Die Biographie des Bethel Henry Strousberg und sein wirtschaftliches Wirken


Hausarbeit, 2013

33 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2 Bethel Henry Strousberg
2.1 Sein frühes Leben und der Beginn seiner Karriere
2.2 Die ersten Schritte in der Geschäftswelt und der erste herbe Rückschlag
2.3 Der Neuanfang in Berlin

3 Die ersten Eisenbahnprojekte und der rasante Aufstieg
3.1 Das preußische Eisenbahngesetz von 1838 und die Frage des Bahnbaus in Preußen
3.2 Das „System Strousberg“und der Bau der ersten beiden Projekte

4 Der sagenhafte Aufstieg des Bethel Henry Strousberg
4.1 Weitere Bahnprojekte in Preußen
4.2 Der Aufstieg zum Industriegiganten
4.2.1 Die Verbesserung seines „Systems“
4.2.2 Die Umsetzung der Ideen
4.2.3 Der Steile Aufstieg
4.3 Auf dem Höhepunkt und der Beginn der Probleme
4.4 Seine Verdienste im sozialen Bereich

5 Der tiefe Fall des Eisenbahnkönigs
5.1 die Anklage Laskers und das Problem der fehlenden Barreserven
5.2 Ein Hoffnungsschimmer
5.3 Strousberg ist am Ende

6 Wirken und Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Anders als John D. Rockefeller, Andrew Carnegie, John Pierpont Morgan oder Nathan Rothschild ist Bethel Henry Strousberg in der Öffentlichkeit relativ unbekannt. Dies ist durchaus verwunder­lich angesichts der Tatsache, dass er zeitlebens mehr als 100.000 Menschen beschäftigte und mehr als 1.700 km Eisenbahnstrecke allein in Preußen baute, die später größtenteils preußische Staats­bahn wurden, 2.500 km insgesamt in Europa. Er besaß unvorstellbar große Ländereien, Schlösser, Industriekomplexe und weitere Besitzungen, deren Auflistung allein ganze Bücher füllen würde.1 Manfred Ohlson nennt ihn die ,,spektakulärste Gestalt der deutschen Finanzwelt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts‘ und Ralf Roth beschreibt ihn gar als den ,,größter.П deutschen Unter­nehmer.2

Das Ende seiner sagenhaften Karriere ist hingegen weniger glanzvoll: Am 24. Oktober 1876 (6. Oktober deutscher Zeit), dem 23. Sitzungstag des Strafprozesses gegen Strousberg, wird er in Moskau der falscher Angaben bei der Kreditvergabe und Bestechung schuldig gesprochen. Das Ur­teil lautet auf Verbannung aus Russland und lebenslängliches Einreiseverbot. Zeitgleich hat in Preu­ßen die Konkursverwaltung längst Hand an seinen Besitz gelegt, und als er schließlich nach Preu­ßen zurückkehren kann, muss er feststellen, dass von seinem einstigen Imperium nichts mehr übrig geblieben ist.

Doch wer war Bethel Henry Stousberg? Otto Glaugau, ein ehemaliger Journalist der Berli­ner Nationalzeitung urteilte 1877 über ihn: „Seine Unternehmungen waren zu waghalsig, zu aben­teuerlich, seine Manipulationen so bösartig, seine ganze Art und Weise so plump und unbescheiden, dass das,System Strousberg‘ mit Nothwendigkeit in sich zusammenbrechen musste1.3 Auch spätere Autoren, wie Peter Fritsche und Günter Wermusch sind in ihrem Urteil, Strousberg sei ein Grün­dungsschwindler gewesen, sehr eindeutig von den diffamierenden Äußerungen, die die Nazis über den zur anglikanischen Kirche konvertierten Juden tätigten, ganz zu schweigen.4

Die Arbeit wird sich vor allem mit dem Phänomen Strousberg beschäftigen, mit seinem Aufstieg, seinem enormen Imperium und letztlich auch mit seinem tiefen Fall. Aussparen wird die Arbeit seine Bestrebungen, in die preußische Aristokratie aufzusteigen, da dies genügend Potenzial für eine eigene Arbeit bietet und zudem mehr Ausdruck seiner inneren Bedürfnisse war und an sich weniger mit dem industriellen Phänomen Strousberg zu tun hat, obgleich diese beiden Punkte an machen Stellen unvermeidbar aufeinandertreffen werden. Ein biografischer Abriss seiner Jugend bis zum Geschäftseintritt ist deshalb von Nöten, weil nur so verstanden werden kann, wie er den Auf­stieg schaffte. Zudem lässt sich so auch besser erkennen, woher er seine Ideen und sein Kapital bezog.

Ziel der Arbeit soll es sein, das Phänomen und die Debatten um Strousberg zu beleuchten und in den historischen Kontext einzuordnen. Auch wenn viele Autoren sich bereits an seiner Bio­grafie und seinem Geschäftsmodell abgearbeitet haben, werde ich versuchen, dieses nochmals her­auszufiltern und auf die spezifischen Probleme und Risiken seines Modells und seiner industriellen Tätigkeit eingehen.

2 Bethel Henry Strousberg

2.1 Sein frühes Leben und der Beginn seiner Karriere

Bethel Henry kam am 20. November 1823 als Baruch Hirsch Strousberg, als fünftes von acht Kin­dern im ostpreußischen Neidenburg (heute: Nidzica, Masuren, Polen) zur Welt. Die Familie ließe sich als gut bürgerlich beschrieben, war bereits seit Ende des 18. Jahrhunderts dort ansässig, seit­dem sein Großvater hier das Wohnrecht als „Schutzjude“ erwarb. Trotz seiner vielen Geschwister konnte Baruch das Gymnasium im 180 km entfernten Königsberg besuchen und erhielt dort eine gute Ausbildung.5

Nach dem frühen Tod der Mutter (1831, 8 Jahre) und des Vaters (1839, 16 Jahre) verließ er schließlich seine Schule in Königsberg. Jedoch war es für ihn unvorstellbar in seine beschau­liche Neidenburger Heimat zurückzukehren, weshalb er beschloss, zu seinem Onkel und dessen Familie (Fam. Gottheimer) umzusiedeln, die bereits einige Jahre zuvor nach London ausgewan­dert war. Schon bald nach seiner Ankunft in London anglisierte er seinen Namen in Bethel Henry Strausberg und trat er in die englische Staatskirche ein - es liegt folglich der Schluss nahe, dass er Preußen endgültig verlassen wollte.6

Bei seiner Ankunft in England wurde dieses gerade seit zwei Jahren von Queen Victoria regiert. Die Spannungen durch die Industrielle Revolution waren omnipräsent,jedoch gab es auch Fortschritte. So wurde zum Beispiel 1833 die Sklaverei verboten, 1835 Gesetze zur Ein­dämmung von Frauen- und Kinderarbeit erlassen und die ersten Aufstände, getragen von Arbeitern, forderten Reformen, die sich später in sozialen Verbesserungen des Armenwesens, der Ausbreitung des Wahlrechts, der Aufhebung von Einfuhrzöllen und der Beschränkung der Tagesarbeitszeit auf 10 Stunden niederschlug. All dies und die Tatsache, dass Strousberg sich in der damals größten und womöglich kosmopolitischsten Stadt der Welt befand, muss auf ihn großen Eindruck gemacht haben. Mit seiner Verwandtschaft muss er sich im Laufe der folgenden Jahre auseinandergelebt haben. Zwar finden sich in seiner Autobiografie kaum Hinweise darauf,jedoch wiegt die Tatsache schwer, dass er sich vom Judentum abwendete. Dies konnte seiner gläubigen und das Judentum praktizierenden Familie kaum gefallen haben. Auch die Hochzeit des erst 21-Jährigen mit der da­mals noch minderjährigen Mary Ann Swan 1845 fand in einer Gemeindekirche ohne die Anwesen­heit der Gottheimers statt.7 Er selbst beschreibt in seinen Memoiren diese Zeit als eine des Selbst­studiums. Er eignete sich Kenntnisse in Recht, Versicherungswesen, Versicherungsmathematik, Nationalökonomie, Wirtschaftspolitik, Geld-, Bank- und Börsenwesen an. Womit genau er aber zu dieser Zeit sein Geld verdiente, wird aus seiner Biografie nicht ersichtlich, zumal seine Tätigkeit als Journalist erst 1851 begann. Strousberg war zu jener Zeit auch Mitglied mehrerer sogenannter „Societies'. Diese vergaben günstige Darlehen an ihre Mitglieder, das Geld wurde als Fond inner­halb der Society gesammelt und an ein Mitglied gegeben. Das Los entschied darüber wer ein Dar­lehen bekam. Als Strousberg ohne seine Frau im Juli 1847 versuchte mit von ihm eingesammeltem Geld einer Society nach Amerika überzusetzen wurde er am Hafen verhaftet und wegen Untreue verurteilt. Als Strafe für dieses Vergehen musste er drei Monate „Hard Labor' ableisten.8

Nach der Verbüßung der Strafe konkretisierten sich seine Pläne nach Amerika aus­zuwandern und so setzte er mit seiner Frau und einem Sohn 1849 nach Amerika über. Über die Zeit in Amerika ist die Quellenlage sehr schwierig, da nicht einmal seine genauen Aufenthalts­orte bekannt sind. Aber er war wohl in New Orleans in Geschäfte involviert, die ihn beachtliche Geldmittel einbrachten.9 Mit diesen ausgestattet kehrte er 1850 nach England zurück.

2.2 Die ersten Schritte in der Geschäftswelt und der erste herbe Rückschlag

Zurück in England begann Strousberg seine journalistische Tätigkeit und stieg durch viel Fleiß und Arbeit zum Herausgeber eines Wirtschaftsblattes auf. In der ersten Hälfte der 1850er Jahre arbeitete er zudem an mehreren Zeitschriften und Flugschriften, oft als Redakteur, Herausgeber und Autor in Personalunion.10 In seinen Artikeln äußerte er sich besonders zur Handels- und Wirtschaftspo­litik, aber auch zur sozialen Frage und übte damit durchaus auch Kritik an den Verhältnissen in England.11 Ebenfalls versuchte er sich publizistisch einen Namen in der Versicherungswirtschaft zu machen, indem er aktiv in eine damalige Kontroverse eingriff.12 Letzteres ging sogar so weit, dass er Mitglieder der Regierung scharf attackierte. Dieser Einsatz zeigte Wirkung und er wurde allge­mein als kompetent in Versicherungsfragen wahrgenommen. Seine publizistischen Tätigkeiten gip­felten im Wechsel in die Versicherungswirtschaft. 1843/1844 wurde er Manager einer relativ kleinen Lebensversicherungsgesellschaft, der Oak Company. Dieser Wechsel ging für Strousberg auch mit einem gesellschaftlichen Aufstieg einher, denn er wurde Mitglied einer royal Society und verkehrte von nun an mit angesehenen Persönlichkeiten der Londonder Mittel- und Oberschicht.

Es war die Klage eines vermeintlich Geschädigten seiner Versicherungsgesellschaft, die sei­ne Verfehlung aus dem Jahr 1847 mit der daraus resultierenden Verurteilung ans Licht der Öffent- lichkeit zurückbrachte. Strousberg sah sich daraufhin so sehr diskreditiert, dass er von allen Äm­tern zurücktrat. Selbst die ungeteilte Unterstützung der Direktoren konnte ihn nicht mehr umstim­men, sich aus der Versicherungsgesellschaft zurückzuziehen. Er stand vor den Trümmern seiner Existenz und alles was er sich die letzten Jahre durch harte Arbeit aufgebaut hatte, schien nicht mehr zu zählen. So fasste er den Entschluss, England zu verlassen und in die Hauptstadt Preußens, Berlin, umzusiedeln.13

2.3 Der Neuanfang in Berlin

In seiner Biografie schilderte Strousberg einen ,,unüberwindlicher Drang‘ nach seinem Heimat­land als Grund für seine Rückkehr nach Preußen,jedoch fällt dies angesichts seines lang ersehnten Aufstiegs in die besseren Kreise Londons, seiner zunehmend komfortablen finanziellen Situation und seiner ausgedehnten Tätigkeiten als Journalist schwer zu glauben.14 Horst Meuter nennt gar als Grund für seine Rückkehr den Wirtschaftsaufschwung Berlins. Die aufstrebende Stadt warjedoch ein ganz anders strukturierter Ort als London, nicht nur von der Größe sondern vor allem vom Un­ternehmertum her. Auch hatte hier der Polizeipräsident ganz andere Befugnisse und damit die Mög­lichkeit der Repressionen gegen freie Meinungsäußerung, besonders nach der gescheiterten 48er Revolution, zu verkraften. Laut Meuter muss Strousberg aber im aufstrebenden Berlin einfach die besten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Zukunft gesehen haben.15 Ob dieser Ansicht jedoch Glauben zu schenken ist vermag ich nicht zu beurteilen. Ich folge hier eher der Analyse Borcharts, zumal Strousberg seine Zeitschriften, die er nach wie vor verlegte, ebenfalls nach Berlin verlager­te und sie an seine Abonnenten nach England versandte. Hätte Strousberg wirklich ein unstillbares Verlangen nach seiner Heimat verspürt, hätte wer womöglich früher schon Bestebungen unternom­men, Geschäfte in Berlin aufzubauen.

Nach seinem Umzug in die preußische Hauptstadt waren seine Zeitungen und Publikationen nicht mehr lange von Erfolg gekrönt, und so musste er diese Projekte aufgeben.16

Durch den Verkauf seiner Zeitschriften hatte er zwar ein finanzielles Polster,jedoch musste er sich langfristig ein neues Standbein aufbauen. Dies versuchte er mit dem Wiedereintritt in das Versicherungswesen und gleichzeitig einem neuen Anlauf als Verleger. Allerdings waren seine Be­mühungen nicht von Beginn an von Erfolg gekrönt. Lediglich seine Promotion an der Uni Jena (in absentia wie Marx) sollte für die Anfangszeit in Berlin Erwähnung finden, zumal diese auf Grund einiger seiner in England erschienenen Artikel erfolgte.17

Strousberg ließ erst 1866 durch die Gründung einer täglich erscheinenden Zeitung, der „Post“, die bis 1872 in seinem Besitz blieb und noch bis zum Jahr 1921 erscheinen sollte seine alten Talente im Verlagswesen neu aufleben.18

3 Die ersten Eisenbahnprojekte und der rasante Aufstieg

3.1 Das preußische Eisenbahngesetz von 1838 und die Frage des Bahnbaus in Preußen

Als glücklicher Umstand für Strousberg erwies sich, dass er stets um Kontakte zu Gesannten und Offiziellen aus England bemüht war. So kam er in Kontakt mit einer Gruppe britischer Diploma­ten, die ihn aufgrund seiner Kenntnis der Gesetze in Preußen baten, ein Gutachten zu erstellen, ob es für eine britische Gesellschaft möglich wäre in Preußen Eisenbahnen zu bauen. Konkret ging es dabei um eine Strecke von Tilsit nach Insterburg. Das englische Konsortium hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits seit einigen Jahren um eine Konzession des preußischen Handelsministeriums für den Bau bemüht, bisherjedoch ohne Erfolg. Das preußische Handelsministerium, zuständig für den Eisenbahnbau, war in seiner Ausrichtung unter dem Handelsminister August von Heydt bis 1862 sehr auf den staatlichen Bau fokussiert. Diesem Zustand ist es wohl auch zu verdankend, dass seit 1856 keine Privatbahn mehr in Preußen gebaut worden war.19 Erst als Graf von Itzenplitz ab 1862 neuer Handelsmuster wurde vollzog sich unter dessen Führung ein Wandel in der Eisenbahnpoli­tik, bei der Preußen auch Zuschüsse für Bahnen und Zinsgarantien für deren Aktien zahlte.20 Dieser Schwenk ermöglichte Preußen ab 1862, nun die Prinzipien der ,,freien Konkurrenz’’ bezüglich des Bahnbaus umzusetzten.21

Die zu lösenden Schwierigkeiten lagen ab diesem Punkt vielmehr in dem 1838 erlassenen preußischen Eisenbahngesetz, welches für den Bau von Eisenbahnen generell eine Konzession des Staates vorsah.22 Da der Staat sich für die Sicherheit der Bürger verantwortlich fühlte, erließ er zu­dem strenge Vorschriften für den späteren Betrieb der Bahnen.23 Das Gesetz war für den staatli­chen Bau von Eisenbahnen, die aus privaten Mitteln finanziert wurden, konzipiert. Der Staat behielt sich zudem das Recht vor, die Bahn nach dreißig Jahren Betrieb zu kaufen. Ohne eine Konzession des Staates konnte also in Preußen keine Bahn gebaut werden, denn sie regelten, wie die Strecken­führung, die Höhe der Baukosten für bestimmte Teilabschnitte und alles was damit zusammenhing auszusehen hatte, bis hin zu Vorgaben für die spätere Organisation und Verwaltung der Bahn.24

Ein weiterer wichtiger Punkt im Gesetzestext war die Regelung für die Beschaffung des Baukapitals. Die Vorgabe war, dass eine Eisenbahngesellschaft Aktien nur als ganzen Nominal­betrag ausgeben durfte. Das heißt wenn es Anleger gab, die für 1000 Taler Aktien an der Gesell­schaft kaufen wollten, musste dies auch auf der Aktie mit diesem Betrag (zu pari) vermerkt sein. Die bisherige Praxis Aktien „ unter pari“ auszugeben, also einen höheren Betrag als bezahlt auf der Aktie zu verbuchen, sollte so verhindert werden.25 Die Aktie unter pari zu verkaufen war deshalb gängige Praxis, weil nur so für die Anleger eine einigermaßen verlockende Rendite in Aussicht ge­stellt werden konnte, die sie das Investitionsrisiko in Kauf nehmen ließ, denn mehr als eine Kon­zession hatten die Gesellschaften ja meist nicht zu bieten. Zudem war auch noch überhaupt nicht klar, wann und ob die Strecke überhaupt Gewinn abwerfen würde. Als Kompensation für die zu paiRegel lockte das Gesetz mit einer jährlichen Verzinsung, staatlich garantiert, von fünf Prozent. Jedoch schienen zu diesem Zweck Staatspapiere, bei nur unwesentlich niedrigerer Verzinsung von 4,5 Prozent, sicherer als Anlage zu sein.

Ziel des Gesetzes war es, strenge Vorgaben für den Bau von Eisenbahnen durchzusetzen und die Stecke nicht mit weniger Geld und in der Vorstellung damit weniger solide als vorgeschrieben zu bauen. Dies führtejedoch dazu, dass kaum privates Kapital für die Eisenbahn zu mobilisieren war, obwohl selbst Preußen allmählich die Dringlichkeit des Baus dieser erkannte.

Die britischen Investoren standen nun vor genau diesem Finanzierungsproblem. Zwar wären sie bereit gewesen, die Aktien zupari auszugeben, aber sie waren nicht dazu bereit, die Einzahlun­gen über Jahre bis zur Fertigstellung und Inbetriebnahme der Bahn zu gewährleisten. Zudem hätten sie, wenn sie sich dazu entschlossen hätten früher auszusteigen, ihre Anteile nur unter pari, also mit Verlust, verkaufen können.

3.2 Das „System Strousberg“ und der Bau der ersten beiden Projekte

Strousberg, beauftragt mit der Lösung für diese Probleme, entwarf daraufhin ein Konzept, wel­ches man später das ,,System Strousberg nennen sollte. Um den Anforderungen des Eisenbahnge­setzes zu entsprechen, sah dieses vor, einen Generalbauunternehmer nach dem englischen Vorbild des „Contractors“ einzusetzten, der die Eisenbahn betriebsbereit an eine zu gründende Eisenbahn­Gesellschaft liefern sollte. Zu diesem Zweck sollte sich der Generalbauunternehmer mit einigen Inverstoren zu einem Konsortium arrangieren. Dieses sollte daraufhin eine Direktion und einen Verwaltungsrat bilden, damit man nun einen Plan zum Bau einer Bahnlinie entwerfen, bei der

[...]


1 Die Enkelin Strousbergs, Ingeborg von Keiser, schenkte im Jahr 1998 dem Stadtmuseum Berlin allen privaten Nachlass ihres Großvaters. Zur Stiftung der Unterlagen siehe einen Beitrag im Museumsjournal Nr. III des Jahres 1998, herausgegeben vom Museumspädagogischen Dienst Berlin, S. 96.

2 Vgl. Roth Ralf, Das Jahrhundert der Eisenbahn. Die Herrschaft über Raum und Zeit 1800-1914, Ostfildern 2005, S. 114.; Ohlsen, Manfred, Bethel Henry Strousberg. Eine Preußische Gründerkarriere, Berlin 1987, S. 5.

3 Glagau, der durch den Gründerkrach selbst viel Geld verlor, kehrte sich nach diesem vom Liberalismus ab, den er als eine Ursache der Wirtschaftskrise verantwortlich machte. Nach seiner Abkehr vom Liberalismus waren seine Schriften von einem klaren Antisemitismus gekennzeichnet; Vgl. hierzu: Glaugau, Otto, Der Börsen- und Gründungssschwindel in Deutschland, Leipzig 1877, S. 58.

4 Vgl. hierzu: Fritsche, Peter/ Wermusch, Günther, Der kalkulierte Irrtum, Die Wirtschaft 1990, S. 48, 54.; Michaelis, Herbert, Art.: Bethel Henry Strousberg, in: Schriften des Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschland (Hrsg.), Forschungen zur Judenfrage, Bd. VIII, Hamburg 1943, S. 80-130.

5 Hierbei stütze ich mich vor allem auf die Aussage von Joachim Borchart.

6 Borchart, Joachim, Der europäische Eisenbahnkönig Bethel Henry Strousberg, München 1991,S. 20; Roth Ralf, Das Jahrhundert der Eisenbahn. Die Herrschaft über Raum und Zeit 1800-1914, Osterfilden 2005, S. 115.

7 Borchart, Joachim, Der europäische Eisenbahnkönig Bethel Henry Strousberg, München 1991, S. 22.

8 Hier liegt ein weiterer Anhaltspunkt dafür, dass er sich mit seiner Familie überworfen hatte. Denn die Fam­ilie Gottheimer war durchaus der wohlhabenden Schicht angehörig und hätte die Strafe wegen Untreue für Strousberg durchaus begleichen und ihn so vor der Haft retten können. Vgl hierzu: Borchart, Joachim, Der europäische Eisenbahnkönig Bethel Henry Strousberg, München 1991, S. 24.; Hunt, Richard, The Amazing Dr. Strousberg. The European Railway King, Selbstpublikation 2009, S. 10.

9 Über den Aufenthalt in Amerika und die Gewinnung seines Vermögens ist sehr wenig Genaues bekannt. Zudem sind die wenigen Aussagen unkonkret, auch Strousberg selbst äußert sich dazu in seiner Biografie nicht. Die Biografie mit dem Titel „Dr Strousberg und sein Wirken“ beinhaltete an sich generell wenig Neues. Vielmehr ist sie ein Versuch, sich ins rechte Licht zur rücken. So schreibt er in der Dedication: „Dieses Buch widme ich den vielen Freunden, Bekannten und Collegen, die mir zwar ihr Vertrauen bewahrt, es aber unter­lassen haben, durch eine einfache Bekundung der an mir gemachten Erfahrung für mich in die Schranken zu treten.“

10 Borchart, Joachim, Der europäische Eisenbahnkönig Bethel Henry Strousberg, München 1991, S. 27-28.

11 Vor allem schrieb er gegen das Manchestertum an, jedoch ohne dabei mit den Ideen von Karl Marx zu sym­pathisieren, denn diese trafen nicht seine Vorstellungen von einem glücklichen Zusammenleben aller am Ar­beitsprozess Beteiligten. Politisch schlug sich sein Engagement später in Berlin auch bei der freikonservativen Partei nieder, für die er erst im Zollverein, später im Reichstag saß. Vgl. Hunt, Richard, The Amazing Dr. Strousberg. The European Railway King, Selbstpublikation 2009, S. 74f..

12 Das Kernproblem der englischen Versicherungen lag laut Strousberg in der Frage der Liquidität und der vor­zuhaltenden Barreserven. Strousbergs Position war, dass die Gesellschaften einen beachtlichen Teil der Einla­gen zur Investition nutzen sollten, um so das Geschäft zu erweitern und auszubauen. Vgl. Borchart, Joachim, Der europäische Eisenbahnkönig Bethel Henry Strousberg, München 1991. S. 32-33.

13 Berlin reifte seit der Wirtschaftskrise von 1856/1857 allmählich zu einer Weltstadt. Zudem war es das Zent­rum des Preußischen Königreichs. Zur Entwicklung und den Rahmenbedingungen Berlins in der Zeit Strous- bergs siehe: Mauter, Horst, Bethel Henry Strousberg- Aufstieg und Fall des „Eisenbahnkönigs“, in: Winkler, Dieter (Hrsg.), Beiträge zur Berliner Baugeschichte und Denkmalpflege, Berlin 1987, S. 82f.

14 Strousberg, Bethel, Dr. Strousberg und sein Wirken. Von ihm selbst geschildert. Mit einer Photografie und einer Eisenbahnkarte, 3. Auflage, Berlin 1876, S. 23.

15 Mauter, Horst, Bethel Henry Strousberg- Aufstieg und Fall des „Eisenbahnkönigs“, in: Winkler, Dieter (Hrsg.), Beiträge zur Berliner Baugeschichte und Denkmalpflege, VEB Verlag für Bauwesen 1987, S. 85.; Auch Richard Hunt tendiert in diese Richtung vgl. Hunt, Richard, The Amazing Dr. Strousberg. The Euro­pean Railway King, Selbstpublikation 2009, S. 21.

16 Borchart, Joachim, Der europäische Eisenbahnkönig Bethel Henry Strousberg, München 1991, S. 40.

17 Jena galt zu jener Zeit als „Doktorenschmiede“, einige Professoren benutzen die Möglichkeit der Promotion um ihr doch sehr karges Gehalt aufzubessern.

18 Ursula Koch charakterisiert die Zeitung in Ihrem Buch „Berlins Presse und Europäisches Geschehen 1871“ als die erste Personalunion von Publizistik und Unternehmer mit der Strousberg sehr gut Werbung für seine Anleihen machen und damit einen weiteren Baustein in seinem unternehmerischen Konzept legen konnte. Mit einer Auflage von 6.000 Exemplaren im Gründungsjahr und 15.000 1871 gehörte sie zudem auch zu den größeren Zeitungen in Berlin; vgl. Koch, Ursula, Berliner Presse und Europäisches Geschehen 1871 (= Ein­zelveröffentlichung der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 22), Berlin 1978, S. 115ff..

19 Dieter Ziegler nennt als den Hauptgrund die restriktiven Absichten des preußischen Handelsministeriums un ter der Leitung von August von der Heydt bis 1862; Vgl. Ziegler, Dieter, Eisenbahn und Staat im Zeitalter der Industrialisierung. Die Eisenbahnpolitik der deutschen Staaten im Vergleich (=VSWG Beiheft, 127), Stuttgart 1996, S. 157; Ralf Roth führt die Maßnahmen von Heydts noch deutlicher aus in dem er sagt, dass seit dem Re­volutionsjahr 1848 die Eisenbahngesellschaften streng kontrolliert, die Gewinne weitestgehend abgeschöpft und die Konzessionsvergabe massiv eingeschränkt wurden in dessen Folge sich eine schleichende Verstaat­lichung der Eisenbahn vollzog. Vgl. hierzu: Roth Ralf, Das Jahrhundert der Eisenbahn. Die Herrschaft über Raum und Zeit 1800-1914, Osterfilden 2005, S. 108.

20 Zu bemerken ist, dass sich diese Entwicklung auf dem Höhepunkt des Verfassungskonfliktes vollzog, bei dem König Wilhelm I. einem von Liberalen dominierten Abgeordnetenhaus gegenüber stand. Konkret ging es um die Machtaufteilung zwischen König und dem Parlament und einer Heeresreform. Der König bzw. sein Minis­terpräsident Otto von Bismarck (seit 1862) „löste“ den Konflikt dadurch, dass er eine Lücke in der damaligen preußischen Verfassung feststellte. Die Verfassung schreibe nicht vor, was bei Uneinigkeit zwischen Kabinett und Parlament passieren solle. So könne, so die Vorstellung Wilhelms, der König seinen Willen durchsetzen. Das eigentliche politische Ende erlebte der Konflikt 1866/1867 damit, dass der rechte Flügel der Liberalen eine neue Partei gründete und die Indemnitätsvorlage Bismarcks (die sein Vorgehen entschuldigte) annahmen.

21 Ziegler, Dieter. Eisenbahn und Staat im Zeitalter der Industrialisierung. Die Eisenbahnpolitik der Deutschen Staaten im Vergleich (=VSWG Beiheft, 127), Stuttgart 1996, S. 157, 160.

22 Eigentlich: „Gesetz über die Eisenbahn-Unternehmungen vom3. Novenber 1838“ einsehbar unter: http://www. umwelt-online.de/recht/eefahreut/laender/bln/eisenunt.htm zuletzt abgerufen am 20.12.2012.; Die staatliche Bürokratie, allen voran der Staatsminister Christian von Rother betrachte die Eisenbahn als gefährliche Kon­kurrenz gegenüber den gerade erst ausgebauten Chausseen, deshalb war 1838 an eine aktive Förderung der Eisenbahn vorerst nicht zu denken, vgl. Ziegler, Dieter, Eisenbahn und Staat im Zeitalter der Industrialisie­rung. Die Eisenbahnpolitik der Deutschen Staaten im Vergleich (=VSWG Beiheft, 127), Stuttgart 1996, S. 37.

23 Borchart, Joachim, Der europäische Eisenbahnkönig Bethel Henry Strousberg, München 1991, S. 48.

24 David Hansemann kritisierte seiner Zeit bereits diese restriktiven Überwachungsbestimmungen in seiner „Kritik an dem preußischen Eisenbahngesetz“, vgl. Ziegler, Dieter, Eisenbahn und Staat im Zeitalter der In­dustrialisierung. Die Eisenbahnpolitik der Deutschen Staaten im Vergleich (=VSWG Beiheft, 127), Stuttgart 1996, S. 39; Borchert Strousberg, S. 48)

25 Wenn man Aktien „unterpari“ ausgibt, zahlt ein Käufer dieser Aktien weniger für diese als auf der Aktie vermerkt. Diese Maßnahme sollte Spekulation auf die Aktie so weit wie möglich vermeiden.

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Details

Titel
Die Biographie des Bethel Henry Strousberg und sein wirtschaftliches Wirken
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Historisches Institut)
Veranstaltung
Zwischen Fortschrittsbegeisterung und Fortschrittsskepsis: Eisenbahnbau in Deutschland 1835 bis 1873
Autor
Jahr
2013
Seiten
33
Katalognummer
V210497
ISBN (eBook)
9783656387824
ISBN (Buch)
9783656388326
Dateigröße
596 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
aufstieg, fall, eisenbahnkönigen, strousberg
Arbeit zitieren
Sebastian Scheffler (Autor:in), 2013, Die Biographie des Bethel Henry Strousberg und sein wirtschaftliches Wirken, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/210497

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