Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Hintergrundinformationen
2.1. Allgemeines
2.2. Gattung
2.3. Entstehungszeit
2.3.1. Zur Abfolge der johanneischen Schriften
2.3.2. Zur Abfassungszeit 1 Joh
2.4. Verfasserfrage
2.4.1. Die drei Briefe des Johannes im Vergleich
2.4.2. Der erste Johannesbrief im Vergleich zum Johannesevangelium
2.5. Entstehungsort
3. Zum Inhalt des ersten Brief des Johannes
4. Handelt es sich bei 1 Joh 5,14-21 um einen sekundären Nachtrag?
5. θεός als christologischer Hoheitstitel
6. Jesus als der wahre Gott in 1 Joh 5,20
7. Fazit
8. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Beim Lesen der Worte in 1 Joh 5,20 stockt der Rezipient, da es nicht ersichtlich ist, wem hier der Gottestitel zugeschrieben wird. Wird hier tatsächlich der Sohn Gottes als ὁ ἀληθινὸς θεὸς bezeichnet oder doch der Vater, wie es traditionell üblich ist? Zu fragen gilt, wie dies hinsichtlich des Monotheismus des Christentums vereinbar wäre, ob es nicht gar blasphemisch sei. Die folgende Ausarbeitung wird sich eindringlich mit 1 Joh 5,20 beschäftigen und diese Fragen beleuchten. Angesichts der Gegenüberstellung, auf wen sich οὗτός in diesem Vers explizit bezieht, wird ein ausgeprägtes Hintergrundwissen vorangestellt, um sich mit der Perikope vertraut zu machen und sich mit seinem Kontext auseinanderzusetzen, was für die Analyse wichtig erscheint. Aus diesem Grund werden als erstes allgemeine Informationen über den 1 Joh gegeben, um im Anschluss daran zu klären, ob es sich bei diesem Dokument um einen klassischen neutestamentlichen Brief handelt. Daraufhin wird im Vergleich zu dem 2 und 3 Joh und schließlich zum JohEv die Entstehungszeit herausgearbeitet. In der Frage nach dem Verfasser wird erläutert, in welchem Zusammenhang die vier Bücher zueinander stehen und inwieweit der 1 Joh zu der sogenannten johanneischen Schule zusammengesehen werden kann. Dies ist insofern wichtig, als dass gesehen werden muss, welche theologischen Absichten der 1 Joh verfolgt. Zudem wird kurz darauf eingegangen, wo die zu untersuchende Perikope wahrscheinlich verfasst wurde. Weiter wird der Inhalt des Briefes zusammengefasst, um zu erörtern, welche Intention der Autor bei der Abfassung verfolgt, um diese im weiteren Verlauf auf den umstrittenen Vers anwenden zu können. Von großer Bedeutung ist es, ob es sich bei dem Epilog von 1 Joh um einen sekundären Nachtrag handelt. Denn wenn dem so ist, könnte es sich um einen anderen Autor handeln, als der des Briefes zuvor, wodurch in 1 Joh 5,20 eine unterschiedliche Theologie oder Intention verfolgt sein könnte, die in anderer Sprache zum Ausdruck kommt. Im Anschluss an diese Überlegungen folgen allgemeine Hintergründe über die Bezeichnung des Sohnes als ὁ θεὸς im Neuen Testament. An dieser Stelle wird herausgestellt, warum Jesus Christus so bezeichnet werden kann, wie dies mit dem Monotheismus vereinbar ist und in welchem Kontext dieser christologische Hoheitstitel anzufinden ist. Zum Schluss wird nun eingängig auf das Problem in 1 Joh 5,20 eingegangen, indem verschiedene Thesen gegenübergestellt werden.
2. Hintergrundinformationen
2.1. Allgemeines
Die Johannesbriefe gehören wie der Jakobus-, Judas- und die beiden Petrusbriefe zu den sogenannten katholischen Briefen, da sie sich nicht nur an einen bestimmten Adressaten richten, sondern an alle Christen. Jedoch wenden sich sowohl der zweite als auch der dritte Johannesbrief an konkret benannte Empfänger und nicht an die Allgemeinheit. Aber da sie als eine Einheit mit dem ersten Johannesbrief gesehen werden, gelten sie auch als katholische Briefe. Der 1 Joh wird zum ersten Mal um die Mitte des 2. Jahrhunderts von Polykarp zitiert. Zuvor war seine Zugehörigkeit zum Kanon umstritten. Mit Anfang des 3. Jahrhunderts wird der Brief mehrmals bezeugt, wie beispielsweise durch Tertullian und Clemens Alexandrinus.[1]
2.2. Gattung
Auch wenn der Name des Buches es nahe legt, ist es strittig, ob der erste Johannesbrief tatsächlich zur Gattung des Briefes gezählt werden kann. In der Forschung werden die paulinischen Briefe 1 Thess, 1/2 Kor, Phil, Phlm, Gal und Röm eindeutig zu den echten Briefen gezählt, da sie alle typischen Charakteristika aufweisen.[2] Die neutestamentlichen Briefe bestehen aus einem Präskript, einem Korpus und einem Schlussgruß. Der Briefeingang beinhaltet in einem Satz den Namen des Absenders und des Verfasser als auch die Grußformel. Im Briefkorpus befindet sich das Anliegen und die Intention des Autors. Zum Schluss findet sich der obligatorische Gruß „ ‚Lebe/ Lebt wohl!‘“[3] und die Angabe des Datums.[4] Bei näherer Betrachtung fällt auf, dass die charakteristischen Merkmale eines Briefes im 1 Joh fehlen. Es zeigt sich, dass er nicht mit einem Präskript anfängt und somit auch die Verfasser- und Adressatenangabe fehlen. Zudem mangelt es an einem Schlussgruß, da das Dokument mit den Worten „meine Kinder, hütet euch vor den Götzen!“ (1 Joh 5,21) endet. Dieser Text könnte aufgrund der Anrede der Gemeinde mit „Kindern“ (1 Joh 2,1) und „liebe Brüder“ (1 Joh 2,7) als eine Art Predigt gelten.[5] Dies würde auch erläutern, warum kein spezifischer Empfänger angesprochen wird, sondern ein Adressatenkreis. Allerdings steht dazu im Widerspruch, dass der Autor über sein Schreiben berichtet (vgl. 1 Joh 2,12), da eine Predigt eine mündliche und nicht eine schriftliche Gattung ist. Es kann sich auch nicht um einen theologischen Traktat handeln, da eine konkrete Gegebenheit erörtert wird. Da andere Gattungen als Typisierung wegfallen, wird sich auf die Kategorie des Briefes besinnt. Wenn von dem Präskript und der Schlussformel abgesehen und sich auf den Briefkorpus besinnt wird, kann der 1 Joh als eine Art Brief angesehen werden. Denn es muss im Blick gehalten werden, dass sich zwischen dem Verfasser und den Adressaten eine räumliche Trennung befindet. Außerdem schreibt der Verfasser „ ‚im Aorist des Briefstils‘.“[6] Eine Lösung dieses Problems enthält die Vermutung, dass der 1 Joh zum Vorlesen in der Gemeinde übersandt wurde begleitet von einem zweiten Brief, der die Intention des Vortrags enthält. Dadurch konnten die fehlende Gruß- und Schlussformel mündlich nachgetragen werden, sowie der Name des Verfassers.[7]
2.3. Entstehungszeit
2.3.1. Zur Abfolge der johanneischen Schriften
In der Bibel erscheint die Reihenfolge vom ersten bis hin zum dritten Johannesbrief. Dies muss jedoch nicht ein Indiz dafür sein, dass dadurch die zeitliche Ordnung angezeigt wird, sondern es könnte hinsichtlich der Länge der Briefe so angeordnet worden sein.[8] Denn es könnte der Fall sein, dass der zweite und der dritte Brief älter sind als der erste. Dafür sprechen einige Indizien, die im weiteren Verlauf genauer erläutert werden.
Zum einen fällt bei näherer Betrachtung auf, dass die johanneische Christologie im 2 Joh und 3 Joh noch nicht adäquat ausgeführt ist, wie im ersten Brief. Deren Thematik beschäftigt sich im Gegensatz zum 1 Joh um frühzeitliche Gegenstände, wie beispielshalber das Gastrecht (vgl. 3 Joh 8). Zum anderen spricht der Verfasser in 2 Joh 7 von einem Antichristen. Im Gegensatz dazu wird in 1 Joh 2,18 behauptet, dass „der Antichrist kommt, und jetzt sind viele Antichriste gekommen.“ Es findet somit eine Korrektur vom Singular zum Plural statt. Wäre der erste Brief älter als der zweite, hätte dieser Wechsel nicht stattfinden können, da der 1 Joh offensichtlich mit dem „ihr habt gehört“ (1 Joh 2,18) Bezug zu 2 Joh nimmt. Jedoch kann sich diese Stelle auf 1 Tim 4,1 oder 2 Thess 2,3f. beziehen, die Paulus zuvor verfasste. Zudem scheint es an dieser Stelle, als knüpfe 1 Joh 2,18 an 2 Joh 7 an.[9] Bei dieser Thematik fällt auf, dass sich in 1 Joh explizit mit den Gegnern beschäftigt und auseinandergesetzt wird. In 2 Joh werden die Verführer und Folgen der Irrlehren nur kurz behandelt.[10] Entweder hat der Autor es nicht mehr für nötig erachtet die Gegebenheiten der Irrlehrer in 2 Joh weiter auszuführen, da er es zuvor im 1 Joh schon ausführlich machte oder er führt im 1 Joh seine knappen Überlegungen, die er im zweiten Brief kurz bearbeitet, weiter aus. Somit wäre wiederrum der erste jünger als der 2 Joh. Ein wieteres Indiz für die frühere Abfassung der kleineren Briefe besteht darin, dass der Autor sich in 2 und 3 Joh als „der Älteste“ (2 Joh 1; 3 Joh 1) vorstellt. In 1 Joh fehlt jegliche Angabe, womit der Verdacht aufkommt, dass der Verfasser sich nicht mehr der Gemeinde vorstellt, weil er die Kenntnis von 2 und 3 Joh voraussetzt. Aber unschlüssig ist, dass der Autor im 1 Joh seine Autorität mit der Augenzeugenschaft Jesu bestätigt (vgl. 1 Joh 1,1), aber in 2 und 3 Joh dieser Anspruch nicht erwähnt wird. Aus diesem Grund kann 2 und 3 Joh auch nach 1 Joh folgen, da er in den späteren Briefen das Wissen über seine Augenzeugenschaft voraussetzt. Außerdem können 2 und 3 Joh mit der Benennung des „Älteste(n)“ auf den Verfasser des ersten Briefes Bezug nehmen, wodurch der längere Brief der älteste ist. Es muss zudem bedacht werden, dass in 2 Joh 12 der Wunsch eines Besuches geäußert wird. Wenn 2 Joh tatsächlich der älteste johanneische Text ist, erscheint das Problem, warum er noch zwei Briefe folgen lässt, wenn er die Gemeinde aufsuchen möchte. Denn in 3 und 1 Joh finden sich keine Indizien für einen Besuch des Verfassers. Zusätzlich stellt sich die Frage, warum der Absender nach einem langen ausführlichen Brief, zwei kleinere folgen lässt und nicht umgekehrt.
Ob das Johannesevangelium das jüngste der johanneischen Bücher darstellt, wird im weiteren Verlauf betrachtet. Als Hinweis dazu wird angesehen, dass sich im Brief kein Zitat aus dem Evangelium finden lässt und somit das Evangelium als Quelle noch nicht vorlag.[11] Allerdings kann es sowohl sein, dass es sich um zwei verschiedene Autoren handelt, so dass der Verfasser des Briefes das zuvor entstandene Evangelium gar nicht gekannt haben muss, als auch, dass selbst bei Kenntnis des Evangeliums, der Autor absichtlich nicht von diesem abgeschrieben hat und Gebrauch nahm. Weiter zeigt sich, dass das Evangelium mithilfe einer ausgereifteren Theologie die Schwierigkeiten des ersten Briefes des Johannes lösen kann. Die Erlösung von den Sünden durch Jesus Christus kann nur nachvollziehbar sein, wenn verstanden wird, dass Jesus für unsere Sünden am Kreuze gestorben ist, was das Evangelium ausführlich berichtet.[12] Jedoch kann gerade dieser Aspekt ein Anhaltspunkt dafür sein, dass die Briefe das JohEv als Voraussetzung nutzen, weil sie jeweils nicht über das konkrete Sterben Jesu berichten. Andererseits erschien es dem Autor eventuell von Nöten aufgrund der vielen Irrlehren, wie sie in 1 Joh zahlreich beschrieben werden, nach der Abfassung der Briefe endgültig Klarheit zu schaffen und die Geschichte Jesu für die Rezipienten verständlich aufzuschreiben, um zu zeigen, dass Jesus der Sohn Gottes ist und die Menschheit von den Sünden erlöst hat. Zum Beispiel wird die menschliche Natur Jesus, die im 1 Joh angesprochen wird, ausführlich im Evangelium thematisiert. Da Joh 1,34 unmittelbar Bezug nehmen könnte auf 1 Joh 5,20, könnte das JohEv an 1 Joh anknüpfen.
Gegen die Datierung des JohEv als die jüngste johanneische Schrift ist anzubringen, dass in Joh 13,34 ein neues Gebot gegeben wird, welches die Nächstenliebe beinhaltet. In 1 Joh 2,7f. ist sowohl von dem alten als auch von dem neuen Gebot die Rede. Schließlich spricht 2 Joh 5 von dem alten Gebot. Hier zeigt sich eine Entwicklung. Das gleiche Gebot der Liebe zueinander zeigt sich zunächst als ein neues und im 2 Joh erscheint es zwar nicht überflüssig aber als ein älteres. Dies wäre ein Indiz dafür, dass die Reihenfolge, wie sie üblich ist, der Wahrheit entspreche.[13] Bei den ganzen Überlegungen muss bedacht werden, dass es sich in allen als johanneisch bezeichneten Texte nicht um denselben Autor oder derselben Schule handeln muss. Auf diesen Aspekt wird im späteren Verlauf dieser Ausarbeitung noch eingegangen werden. Dass das Evangelium wahrscheinlich vor den Briefen entstanden ist, könnte zudem dadurch erklärt werden, dass die Irrlehrer, über die in den Briefen geschrieben wird, gegen die Christologie agieren, die zuvor im Evangelium verbreitet wurde.[14]
[...]
[1] Vgl. H. Thyen, Johannesbriefe, 186.
[2] L. Bormann, Bibelkunde, 244.
[3] I. Broer, Einleitung in das Neue Testament, 305.
[4] Vgl. ebd., 301-307.
[5] Vgl. G. Strecker, Der erste Johannesbrief, 456.
[6] K. Berger, Der erste Brief des Johannes, 944.
[7] Vgl. I Broer, Einleitung in das Neue Testament, 229.
[8] Vgl. J. Kügler, Der erste Johannesbrief, 534.
[9] Vgl. K. Berger, Der erste Brief des Johannes, 944.
[10] Vgl. H. Thyhen, Johannesbriefe, 188.
[11] Vgl. I. Broer, Einleitung in das Neue Testament, 234.
[12] Vgl. K. Berger, Der erste Brief des Johannes, 944f.
[13] H. Thyhen, Johannesbriefe, 188.
[14] Vgl. U. Wilckens, Das Johannesevangelium, 164.
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- Elisabeth Esch (Autor:in), 2012, θεός als christologischer Hoheitstitel in 1 Joh 5,20, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/208593
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