Das „Türkische“ in W.A. Mozarts „Entführung aus dem Serail“


Hausarbeit (Hauptseminar), 2012

22 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1.) Einleitung
1.1) Einführung:
1.2) Der Wandel des „Türkenbildes“:

2.) „Die Entführung aus dem Serail“
2.1) Handlung:
2.2) Die „türkische“ Musik:
2.3) Die „türkischen“ Figuren

3.) Fazit:

4.) Literatur
4.1) Sekundärliteratur:
4.2) Quellen:

1.) Einleitung

1.1) Einführung:

„das Sujet ist türkisch und heist; Bellmont und konstanze. oder die verführung aus dem Serail. – die Sinfonie, den Chor im ersten ackt, und den schluß Chor werde ich mit türckischer Musick machen.“ (W.A. Mozart, 1781)[1]

Dies schrieb Wolfgang Amadeus Mozart in einem Brief an seinen Vater im August 1781 über sein populäres Singspiel „Die Entführung aus dem Serail“. Es wurde im Jahre 1782 in Wien uraufgeführt und gilt in der Wissenschaft als typisches Beispiel für eine „Türkenoper“.[2]

Auf den ersten Blick mag es ungewöhnlich erscheinen, dass ausgerechnet ein türkisches Sujet den inhaltlichen Rahmen für ein deutsches Singspiel darstellt. Tatsächlich war es jedoch zu Mozarts Lebzeiten nichts Außergewöhnliches, dass „exotische“ Elemente Eingang in die zeitgenössischen Künste fanden.[3]

Es stellt sich die Frage, welchen Zugang zur türkischen Kultur der Komponist besaß. Welche Möglichkeiten des Erlebens orientalischer Musik waren ihm gegeben und wie erlebte er wohl das „Türkische“[4] in seiner Zeit, das er schließlich in seiner Oper musikalisch und inhaltlich umsetzte?

Vermutlich konnte sich auch ein Wolfgang Amadeus Mozart nicht von den europäischen Traditionen der Wahrnehmung des „Türken“ freimachen, deshalb ist es zur näheren Untersuchung der Oper unumgänglich, sich zunächst einen Überblick über den Wandel des „Türkenbildes“ bis zu Mozarts Zeit zu verschaffen.

Anschließend wird der Fokus auf den hauptsächlichen Untersuchungsgegenstand der Arbeit, die Oper „Die Entführung aus dem Serail“[5], unter besonderer Berücksichtigung des türkischen Sujets, gelegt. Dabei werden nach einer kurzen Zusammenfassung der Handlung zunächst ausgewählte Nummern in Hinblick auf Mozarts Verständnis „türckischer Musick“ näher betrachtet, insbesondere die Ouvertüre und der Chor der Janitscharen. Das Hauptaugenmerk der Untersuchung soll jedoch auf zwei Figuren der Oper liegen: dem Haremswächter Osmin und dem Bassa Selim. Diese konträr agierenden Charaktere spiegeln zwei ebenso verschiedene Perspektiven der europäischen Wahrnehmung des „Türken“ wider. Dieser Aspekt soll anhand einer genaueren Untersuchung des Wirkens und der Darstellung beider Figuren in der „Entführung“ dargestellt werden. Die Ergebnisse der Betrachtungen hinsichtlich des vermittelten „Türkenbildes“ werden dabei in Bezug zum zeitgeschichtlichen Kontext gesetzt.

Abschließend folgen einige zusammenfassende und weiterführende Gedanken über die vorherigen Untersuchungen.

1.2) Der Wandel des „Türkenbildes“:

Zu Mozarts Lebzeiten war das „Türkische“ ein regelrechter Trend in Wien und ganz Europa. Die „Turquerien“ erreichten selbst den kaiserlichen Hof: Maria Theresia ließ sich im Jahre 1745 mit ihrer Tochter Anna Maria in türkischen Gewändern auf der Leinwand für die Nachwelt portraitieren. Auch für den gemeinen Bürger, insbesondere die obere Schicht, bot das Exotische die Möglichkeit, eigenen Phantasien und Sehnsüchten Raum zu geben – man kleidete sich „türkisch“, kaufte „türkisches“ Porzellan und unterhielt sich mit den Spielen der „Fremden“.[6]

Diese Freude an den Traditionen der „Anderen“ war historisch betrachtet jedoch eine recht junge Entwicklung: Noch bis zum Ende des vorangegangenen 17. Jahrhunderts galt das Osmanische Reich als eine furchteinflößende militärische Bedrohung. Seit dem Jahre 1453, in dem die Osmanen Konstantinopel erobert hatten, verbreitete sich die Angst vor den „barbarischen Türken“ in ganz Europa. Dieses negative Bild manifestierte sich durch weitere Ereignisse, die von der Kriegsgefährlichkeit der Osmanen zeugten, zum Beispiel der Krieg um Ungarn 1526-41 oder die erste Eroberung Wiens 1529. Die Expansion des muslimischen Osmanischen Reiches galt bald als eine Gefahr, die nicht nur das geographische Europa, sondern die gesamte lateinische Christenheit bedrohte. Mit der Zeit formte sich ein Stereotyp des „grausamen Osmanen“. Ein bedeutender Aspekt für die räumliche Ausweitung dieses „Türkenbildes“ war die Verbreitung der Buchdrucktechnik in dieser Zeit: Auf diesem Wege konnte die „Türkenfurcht“ auch über die Grenzgebiete hinaus getragen werden, beispielweise durch Druckschriften, die angebliche Kriegstaten der Osmanen anschaulich schilderten. Diese Berichte beruhten zumeist auf Erfahrungen von Gesandtschaftsangehörigen oder ehemaligen Gefangenen. Ihr Wahrheitsgehalt ist allerdings zweifelhaft, da in ihnen vermutlich zahlreiche stereotypische Schilderungen und Topoi mit der historischen Realität verschmolzen und das Bild des mordenden, barbarischen Türken zeichneten. Darüber hinaus waren auch apokalyptische Motive in den Schriften zu finden, die das territoriale Vorrücken der Osmanen als Zeichen des baldigen Endes der Welt deuteten. Auch die geistliche Welt fühlte sich veranlasst, zum Kampf gegen den neuen „Erbfeind der Christenheit“ aufzurufen. So hielt Kardinal Enea Silvio Piccolomini, der spätere Papst Pius II., im Jahre 1454 eine Türkenkriegsrede, die nachfolgend auch in schriftlicher Form verbreitet wurde.[7]

In der Wissenschaft wird dieses Phänomen der „Türkenfurcht“ oftmals als charakteristisches Indiz für die Praxis der Selbstwahrnehmung des neuzeitlichen Europas gewertet. So stellt Joachim Eibach die These auf, dass die „Geschichte der Selbstwahrnehmung Europas [...] eine Geschichte der Wahrnehmung „des Anderen““[8] sei. Das von jeher starke Interesse am Fremden schärfe das eigene Selbstbild im „Angesicht des Anderen“ durch konträre Gegenüberstellungen wie zum Beispiel „zivilisiert“ und „wild“ oder „rückständig“ versus „fortschrittlich“. Die „Türkengefahr“ und das Streben nach ihrer Bekämpfung seien somit einheitsfördernd für das Europa dieser Zeit gewesen.[9]

Erst das 17. Jahrhundert brachte einen Wechsel der Wahrnehmung der Osmanen: Seit dem Türkenkrieg im Jahre 1663/64 nahmen die Misserfolge des Osmanischen Heeres zu; insbesondere die Niederlage 1683 vor Wien ließ die Angst vor der türkischen Expansion zurückgehen. Die „Türkenfurcht“ wich dem „Türkenspott“. Nun, da die Bedrohung nicht mehr unmittelbar zu sein schien, war auch eine objektivere Sicht auf die Feinde möglich. Die Wissenschaft beschäftigte sich zunehmend mit der fremden Kultur des Orients. Dabei begannen insbesondere die Tendenzen der Aufklärung sich positiv auf die Annäherung an das „Türkische“ auszuwirken. Es zeichneten sich zwei Wahrnehmungsformen des „Türken“ ab: Insbesondere die höher gebildete Oberschicht fand Gefallen an den exotischen Traditionen; in den elitären Kreisen verbreitete sich eine regelrechte Orientbegeisterung. Auf der anderen Seite wurde der Vorwurf des „Despotismus“ als Organisationsform des Osmanischen Reiches laut, die Fortschritt und Weiterentwicklung verhindere. Der unwissende, barbarische Muslim fungierte als Gegenbild zum aufgeklärten, zivilisierten Europäer.[10]

Die Geburt des Komponisten Wolfgang Amadeus Mozart am 27. Januar 1756 fällt in die Epoche der Kaiserin Maria Theresia (1740-1780). Ihre Regierungsjahre waren hinsichtlich der Beziehungen zum Osmanischen Reich geprägt von Bemühungen um eine friedliche Verständigung mit dem ehemaligen Feind. 24 Jahre seines nur 35-jährigen Lebens verbrachte Mozart unter ihrer Herrschaft; eine Tatsache, die ihn möglicherweise beeinflusste, als er später seine Oper „Die Entführung aus dem Serail“ komponierte.[11]

Kaiserin Maria Theresia an einen Gesandten:

„Die Versöhnung der beiden Länder hat eine grosse Freude hervorgerufen. Als Gesandter sind auch Sie unser Freund. Ich wünsche Sie mögen bei gegebener Gelegenheit den Weg der Vermittlung der beiderseitigen geistigen Annäherung und zur Bekräftigung der Freundschaft finden können.“[12]

Es ist wahrscheinlich, dass Mozart einige der zahlreichen Gesandtschaften in dieser Zeit, die oftmals als prachtvolle Medienereignisse zelebriert wurden, in Wien oder Salzburg miterlebte. Diese öffentlichen Spektakel boten ihm vermutlich auch die Gelegenheit, türkische Musik zu erleben, da es üblich war, dass ein Janitscharenensemble den Festzug begleitete.[13]

[...]


[1] Mozart, Wolfgang Amadeus: Mozart: Briefe und Aufzeichnungen Band III 1780-1786, hrsg. von der Internationalen Stiftung Mozarteum Salzburg. Gesammelt und erläutert von Bauer, Wilhelm A. und Deutsch, Otto Erich, S. 143.

[2] z.B. Csampai, Attila und Holland, Dietmar: Die Entführung aus dem Serail: Texte, Materialien, Kommentare, Hamburg 1983, S. 10f..

[3] Siehe dazu: S. 5ff.

[4] Begrifflichkeiten wie das „Türkische“, der „Türke“, das „Exotische“ und Ähnliches werden in dieser Arbeit teilweise in Anführungszeichen gesetzt. Dies soll im jeweiligen Fall verdeutlichen, dass es sich nicht unbedingt um einen realistisch gefüllten Begriff, sondern in erster Linie um vorurteilsgeprägte Schlagwörter der damaligen Zeit handelt.

[5] Hier verwendete Aufnahme: Mozart, Wolfgang Amadeus: Die Entführung aus dem Serail, mit: Reichmann, Wolfgang; Kenny, Yvonne [u.a.]; Chor des Opernhauses Zürich, Mozartorchester des Opernhauses Zürich, Nikolaus Harnoncourt.
Notentext: Mozart, Wolfgang Amadeus: Die Entführung aus dem Serail, KV 384. Text von Christoph Friedrich Bretzner, bearbeitet von Johann Gottlieb Stephanie d.J., Klavierauszug nach dem Urtext der neuen Mozart-Ausgabe, Kassel [u.a.] 2007.

[6] Abschnitt nach: Eibach, Joachim: Annäherung – Abgrenzung – Exotisierung: Typen der Wahrnehmung „des Anderen“ in Europa am Beispiel der Türken, Chinas und der Schweiz (16. bis frühes 19. Jahrhundert), S. 36ff, in: Europäische Wahrnehmungen 1650-1850: interkulturelle Kommunikation und Medienereignisse, hrsg. von Eibach, Joachim und Carl, Horst, Hannover 2008.

[7] Abschnitt nach: Konrad, Felix: Von der „Türkengefahr“ zu Exotismus und Orientalismus: Der Islam als Antithese Europas (1453-1914)?, in: Europäische Geschichte Online (EGO), hrsg. vom Institut für Europäische Geschichte (IEG), Mainz 2010, S. 5ff. URL: http://www.ieg-ego.eu/konradf-2010-de

Konrad beschreibt in seinem Artikel weitergehend, dass die “Türkenfurcht“ von Kirche und Staat gezielt instrumentalisiert wurde, um die politische Ordnung zu stabilisieren und nach den Vorstellungen der Obersten umzusetzen.

[8] Eibach 2008, S. 13.

[9] Ebd. S. 13ff.

[10] Abschnitt nach: Konrad 2010, S.18ff.

[11] Altar, Cevad Memduh: Wolfgang Amadeus Mozart im Lichte osmanisch-österreichischer Beziehungen, in: Revue Belge de Musicologie, Bd. 10, Brüssel 1956, S. 144f..

[12] Ebd. S. 144.

[13] Nach: Reinhard, Kurt: Mozarts Rezeption türkischer Musik, S. 518f., in: Bericht über den Internationalen Musikwissenschaftlichen Kongress Berlin 1974, hrsg. von Kühn, Hellmut und Nitsche, Peter, Kassel 1980.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Das „Türkische“ in W.A. Mozarts „Entführung aus dem Serail“
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Geschichtswissenschaft)
Note
1,0
Autor
Jahr
2012
Seiten
22
Katalognummer
V209839
ISBN (eBook)
9783656377580
ISBN (Buch)
9783656379287
Dateigröße
606 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
türkische, mozarts, entführung, serail
Arbeit zitieren
Henriette Schwarz (Autor:in), 2012, Das „Türkische“ in W.A. Mozarts „Entführung aus dem Serail“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/209839

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