Leseprobe
Inhalt
Einleitung
1 Das Trauma
1.1 Definition &Information
1.2 Praxisbezug
2 Verarbeitungsstrategien
2.1 Die „Zange“
2.2 Speicherung im Gehirn
2.3 Praxisbezug
3 Folgen
3.1 posttraumatische Belastungsstörung
3.2 Persönlichkeitsspaltung
3.3 Praxisbezug
4 professionelle Beziehungsarbeit
4.1 Übertragung und Gegenübertragung
4.2 Intervention
4.3 Praxisbezug
Fazit
Einleitung
Traumapädagogik war nicht Bestandteil meiner Erzieherausbildung und fand auch in Fortbildungsangeboten keinen Einzug in mein pädagogisches Wissen. Erst durch das Studium habe ich auf der Fachtagung „Veränderte Kindheit“ einen Einblick in die Thematik bekommen, und war gelinde gesagt überrascht, dass die Thematik nicht von vorneherein zumindest ansatzweise in der Erzieherausbildung vermittelt wird.
In diesem Reflexionsbericht fasse ich den Vortrag von Wolfgang Kühnen in Einzelkapiteln zusammen und stelle nach jedem Kapitel den Bezug zu meinem Beruf her, um darauf hinzuweisen, wie grundlegend diese Thematik in der Kindheitspädagogik ist.
1 Das Trauma
1.1 Definition & Information
Definition nach DSM IV bzw. V und ICD-10:
„Die Konfrontation mit einem belastenden Ereignis oder einer Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophalen Ausmaßes kurz oder langanhaltend, welches den tatsächlichen oder drohenden Tod oder eine ernsthafte Verletzung oder Gefahr der körperlichen Unversehrtheit derjenigen Person oder anderer Personen beinhaltet, begleitet von Gefühlen intensiver Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen.“
Traumatisierungen werden oft nicht erkannt, weil die Symptome von sehr früh und komplex traumatisierten Kindern missverstanden werden, zum Beispiel: eine traumabedingte Überregung und Unruhe als ADHS, traumabedingte Bindung als vertrauensvolles Verhältnis.
Der Grad einer Traumatisierung ist abhängig von drei Faktoren:
1. Biographischer Zeitpunkt:
früh(st)e Kindheit (vorsprachlich) - Kindheit - Erwachsenenalter
2. Zeitliche Dauer / Häufung:
einmaliges Erlebnis (Unfall, OP) - anhaltendes Ereignis (Krieg, emotionale Vernachlässigung)
3. Intensität: bestimmt durch 1. und 2., oder: schicksalhaftes Ereignis (Naturkatastrophe), technischer Unfall (Spiel, Haushalt), durch Menschen hinzugefügt: Misshandlung und Missbrauch
Entscheidend ist außerdem immer das Verhältnis zwischen der Person und der Situation: Es treffen überfordernde Umstände in der Situation auf mangelnde Bewältigungskompetenzen der Person, die jeweils so individuell sind, wie die Personen selbst. Beispiel: das dreijährige Kind verliert die Hand seiner Mutter in einem großen Einkaufscenter und kann ein Trauma erleiden. Das Sechsjährige Kind hingegen weiß sich zu helfen und ruft nach Hilfe.
Natürlicherweise verfügt der Mensch bei Bedrohung über ein evolutionsbiologisches „Repertoire“ an Lösungsmöglichkeiten - Überbleibsel aus einer Zeit fast ständiger Lebensbedrohung im Wildnis-Leben der Menschen. Diese instinktiven Reaktionen sind Kampf oder Flucht, Täuschung oder Totstellen.
Bei einer Traumatisierung greift keins dieser vier Lösungs-Muster. Der Zustand maximaler physischer und emotionaler Erregung verbunden mit Gefühlen maximaler Hilflosigkeit und schutzlosem Ausgeliefertsein lähmt den Betroffenen und verlangt letztlich nach einer Ersatz-Lösung.
1.2 Praxisbezug
„Hilf mir, es selbst zu tun“ - dieser Satz bewegte mich unmittelbar nach dem Vortrag von Herrn Kühnen. Die Hilfe zur Selbsthilfe, wie sie besonders Maria Montessori formuliert, übertrage ich gedanklich auf die Traumapädagogik: Was, wenn viele Traumata vermieden werden könnten, wenn die Kinder sich zu helfen wüssten? Was, wenn viele Traumata „hausgemacht“ sind - weil Kinder in einer über- oder unterfordernden Umgebung aufwachsen und dadurch keine situationsangemessenen Handlungskompetenzen erlernen können?
Ich glaube, dass unser moderner, beschleunigter Alltag einige Gefahrenmomente mit wirklich hohem Überforderungspotential mit sich bringt (zum Beispiel: der Gang in den großen Supermarkt mit einem Zweijährigen), und umso mehr ist es meine Aufgabe, im Kindergarten eine gefahrenfreie, ruhige und harmonische Umgebung zu schaffen - räumlich und zeitlich, inhaltlich und methodisch, individuell und gruppenbezogen. Gefahrenfrei heißt nicht: frei von Herausforderungen.
Trotz aller entwicklungspsychologischen Erkenntnisse bleibt ein Teil Nicht-Wissen: Ich weiß nicht mit absoluter Gewissheit, wie ein Kind eine Situation erlebt und innerlich verarbeitet. Ich kann es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einschätzen, eben aufgrund meiner Wahrnehmung, meines Wissens und meiner Bewertung. Hier behutsam anzusetzen, in der Elternarbeit, Beratung und Begleitung, finde ich wichtig und wertvoll.
Das Wissen um das Verhältnis von Situation und Erleben hat mir persönlich nochmal Klarheit verschafft, Individualität höher zu „bewerten“, als allgemeingültige Maßstäbe. Was für den einen Vierjährigen traumatisch sein kann, ist für den anderen ein spannendes Abenteuer.
2 Verarbeitungsstrategien
2.1 Die „Zange“
Nach Hubner & Weinberg startet als Ersatzlösung in dieser Vernichtungsandrohung, die im traumatischen Ereignis für den Betreffenden ganz real ist, ein hirnphysiologisches Notfallprogramm, die sogenannte Zange: Freeze (Erstarrung/Lähmung) plus Fragment (Zersplitterung/Spaltung). Beides geschieht gleichzeitig im folgenden Ablauf:
1. mentale Zersplitterung des Traumaereignisses in kleine, ungefährliche Partikel (getrennt nach Sinneseindrücken), die später nicht mehr zusammenhängend wahrgenommen werden können (Aufteilung in verschiedene Hirnareale). Sehr hoher Stress löst messbare Zersetzung der Gehirnmasse aus.
2. Emotionales Einfrieren: innere Distanzierung und Entfremdung vom Geschehen begleitet durch die Ausschüttung schmerzbetäubender Endorphine („Mir passiert das jetzt nicht wirklich.“)
3. Das Trauma-Erleben bleibt im Körpergedächtnis gespeichert, ist aber als Ereignis nicht mehr ganzheitlich bzw. bewusst erinnerbar. Das zeigt sich beispielsweise in einer völligen Überreaktion bei Berührung einer Körperstelle, oder eines anderen Sinnesreizes (Farbe, Geruch, Material, Konsistenz etc.)
Diese Zange sichert das Überleben des Körpers, kostet aber die Aufgabe bestimmter psychischer Funktionen wie beispielsweise die des Erinnerns, oder auch die Kontrollfähigkeit und damit die Selbstregulation.
2.2 Speicherung im Gehirn
Wie bereits erwähnt, wir das Trauma-Ereignis dissoziativ gespeichert, das heißt, alle Sinnesreize werden in völlig unterschiedlichen Gehirnregionen gespeichert und dort „eingemauert“ und von den Empfindungen getrennt. Diese Trennung ist überlebensnotwendig, denn kämen die Reize und Empfindungen wieder zusammen, würde das Trauma erneut durchlebt werden (müssen) und das Notfallprogramm müsste erneut gestartet werden.
Die Bearbeitung und Bewertung von Sinnesreizen und der emotionalen Wahrnehmung hingegen geschieht in der Amygdala (Mandelkern): Die Reize und Wahrnehmungen werden bewertet und diese Bewertung an den Organismus weitergegeben.
Hier werden Angst- und Bedrohungsreize gespeichert - und zwar jenseits von Sprache, Logik und Bewusstsein und auch jenseits zeitlicher und biografischer Einordnung, also mit lebenslanger Gültigkeit.
Das bedeutet letztlich: man muss mit traumatischen Erfahrungen leben lernen.
2.3 Praxisbezug
In meinem ersten Berufsjahr nach meinem Anerkennungsjahr startete ich in meine Gruppe mit 13 Kindern und einer Vorpraktikantin. Eins meiner neuen dreijährigen Kinder hatte monatelang morgens lange Schrei-Anfälle - obwohl er mich, die Räumlichkeiten und die Trennung von den Eltern schon vorher kannte. Ich war ratlos, die Eltern und meine Kolleginnen auch. Was mir nach einiger Zeit auffiel, war, dass er sich durchaus auch recht schnell beruhigen konnte - immer dann, wenn es insgesamt ruhig im Raum war, und die Kinder nicht im Freispiel „polterten“.
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- Arbeit zitieren
- Lisa Georg (Autor:in), 2012, Überlebensstrategien traumatisierter Kinder, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/210163
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