gorina 2006

[4] Duffy 2005

[5] {Chang 2012 #419}

[6] Wuarin et al. (1992) entdeckte zuerst solche Gene, die zirkadiane Expressionsmuster aufwiesen

[7] Morris et al. 2012

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Details

Titel
Grundlagen der Chronobiologie. Die Bedeutung der "Inneren Uhr" für Gesundheit und Leistungsfähigkeit
Hochschule
Deutsche Sporthochschule Köln  (Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin)
Autor
Jahr
2013
Seiten
17
Katalognummer
V211559
ISBN (eBook)
9783668177864
ISBN (Buch)
9783668177871
Dateigröße
487 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
chronobiologie, innere uhr, gesundheit
Arbeit zitieren
Erik Pfeiffer (Autor:in), 2013, Grundlagen der Chronobiologie. Die Bedeutung der "Inneren Uhr" für Gesundheit und Leistungsfähigkeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/211559

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