Der Antigone-Mythos. Vergleich der Tragödie von Sophokles und Rolf Hochhuths „Die Berliner Antigone“

Antike Mythen und ihre Rezeption in der europäischen Literatur des Mittelalters und der Neuzeit


Facharbeit (Schule), 2011

31 Seiten, Note: 13,00


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Präsenz des Mythos in der heutigen Zeit

2. Vorgeschichte: Fluch der Labdakiden

3. Sophokles‘ antikes Drama „Antigone“
3.1 Zusammenfassung des Inhalts
3.2 Charakterisierung der Hauptpersonen
3.2.1 Antigone
3.2.1.1 Die mutige Kämpferin
3.2.1.2 Beziehungen zu Ismene und Haimon
3.2.2 Kreon
3.2.2.1 Der herrschsüchtige Tyrann
3.2.2.2 Kreon als anerkannter Herrscher
3.3.1 Gründe für den Konflikt
3.3.1.1 Persönliche Gründe
3.3.1.2 Religiöse und gesellschaftliche Gründe
3.3.2 Folgen des Konflikts

4. Rolf Hochhuths Novelle „Die Berliner Antigone“
4.1 Zusammenfassung des Inhalts
4.2 Charakterisierung und Vergleich der Hauptpersonen
4.2.1 Anne
4.2.2 Generalrichter und Hitler in der Person der Obrigkeit

5. Historischer, politischer und sozialer Rahmen
5.1 Antike
5.1.1 Angaben zu Sophokles
5.1.2 Das Verhältnis zwischen Bürger und Staat
5.2.1 Angaben zu Hochhuth
5.2.2 Kritik am Regime im Dritten Reich

6. Antigone als Symbol der Revolution

7. Antigone – eine zeitlose Thematik

8. Literaturverzeichnis

9. Anhang

1. Präsenz des Mythos in der heutigen Zeit

Jeder kennt sie, die alten Geschichten der Götter und Heroen aus der Antike. Jeder kennt Charaktere wie den starken Herkules und die schöne Helena. Doch was ist der Grund dafür, dass uns diese Figuren auch heute noch im Fernsehen oder in der Literatur begegnen? Die Basis dafür schaffen die alten Mythen aus dem klassischen Altertum, die sich mit existenziellen Fragen des Lebens auseinandersetzen. Hierbei werden Werte wie Schuld, Rache oder Sühne verpackt in Geschichten, die den Menschen berühren, vermittelt[1]. Da diese ethischen und moralischen Vorstellungen der Grundstock jeder Gesellschaft sind, lässt sich sagen, dass die Menschen „mit Mythen […] ihre Kultur erschaffen“ haben[2].

Der österreichische Schriftsteller und Kulturphilosoph Egon Friedell schreibt in einem seiner Bücher: „Unsere Mythologie lesen wir täglich dreimal in der Zeitung“[3]. Damit spielt er auf die Präsenz der Themen der Mythologie in der heutigen Zeit an. In meiner Arbeit werde ich diese Präsenz mittels der Tragödie „Antigone“ von Sophokles an deren Rezeption „Die Berliner Antigone“ von Rolf Hochhuth darstellen. Beide Werke handeln von einer jungen Frau, die im Verstoß gegen das Rechtssystem der jeweiligen Zeit, ihren Bruder bestattet.

Der Vergleich der beiden Werke umfasst eine Charakterisierung der Personen, sowie eine ausführliche Darstellung des Konflikts zwischen Antigone beziehungsweise Anne und der Obrigkeit. Im Hinblick auf den historischen Rahmen der Tragödie und der Novelle werde ich die Umstände zur jeweiligen Zeit analysieren. Ziel meiner Arbeit ist es herauszufinden, welche Gründe Rolf Hochhuth dazu bewegt haben, die antike Figur der Antigone als Vorbild für seine Novelle zu nehmen.

2. Vorgeschichte: Fluch der Labdakiden

Wichtig für das Verständnis des Schicksals der Antigone, ist der Fluch, der auf ihrem Geschlecht, dem der Labdakiden[4] lastet.

Schuld an diesem Fluch ist Laios, Sohn des thebanischen Königs Labdakos, der aus Knabenliebe den Sohn des Pelops entführt. Daraufhin verflucht Pelops Laios und seine Nachkommen. Der Inhalt des Fluches ist, dass der leibliche Sohn des Laios ihn töten und seine Frau heiraten wird. Lange leben Laios und seine Gemahlin Iokaste kinderlos, da ein Seher das Schicksal durch den Fluch vorhergesehen hatte. Doch, als Iokaste trotzdem einen Jungen gebärt, geben die Eltern ihn einem Diener, damit er ihn mit durchstochenen und zusammengebundenen Füßen in das Gebirge Kithäron wirft. Auf diese Weise will Laios dem Fluch des Pelops entgehen. Der Diener jedoch hat Mitleid mit dem Jungen und überlässt ihn einem Hirten, der ihn Ödipus nennt und zu seinem König Polybos und seiner Gattin Merope bringt. Der Herrscher von Korinth zieht den Jungen wie seinen eigenen Sohn auf. Als er zu einem großen und starken Jungen heranwächst, sind seine Altersgenossen von Neid erfüllt und versuchen ihn zu kränken, indem sie ihm sagen, Polybos sei nicht sein leiblicher Vater. Als Ödipus seine Pflegeeltern nach seiner Herkunft fragt, können diese ihm keine Antwort geben, weshalb er das Orakel von Delphi aufsucht. Die Antwort des Orakels ist: „Du wirst deines eigenen Vaters Leib ermorden und deine Mutter heiraten.“ Aus Angst er wird seinen Vater Polybos, von dem er immer noch glaubt er sei sein Erzeuger, töten, kehrt er nicht nach Korinth zurück. Stattdessen macht er sich auf den Weg nach Theben, also unwissentlich in seine Heimat, um die Stadt von der Sphinx zu befreien. Dabei gerät er in einen Streit mit einem Greis und dessen Gefolge, da er den Weg nicht frei machen will. Ohne zu wissen, dass jener Greis sein Vater König Laios ist, tötet er ihn aus Jähzorn.

Angekommen in Theben stellt Ödipus sich dem Rätsel der Sphinx, die jeden verschlingt, der es nicht lösen kann. Doch Ödipus gelingt es und er bekommt als Dank den Thron von Theben, sowie die Schwester des Kreon, der nach dem Tod des Laios die Macht übernommen hatte. Somit heiratet Ödipus seine eigene Mutter Iokaste und bekommt mit ihr vier Kinder. Sie regierten zwanzig Jahre lang bis die Pest über Theben ausbricht, worauf das Orakel verkündet, dass sie erst enden würde, wenn der Mörder des Laios gefunden wäre. Verfolgt von einem schlechten Gewissen gesteht der Diener, der Ödipus als Kind aussetzten sollte, seine Tat. Aus Entsetzen über die Geschehnisse erhängt sich Iokaste; Ödipus sticht sich seine Augen aus und verlässt begleitet von seiner Tochter Antigone Theben. Die Söhne des Ödipus, Eteokles und Polyneikes, teilen sich den Thron.

Anhand der Vorgeschichte kann man bereits erkennen, dass Antigone zu ihrer Familie steht. Trotz dem furchtbaren Schicksal ihres Vaters Ödipus, begleitet sie ihn ins Exil. Ihre Brüder hingegen sind erbarmungslos und machen sich eher Gedanken um die Nachfolge in Theben als um ihren eigenen Vater[5].

3. Sophokles‘ antikes Drama „Antigone“

3.1 Zusammenfassung des Inhalts

Als sich die Brüder der Antigone, Polyneikes und Eteokles, um die Macht in Theben streiten, töten sie sich im Kampf gegenseitig. Daraufhin übernimmt Kreon, Antigones Onkel, den Thron und verhängt ein Bestattungsverbot über den Leichnam von Polyneikes, da dieser gegen sein Vaterland gezogen war. Trotz der drohenden Todesstrafe bei Missachtung des Verbotes, beschließt Antigone ihren Bruder zu bestatten, damit er in den Hades einziehen kann. Sie bittet ihre Schwester Ismene um Mithilfe. Diese jedoch zeigt sich ablehnend und will nicht gegen das Verbot des Herrschers verstoßen. Trotz Ismenes Versuch Antigone aufzuhalten, vollzieht sie die Bestattungsrituale an dem Leichnam. Dabei wird sie von einem Wächter Kreons beobachtet und erhält die Todesstrafe. Haimon, der Sohn des Kreon und gleichzeitig Antigones Verlobter, versucht seinen Vater umzustimmen, was ihm aber nicht gelingt. Antigone wird in ein unterirdisches Verließ gesperrt, wo sie verhungern soll. Als Kreon den Seher Theiresias aufsucht, prophezeit ihm dieser den Untergang seines Geschlechts, wenn er Antigone nicht befreit. Doch es ist bereits zu spät, denn Antigone begeht Selbstmord, um dem Hungertod zu entfliehen. Als Haimon dies erfährt, begeht er ebenfalls Selbstmord. Erschüttert über den Verlust ihres Sohnes nimmt sich auch noch Eurydike, die Frau Kreons, das Leben.

3.2 Charakterisierung der Hauptpersonen

3.2.1 Antigone

3.2.1.1 Die mutige Kämpferin

Wie bereits erwähnt, ist die Tochter des Ödipus das einzige der Kinder, das ihren Vater nicht im Stich lässt, sondern ihm in die Verbannung folgt. Daraus lässt sich schließen, dass die Antigone bei Sophokles ein sehr familienverbundener Mensch ist.

Antigone weiß genau, was sie will, und lässt sich durch nichts von ihrem Vorhaben abbringen. Selbst wenn sie dafür sterben müsse, erscheint ihr die Bestattung ihres Bruders nicht als falsch[6]. Dies zeigt eine etwas sture Charaktereigenschaft Antigones, die auf ihrer Meinung verharrt, egal was andere, wie z.B. ihre Schwester Ismene, davon halten.

Ihr Charakter wirkt jedoch nicht nur stur, sondern auch sehr mutig. Selbstbewusst stellt sie sich dem Herrscher Kreon, ohne ihre Tat zu leugnen oder zu bereuen[7]. Dass dabei Kreon der Überlegene ist, da er über ihr Schicksal entscheidet, interessiert sie nicht. Für sie stehen das Gesetz der Götter, sowie ihre Pflicht gegenüber der Familie an erster Stelle.

Sie ist eine starke Persönlichkeit, die fest nach ihrem Glauben agiert, der für sie wichtiger ist, als das menschliche Gesetz. Sophokles verkörpert mit Antigone eine junge, kühne Kämpferin, die sich von niemandem etwas sagen lässt.

3.2.1.2 Beziehungen zu Ismene und Haimon

Bereits in der Exposition des Dramas findet ein Dialog zwischen Antigone und ihrer Schwester Ismene statt, in dem Antigone um Mithilfe bei der Betstattung des Bruders bittet. Ismene sieht sich jedoch gezwungen, der Ordnung zu gehorchen und „füg[t] [sich] der Obrigkeit“[8]. Antigone kann die Gedanken ihrer Schwester nicht nachvollziehen, akzeptiert aber Ismenes Entscheidung, die ihren Plan als „Unmögliches“[9] beschreibt. Sie macht sich dabei nicht nur Sorgen um Antigone, sondern auch um sich selbst, da sie Kreons Strafe mehr fürchtet, als die der Götter. In dem Dialog wird deutlich, dass Ismene im Gegensatz zu ihrer selbstbewussten Schwester eher eine schüchterne und ängstliche Person ist, die sich nicht auflehnen will.

Durch die gegensätzliche Meinung ihrer Schwester wird bereits der erste Konflikt dargestellt, mit dem Antigone zu kämpfen hat.

Im Gegenteil zu Ismene, steht Antigones Verlobter Haimon auf ihrer Seite. Da sich beide im Drama nicht begegnen, lässt sich wenig über die Beziehung zwischen Antigone und Haimon sagen. Das wichtigste jedoch ist, dass Haimon, als Sohn Kreons, versucht, Antigone vor dem Tod zu bewahren und dafür einen Konflikt mit seinem Vater riskiert. Auf den Vater-Sohn-Konflikt wird im Kapitel 3.3.2 näher eingegangen.

3.2.2 Kreon

3.2.2.1 Der herrschsüchtige Tyrann

Nachdem sich Antigones Brüder gegenseitig ermordet hatten, wird Kreon Nachfolger auf dem Thron Thebens, da er der Bruder der Königin Iokaste ist und somit auch Antigones Onkel[10]. Kreon sieht sich verantwortlich für den Staat, was dieses Zitat sehr gut zur Geltung bringt:

„Und niemals wähle ich den Feind der Stadt

Zu meinem Freunde, weil ich weiß: Sie ist’s,

Die uns erhält, und steuern wir mit ihr

Auf rechter Bahn, gewinnen wir uns Freunde.“[11]

Aus diesem Gedanken heraus erlässt er das Bestattungsverbot über Polyneikes, den er als „Feind der Stadt“ ² sieht. Infolgedessen merkt man deutlich, dass Kreon seine Stellung als Machtinhaber sehr ernst nimmt. Er beurteilt die Menschen danach, ob sie ihrem Vaterland treu sind und es an oberste Stelle stellen[12].

Als der Seher Theresias, auf dessen Weisheiten Kreon bis dato immer verlassen hat, versucht ihm die Augen zu öffnen und ihn dazu bringen möchte, den Leichnam des Polyneikes bestatten zu lassen, ist zu erkennen, dass Kreon bereits von seiner Hybris[13] eingenommen ist. Aus diesem Grund denkt er, dass der Seher lügt und gleichsam den anderen „wie die Schützen […] nach [seinem] Haupt [ziehlt]“[14]. Damit macht Kreon klar, dass er der Meinung ist, er mache keine Fehler, aber seine Umgebung würde es auf ihn abgesehen haben. Aufgrund seiner Ate[15] hört er nicht einmal auf seinen vertrauten Seher. Er ist völlig in seiner Meinung, der Verräter dürfe nicht bestattet werden, gefangen und lässt trotz der Warnung nicht davon ab. Somit wird Kreon als herrschsüchtiger Tyrann dargestellt, der sich zuerst wie Antigone nicht von seiner Haltung abbringen lässt.

[...]


[1] vgl. Jekosch, Angela: Was ist ein Mythos?. http://www.die-goetter.de/was-ist-ein-mythos.aufgerufen am 31.10.2010.

[2] ebd.

[3] Friedell, Egon: Das Altertum war nicht antik und andere Bemerkungen. hg. v. Schneider, Walter. Wien 1950, S. 160.

[4] vgl. Abb. 1: Stammbaum der Labdakiden, S. 30.

[5] vgl. Hayo, Martin/Walther, Lutz (Hrsg.): Mythos Antigone. Texte von Sophokles bis Hochhuth. Leipzig 2004, S. 11-15.

[6] vgl. Sophokles: Antigone. Stuttgart 2000, S. 7.

[7] vgl. ebd., S. 22.

[8] Sophokles: Antigone. Stuttgart 2000, S.7.

[9] ebd., S.8.

[10] vgl. Teurich, Werner: Antigone. Ein Mythos und seine Bearbeitungen. Königs Erläuterungen Spezial. Hollfeld 2009, S. 16.

[11] Sophokles: Antigone. Stuttgart 2000, S. 12.

[12] vgl. ebd.

[13] Hybris (griech.) : Selbstüberschätzung.

[14] Sophokles: Antigone. Stuttgart 2000, S. 45f.

[15] Ate (griech.): Verblendung.

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Der Antigone-Mythos. Vergleich der Tragödie von Sophokles und Rolf Hochhuths „Die Berliner Antigone“
Untertitel
Antike Mythen und ihre Rezeption in der europäischen Literatur des Mittelalters und der Neuzeit
Note
13,00
Autor
Jahr
2011
Seiten
31
Katalognummer
V210317
ISBN (eBook)
9783656407751
ISBN (Buch)
9783656408321
Dateigröße
935 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Antigone, Die Berliner Antigone, Hochhuth, Vergleich, Mythologie
Arbeit zitieren
Julia Peidli (Autor:in), 2011, Der Antigone-Mythos. Vergleich der Tragödie von Sophokles und Rolf Hochhuths „Die Berliner Antigone“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/210317

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