Globalisierung und Nationalkulturen - Argumente gegen deren Verwestlichung


Diplomarbeit, 2002

99 Seiten, Note: Sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1: Einleitung
1.1: Konvergenz – Divergenztheorie
1.2: Darstellung der Forschungsfrage
1.3: Aufbau der Arbeit
1.4: Ganzheitlicher Ansatz

2: Globalisierung
2.1: Einleitung und Definition von Globalisierung
2.2: Dimensionen der Globalisierung
2.2.1: Ökonomische Dimension
2.2.1.1: Neoliberalismus
2.2.1.2: Globalismus
2.2.2: Soziale Dimension
2.2.3: Technologische Dimension
2.2.4: Politische Dimension
2.2.5: Kulturelle Dimension
2.2.6: Ökologische Dimension
2.3: Resümee

3: Kultur und Nationalkultur
3.1: Einleitung
3.2: Kulturkonzept nach Keller und Definition von Kultur
3.3: Nationalkultur und Kritik am Nationalkulturkonzept
3.4: Sozialisation der Kultur
3.4.1: Definition der Sozialisation und Formen der Sozialisationen
3.4.2: Enkulturisation und Sozialisation von Kultur nach Keller
3.4.3: Kultur als mentale Programmierung
3.4.4: Kultur als Orientierungssystem
3.5: Konzept der universalen Kultur
3.6: Konzept der Davos-Kultur
3.7: Endogen gewachsene Wirtschaftsstrukturen als Ausprägung von Kultur
3.8: Resümee

4:Verwestlichung
4.1: Einleitung
4.2: Merkmale des Westens
4.3: Definition der Verwestlichung
4.4: Begriffsbestimmung der Modernisierung
4.5: Abgrenzungsmodell nach Huntington
4.6: Resümee aus dem Abgrenzungsmodell

5: Nichtverwestlichung von Nationalkulturen durch die Globalisierung
5.1: Einleitung
5.2: Statische und dynamische Aspekte von Kultur
5.2.1: Sozialisationsbedingte Beharrungsvermögen von Kultur
5.2.2: Dynamische Komponenten von Kultur
5.2.3: Kulturell bedingte Trägheit von endogenen geprägten Wirtschaftsstrukturen
5.3: Universale Kultur als Oberflächenerscheinung
5.3.1: Gegenargumente zur Theorie des Entstehens einer universalen Kultur
5.3.2: Davos-Kultur als weltweite Subkultur der Eliten
5.3.3: Das Entstehen von Universalkultur als ethnozentristische Sichtweise
5.4: Durch die Globalisierung bedingtes Entstehen von kultureller Diversität
5.5: Kreolisierung
5.5.1: Einleitung und Begriffsbestimmung
5.5.2: Nichtmachbarkeit von Kultur
5.5.3: Reziprozität von Kultur
5.5.4: Herausbildung von transkulturellen Gruppen
5.5.5: Herausbildung eines übergeordneten, globalen Referenzsystems
5.6: Resümee

6: Schlusswort und Darstellung der zentralen Aussagen

7: Literaturverzeichnis

„Unterschiede aus der Vergangenheit prägen auch die Zukunft; ein homo globalis ist nicht in Sicht.“ (Böttcher S.: Kulturelle Unterschiede, S. 7 1999)

1: Einleitung

1.1: Konvergenz – Divergenztheorie

In der Literatur gibt es einige Ansätze, die sich mit kulturellen Aspekten der Globalisierung auseinandersetzen. Zusammengefasst können diese Ansätze auf zwei wesentliche reduziert werden: Konvergenztheorie und Divergenztheorie.

Bei der Konvergenztheorie lassen sich die Argumente ihrer Vertreter dahingehend zusammenfassen, dass infolge der Globalisierung ganze Gesellschaftssysteme und Nationalkulturen dazu tendieren, sich einander anzugleichen. Die nationalen und regionalen Unterschiede und Vorlieben würden sich demnach einander anpassen und die Bearbeitung der Märkte wäre überall gleich. Die wesentliche Aussage der Konvergenztheorie ist die stets fortschreitende Annäherung unterschiedlicher Kulturkreise auf Grund technischer und wirtschaftlicher Entwicklung, wodurch auch kulturelle Differenzen allmählich verschwinden. Kulturelle Aspekte haben gemäß der Konvergenztheorie einen weit geringeren Einfluss auf die Entwicklung als ökonomische oder technische Aspekte.

Theodore Levitt kann als einer der Hauptvertreter der Konvergenztheorie angesehen werden. Mit seinem Werk „The globalization of markets“ (Vgl. Levitt Th.: general drifts towards the homogenization of the worlds. S. 93 1983) versucht er aufzuzeigen, wie die zunehmende, gleichartige Nachfrage bei Konsumgütern auch zu einer immer größer werdenden Annäherung von Kulturen führt. Er geht hierbei, wie viele andere Autoren auch, vom Primat der Ökonomie und Technologie aus, welche alle anderen Variablen der Globalisierung beeinflussen. Ökonomische Aspekte der Globalisierung werden 1:1 auf kulturelle Aspekte der Globalisierung übertragen. So schreibt Theodore Levitt: „Die Produkte und Methoden unserer industrialisierten Welt geben den Ton an und alle tanzen nach ihrer Pfeife. Das Verlangen nach noch größerer globaler Anpassung ist noch nicht befriedigt; der Motor ist dabei die Macht der Technologie, die unser Zeitalter entscheidend prägt. Die Unterschiede, die es noch gibt, sind rudimentäre Bestandteile unseres kulturellen Erbes, die Werte, Normen und die Institutionen selbst. Einige verschwinden im Laufe der Zeit, andere werden weltweit zum Allgemeingut.“ (Levitt Th.: Die Macht des kreativen Marketing, S. 48, Düsseldorf 1986 bzw. Levitt Th.: The globalization of markets, Harvard Business Review, S. 90 - 102 May/June 1983)

Im Gegensatz zur Konvergenztheorie geht die Divergenztheorie davon aus, dass es durch die zunehmende Globalisierung insbesondere im Bereich der Ökonomie nicht zu einer Annäherung von Kultur, bzw. von Nationalkulturen kommt. Im Gegenteil: durch den verstärkten Kontakt unterschiedlicher Kulturen kommt es zu einer Rückbesinnung auf eigene Kulturinhalte. Eine Einheitskultur ist aus Sicht der Vertreter der Divergenztheorie nicht in Sicht. Folglich führt interkultureller Kontakt zu einer Hervorhebung von kulturellen Besonderheiten und eine formale Angleichung der unterschiedlichen Kulturen oder Organisationen erfolgt nur oberflächlich.

Der Annäherung des Nachfrageverhaltens wird aus Sicht der Divergenztheorie ebenso eine klare Absage erteilt. Danach würden sich von neuen Märkten unterschiedliche Geschmäcker und Präferenzen herausbilden. Eine Standardisierung von Gütern und Dienstleistungen wäre demnach nicht möglich. Jede Tendenz in Richtung Vereinheitlichung der Nachfrage würde demnach eine Gegentendenz hervorrufen. (Vgl. Kotler Ph.: Globalization- Realities and Strategies, S. 86-87, Die Unternehmung Nr. 2, April, Bern 1990)

Wenn sich das Nachfrageverhalten wirklich so angleichen würde wie das behauptet wird, so wäre dies langfristig das Ende von profitablen Unternehmen des Wirtschaftswachstums und auch der Globalisierung. Die Märkte leben von der Vielfalt der Erscheinungen von Moden und Trends. Diese Moden und Trends werden von der kulturellen Vielfalt und den unterschiedlichen Erscheinungsformen angeregt.

1.2: Darstellung der Forschungsfrage

Diese Arbeit geht von der Annahme aus, dass es durch die Vereinheitlichung der Märkte und Lebensgewohnheiten in gewissen Bereichen nicht zu einer Verwestlichung kommt. So gesehen stützt sich die Arbeit nicht auf die Konvergenztheorie. Es mag zwar Bereiche und Dimensionen geben, wo es zu einer Annäherung von Verhaltensweisen und Lebensformen kommt. Diese sind, wie noch zu erarbeiten ist, allerdings zu oberflächlich und trivial, um auf eine in Zukunft liegende einheitliche, „verwestlichte“ Einheitskultur zu schließen. Die Vorstellung, dass Menschen in unterschiedlichen Nationalkulturen damit beschäftigt sind, nur dem „westlichen Lebensstil“ nachzueifern und ihre eigenen Werte aufgeben, erscheint angesichts nicht nachlassender Konflikte und Probleme zwischen Nationalkulturen, aber auch innerhalb einzelner Nationalkulturen, als zu banal und oberflächlich. Es ist nicht notwendig, dabei gleich ins Gegenteil zu verfallen, wie Samuel Huntington im „Kampf der Kulturen“. Demnach würden die Kulturunterschiede unüberbrückbar sein und ein Kulturkampf wäre die logische Konsequenz.

In dieser Arbeit soll gezeigt werden, dass es gegenseitige Abhängigkeiten und Beeinflussungen von Kulturen gibt. Einzelne Kulturräume und Nationalkulturen können sich im Zeitalter einer zunehmend vernetzten Welt nicht mehr voneinander abschotten. Sie sind nicht immun gegen Einwirkungen anderer Kulturen. Globalisierung im Bereich der Kultur soll demnach nicht eindimensional als Einbahnstraße verstanden werden nur im Sinne eines Kulturexportes aus dem „Westen“. Es gibt vielmehr wechselseitige Abhängigkeiten und Beeinflussungen. Der „Westen“ wird ebenso von anderen Kulturen und Nationalkulturen beeinflusst, wie auch der „Westen“ diese beeinflusst.

Anlass für diese Diplomarbeit ist die Tatsache, dass dem Faktor Kultur im wirtschaftlichen Bereich zu wenig Rechnung getragen wird. In vielen Literaturbeiträgen wird so getan, als könnte man die Variable Kultur außer Acht lassen. Die kulturelle Dimension wird als eine vernachlässigbare Residualgröße behandelt, die ohne größere Probleme gestaltbar ist. Aus diesem Grund wurde die folgende Fragestellung gewählt:

Warum führt Globalisierung nicht zur Verwestlichung von Nationalkulturen?

1.3: Aufbau der Arbeit

Im zweiten Kapitel geht es um die Globalisierung. Zunächst wird eine Definition nach Ulrich Beck gegeben. Diese Definition soll Globalisierung nicht als rein ökonomische Größe darstellen, sondern auf die verschiedenen Dimensionen der Globalisierung hinweisen.

Infolge werden die unterschiedlichen Dimensionen,- ökonomische, soziale, technologische, politische, kulturelle und ökologische Dimension- behandelt. Dabei sind die unterschiedlichen Dimensionen nicht voneinander losgelöst zu sehen, sondern es gibt Interdependenzen der einzelnen Dimensionen.

Im Kapitel 3 wird der Themenbereich der Kultur und der Nationalkultur behandelt. Hier wird von einer Definition von Eugen Keller ausgegangen. Es folgt eine Kritik mit dem Begriff der Nationalkultur. Danach folgt eine Auseinandersetzung mit dem Begriff der Sozialisation von Kultur. Dieser Beitrag soll darstellen, wie Kultur angeeignet und weitergegeben wird. Anschließend wird das von Samuel Huntington entwickelte Konzept der Davos-Kultur vorgestellt. Im darauf folgenden Kapitel folgt ein Beitrag, der sich mit dem Begriff der universalen Kultur auseinandersetzt. Im Anschluss wird auf Wirtschaftsstrukturen eingegangen, die auch ein Bestandteil und eine Ausformung von Kultur sind.

Das vierte Kapitel widmet sich dem Begriff der „Verwestlichung“. Es wird eine Definition der wichtigsten Merkmale der Verwestlichung nach Huntington gegeben. Danach folgt eine Abgrenzung der Verwestlichung von einem der „Verwestlichung“ sehr nahestehenden Begriff, der Modernisierung.

Im fünften Kapitel, dem eigentlichen Hauptteil der Arbeit, werden Antworten auf die Fragestellung der Diplomarbeit ausformuliert. Es wird hinterfragt, ob es zur Herausbildung einer universalen Kultur kommt und inwieweit die Davos-Kultur geeignet ist eine universale Kultur zu werden. Danach folgt ein Beitrag zur kulturellen Diversität. Es folgt ein Kapitel, das sich mit der Statik und Dynamik von Kultur auseinandersetzt. Darauf folgend behandelt ein Kapitel die Kreolisierungsthese. Das sechste Kapitel bringt eine Zusammenfassung und eine Darstellung der zentralen und wichtigsten Punkte der Arbeit.

1.4: Ganzheitlicher Ansatz

Es erscheint sinnvoll, an ein komplexes Problem, wie sich die Globalisierung darstellt, nicht einseitig, monokausal und unverbunden heranzugehen. Vielmehr müssen die Probleme in größeren Zusammenhängen gesehen und angegangen werden. Es gibt unterschiedliche, gegenseitige Abhängigkeiten, welche nur bei genauerer Betrachtungsweise an die Oberfläche kommen. Kausales Denken erscheint nicht immer geeignet, komplexere Probleme zu behandeln und Interdependenzen aufzudecken. (Vgl. Böttcher S.: Ostasien denkt und handelt anders: Konsequenzen für Deutschland, Berlin 1996)

Oft stehen nur quantitative Aspekte im Vordergrund. Um ein ganzheitliches Bild zu bekommen, ist es aber nicht notwendig, alle quantitativen Probleme einfließen zu lassen, sondern vielmehr auf qualitative Aspekte einzugehen. Ansonsten besteht die Gefahr, sich nur an der Oberfläche zu bewegen und nicht die wahren Problemzusammenhänge zu erkennen und so nur Scheinkorrelationen aufzudecken. Es ist eine interdisziplinäre Sichtweise notwendig. Bei dieser ist aber kein Vorgehen im „westlichen“ Sinn zielführend, da durch das „westlich“ geprägte Denken viele unterschiedliche Sichtweisen von Anfang an nicht mit in die Betrachtung einbezogen werden. Das hat auch zur Konsequenz, dass sich insbesondere der „Westen“ mit unterschiedlichen Ansätzen und Welten auseinandersetzt. Bei einer Betrachtung und einem Vergleich von unterschiedlichen Regionen ist es sinnvoll, nicht nur Gemeinsamkeiten im Visier der Betrachtung zu haben. Wenn von Differenzen und verschiedenen Betrachtungsweisen ausgegangen wird, so wird durch diese unterschiedliche Sichtweise auch die Suche nach einem besseren Dialog und einer besseren Zusammenarbeit erleichtert. Solch eine Vorgehensweise ist geeignet, mehr zu erfahren und sich nicht nur an der Oberfläche von Gemeinsamkeiten aufzuhalten.

Es gibt viele Autoren und Forschungsberichte, die im interkulturellen Vergleich immer das Gemeinsame und Verbindende im Vordergrund stehen haben. Diese Sichtweisen sollten allerdings durch Aspekte und Problemstellungen ergänzt werden, die das Unterschiedliche behandeln.Übergreifende Bestandsaufnahmen anderer Kulturen sind von Anfang an zum Scheitern verurteilt, wenn nur Teilaspekte und keine Gesamtsicht einfließt. Eine Gesamtsicht zu schaffen ist aber eine aufwändige Aufgabe und erfordert ein entsprechendes Volumen an Zusammenarbeit der unterschiedlichen Disziplinen. Es reicht hierbei nicht, die einzelnen Ergebnisse der diversen Disziplinen aneinanderzureihen, sondern es muss aus mehreren Forschungsergebnissen ein vereinigendes Ergebnis ermittelt werden.

2: Globalisierung

2.1: Einleitung und Definition von Globalisierung

Globalisierung ist zu einem Schlagwort unserer Zeit geworden und wird oft in einem sehr allgemeinen Zusammenhang verwendet. In diesen Begriff wird sehr viel hineingepackt, sodass er alles oder auch nichts zu erklären vermag. Im Rahmen der Globalisierungsdiskussion ist die ökonomische die am besten erforschte und in der Theorie behandelte Dimension. Die Behandlung der Globalisierungsproblematik erfolgt oft nur unter diesem Blickwinkel. Die restlichen Dimensionen wie Ökologie, soziale Aspekte, Kultur und Politik werden als Residualgröße oft nur peripher berücksichtigt.

Der Begriff Globalisierung ist eines der am meisten verwendeten Wörter der letzten Jahre. Kaum ein anderes Wort wird so oft verwendet, um Veränderungen in der Wirtschaft zu erklären. Die Definitionen und Auswirkungen der Globalisierung werden in diversen Publikationen aber sehr unscharf abgehandelt. Globalisierung wird oft in viel zu allgemeinem Zusammenhang als eine „catch-all-Variable“ verwendet, die versucht alles zu erklären, aber nichts zu beschreiben vermag. Tatsächlich sind sehr viel Definitionen und Versuche von Definitionen im Umlauf. (Vgl. Hübner Kurt: Der Globalisierungskomplex, S.18, Berlin, 1998)

Es werden seit einigen Jahren intensive wissenschaftliche Diskussionen über die Globalisierungsthematik geführt. Bisher liegt jedoch keine einheitliche Definition dieses Begriffes vor.

Im Folgenden wird eine Definitionen der Globalisierung gegeben. Diese soll aber keineswegs als ausschließliche und alles umfassende gelten. Sie kann lediglich ein Ansatzpunkte sein, um als Orientierungshilfe hilfreich zu sein. Laut Ulrich Beck ist es kein leichtes Unterfangen, zu definieren, was Globalisierung ist. Er vergleicht die Begriffsbestimmung mit dem Versuch, „einen Pudding an die Wand zu nageln.“ (Beck U.: Was ist Globalisierung? 1997, S. 44)

„Globalisierung meint das erfahrbare Grenzenloswerden alltäglichen Handelns in den verschiedenen Dimensionen der Wirtschaft, der Information, der Ökologie, der Technik, der transkulturellen Konflikte und der Zivilgesellschaft, und damit im Grunde genommen etwas zugleich Vertrautes und Unbegriffenes, schwer Begreifbares, das aber mit erfahrbarer Gewalt den Alltag elementar verändert und alle zur Anpassungen und Antworten zwingt. Geld, Technologien, Waren, Informationen, Gifte überschreiten die Grenzen, als gäbe es diese nicht. Sogar Dinge, Personen und Ideen, die Regierungen gerne außer Landes halten würden (Drogen, illegale Einwanderer, Kritik an Menschenrechtsverletzungen), finden ihren Weg. So verstanden meint Globalisierung: das Töten der Entfernungen; das Hineingeworfensein in oft ungewollte, unbegriffene, transnationale Lebensformen.“ (Beck U.: Was ist Globalisierung? 1997, S.44)

Diese Definition versucht Globalisierung nicht nur als rein ökonomisches Phänomen zu erklären. Bei einer rein ökonomischen Betrachtungsweise würden verschiedene Ansatzpunkte nicht ins Blickfeld geraten. Durch die Unterscheidung der diversen Dimensionen der Globalisierung ist es möglich, neue Einsichtsweisen zu gewinnen. Nicht nur Ulrich Beck geht vom Ansatzpunkt mehrerer Dimensionen der Globalisierung aus. Nach Nederveen Pieterse ist Globalisierung ein vieldimensionaler Prozess, der sich wie alle großen Umwälzungen in mehreren Lebensbereichen gleichzeitig entfaltet. (Vgl. Neverdeen Pieterse Jan: Der Melange-Effekt, in Beck U.: (Hrsg.) 1998, Perspektiven der Weltgesellschaft, S. 88)

Wenn in dieser Arbeit von Globalisierung gesprochen wird, so ist immer Globalisierung im Sinne von Ulrich Beck gemeint. Die einzelnen Dimensionen sollen nicht voneinander losgelöst betrachtet werden, da nicht unbeträchtliche Wechselwirkungen bestehen. So ist es nicht einfach zu sagen, wo eine Dimension beginnt und die andere Dimension endet. Die einzelnen Dimensionen ergeben zusammengenommen ein sehr komplexes und kontroverses Thema. Wenn Globalisierung von der rein ökonomischen Seite betrachtet wird, können viele andere Aspekte, Ansatzpunkte und Betrachtungsweisen nicht berücksichtigt werden.

In einer vernetzten Welt erscheint es als sehr oberflächlich, die Globalisierung als rein ökonomischen Prozess zu sehen und zu definieren. Es bestehen und entstehen immer mehr wechselseitige Abhängigkeiten der einzelnen Dimensionen. So haben Entscheidungen in der Ökonomie Auswirkungen in der Ökologie, Politik, Sozialpolitik, Technik und umgekehrt. Beispielsweise haben politische Entscheidungen, wie die Einführung einer Energiesteuer, direkte Auswirkungen auf die Ökologie, da weniger Ressourcen verbraucht werden. Die Ökonomie ist dabei mit höheren Kosten belastet. Diese könnten aber zur Forschung nach Alternativen führen. Durch vermehrte Forschung könnte es zu neuen Erfindungen im Bereich der Technik kommen. Diese technologische Erfindung kann einen Wirtschaftsaufschwung auslösen, wodurch wiederum neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Die Anzahl der Arbeitsplätze könnte sich nun wieder auf Wahlen auswirken und die Zusammensetzung künftiger Regierungen beeinflussen. Auswirkungen auf die Kultur könnten sich beispielsweise auch durch neue Kommunikationseinrichtungen ergeben, wie z.B. das Internet.

Die wechselseitigen Abhängigkeiten können nicht alle zur Gänze erfasst werden. Es ist wichtig, sich möglicher Interdependenzen bewusst zu werden, um nicht beabsichtigte Folgewirkungen in der Ökologie durch z.B. vorausgegangene Entscheidungen in der Ökonomie abzuhalten oder abzuwehren. Die internationalen Verflechtungen nehmen immer mehr zu. Umstritten ist nicht so sehr die Tatsache an sich, sondern die Art, wie solche Verflechtungen heutzutage vorangetrieben werden.

Der Handel mit Entwicklungsländern spielt nach wie vor eine untergeordnete Rolle. Eine wirkliche Globalisierung hat im eigentlichen Sinne nicht stattgefunden. So zeigt sich auch hier, dass in den Begriff Globalisierung viel hineingepackt wird, was nicht unbedingt der Realität entspricht. Die Machtkonzentration in den Händen einiger Weniger, den so genannten „global players“, erregt Unmut. Unter dieser Bezeichnung sollen weltweit agierende Unternehmen verstanden werden, die Einfluss ausüben können. Giganten wie Microsoft, General Motors beherrschen ganze Sektoren von Weltmärkten und üben Macht aus. Der Spielraum und die Handlungsfreiheit so mancher Regierung wird dadurch eingeschränkt. In Extremfällen gibt nicht mehr die Regierung den Unternehmen Spielregeln für ihre wirtschaftlichen Betätigungen vor. Vielmehr werden die Regierungen in ihren Bemühungen, Investitionen anzulocken und Arbeitsplätze zu schaffen, zu Marionetten der Großunternehmen. Diese treffen ihre Entscheidungen nicht im Sinne des Wohlergehens der Gesellschaft, sondern ausschließlich nach betriebswirtschaftlicher Rationalität.

Staaten, Regierungen und demokratische Einrichtungen, die für das Wohl ihrer Bürger sorgen sollten, geraten in den Einfluss multinational agierender Unternehmen. Dieser Einfluss ruft bei vielen Menschen und nicht nur bei militanten Globalisierungsgegnern Befürchtungen hervor. Die aufgezählten Dimensionen bei Ulrich Beck werden im Rahmen dieser Arbeit etwas abgeändert . In Folge wird von einer ökonomischen, technologischen, sozialen, ökologischen, politischen und kulturellen Dimension die Rede sein.

2.2: Dimensionen der Globalisierung

2.2.1: Ökonomische Dimension

Die ökonomische Dimension der Globalisierung ist ein Prozess, durch den die Unternehmen und Märkte in unterschiedlichen Ländern auf unserem Planeten immer mehr voneinander abhängig werden. Durch Liberalisierung von Märkten in Form von stärkerer Kapitalmobilität, Faktormobilität, usw., vernetzen sich die Märkte immer mehr und die Interdependenzen der diversen Märkte nehmen zu. Die ökonomische Dimension der Globalisierung ist demnach nicht eine Verschwörung oder ein bewusst gesteuerter Prozess der Amerikaner oder Europäer, sondern ein Ergebnis der technologischen, ökonomischen Entwicklungen. (Vgl. Küng H.: Weltethos für Weltpolitik und Weltwirtschaft, München, 1998, S. 218)

Ausgehend von der Definition der Globalisierung von Ulrich Beck soll die ökonomische Dimension der Globalisierung von einem anderen Blickwinkel aus betrachtet werden, um eine Betonung der Zusammenhänge der einzelnen Dimensionen einfließen zu lassen. Bezüglich genauerer Details der ökonomischen Dimension der Globalisierung möchte ich auf diverse einschlägige Literatur verweisen, mit der ganze Bibliotheken gefüllt sind.

2.2.1.1: Neoliberalismus

Die Anhänger einer uneingeschränkten ökonomischen Globalisierung können als Anhänger des Neoliberalismus bezeichnet werden. Der Liberalismus wird auf den Philosophen und Volkswirt Adam Smith zurückgeführt.

Ein anderer einflussreicher Wirtschaftstheoretiker des 20. Jahrhunderts ist Milton Friedman. Sein Konzept des Liberalismus lässt sich in 3 Hauptpunkten zusammenfassen: (Vgl. Küng H.: Weltethos für Weltpolitik und Weltwirtschaft, S. 254f , München, 1998)

1. Freiheit: (Individualismus)

Nach Friedmann ist Freiheit das oberste Prinzip für die Ordnung des öffentlichen Lebens. Wenn die Wirtschaftssubjekte frei entscheiden können, werden sie die für sie beste Entscheidung treffen.

2. Freier Markt: (Kapitalismus)

Am Markt treten die Wirtschaftssubjekte in Interaktion und je umfangreicher dies geschieht, um so besser für den freien Wettbewerb. Durch ungehemmten Wettbewerb erfolgt eine Steuerung der ökonomischen Prozesse.

3. Eingeschränkter Staat: (Anti-Etatismus)

Der Staat soll sich nicht in die Wirtschaft einmischen, da dies nur zur Instabilität oder zum „Staatsversagen“ führt. Der Staat solle nur für einen geregelten Ordnungsrahmen sorgen, sodass sich der Markt frei entfalten kann und die Selbstheilungskräfte des Marktes arbeiten können. Demnach sollen auch Sozialversicherungen und Krankenhäuser der wirtschaftlichen Selbststeuerung überlassen werden.

2.2.1.2: Globalismus

Ulrich Beck findet einen eigenen Begriff, den des „Globalismus“. Damit bezeichnet er die Auffassung, „dass der Weltmarkt politisches Handeln verdrängt oder ersetzt; d.h. die Ideologie der Weltmarktherrschaft, die Ideologie des Neoliberalismus. Sie verfährt monokausal, ökonomistisch, verkürzt die Vieldimensionalität der Globalisierung auf eine, die wirtschaftliche Dimension. Diese wird auch noch linear gedacht und bringt alle anderen Dimensionen –ökologische, kulturelle, politische, zivilgesellschaftliche Globalisierung – wenn überhaupt, nur in der unterstellten Dominanz des Weltmarktsystems zur Sprache.“

(Beck U.: Was ist Globalisierung? S. 26, 1997)

In Folge beschreibt Beck 10 Irrtümer des „Globalismus“: (Vgl. Beck U.: Was ist Globalisierung? 1997, S. 195 ff)

1. Weltmarktmetaphysik
2. Der sogenannte freie Welthandel
3. Internationalisierung anstatt Globalisierung
4. Risiko-Dramaturgie
5. Politiklosigkeit als Revolution
6. Mythos Linearität
7. Kritik des katastrophalen Denkens
8. Schwarzer Protektionismus
9. Roter Protektionismus
10. Grüner Protektionismus

Ad 1: Weltmarktmetaphysik

„Globalismus“ vereinfacht die Komplexität von Globalisierung. Es rückt hier nur die wirtschaftliche Dimension ins Zentrum. Alle anderen Dimensionen wie Kultur, Ökologie, Politik und Zivilgesellschaft werden nur am Rande behandelt und in der unterstellten Dominanz der wirtschaftlichen Globalisierung gesehen. In diesem Sinne ist der neoliberale „Globalismus“ eine Erscheinungsform des eindimensionalen Denkens und Handelns, eine Spielart monokausaler Weltsicht.

Ad 2: Der sogenannte freie Welthandel

Der freie Welthandel wird vom „Globalismus“ gepriesen und er gilt auch als Garant, dass der Wohlstand weltweit angehoben werden kann und soziale Missstände abgebaut werden können. Befürworter der Globalisierung behaupten aber, die globalisierte Wirtschaft sei am Besten dazu geeignet, den Wohlstand weltweit anzuheben und damit soziale Missstände abbauen zu können. Selbst im Umweltschutz ließen sich demnach durch freien Handel Fortschritte und Lösungen finden. Der Wettbewerbsdruck trägt zur Ressourcenschonung bei und somit auch zum sanften Umgang mit der Natur. Die Praxis sieht anders aus. Die hohe Arbeitslosigkeit in der dritten Welt und in den nachkommunistischen Ländern zwingt deren Regierungen, eine exportorientierte Wirtschaftspolitik zu betreiben. Da diese Länder untereinander und mit den reicheren Industriestaaten in Konkurrenz stehen und Kostensenkungen nicht durch Produktivitätsverbesserungen oder einer besseren Technologie erreichbar sind, geht diese Politik zu Lasten der Sozial- und Umweltpolitik.

Ad 3: Internationalisierung statt Globalisierung

Durch eindimensionale Betrachtung der Globalisierung kommt es zu einer Verwechslung von wirtschaftlicher Globalisierung mit Internationalisierung. Es handelt sich demnach um eine Verstärkung der Handelsbeziehungen zwischen einigen Weltregionen und Wirtschaftsblöcken wie Nordamerika, Südostasien und Europa, der sogenannten „Triadisierung“ der Weltwirtschaft

Nach einem Bericht der deutschen Kommission für Zukunftsfragen sind in Deutschland im Zuge der Globalisierung von Märkten und der Internationalisierung der Produktion bisher vorwiegend arbeitsintensive Produktionsbereiche und niedrig qualifizierte Arbeitskräfte unter weltwirtschaftlichen Wettbewerbsdruck geraten. Dies hat zur Folge, dass es zu einem Rückgang der Nachfrage im Bereich niedrig qualifizierter Arbeitskräfte gekommen ist, und zwar bedingt durch Produktionsverlagerungen in das Ausland in Form von Lohnveredelungen und Direktinvestitionen, sowie auch durch vermehrte Importe. Folglich kommt es in den „Triademärkten“ zu einem fortschreitenden Ersatz der Arbeit durch Kapital und Wissen. Für die Zukunft ist damit zu rechnen, dass sich der Wettbewerbsdruck auch bei kapital- und wissensintensiven Produktionsbereichen, sowie bei höher qualifizierten Arbeitskräften erhöhen wird. (Vgl. Kommission f. Zukunftsfragen, Bericht II: Erwerbstätigkeit in Deutschland Bonn, S. 111, 1997, zitiert in BeckU.: Was ist Globalisierung? S. 200 1997)

Ad 4: Risiko-Dramaturgie

Internationale Unternehmen drohen mit dem Risiko des Arbeitsplatzverlustes, wenn auf ihre Forderungen und Vorstellungen nicht eingegangen wird. Solche Forderungen liegen beispielsweise in einem Abbau der Lohnnebenkosten. Wenn diesen Forderungen nachgegangen wird, so kann dies zu einem allgemeinen Sinken des Lebensstandards führen.

Schon die Bedrohung durch möglichen Arbeitsplatzabbau und die Verlegung von Produktionsstätten in Billiglohnländer schürt in den Menschen Ängste und schüchtert sie ein. Dadurch erhalten die multinationalen Unternehmen enormes Machtpotential.

Ad 5: Politiklosigkeit als Revolution

Neoliberaler „Globalismus“ ist ein hochgradiges Handeln, das sich jedoch völlig unpolitisch gibt, da dem Primat der Ökonomie alles zu unterwerfen ist, also auch Politik, Wissenschaft und Kultur. Politik wird zum verlängerten Arm der Ökonomie. Politik vollzieht die Weltmarktgesetze, die in Richtung eines Abbaus eines zu teuer gewordenen Sozialstaates und folglich auch zu einem Abbau der Demokratie abzielen. Und doch ist die ökonomische Globalisierung kein Mechanismus, sondern ein durch und durch politisches Projekt. Dieses wird von transnationalen Akteuren, Institutionen und Diskurskoalitionen, Weltbank, WTO, multinationalen Unternehmen, sowie von internationalen Organisationen mittels neoliberaler Wirtschaftspolitik betrieben. Gipfeltreffen, wie die des World Economic Forum oder des G7/8 treten ins Blickfeld der Betrachtung einer größeren Bevölkerungsmenge, welche die Dominanz der Wirtschaft über die Politik kritisiert.

Ad 6: Mythos Linearität

Unser Zeitalter ist bestimmt von ökonomischen, technologischen und ökologischen Veränderungen. Ob diese Veränderungen aber in Richtung einer Uniformität im Sinne einer „globalen Kultur“ oder „universalen Kultur“ führen, bleibt abzuwarten.

Nationalkulturen werden in keine homogene Weltkultur gedrängt. Globalisierung kann auch zu einer neuen Bedeutung des Lokalen führen .

Der Ausdruck „globale Kultur“ ist laut Beck irreführend. Es entstehen vielmehr translokale Kulturen, bzw. soziale Räume und Landschaften. Beispielhaft werden genannt:

- der Tourismusboom;
- die Herausbildung kleiner, transnationaler Welten von Spezialisten, die kaum an bestimmte Orte gebunden sind;
- die zunehmende Zahl von internationalen Institutionen, Agenturen, Gruppen, Bewegungen, die sich in alle möglichen Angelegenheiten einmischen;
- die Durchsetzung einer kleinen Anzahl akzeptierter Sprachen.

Ad 7: Kritik des katastrophalen Denkens

Nach Beck muß man sich im Zeitalter der Massenarbeitslosigkeit vom Gedanken der Vollbeschäftigung trennen, da dieser fiktiv ist. Es ist demnach keine Katastrophe, wenn Arbeit durch automatisierte Produktion (vorausgesetzt: richtig angewendet) ersetzt wird. Vielmehr ist es wichtig, sich einer öffentlichen Diskussion zu stellen, wie Demokratie jenseits der Fiktion von Vollbeschäftigung möglich ist

Ad 8: Schwarzer Protektionismus

Der schwarze Protektionismus ist nach Beck insofern ein Widerspruch, als er einerseits Werte der Nation wie Familie, Religion oder der Gemeinschaft beschwört. Andererseits unterstützt der schwarze Protektionismus die Werte des „Globalismus“ und die Werte der Nation, des Sozialstaates werden somit untergraben.

Ad 9: Grüner Protektionismus

Viele grüne Protektionisten entdecken den Nationalstaat als Instrument, der vor Übergriffen des Weltmarktes Schutz bietet. So ist eine öko-protektionistische Politik, bei der ein Ersatz von Märkten mit strikten Umweltregelungen durch Märkte mit weniger strengen Regelungen erfolgt, wenig zielführend. Diese Politik würde eine Ausbreitung der höheren Umweltstandards in Regionen mit mangelndem Umweltbewusstsein nicht fördern. Die internationalen Produktionsketten sollten besser im Sinne einer Energiesteuer überdacht werden. So könnten externe Kosten mitberücksichtigt werden. Durch diese Berücksichtigung von externen Kosten wird dem Verursacherprinzip Rechnung getragen. Das bedeutet, dass Unternehmen, die für Umweltverschmutzungen verantwortlich sind, auch die Kosten dafür tragen sollen und sie nicht der Allgemeinheit anzulasten.

Ad 10: Roter Protektionismus

Im Zeitalter der Globalisierung erscheint eine Politik des sozialen Ausgleichs als sehr schwierig. Wenn die Sozialkosten und die Lohnkosten nicht abgebaut werden können, so wird die Arbeitslosigkeit steigen und das System der sozialen Absicherung nicht mehr finanzierbar sein. Notwendig wird eine Neuordnung und Neuverteilung der sozialen Absicherung, da die alte Ordnung nicht gesichert ist, Massenarbeitslosigkeit zu finanzieren. Solch eine Neuordnung ist aber bisher am mangelnden Reformwillen in der Politik und der Gesellschaft gescheitert.

2.2.2: Soziale Dimension

Im einem Interview mit Robert Reich (Vgl. Reich R.: Halber Aufschwung, Die Zeit Nr. 51, S. 8, 12.12.1997), dem ehemaligen Arbeitsminister der USA, gibt dieser eine sehr kritische Sicht des amerikanischen Arbeitsmarktes wieder. Obwohl die Wirtschaft in Amerika in den letzten Jahren boomte, ist der Durchschnittslohn nicht gestiegen, sondern sogar gefallen. Viele Arbeitnehmer haben demnach keine Vorteile erfahren. Die Anzahl der Menschen, die unter der Armutsgrenze leben, ist gestiegen, aber auch die Anzahl jener ohne jede Krankenversicherung. Solche Beispiele zeigen, wie die tatsächliche Verteilung von Wohlstand erfolgt. Es erscheint, dass Wirtschaftswachstum kein Garant mehr dafür ist, dass der Sozialstaat noch in Zukunft finanzierbar wäre.

Das Wirtschaftswachstum bei gleichzeitigem Abbau von Arbeitsplätzen wird besonders anschaulich von Hans Peter Martin und Harald Schuhmann in ihrem Buch „Die Globalisierungsfalle“ beschrieben. Darin zeichnen die Autoren ein ziemlich düsteres Zukunftsszenario. Sie vertreten die Ansicht, dass es in Zukunft eine „20:80 %-Gesellschaft“ geben wird. Durch die im Zuge der Globalisierung auftretende zunehmende Rationalisierung der Arbeit durch moderne Technologien würden nur mehr 20% der Bevölkerung einen Arbeitsplatz haben. (Vgl. Martin/Schuhmann: Die Globalisierungsfalle S. 9, 1996)

Zur Globalisierungsthematik gehört die Tatsache, dass es nicht nur Globalisierungsgewinner, sondern auch Globalisierungsverlierer gibt. Die Einkommensschere zwischen Reich und Arm geht immer weiter auseinander. Diese Verstärkung der Einkommensunterschiede lässt sich nicht nur zwischen Entwicklungsländern und Industriestaaten feststellen. Auch innerhalb eines einzelnen Industriestaates, wie Deutschland oder Österreich, geht die Einkommensschere der Bevölkerung auseinander.

Die globale Wirtschaft wächst und davon profitieren insbesondere die Aktienbesitzer, während gleichzeitig Jobs gekürzt werden. Es ist ein Trend erkennbar, dass sich die Arbeitsbedingungen für die Arbeitnehmer verschlechtern. Kostenabbauprogramme, Rationalisierungen von Arbeitsplätzen, Trends in Umstrukturierungsmethoden lösen bei vielen Arbeitnehmern Unbehagen aus. So manche radikale Umstrukturierungsmaßnahmen bringen nicht den gewünschten Erfolg für die Unternehmensspitze. Was über bleibt sind Arbeitslose und Unzufriedenheit.

Oft orientiert sich die Unternehmensspitze auch nicht am Wohlergehen ihrer Arbeitnehmer, sondern nur an eigenen Bereicherungswünschen oder an den Wünschen der Aktionäre. Insbesondere an Aktien- und Terminmärkten war in den letzten Jahren ein Trend in Richtung Shareholder-Value-Maximierung erkennbar. Das Shareholder-Value-Prinzip besagt, dass sich das Management eines Unternehmens ausschließlich an den Zielen der Eigentümer zu orientieren hat und die Interessen anderer Anspruchsgruppen nur dann zu berücksichtigen sind, wenn es für die Eigentümer profitabel erscheint. (Vgl. Speckbacher G.: Shareholder-Value und Stakeholder-Ansatz, Die Betriebswirtschaft, S. 630-639, 1997)

Im Gegensatz dazu werden beim sogenannten Stakeholder-Ansatz auch andere Interessensgruppen, wie z.B. Arbeitnehmervertreter oder Umweltschutzorganisationen, mitberücksichtigt. Die Realisierung des Shareholder-Value wird vielfach kritisiert. Es wird befürchtet, dass durch dessen Umsetzung andere Interessensgruppen, sogenannte stakeholder, im Vergleich zu den Aktionären schlechter gestellt werden. Jedoch könnten, auch aus Sicht vieler Befürworter des Shareholder-Value-Ansatzes, bei konsequenter Verfolgung dieses Prinzips alle, also auch die stakeholder profitieren. Begründet wird dies damit, dass nur jene Projekte eine Förderung erhalten, bei denen keine Ressourcen verschwendet werden.

Laut Kritikern des Sharehoder-Value-Ansatzes erfolgt bei konsequenter Verfolgung dieses Ansatzes nur eine Umverteilung der Einkommen von den Arbeitnehmern hin zu den Aktionären und Kapitalbesitzern. Die Einkommen der Arbeitnehmer sinken, bzw. werden Arbeitsplätze eingespart. Die dadurch eingesparten Kosten werden in Form von Kurssteigerungen und Dividendenausschüttungen an die Aktionäre verteilt.

Es stellt sich hier allerdings die Frage der Moral, wenn das Profitstreben einer kleinen Elite auf Kosten der breiten Masse der Bevölkerung geht. Hans Peter Martin und Harald Schuhmann bringen in ihrem Buch ein anschauliches Beispiel:

Internationale Finanzzeitschriften wie Business Week und Wall Street Journal bezeichneten den Daimler-Benz-Chef Jürgen Schrempp als „nachahmenswerten Revolutionär“, weil er den „deutschen Schmusekurs mit den Arbeitnehmern“ aufbrach und kurzerhand die Entlassung von 56.000 Angestellten ankündigte. Allein diese Äußerung ließ den Kurs der Daimler-Benz-Aktie um 20% in die Höhe schnellen und die Aktionäre wurden um 10 Milliarden D-Mark reicher. Nachdem die Angestellten gekündigt waren, wurden Schrempp und 170 anderen Führungskräften Aktienoptionen zugeteilt, die ihnen ein Zusatzeinkommen von 300.000 D‑Mark bescherten. Das Jahresgehalt von Schrempp wurde für 1995 mit 2,7 Millionen D‑Mark beziffert. (Vgl. Martin/Schuhmann: Die Globalisierungsfalle, S. 182, 1996)

Solche Beispiele stellen keinen Einzelfall dar, sondern werden oft praktiziert und sind nicht geeignet, sozialen Frieden zu schaffen. In diesem Zusammenhang drängt sich auch hier die Frage auf, ob die Relation des Gehaltes eines Spitzenmanagers im Vergleich zu dem eines Mindestlohnempfängers gerechtfertigt ist.

Es sind demnach die Kapitalbesitzer und die hochqualifizierten Arbeitskräfte, denen die Globalisierung der Ökonomie einen immer größeren Teil des Wohlstandes einbringt. Dies erfolgt jedoch auf Kosten der übrigen Bevölkerung. Andererseits wird oft von Kapitalbesitzern ein Gesundschrumpfen des zu teuer gewordenen Sozialstaates gefordert. Dadurch wird die Kluft zwischen Arm und Reich immer tiefer und es kommt zur Gefährdung des sozialen Friedens.

In den Augen von H. P. Martin und Schuhmann ist Globalisierung ein „Job-Killer-Phänomen“, welches uns in Richtung der 20:80 %-Gesellschaft bringen wird. Des weiteren sprechen die Autoren von einer „Brasilianisierung“ Europas. Sie sehen die Gefahr der Verbreiterung dieser Kluft in jenes Ausmaß, wie es derzeit schon in Brasilien existiert. Dort muss sich der reiche Bevölkerungsanteil hinter Mauern verschanzen. Wachdienste und Leibwächter beschützen die Reichen in ihren noblen Vierteln. Außerhalb solcher „Wohlstands-Ghettos“ findet man meist bittere Armut. Wachleute dürfen auf Fremde schießen, die sich auf einem Privatgrundstück herumtreiben. Dies ist fast schon ein Bürgerkrieg zwischen Arm und Reich, wobei nicht die Gewalttäter hinter Mauern sitzen, sondern die Wohlhabenden. (Vgl. Martin/Schuhmann Die Globalisierungsfalle 1996, S. 211)

Es besteht nicht nur die Gefahr eines sozialen Unfriedens zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Laut U. Beck bestehen durch die Auswüchse der ökonomischen Globalisierung auch Konflikte, bzw. Probleme zwischen virtuellen und realen Steuerzahlern. (Vgl. Beck U.: Was ist Globalisierung? 1997 S. 21f).Transnationale Unternehmen können sich durch Auslagerungen von Produktionen und durch Standortverlegungen dem Steuerzugriff des Nationalstaates entziehen.

Klein- und Mittelbetriebe, die einen Großteil der Arbeitsplätze schaffen, müssen für die Steuern aufkommen. Von diesem Steueraufkommen profitieren allerdings auch jene Unternehmungen, die sich dem Steuerzugriff entziehen. Die Vorteile eines entwickelten Sozialstaates, wie z.B. eine gute Schulausbildung oder ein Studium, werden aber sehr wohl in Anspruch genommen, ohne jedoch Wesentliches für die Finanzierung beizutragen. Es mutet fast grotesk an, dass die Globalisierungsverlierer in Zukunft für Sozialstaat und sonstige Leistungen aufkommen sollen, während die Globalisierungsgewinner nichts oder nicht viel zum Sozialstaat und zu einer gefestigten Demokratie beitragen. Demnach wäre eine politische Neuverhandlung der Frage der sozialen Gerechtigkeit wichtig. In diesem Zusammenhang liest man bei Beck:

„Manager von multinationalen Konzernen lagern Verwaltungen nach Südindien aus. Sie schicken ihre Kinder auf öffentlich finanzierte, europäische Spitzenuniversitäten. Es kommt ihnen gar nicht in den Sinn, dahin zu ziehen, wo sie die Arbeitsplätze aufbauen und die niedrigen Steuern zahlen. Für sich selbst nehmen sie selbstverständlich die teuren politischen, sozialen und zivilen Grundrechte in Anspruch, deren öffentlichen Finanzierung sie torpedieren. Sie besuchen das Theater. Sie genießen die aufwendig gepflegte Natur und Landschaft. Sie tummeln sich in den noch relativ gewalt- und kriminalitätsfreien Metropolen Europas. Aber sie tragen zugleich durch ihre profitorientierte Politik wesentlich dazu bei, dass diese europäische Lebensform zerfällt.“ (Beck U.: Was ist Globalisierung? 1997 S. 21f)

Von einem globalen Standpunkt aus gesehen sind die Globalisierungsgewinner demnach eine kleine weltweite Elite von Vermögensbesitzern, die auf globalen Märkten spekulieren und auch den notwendigen Zugang zu Informationen haben. Diese weltweit agierende Elite wird noch in späteren Kapiteln zur Sprache kommen.

In der sogenannten „Informationsgesellschaft“ spielt die Qualifizierung der Arbeitskräfte eine immer wichtigere Rolle. Die Einkommensschere geht nicht nur zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern auseinander, sondern auch zwischen den gut und schlecht ausgebildeten Arbeitskräften innerhalb der einzelnen Nationalstaaten. Unter Informationsgesellschaft soll eine Gemeinschaft verstanden werden, in der ein großer Teil des gesellschaftlichen Reichtums durch die Schaffung und Verwertung von Informationen und Wissen hervorgebracht wird. Jene Menschen, die den neuen Anforderungen nicht mehr gewachsen sind, laufen Gefahr, in das Heer der Langzeitarbeitslosen eingegliedert werden zu müssen. (Vgl. Welsch J.: Globalisierung, neue Technologien und Qualifizierungspolitik, S.11ff , Marburg 2000 )

[...]

Ende der Leseprobe aus 99 Seiten

Details

Titel
Globalisierung und Nationalkulturen - Argumente gegen deren Verwestlichung
Hochschule
Wirtschaftsuniversität Wien  (Verhaltenswissenschaflich Orientiertes Management)
Note
Sehr gut
Autor
Jahr
2002
Seiten
99
Katalognummer
V20930
ISBN (eBook)
9783638246774
Dateigröße
792 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Globalisierung, Nationalkulturen, Argumente, Verwestlichung
Arbeit zitieren
Peter Pfeifer (Autor:in), 2002, Globalisierung und Nationalkulturen - Argumente gegen deren Verwestlichung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/20930

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