Die rechtliche Stellung des Vorstandes und des Aufsichtsrates in der AG unter besonderer Berücksichtigung haftungsrechtlicher Aspekte


Hausarbeit, 2003

36 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung
1.1. Brisanz und Problemaufriss der Managementhaftung
1.2. Gang der Untersuchung

2. Gegenstand und Einteilung der Managerhaftung

3. Rechtsnatur der Aktiengesellschaft

4. Der Vorstand
4.1. Die Stellung des Vorstandes
4.2. Die Haftung des Vorstandes
4.2.1. Innenhaftung
4.2.1.1. Schadenersatzpflicht gemäß Generalklausel (§93(2) AktG)
4.2.1.2. Schadenersatzpflicht aufgrund Sondertatbestände (§93(3) AktG)
4.2.1.2.1. Einlagenrückgewähr und Zahlung von Zinsen oder Gewinnanteilen an Aktionäre (§93(3)Nr.1, 2 AktG)
4.2.1.2.2. Zahlung nach Insolvenzreife (§93(3)Nr.6 AktG)
4.2.1.2.3. Vergütungen und Kreditgewährungen an Aufsichtsräte (§93(3)Nr.7, 8 AktG) ..
4.2.1.3. Haftungsverschärfungen aufgrund KonTraG und TransPuG
4.2.2. Außenhaftung
4.2.2.1. Haftung gegenüber Gläubigern des Unternehmens / Insolvenzverschleppungshaftung
4.2.2.2. Haftung gegenüber Anlegern
4.2.2.3. Haftung gegenüber sonstigen Dritten

5. Der Aufsichtsrat
5.1. Die Stellung des Aufsichtsrates
5.2. Die Haftung des Aufsichtsrates
5.2.1. Innenhaftung
5.2.1.1. Verstoß gegen dieÜberwachungspflicht
5.2.1.2. Verstoß gegen Treuepflichten
5.2.2. Außenhaftung

6. Möglichkeiten der Haftungsbeschränkung
6.1. Billigung pflichtwidrigen Verhaltens
6.2. Haftungserleichternde Vereinbarungen
6.3. Die D & O Versicherung

7. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Onlinequellen

Abkürzungsverzeichnis:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

Mit den aktuellen verbessertenökonomischen Rahmenbedingungen kehrt wiederum auch das Vertrau- en der Anleger in den Kapitalmarkt und die Bereitschaft Investitionen zu tätigen zurück. Die Wahl der AG als Rechtsform gewinnt vermehrt an Attraktivität. Als wesentlichster Grund zum vermehrten Gang an die Börse und die Wahl der AG zur unternehmerischen Betätigung kann die anhaltende re- striktive Kreditvergabe der Banken gesehen werden. Insbesondere mittelständischen Unternehmen ist es aufgrund der Eigenkapitalrichtlinien des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht (Basel II) immer schwieriger und kostenintensiver die für ihre Investitionstätigkeit bzw. Expansion benötigten finan- ziellen Mittel auf dem Kreditmarkt zu beschaffen. Folglich stellt sich der Kapitalmarkt oft als einzige Finanzierungsalternative dar. Immer mehr mittelständische Unternehmen entdecken die Vorteile des organisierten Kapitalmarktes und firmieren in der Rechtform der AG. Diese Tendenz bestätigen auch die angekündigten Emissionsvorhaben deutscher Unternehmen.1 Vor diesem Hintergrund kommt der Struktur der Aktiengesellschaft eine entscheidende Bedeutung zu. Nur wenn eine AG ihre Aktionäre bzw. Investoren langfristig zufrieden stellt und deren Vertrauen dauerhaft rechtfertigt, ist sie am Kapi- talmarktüberlebensfähig. Damit einhergehend und für die Unternehmensleiter von größter Wichtig- keit ist die persönliche Haftung der Geschäftsleitung für Schäden, die aus Fehlverhalten oder aus prob- lematischen Managemententscheidungen herrühren.2 Eine Grundvoraussetzung um Anleger zu gewin- nen, ist die Einhaltung gesetzlicher Rahmenbedingungen. Hier kommt sowohl dem nationalen Recht, wie auch aufgrund zunehmender grenzüberschreitender Aktivitäten den internationalen Rechtsnormen eine entscheidende Bedeutung zu.

Aufgrund der Vielzahl von Marktteilnehmern und den unterschiedlichen Interessenlagen hat sich ein großes Spektrum an nationalen und internationalen Regelwerken herausgebildet. Diese rechtlichen Rahmenbedingungen bilden die Basis für die unternehmerische und organisatorische Ausrichtung der AG. Das gesetzeskonforme Handeln der Unternehmensführung wird sowohl von den Investoren wie auch von anderen Stakeholdern3 als selbstverständlich erachtet und stellt insoweit kei- nen Vertrauensbeweis und Investitionsanreiz dar. Vielmehr erlangenüber den gesetzlichen Rahmen hinaus so genannte Wohlverhaltensregeln, wie z.B. der Deutsche Corporate Governance-Kodex eine immer größere Bedeutung. Die freiwillige Informationsversorgung der Marktteilnehmer und die Be- reitschaft, aus dem Unternehmen heraus für Transparenz zu sorgen, führt zum einen dazu, die Adres- saten der AG zu befriedigen und zum anderen dazu, mögliche Interessenkollisionen frühzeitig zu iden- tifizieren und auszuschalten.

Die unterschiedlichen Wohlverhaltensregeln können ferner als Anhaltspunkte für die konkrete unter- nehmensspezifische Anwendung und Ausgestaltung der Rechtsnormen angesehen werden. Da der Gesetzgeber lediglich einen groben rechtlichen Rahmen, nicht jedoch die detaillierte Ausgestaltung vorgibt, kommt der Unternehmensführung die Aufgabe zu, eine den individuellen Verhältnissen ange- passte Organisation aufzubauen, Verantwortungen abzugrenzen,Überwachungssysteme zu implemen- tieren und die Unabhängigkeit zu wahren. Dabei gelten die Wohlverhaltensregeln als zentraler Orien- tierungspunkt. Insbesondere im Bereich der Haftung des Managements kommt neben den gesetzlichen Regelungen den Grundsätzen ordnungsgemäßer Geschäftsführung4 ein essentielles Gewicht zu.

Gerade diese Rechtslandschaft, in welcher sich das Management bewegt, unterliegt einer rasanten Fortentwicklung. Dabei werden, teilweise durch internationale Entwicklungen bedingt, in Arbeitskrei- sen und Kommissionen Vorschläge für Verhaltensstandards und für Gesetzesänderungen erarbeitet. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang der in 2001 erschienene Bericht der Regierungskommission „Corporate Governance“ und der von der Cromme-Kommission erarbeitete und Anfang 2002 veröf- fentlichte Deutsche Corporate Governance-Kodex. Ferner erlebte das Aktien-, Handels- und Bilanz- recht durch verschiedene Reformgesetze wie z.B. das TransPuG einschneidende Modifikationen. Nicht zuletzt hat die richtungweisende Rechtsprechung zu einer Konturierung des Managerhaftungs- rechtes beigetragen.5

1.1. Brisanz und Problemaufriss der Managementhaftung

In den letzten Jahren häuften sich die Gerichtsverfahren, bei denen auch die Führungskräfte der betrof- fenen Unternehmen persönlich belangt wurden. Ob im Zusammenhang mit publikumsträchtigen Fir- menzusammenbrüchen wie der Phillip Holzmann AG oder richtungweisenden Urteilen wie Balsam6 - die Diskussionüber Managerhaftung und die möglichen Absicherungsmöglichkeiten gegen Millio- nenklagen - war nie so aktuell. In der Presse wird allgemein von der wachsenden Bereitschaft berichtet, Ersatzansprüche gegen Manager geltend zu machen und notfalls auch gerichtlich durchzusetzen. Diese Entwicklung dürfte auf mehrere, im Folgenden dargestellte Ursachen zurückzuführen sein.7

Diskussion von Haftungsfällen in deröffentlichkeit An erster Stelle ist das zunehmendeöffentliche Interesse zu nennen. Dies liegt primär an der zuneh- menden Anzahl von Privatpersonen, die in Aktien als Kapitalanlage oder zur Altersversorgung inves- tiert haben. Daneben wird vermehrt in den Medienüber das angebliche Versagen von Managern be- richtet, wobei nicht anzunehmen ist, dass in letzter Zeit mehr Missmanagement vorzufinden ist als früher.

Erwähnt seien aus den letzten Jahren etwa die in der Öffentlichkeit diskutierten großen Schadenfälle Flowtex, EM.TV8 oder Infomatec9. Die Forderung aus der Politik, dass Manager stärker als bisher für Fehlentscheidungen einstehen müssten, ist dabei nur noch die Zusammenfassung der ohnehin sich in dieser Richtung bewegendenöffentlichen Debatte.

Auch in den letzten Monaten konnte man in den Zeitungen zahlreiche Schlagzeilen bezüglich der persönlichen Verklagung von Organmitgliedern lesen.10 Ins Kreuzfeuer der Kritik geraten dabei nicht nur die eigentlichen Akteure (Vorstände), sondern auch derenÜberwacher (Aufsichtsräte). Ganz allgemein führt eine vermehrte Berichterstattungüber Haftungsfälle - hierzu zählt im weitesten Sinne auch die Werbung für die immer populärer werdenden D & O-Versicherungen - zu einer erhöhten Bereitschaft sich geschädigt fühlender Personen, Ansprüche geltend zu machen.11

Globalisierung

Ein weiterer Grund im Wandel der Wahrnehmung in der Managerhaftung kann ferner in der Globalisierung der Märkte und in der hieraus folgenden internationalen Verflechtung von Unternehmen gesehen werden. Nationale Mentalitätsunterschiede bei der Anwendung und Durchsetzung von Rechtsmitteln und abweichende rechtliche Konzepte lassen den Ruf der Kapitalmärkte nach vergleichbaren Standards an Bedeutung gewinnen.12

Insbesondere lässt sich eine gewisse Amerikanisierung des haftungsrechtlichen Umfelds beobachten. Ebenso wie etwa bei der Wirtschaftsprüfer- oder Rechtsanwaltshaftung kommt vor allem aus den USA eine Tendenz, dass Organmitglieder bei Fehlschlagen von Geschäften direkt in Regress genommen werden. Begriffe wie "Corporate governance"13 oder der Gedanke des "Shareholder value"14 verdeutli- chen den Trend zur Amerikanisierung. Diese Entwicklung wird dadurch verstärkt, dass bei vielen bör- sennotierten Aktiengesellschaften institutionelle Anleger die Kurse und die Geschäftspolitik entschei- dend beeinflussen. Kurzfristige Ertragserwartungen treten dann häufig hinter gewachsenen Strukturen und strategischen Zielen zurück. In den zurückliegenden Jahren haben US-amerikanische Unterneh- men ungefähr USD 6 Mrd. an Aktionäre zur Beilegung von Klagen auf Schadensersatz gezahlt.15 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob diese Schadens- bzw. Haftungsentwicklung mit zeitlicher Verzögerung auch in Deutschland Einzug hält und eine Veränderung im deutschen Gesellschaftsrecht erforderlich macht.16

Deep-pockets-Phänomen

Mit dem Deep-pockets-Phänomen ist die ebenfalls aus dem Amerikanischen herrührende Bereitschaft gemeint, bei wirtschaftlichen Schieflagen der Gesellschaft auch deren Organe und Versicherungen in Anspruch zu nehmen.

Die steigenden Vorstands- und Geschäftsführergehälter sowie Aktienoptionen, die Vorständen börsennotierter Gesellschaften häufig eingeräumt worden sind oder die Gewinne, welche die an der Gesellschaft beteiligten Organmitglieder aus Börsengängen erhielten, erscheinen Beteiligten immer häufiger als mögliche finanzielle Quelle, um die eingetretenen Schäden oder Verluste auszugleichen.17 Hinzu kommt der bekannte oder zumindest vermutete D & O-Versicherungsschutz, der zusätzliche Anreize für Schadensersatzforderungen schafft.18

In diesem Umfeld zunehmender Schadensersatzforderungen gegen Manager und der Diskussionüber weitere Haftungsverschärfungen gewinnt die bereits erwähnte „D & O -Versicherung” im deutschen Raum zunehmend an Bedeutung. Diese Entwicklung kann opponierend gesehen werden. Zum einen können nur größere Haftungsrisiken Führungskräfte dazu bewegen, ihre Tätigkeit „ordentlich und gewissenhaft“ auszuführen. Andererseits sollte derjenige, der verschärfte Haftungsregularienüber- nimmt, auch im Gegenzug die passenden Absicherungsmechanismen zuerkannt bekommen, denn nur ein abgesicherter Manager kann gewinnbringend und damit im Sinne des Unternehmens handeln.

1.2. Gang der Untersuchung

Das Ziel der vorliegenden Arbeit besteht darin, die Auswirkung von kodifizierten wie auch aus der Rechtsprechung entstandenen Normen auf die persönliche Haftung des Managements einer Aktienge- sellschaft darzustellen. Insbesondere der Einfluss internationalen Rechts und quasi-verbindlicher Re- gelungen19 sollen unter dem Aspekt der persönlichen Inanspruchnahme des Vorstandes und Aufsichts- rates für Verpflichtungen der Gesellschaft näher beleuchtet werden. Dazu wurde zunächst auf die der- zeitige Brisanz des Themas der Haftung der Organmitglieder eingegangen. Im Anschluss werden die unterschiedlichen Haftungsarten katalogisiert und der Kreis der Haftpflichtigen definiert. Um die Tragweite dieser Entwicklungen zu erkennen, wird auf die rechtliche Stellung von Vorstand und Auf- sichtsrat näher eingegangen, bevor auf die Haftungsarten und -Anlässe detaillierter eingegangen wird. An entsprechender Stelle werden aktuelle Tendenzen im Bereich der persönlichen Haftung kritisch beleuchtet und im letzten Abschnitt einen Ausblick auf künftige Entwicklungen gegeben.

Die Arbeit beschränkt sich auf börsennotierte deutsche Aktiengesellschaften, welche an internationa- len Kapitalmärkten agieren. Diese Gruppe stellt die Mehrzahl der betreffenden Rechtsform dar. Ferner werden einige Haftungssituationen erst bei einer breiteren Publikumsgesellschaft offensichtlich. Auf kleine -und nicht börsennotierte AGs soll aus Gründen der Relevanz daher nicht näher eingegangen werden.

2. Gegenstand und Einteilung der Managerhaftung

Der Begriff der Managerhaftung umschreibt die Verpflichtung des Managements20 für durch seine Tätigkeit oder Untätigkeit verursachte und bei seinem Unternehmen oder Dritten eingetretene Schäden Ersatz zu leisten. Ist die Gesellschaft an sich betroffen, so liegen solche Schäden meist darin, dass dort finanzielle Verluste eingetreten sind. Bei Dritten oder Außenstehenden können Schäden entstehen, wenn diese ihre Forderungen gegen dass Unternehmen nicht mehr befriedigen können (z.B. durch Insolvenz der Gesellschaft) oder in ihren absolut geschützten Rechtgütern (z.B. Leben, Eigentum) oder sonst an ihrem Vermögen beeinträchtigt sind. Ist die Unternehmensführung haftbar, so hat diese Schäden nach §§ 249 ff BGB aus seinem persönlichen Vermögen auszugleichen.21

Die Haftungsrisiken reichen dabei von leicht fahrlässigen bis hin zu vorsätzlichen Pflichtverletzungen. Diese Pflichten ergeben sich aus Gesetzen, aus gerichtlichen Entscheidungen oder aus dem jeweiligen Anstellungsvertrag. Gerade im Bereich der gerichtlichen Entscheidungen fehlen bundeseinheitliche Verwaltungsanweisungen. Erschwerend kommt hinzu, dass eine Vielzahl von letztinstanzlich nicht entschiedenen Einzelfragen besteht.

Hinsichtlich der rechtlichen Bestimmungen gilt, dass es kein in sich geschlossenes System darstellt, sondern nur für Teilbereiche spezielle gesetzliche Regelungen bereithält. Weiterhin sind die in Be- tracht kommenden Regelungenüber mehrere Gesetze verstreut. Dies wird besonders deutlich durch die Gesetze, die zu wesentlichen Modifikationen in diesem Bereich geführt haben, wie das 2.22 und 3.23 Finanzmarktförderungsgesetz und das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG)24. Aus den genannten Gründen resultiert eine Zweiteilung der Haftungsfelder. Auf der einen Seite steht der traditionelle und weitgehend geregelte Bereich der Innenhaftung. Diese umfasst die Haftung der Organe wegen Verletzung organschaftlicher oder dienstvertraglicher Pflichten dem Unternehmen gegenüber. Die Innenhaftung der Vorstände ist in der Generalklausel des § 93 AktG (mit Spezialregelungen) geregelt. Diese Normen gelten zwecks Verweisesüber den § 116 AktG für die Mitglieder des Aufsichtsrates entsprechend.

Innenansprüche sind grundsätzlich gesetzliche Ansprüche, welche keines vertraglichen Bandes zwischen den Beteiligten bedürfen. Da jedoch die Organe i.d.R. auch Dienstverträge mit der AG abgeschlossen haben, kann neben der gesetzlichen Organhaftung auch eine Vertragshaftung treten, die sich dann auf die Verletzung von Pflichten aus dem Dienstvertrag (§ 241 (2), § 280 (1) BGB) stützt.25 Auf der anderen Seite beschreibt die Außenhaftung die persönliche Haftung der Organmitglieder gegenüber Dritten, also Personen, zu denen der Unternehmensleiter weder Organbeziehungen noch vertragliche Beziehungen unterhält. Dabei handelt es sich beispielhaft um Aktionäre, Mitarbeiter, Lieferanten, Wettbewerber oder die Finanzverwaltung.

Die Anspruchsgrundlagen im Bereich der Außenhaftung sind meist deliktischer26 oder gesetzlicher27 Natur. Ausgangspunkt der Haftung ist hierbei die Verletzung eines der absolut geschützten Rechtsgüter, wie Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit, Eigentum oder ein sonstiges Recht, wie z. B. die Verletzung des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes.

Von dieser zivilrechtlichen Haftung strikt zu trennen ist eine daneben bestehende strafrechtliche Ver- antwortlichkeit. Der Umfang der strafrechtlichen Bestimmungen ist dabei noch weiter gefasst. Neben den klassischen Vermögensdelikten wie Betrugs- und Untreuetatbestände, Steuerstraftaten oder Insol- venzstraftaten, die im Mittelpunkt der Rechtsprechung stehen, beschäftigen in immer stärkerem Maße Insiderverstöße (§§ 38, 39 WpHG), die Verletzung bilanz- und aktienrechtlicher Offenbarungspflich- ten (§§ 331 ff. HGB, §§ 401 ff. AktG) und Verletzungen der Treuepflicht die aktuelle Rechtspre- chung.28

Im Rahmen der Haftung der Organmitglieder gilt der Grundsatz der gesamtschuldnerischen Haftung. Wird der Anspruch von einem gesamtschuldnerisch Verpflichteten erfüllt, so hat der Zahlende gegenüber den weiteren Beteiligten einen Anspruch auf Ausgleich gem. § 426 (1) BGB.29

Die bisherige Betrachtung hat noch keine klare Abgrenzung der Haftpflichtigen vorgenommen. Das Aktiengesetz unterscheidet zwischen der Haftung der Vorstandsmitglieder (§ 93 (1) AktG) und der Haftung der Aufsichtsratmitglieder (§ 116 AktG). Bei der Außenhaftung ist die betroffene Personen- gruppe nicht näher definiert. In Anlehnung an die Unterscheidung der Innenhaftungsbestimmungen zwischen Organen und Nichtorganen hat sich eingebürgert, den Begriff Managerhaftung lediglich für die speziellen Haftungsverhältnisse bei den Mitgliedern der zur Vertretung ermächtigten Organe zu verwenden. Davon zu trennen ist die Haftung der leitenden Angestellten, welche größtenteils von ar- beitsrechtlichen Grundsätzen geprägt ist. Dies soll in dieser Arbeit jedoch nicht weiter thematisiert werden.

3. Rechtsnatur der Aktiengesellschaft

Die Aktiengesellschaft, ist nach § 1 AktG eine Gesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit und ei- nem in Aktien zerlegten Grundkapital, für deren Verbindlichkeiten den Gläubigern gegenüber nur das Gesellschaftsvermögen haftet.30 Diese Definition bringt zum Ausdruck, dass die AG eine eigene Rechtspersönlichkeit hat und somit eine juristische Person ist.31 Infolge der Rechtsfähigkeit kann sie selbst am Rechtsverkehr als Träger von Rechten und Pflichten teilnehmen, also unter eigenem Namen Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen, Eigentum und andere dingliche Rechte an Grundstücken erwerben, vor Gericht klagen und verklagt werden.32 Gemäß § 3 AktG ist die AG stets eine Handelsgesellschaft, auch wenn der Gegenstand des Unternehmens nicht zum Betrieb eines Han- delsgewerbes33 gehört. Aus § 6 (1) HGB folgt somit, dass die Aktiengesellschaft ein Formkaufmann ist, also ein Kaufmann Kraft Rechtsform. Dies macht deutlich, dass für die Aktiengesellschaften stets das Handelsrecht anzuwenden ist.34 Des Weiteren findet die Regelungen des bürgerlich-rechtlichen Vereinsrecht, §§ 21 ff. BGB, entsprechende Anwendung da die Aktiengesellschaft von ihrer Rechtsna- tur her eine besondere Form des Vereins darstellt.35 Von der gesetzlichen Grundkonzeption her ist die AG als Publikumgesellschaft angelegt, also als Gesellschaft, die einem breiten Anlegerkreis offen steht. Auf Aktiengesellschaften mit einem kleinen - u.U. sogar familiär aneinander gebundenen - Aktionärskreis soll aus den bereits in 1.2. aufgeführten Gründen nicht näher eingegangen werden. Für die Aktiengesellschaft ist das in Aktien zerlegte und satzungsmäßig festgelegte Garantiekapital (dem Grundkapital) und nicht die Persönlichkeit der Mitglieder entscheidend. Persönlichkeit wird durch Anonymität verdrängt. Durch die Aktien sind die Anteile am Grundkapital wertpapierrechtlich ver- brieft und dem Kapitalmarkt zugänglich. Demzufolge bildet die AG das klassische Modell der Kapi- talgesellschaft.36

Die Gewaltenteilung 37

Die Aktiengesellschaft als juristische Person ist selbst nicht aktionsfähig sondern sie handelt durch ihre Organe. Das AktG schreibt diesbezüglich drei Organe zwingend vor. Den Vorstand (§§ 76-94 AktG), den Aufsichtsrat (§§ 95-116 AktG) und die Hauptversammlung (§§118-147 AktG). Das Ver- hältnis dieser Organe untereinander, insbesondere ihre Entscheidungs-, Handlungs- undÜberwa- chungsaufgaben, ist durch eine weitgehend zwingende Zuständigkeitsordnung bestimmt. Diese wird auch als Gewaltenteilung bezeichnet. Dem Vorstand kommt dabei die Geschäftsführungs- und Vertre- tungsfunktion, dem Aufsichtsrat dieÜberwachungsfunktion und der Hauptversammlung die grundle- gende Entscheidungsfunktion38 zu.39 Diese Funktionstrennung ist charakteristisch für das deutsche Aktienrecht und stellt in so fern auch den entscheidenden Unterschied zum US-amerikanischen Board- System dar.40

Aber auch gerade diese Zuständigkeitsordnung und die damit im Zusammenhang stehende Kompe- tenzabgrenzung ist spannungsreich und immer wieder Gegenstand von Aktienrechtsreformen.41 Das organschaftliche Handeln stellt mehr als nur Stellvertretung dar. Neben dem rechtsgeschäftlichen Handeln umfasst es auch das tatsächliche und deliktische Verhalten. Wie bereits oben erwähnt, finden demzufolge auf die Aktiengesellschaft die vereinsrechtliche Organhaftung nach § 31 BGB entspre- chende Anwendung. Folglich ist die Gesellschaft für den Schaden verantwortlich, den der Vorstand, ein Mitglied des Vorstandes oder ein anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter durch eine in Aus- führung der ihm obliegenden Verrichtungen begangene, zum Schadenersatz verpflichtende Handlung einem Dritten zufügt.42 Fraglich ist in diesem Zusammenhang wo die Grenzen dieser Gesellschaftshaf- tung sind und ab wann eine persönliche Haftung des Managements eintritt. Dabei ist es essentiell, zu klären, welche Handlungen der vertretenden Personen durch diesen Grundsatz gedeckt sind bzw. ab wann Fahrlässigkeit derÜberwachungsgremien diesen Grundsatz durchbricht und folglich auch den Aufsichtsrat simultan persönlich haften lässt. Diese so genannte Durchgriffhaftung auf die Privatebene des Managements stellt auf den ersten Blick einen Antagonismus zur Haftungsbegrenzung auf das Gesellschaftskapital dar und soll im Laufe der folgenden Kapitel näher beleuchtet werden.

4. Der Vorstand

4.1. Die Stellung des Vorstandes

Der Vorstand leitet die Aktiengesellschaft unter eigener Verantwortung und stellt als solcher das Geschäftsführungs- und Vertretungsorgan dar.43

Zusammensetzung und Bestellung

Die Zusammensetzung des Vorstandes und die Anzahl dessen Mitglieder wird durch die Satzung be- stimmt (§ 23 (3) Nr.6 AktG). Aus § 76 (2) S.2 AktG ergibt sich unmittelbar, dass der Vorstand aus einer oder mehreren Personen bestehen kann. Sofern die Satzung keine anders lautenden Regelungen beinhaltet hat der Vorstand bei Gesellschaften mit einem Grundkapital von mehr als 3 Mio. EUR aus mindestens zwei Mitgliedern zu bestehen. Weitere Vorschriften hinsichtlich Besetzung bzw. Struktur des Vorstandes ergeben sich aus den Mitbestimmungsgesetzen.44 Unabhängig von Größe kann nur eine natürliche, unbeschränkt geschäftsfähige Person Mitglied des Vorstandes sein, wobei diese nach dem Prinzip der Fremdorganschaft kein Gesellschafter / Aktionär sein muss. Ausgeschlossen sind jedoch verurteilte Insolvenzstraftäter sowie Rechtssubjekte, die einem Berufsverbot im Gewerbezweig der AG unterliegen (§ 76 (3) AktG).45

Die Vorstandsmitglieder werden vom Aufsichtsrat auf höchstens fünf Jahre bestellt (§ 84 (1) S.1 AktG), wobei eine wiederholte Bestellung oder Verlängerung der Amtszeit zulässig ist (§84 (1) S.2). Neben der organschaftlichen Bestellung ist die Anstellung der Vorstandsmitglieder im Innenverhältnis zu unterscheiden. Die Bestellung führt lediglich zur Mitgliedschaft des Vorstandes als Organ der AG, wohingegen der Anstellungsvertrag, der rechtsdogmatisch von der Organbestellung zu trennen ist, welche die Rechte und Pflichten der Vertragsparteien näher regelt (z.B. Verpflichtung zur Tätigkeit, Höhe der Vergütung, Kündigungsfristen). Ebenso wie die Bestellung ist ein Widerruf dieser (sog. Abberufung) jederzeit aus wichtigem Grund46 möglich.47

Aufgabenbereich und Organisation

Wie bereits erwähnt, ist der Vorstand das Geschäftsführungs- und Vertretungsorgan der Aktiengesell- schaft. § 76 (1) AktG gesteht dem Vorstand dabei einen unternehmerischen Ermessensspielraum und eine Eigenverantwortlichkeit zu. Dies impliziert, dass der Vorstand nicht an Weisungen der Kapital- eigner gebunden ist und als Verhaltensmaxime die Wahrung des Unternehmensinteresses48 zu verfol- gen hat.49 Der Umfang der Geschäftsführungsaufgaben entzieht sich gleichfalls einer abschließenden Definition. Insbesondere struktur- und größenabhängige Besonderheiten determinieren diesen. Das Gesetz umreißt in diesem Zusammenhang in §§ 83, 91 AktG; § 264 (1) HGB nur beispielhaft den Aufgabenkreis. Der gesellschaftsindividuelle Umfang der Geschäftsführung ist vielmehr in der Sat- zung zu finden. In der Satzung kann auch durch eine sog. Geschäftsordnung vom in § 77 (1) S.1 AktG kodifizierten Grundsatz der Gesamtgeschäftsführung abgewichen werden.50 Häufig wird Einzelbefug- nis der Vorstandsmitglieder bestimmt, welche sich klassisch nach Sachressorts, wie z.B. Produktion, Finanz- und Rechnungswesen oder vertikal nach Sparten, wie z.B. im Telekommunikationsbereich nach Festnetz und Mobilfunk einteilen lassen.51 Diese Aufgaben- und Entscheidungsgewaltverteilung ermöglicht es der Gesellschaft zeitnah, problemorientiert und ohne einen langen Entscheidungsfin- dungsprozess zu reagieren. Gerade diese Art der Flexibilität ist heute essentiell zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens. Trotz dieser satzungsmäßig modifizierten Form der Ge- schäftsführung bleiben bestimmte, gesetzlich geregelte Aufgaben (z.B. nach § 91 (2) AktG hat der Vorstand geeignete Maßnahmen zur Einrichtung einesÜberwachungssystems zu treffen) der Be- schlussfassung des Gesamtvorstandes vorbehalten.

Kollegialprinzip

Da der Vorstand, wie bereits erwähnt, i.d.R. aus mehreren Personen besteht, handelt es sich um Kollegialorgan. Die Funktionsweise und Arbeitsteilung dieses Kollegialorgans ist im AktG nur ansatzweise geregelt. Im Allgemeinen herrscht unter den Vorstandsmitgliedern Gleichberechtigung. Der Aufsichtsrat kann jedoch gemäß § 84 (2) AktG ein Mitglied zum Vorstandsvorsitzenden ernennen. Dieser nimmt dann die Stellung primus inter pares 52 ein. Dies bedeutet nicht, dass dieses Mitglied mehr Geschäftsführungsbefugnis oder Entscheidungsgewalt hat, sondern dass seine Stimme bei Stimmengleichheit den Ausschlag gibt (Stichentscheid). Weiterhin können sich jedoch der Vorsitzende oder bestimmte Vorstandskollegen niemals gegen eine Mehrheit durchsetzen (§ 77 (1) S.2 Hs.2 AktG), denn Führerprinzip und Kollegialorgan sind miteinander unvereinbar.53

Eine weitere Aufgabe des Vorstandes besteht in der gerichtlichen und außergerichtlichen Vertretung der Gesellschaft nach außen. Vom Grundsatz her herrscht auch dabei eine Gesamtbefugnis aller Vor- standsmitglieder (§ 78 (2) S.1 AktG), wobei die Satzung wiederum einzelne Vorstandsmitglieder al- lein oder in Gemeinschaft zur Vertretung ermächtigen kann (§ 78 (3) AktG). Sollte im Verhältnis zur AG die Geschäftsführungsbefugnis des Vorstandes beschränkt sein (§ 82 (2) AktG), hat dies für die Vertretungsmacht keine Folgen (§ 82 (1) AktG).54 Allerdings tut sich hier einmal mehr das Span- nungsfeld der Kompetenzabgrenzung und der internen Ausgleichansprüche auf. Diese Problematik wird später noch näher thematisiert.

Verantwortlichkeiten / Pflichten

Sowohl aus der Organstellung als auch aus dem Anstellungsverhältnis erwächst eine besondere Inter- essenswahrung- und Treuepflicht der Vorstandsmitglieder. Die Interessen der Gesellschaft sind wahr- zunehmen und alles zu unterlassen, was der AG schädigt. Dazu zählen insbesondere auchüber vertrauliche Angaben und Geschäftsgeheimnisse Stillschweigen zu bewahren (§ 93 (1) S.2). Der § 93

(1) S.1 AktG bringt explizit zum Ausdruck, dass der Vorstand bei der Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden hat. Fraglich ist jedoch, welches Verhalten als ordnungsgemäß i.S.d. § 93 (1) S.1 AktG zu bezeichnen ist. Die umfangreichen Pflichten und Ermessensspielräume sind einer Detailregelung nur partiell zugänglich und weitestgehend Ermessenssache. Unstrittig ist diesbezüglich jedoch, dass dem Vorstand für die Leitung der Geschäfte der AG ein weiter Handlungsspielraum zugebilligt werden muss, da ohne diesen ein unternehmerisches Handeln schlechterdings nicht denkbar wäre. Dieser Vernunftregel entspricht auch der Bundesgerichtshof in seinem „ARAG/Garmenbeck“-Urteil55. Somit sind die Entscheidungen des Managements der Gerichtskontrolle entzogen, solange die Voraussetzungen rechtmäßiger Ermessensausübung gegeben sind und die Ermessensgrenzen nichtüberschritten werden.56

Des Weiteren unterliegen Vorstandsmitglieder kraft ihrer Bestellung einer organschaftlichen Treue- bindung zur Aktiengesellschaft. Diese besondere Form der Verpflichtung wird durch die Stellung des Vorstandes gerechtfertigt.Ähnlich einem Treuhänder verfügt erüber fremde Vermögensrechte. Im Gesetz findet diese Treuepflicht allerdings nur ansatzweise Niederschlag.57 So unterliegen die Vor- standsmitglieder nach § 88 (1) AktG einem Wettbewerbsverbot, welches es ihnen untersagt, ohne Einwilligung des Aufsichtsrates ein Handelsgewerbe zu betreiben oder im Geschäftszweig der Gesell- schaft für eigene oder fremde Rechnung Geschäfte zu machen oder Vorstand, Geschäftsführer oder persönlich haftender Gesellschafter einer Handelsgesellschaft zu sein.58 Verstößt ein Vorstandsmit- glied gegen dieses Verbot, so kann die Gesellschaft nach § 88 (2) AktG Schadenersatz fordern. Weite- re kodifizierte Regelungen bezüglich der Treuepflicht stellen der § 89 AktG (Kreditgewährung), § 93

(1) S.2 (Verschwiegenheitspflicht) oder §§ 13, 14 WpHG (Verbot von Insidergeschäften) dar. Allge- mein formuliert sind Vorstandsmitglieder gehalten keine Eigeninteressen zu verfolgen, die den Inte- ressen der AG zuwiderlaufen.59 Neben diesen Treuepflichten bestehen aber noch eine Reihe weiterer Pflichten für ein Vorstandsmitglied. Exemplarisch seien die Informationspflichten im Falle eines Ver- lustes i.H. der Hälfte des Grundkapitals anzuführen. In diesem Fall hat der Vorstand nach § 92 (1) AktG unverzüglich die Hauptversammlung einzuberufen und ihr dies anzuzeigen. Neben diesen be- reits beschriebenen Pflichten ist die Bandbreite der Verantwortlichkeiten sehr vielschichtig und diffe- riert sehr stark von Größe und Struktur der Gesellschaft. Entscheidend ist allerdings dabei, dass Vor- standsmitglieder, die ihre Pflichten verletzen, der Gesellschaft zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet sind. Nach § 93 (2) S.1 handelt es sich um eine gesamtschuldnerische Haftung, so dass kein Vorstandsmitglied auf ein Mitverschulden eines anderen verweisen kann.60

Im nun folgenden Teil der Arbeit werden die unterschiedlichen Arten der persönlichen Haftung und die Anlässe, die zu derartigen Inanspruchnahmen führen können näher erläutert. Wie sich Vorstände gegen derartige Regressansprüche schützen können, wird in Kapitel 6 näher beschrieben.

4.2. Die Haftung des Vorstandes

4.2.1. Innenhaftung

Der Vorstand unterliegt nach § 93 (2) AktG einer strengen Haftung. Der objektive Tatbestand des Haftungsanspruches setzt erstens eine Pflichtverletzung des Organs, zweitens einen Schaden bei der Gesellschaft sowie drittens die kausale Verknüpfung beider voraus. Unter dem subjektiven Aspekt muss dem Organ viertens ein Verschulden vorzuwerfen sein. Dabei trifft den Unternehmensleitern die Beweislast sich vom Vorwurf der Pflichtverletzung und des Verschuldens zu entlasten. Dies folgt aus § 93 (2), (3) AktG. Im Folgenden wird auf die einzelnen Tatbestandsmerkmale des Innenhaftungsan- spruches näher eingegangen.61

4.2.1.1. Schadenersatzpflicht gemäß Generalklausel (§ 93 (2) AktG)

Nach § 93 (1) S.1 AktG haben die Vorstandsmitglieder bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Dieser Sorgfaltsstandart regelt zum einen die allgemeinen Verhaltenspflichten und zum anderen den Verschuldensmaßstab. So stellt § 93 (2) AktG sowohl die Norm als auch die Anspruchsgrundlage dar. Einen Umwegüber § 823 (2) BGB ist als Anspruchsgrundlage somit nicht notwendig.

a) Haftungsvoraussetzungen

1. Vorstandsmitglied

Gemäß § 93 (2) S.1 AktG betrifft die Haftung sämtliche Vorstandsmitglieder. Dazu zählen auch die gerichtlich bestellten (§ 85 AktG) Vorstände. Die Haftung beginnt mit dem Wirksamwerden der Be- stellung und endet mit dem Ende der Amtszeit oder dem wirksamen Widerruf der Bestellung. Uner- heblich ist in diesem Zusammenhang ob ferner ein Anstellungsvertrag geschlossen wurde bzw. ob Vorstandsmitglieder, die bereits für die AG tätig geworden sind, fehlerhaft bestellt worden sind62.

2. Pflichtverletzung

Um zu prüfen ob eine Pflichtverletzung vorliegt, müssen zunächst erst einmal die maßgeblichen Pflichten der Vorstandsmitglieder hervorgehoben werden. Hierbei wird an den Gliederungspunkt 4.1. (Verantwortlichkeiten / Pflichten) angeknüpft. Die allgemeinen Pflichten des Unternehmensleiters können dahingehend zusammengefasst werden, dass er die Interessen des Unternehmens zu wahren hat und alles zu unterlassen hat, was dieses schädigen könnte.63 Davon ausgehend lassen sich zwei zentrale Pflichtenkreise herauskristallisieren. Dazu zählen die Pflicht zur ordnungsgemäßen Wahr- nehmung der Organfunktion und die Treuepflicht. Wesentlicher Schwerpunkt der Pflicht der ord- nungsgemäßen Wahrnehmung der Organfunktion ist die Leitung des Unternehmens unter Beachtung des Unternehmensziels. Dazu zählen offenkundig auch die Einhaltung rechtlicher Vorgaben und die Beachtung gewisser moralischer Geschäftsgrundsätze. Sowohl der Gesetzgeber wie auch die be- triebswirtschaftlichen Regeln geben dahingehend keine detaillierten oder verbindlichen Handlungsan- weisungen vor. Vielmehr wird durch die Rechtsprechung ein gewisser Rahmen abgesteckt. Richtung- weisend war die „ARAG“ Entscheidung64 des BGH, wodurch ausdrücklich festgestellt wurde, dass unternehmerische Tätigkeit ohne den dafür notwendigen Handlungsspielraum nicht realisierbar sei. Das schließt das bewusste Eingehen geschäftlicher Risiken und die Gefahr von Fehleinschätzungen ein. Demzufolge würde ein Mitglied des Vorstandes, welches im Rahmen dieses Gestaltungsspielrau- mes handelt, nicht haften, auch wenn durch die Handlung Vermögensnachteile für die Gesellschaft resultieren. Fraglich ist jedoch wie breit der Gestaltungsspielraum nun ist, innerhalb dem der Vorstand relativ frei risikoreiche Geschäfte eingehen darf.65

[...]


1 Nach einer Statistik des Deutsches Aktieninstituts verdoppelten sich die Neuemissionen in den letzten vier Jahren jeweils. Dieses Jahr sollen voraussichtlich 150 Emissionen stattfinden.

2 Vgl. Thümmel, R.: Persönliche Haftung von Managern und Aufsichtsräten, 2003, S. 7.

3 = Interessengruppen.

4 Zur Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters siehe 4.2.1.1.

5 Vgl. Thümmel, R.: Persönliche Haftung von Managern und Aufsichtsräten, 2003, S. 7.

6 LG Bielefeld, BB 1999, S. 2630; ZIP 2000, S. 20.

7 Vgl. Sieg, O.: Tendenzen und Entwicklungen der Managerhaftung, in DB Heft 34 2002, S. 1759-1764.

8 Vgl. etwa Urteil des LG München, DB 2001, S. 2338 sowie Urteil des LG München I vom 18.10.2001 (noch unveröffentlicht).

9 LG München I, ZIP 2001, S. 1814 sowie LG Augsburg, DB 2001, S. 2336; vgl. Thümmel, R.: Haftung für geschönte Ad-hoc-Meldungen, in DB Heft 44 2001, S. 2331.

10 Vgl. etwa Mannesmann Abfindungen von Herrn Ackermann .

11 Vgl. Sieg, O.: Tendenzen und Entwicklungen der Managerhaftung, in DB Heft 34 2002, S. 1759-1764.

12 Vgl. Thümmel, R.: Persönliche Haftung von Managern und Aufsichtsräten, 2003, S. 21

13 Vgl. Sünner, E.: Effizienz von Unternehmensorganen, in AG Heft 11 2000, S. 492; von Werder, A.: Der Deutsche Corporate Governance Kodex, in DB Heft 16 2002, S. 801.

14 Zu der in der Literatur diskutierten Frage, ob Vorstandsmitglieder einer AG nach deutschen Recht verpflichtet sind, den Shareholder value zu optimieren differenzierend: Henze, H.: Leitungsverantwortung des Vorstands, in BB Heft 5 2000, S. 209.

15 Vgl. FTD vom 17.01.2001.

16 Vgl. Sieg, O.: Tendenzen und Entwicklungen der Managerhaftung, in DB Heft 34 2002, S. 1759-1764.

17 Vgl. Thümmel, R.: Persönliche Haftung von Managern und Aufsichtsräten, 2003, S. 22.

18 Vgl. Sieg, O.: Tendenzen und Entwicklungen der Managerhaftung, in DB Heft 34 2002, S. 1759-1764.

19 z.B. „Anregungen“ des Corporate Governance-Kodexes.

20 Zum Begriff des Managements und dem Kreis der Haftpflichtigen siehe letzter Absatz Kapitel 2.

21 Vgl. Thümmel, R.: Persönliche Haftung von Managern und Aufsichtsräten, 2003, S. 28-29

22 vom 26.07.1994

23 vom 09.09.1998

24 vom 27.04.1998

25 Vgl. Thümmel, R.: Persönliche Haftung von Managern und Aufsichtsräten, 2003, S. 29-30

26 so genannter unerlaubter Handlung gem. §§ 823 ff.

27 Bsp. Steuerliche Pflichtverletzung: Die gesetzlichen Vertreter haften gem. § 69 S.1 AO infolge von vorsätz- licher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten.

28 Vgl. Plück, R./Lattwein, A.: Haftungsrisiken für Manager, 2000, S. 13.

29 Vgl. Thümmel, R.: Persönliche Haftung von Managern und Aufsichtsräten, 2003, S. 38-44.

30 Vgl. Klunzinger, E.: Grundzüge des Gesellschaftsrecht, 2002, S.147.

31 Vgl. Schmidt, K.: Gesellschaftsrecht, 2002, S. 755.

32 Vgl. Klunzinger, E.: Grundzüge des Gesellschaftsrecht, 2002, S.148.

33 Handelsgewerbe ist nach § 1 (2) HGB jeder Gewerbebetrieb, es sei denn, dass das Unternehmen nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb nicht erfordert.

34 Vgl. Grunewald, B.: Gesellschaftsrecht, 2002, S. 223.

35 Vgl. Michalski, L.: Gesellschaftsrecht 2, 2001, S. 113.

36 Vgl. Schmidt, K.: Gesellschaftsrecht, 2002, S. 756.

37 Vgl. Schmidt, K.: Gesellschaftsrecht, 2002, S. 781.

38 Vgl. zur grundlegenden Entscheidungsfunktion: § 118 (1) AktG, § 119 (1) AktG sowie Hüffer, U.: Aktien- gesetz, 2002, § 118 AktG, Rn. 1-16 und § 119 AktG, Rn. 1-19.

39 Vgl. Schmidt, K.: Gesellschaftsrecht, 2002, S. 781.

40 Vgl. Schmidt, K.: Gesellschaftsrecht, 2002, S. 770.

41 Vgl. Schmidt, K.: Gesellschaftsrecht, 2002, S. 781.

42 Vgl. Klunzinger, E.: Grundzüge des Gesellschaftsrecht, 2002, S.165.

43 Vgl. Klunzinger, E.: Grundzüge des Gesellschaftsrecht, 2002, S.167.

44 gem. §§ 33 MitbestG, 13 MontanmitbestG, 13 MitbestErgG muss dem Vorstand ein gleichberechtigter Ar- beitsdirektor angehören.

45 Vgl. Schmidt, K.: Gesellschaftsrecht, 2002, S. 807.

46 Vgl. Hüffer, U.: Aktiengesetz, 2002, Aktiengesetz,2002, § 84, Rn. 23, 24.

47 Vgl. Schmidt, K.: Gesellschaftsrecht, 2002, S. 807-811.

48 = Sicherung des Bestandes des Unternehmens und dauerhafte Rentabilität. (OLG Hamm, AG 1995, S. 512-514.

49 Vgl. Hüffer, U.: Aktiengesetz, 2002, Aktiengesetz, 2002 § 76, Rn. 5-11.

50 Vgl. Grunewald, B.: Gesellschaftsrecht, 2002, S. 242.

51 Vgl. Wiedemann, H./Frey, K.: Gesellschaftsrecht, 2002, S. 382.

52 lat.: Unter Gleichen der Höchste.

53 Vgl. Schmidt, K.: Gesellschaftsrecht, 2002, S. 811-813.

54 Vgl. Schmidt, K.: Gesellschaftsrecht, 2002, S. 804-807.

55 BGHZ 135, S. 244.

56 Vgl. Henze, H., Aktienrecht - Höchstrichterliche Rechtsprechung, S 111.

57 Vgl. Wiedemann, H./Frey, K.: Gesellschaftsrecht, 2002, S. 385.

58 BGH, NJW 2001, S. 2476.

59 Vgl. Wiedemann, H./Frey, K.: Gesellschaftsrecht, 2002, S. 385.

60 Vgl. Schmidt, K.: Gesellschaftsrecht, 2002, S. 816.

61 Vgl. Thümmel, R.: Persönliche Haftung von Managern und Aufsichtsräten, 2003, S. 57.

62 NJW 1964, S. 1367.

63 Vgl. Schmidt, K.: Gesellschaftsrecht, 2002, S. 815-816.

64 BGHZ 135, S. 244, 253.

65 Vgl. Roth, M.: Unternehmerisches Ermessen und Haftung des Vorstands, 2001, S. 8-12.

Ende der Leseprobe aus 36 Seiten

Details

Titel
Die rechtliche Stellung des Vorstandes und des Aufsichtsrates in der AG unter besonderer Berücksichtigung haftungsrechtlicher Aspekte
Hochschule
Fachhochschule Erfurt  (Wirtschaftsrecht)
Veranstaltung
Wirtschaftsrecht 7. Semester
Note
1,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
36
Katalognummer
V21071
ISBN (eBook)
9783638247771
ISBN (Buch)
9783638723503
Dateigröße
704 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Dichter Text - einzeiliger Zeilenabstand.
Schlagworte
Stellung, Vorstandes, Aufsichtsrates, Berücksichtigung, Aspekte, Wirtschaftsrecht, Semester
Arbeit zitieren
Marcel Bode (Autor:in), 2003, Die rechtliche Stellung des Vorstandes und des Aufsichtsrates in der AG unter besonderer Berücksichtigung haftungsrechtlicher Aspekte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/21071

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