Die Relevanz des Internet in der Beratungsarbeit mit von sexualisierter Gewalt betroffenen Frauen

Studie zur Nutzung von Webseiten durch Beratungsstellen und Betroffene


Bachelorarbeit, 2012

95 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Zusammenfassung

2 Einleitung
2.1 Eine thematische Einführung
2.2 Fragestellung und Ziel der Arbeit
2.3 Aufbau der Arbeit

3 Theoretische Grundlagen und Annahmen
3.1 Sozialprofessionelle Beratung
3.2 Kommunikation im Internet
3.3 Betroffene sexualisierter Gewalt als KlientInnen der Sozialen Arbeit
3.3.1 Sexualisierte Gewalt
3.3.2 Frauen als Betroffene sexualisierter Gewalt

4 Untersuchung
4.1 Untersuchungsdesign
4.1.1 Vorüberlegungen
4.1.2 Methodentriangulation
4.1.3 Verwendete Instrumente
4.1.4 Gestaltung der Fragebögen
4.2 Darstellung der Ergebnisse
4.2.1 Die Umfrage: „Die Relevanz von Informationsangeboten per Internet in der Beratung für Frauen mit Gewalterfahrung“
4.2.2 Die Umfrage: „Erfahrungen von Frauen mit Gewalterfahrung mit Informationsangeboten durch Beratungsstellen im Internet?“

5 Diskussion

6 Schlussfolgerungen

Literatur

Anhang

Abb. 1 Opfermerkmale bei verschiedenen Delikten

Fragebogen I

Ausführliche Antworten Fragebogen I

Fragebogen II

Ausführliche Antworten Fragebogen II

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1 Psychische Folgen von Gewalt

Abb. 2 Opfermerkmale bei verschiedenen Delikten

Abb. 3 Arbeitskontext

Abb. 4 Altersgruppen BeraterInnen I

Abb. 5 Qualifikationen

Abb. 6 Internetnutzung privat

Abb. 7 Internetnutzung beruflich

Abb. 8 Internet Nutzungsformen beruflich

Abb. 9 Inhalte Webseiten

Abb. 10 Alter Betroffenengruppe

Abb. 11 Nutzung des Internet im Alltag

Abb. 12 Häufigkeit der Nutzung des Internet

Abb. 13 gesuchte Informationen

Abb. 14 wichtige Aspekte der Darstellung von Inhalten

Abb. 15 Gründe für Schwierigkeiten bei Information im direkten Umfeld

Abb. 16 Gestaltung hilfreicher Webseiten

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Zusammenfassung

Sexualisierte bzw. geschlechtsbezogene Gewalt gegen Frauen ist nachweislich ein bestehendes Problem und Arbeitsfeld in der Sozialen Arbeit. In der vorliegenden Studie wird die Relevanz des Internets in der Kommunikation über Webseiten zwischen Frauen, die sexualisierte Gewalt erfahren haben, und Beratungsstellen untersucht.

Dabei werden das Nutzungsverhalten und die Anforderungen an eine Webseite für Beratungsstellen aus Sicht der Betroffenen wie auch aus Sicht der Beratenden untersucht. Hierbei werden Grundlagen der klassischen Sozialen Arbeit mit theoretischen und technischen Aspekten computerbasierender Technik und Kommunikation verbunden. Mit Hilfe einer Online-Befragung mit zwei Fragebögen wird die Gruppe der betroffenen Frauen vor der Gruppe der Beratenden getrennt voneinander untersucht.

Eine hohe Teilnahmebereitschaft in beiden untersuchten Gruppen machte eine statistische Auswertung einerseits möglich und zeigte anderseits das Interesse an dem Thema in den untersuchten Gruppen. Es zeigte sich, dass sich die klassischen Kommunikationsmodelle auf die Kommunikationswege über das Internet übertragen lassen. Der Kommunikationsweg über das Internet wird für von sexualisierter Gewalt betroffene Frauen häufig genutzt um Informationen über ihre Situation und Hilfsangebote zu suchen, wie auch um einen ersten anonymen Kontakt zu Beratungsstellen aufzunehmen. Das Internet setzt dabei die Hemmschelle der Betroffenen herab, die unter Angst und Schamgefühlen leiden. Weiter zeigt sich deutlich der Vorteil der Ortsunabhängigkeit bei der Internetkommunikation. Allerdings divergieren Angebot und Nachfrage in einigen Bereichen. So wünschen sich die Betroffenen Verbesserungen bei Transparenz und Gestaltung der Webseiten von Beratungsstellen. Die Bedeutung der Internetkommunikation wird von den Beratungsstellen häufig nicht ausreichend erkannt, was möglicherweise an unterschiedlichen Altersstrukturen von Betroffenen und Beratern liegt. Daher fehlen Geld, Zeit und Know-how auf der Anbieterseite. Hier besteht Verbesserungsbedarf.

Die vorliegende Studie belegt eindeutig, dass Kommunikation über Webseiten ein geeigneter Kommunikationsweg ist zwischen Frauen die sexualisierte Gewalt erfahren haben und Beratungsstellen, der auch zu direkten Kontakt mit Beratungsstellen führt. Daher sollte dieser Kontaktweg weiter ausgebaut werden.

2 Einleitung

2.1 Eine thematische Einführung

Seit vielen Jahren wächst die Bedeutung des Internets für das alltägliche Leben stetig an. Für viele Menschen gehört der Umgang mit PC, Laptop, Smartphone und Handy zum Alltag. Egal ob Einkauf, Information, Kommunikation oder Präsentation, die Möglichkeiten des Internets und der Vernetzung scheinen unbegrenzt und werden ständig mehr genutzt.

Mit der vorliegenden Arbeit soll, die Relevanz des Internet in der Aufklärungs-, Informations- und Beratungsarbeit im Bereich sexualisierte Gewalt gegen Frauen untersucht werden, davon ausgehend, das dieses Medium mit seinen Eigenschafften für diesen Frauen eine große Ressource darstellt. Weiter wird der Umgang spezifischer Beratungsstellen mit dem Medium Internet untersucht. Dabei werden die Grundlagen der klassischen Sozialen Arbeit mit theoretischen und technischen Aspekten computerbasierender Technik und Kommunikation verbunden. Diese interdisziplinäre Verbindung halte ich für angemessen und wichtig, da die sogenannten Neuen Medien auch in der Sozialen Arbeit eine zunehmende Rolle spielen.

Der Bereich Onlineberatung wird von mir nicht berücksichtigt, da er ein eigenständiges komplexes Themenfeld umfasst.

Sexualisierte bzw. geschlechtsbezogene Gewalt gegen Frauen ist nachweislich ein bestehendes relevantes Problem und Arbeitsfeld in der Sozialen Arbeit.

Die repräsentative Prävalenzstudie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) »Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland« von 2004 stellt erstmals die Datenlage zu Ausmaß und Folgen von Gewalt in Deutschland dar. Nach den Ergebnissen dieser Untersuchung war bundesweit etwa jede vierte Frau in ihrem Erwachsenenleben Gewaltübergriffen durch Partner ausgesetzt. Jede zweite bis dritte in Deutschland lebende Frau war darüber hinaus im Laufe ihres Lebens mit sexueller und/oder körperlicher Gewalt in unterschiedlichen häuslichen und außerhäuslichen Lebenszusammenhängen konfrontiert worden. Nach bundesdeutschen Schätzungen wird davon ausgegangen, dass mindestens jede fünfte Frau im Laufe ihres Lebens geschlechtsbezogene Gewalt mit Folgen für ihre Gesundheit erfahren hat. (Hagemann-White C., Bohne S. 2003 und Schröttle M., Khelaifat N. 2008)

Diese Gewaltprävalenzen legen nahe, dass es einen Bedarf an Beratungs- und Hilfeangeboten für von sexualisierter Gewalt betroffene Frauen gibt.

Mit der zunehmenden Verbreitung der Nutzung des Internets zur Aufbereitung und Bereitstellung von Informationen in den letzten zwei Jahrzehnten ist dieses Medium auch zu einem für die Aufklärungs- und Beratungsarbeit relevantem Medium geworden. Die Besonderheiten des Niedrigschwelligen Zugangs macht das Internet gerade in Bereichen, die von hoher Verunsicherung, Stigmatisierung und Scham der Opfer gekennzeichnet sind, zu einem Medium, das für die Betroffenen pro aktiv und anonym nutzbar ist.

Da mittlerweile nahezu jedem ein Internetzugang im persönlichen bzw. öffentlichen Raum zur Verfügung steht, kann von einem Niedrigschwelligen Zugang ausgegangen werden. Dies macht es Betroffenen möglich, völlig unabhängig, von im nahen sozialen Umfeld zur Verfügung stehenden Informationsquellen und Hemmnissen sich Zugang zu Informationen, Kontakt- und Beratungsmöglichkeiten zu verschaffen. Ebenfalls erhöht sich dadurch das Spektrum der zur Verfügung stehenden Informationen.

Ebenfalls ein aus den Zugangsattributen ableitbarer Aspekt zur Relevanz des Internets sind die besonderen Hemmschwellen bei der Suche nach Unterstützung bei sexualisierter Gewalt durch die Betroffenen. Das Fehlen von Unterstützungsangeboten bzw. die Information über diese im öffentlichen Nahraum der Betroffenen, die mit sexualisierter Gewalt einhergehende Scham der Betroffen, Schuldzuweisung der Täter oder die Erwartung bzw. Erfahrung der Betroffenen von fehlendem Verständnis, Anzweiflung der Glaubwürdigkeit, unterlassener Hilfe dürften es den Betroffenen erschweren, sich in ihrem direkten Umfeld Unterstützung zu suchen. Hinzu kommt, dass sexualisierte Gewalt oftmals im nahen Lebensumfeld der betroffenen Frauen stattfindet. So gaben in der Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) »Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland« von 2004 als Täter sexualisierter Gewalt nur 14,5% der Befragten jemand Unbekanntes und 22,3% jemand flüchtig Bekanntes an, wohingegen 49,3% der Befragten den bzw. die PartnerIn oder Ex-PartnerIn angaben, 10,1% jemanden aus der Familie, 19,8% Freunde, Bekannte, Nachbarn und 3,8% sonstige Bezugspersonen. Somit kommt dem Internet in diesem Zusammenhang durch seine ortsunabhängige Verfügbarkeit ein besonderer Stellenwert zu.

2.2 Fragestellung und Ziel der Arbeit

Ziel der Arbeit ist es, aus zwei Perspektiven aufzuzeigen, ob bzw. wie Beratungsstellen ihre Arbeit und Angebote per Webseite präsentieren und mit welchem Informationsbedürfnis betroffene Frauen diese Webseiten nutzen. Was sind die Ansprüche und Erwartungen der Beratungsstellen an die von ihnen bereitgestellten Webseiten? Was sind die Erwartungen und Bedürfnisse der betroffenen Frauen an die durch sie genutzten Webseiten? Das Hauptaugenmerk dieser Arbeit liegt dabei auf der Schnittstelle der beiden Gruppen, nämlich dem Kontaktpunkt Webseite. Dabei versuche ich zu ergründen, ob die Webseite als Kontaktpunkt als solche von beiden Seiten wahrgenommen und genutzt wird. Um einen Eindruck über den tatsächlichen Stand der beiden zu berücksichtigenden Gruppen zu verschaffen, habe ich zwei Umfragen erstellt mit jeweils spezifischen Fragestellungen. Die Umfragen wendeten sich speziell an Beratungsstellen für Frauen bzw. an von sexualisierter Gewalt betroffene Frauen. Dies folgt der Tatsache, dass Frauen sehr viel häufiger von geschlechtsbezogener Gewalt betroffen sind. Laut des Datenreport zur Gleichstellung von Frauen und Männern in der Bundesrepublik Deutschland des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sind 2003 sind von allen zur Anzeige gebrachten Fällen von sexuellem Kindesmissbrauch die Opfer zu 23,3 % Jungen und 76,8% Mädchen gewesen. In Fällen von sexueller Nötigung bzw. Vergewaltigung waren 4,6% der Opfer männlich und 95,4% Frauen. (BMFSJ, 2005, Abb. 1)

Dies soll jedoch nicht negieren, das auch Jungen und Männer Opfer von sexualisierten Gewalthandlungen werden. Die Fragestellungen der Arbeit sowie deren Ergebnisse lassen sich zum Teil unter Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Besonderheiten auch auf die Informationsangebote im Internet, die sich speziell an Männer wenden, übertragen.

2.3 Aufbau der Arbeit

Die Arbeit besteht aus fünf Kapiteln, die folgende Themen beinhalten:

Nach einer Einleitung und Darstellung der Prävalenz sexualisierter Gewalt gegen Frauen als der Sozialen Arbeit und der Relevanz des Internet als Medium zur Informations- und Aufklärungsarbeit stelle ich die Grundlagen von Beratungsarbeit dar und deren Verankerung im Aufbau einer Webseite. Darin enthalten ist ebenfalls die Abgrenzung von Onlineberatung zu der in dieser Arbeit berücksichtigten Informationsquelle Webseite.

Nach diesem theoretischen Teil gehe ich auf die von mir erstellten Umfragen zum Thema ein, stelle deren Aufbau, Umsetzung und Ergebnisse dar, sowie die daraus resultierenden Schlussfolgerungen.

Abschließend erfolgen eine Zusammenfassung der gesamten Arbeit und Darstellung der wichtigsten Ergebnisse.

3 Theoretische Grundlagen und Annahmen

Ziel der Arbeit ist es aufzuzeigen, ob bzw. wie Beratungsstellen ihre Arbeit und Angebote per Webseite präsentieren und wie Frauen, die sexualisierte Gewalt erfahren haben diese Webseiten nutzen. Dabei wird der Begriff: „Sexualisierte Gewalt“ so benutzt, das dieser am umfassendsten alle Formen von Gewalterfahrungen in diesem Rahmen beinhaltet. Somit enthält er jede Form von sexuellen Handlungen, die ohne Einwilligung gegen einen Menschen gerichtet werden. Das Adjektiv zielt auf den Prozess der Sexualisierung, also der Aufladung einer Handlung oder eines Objektes mit sexuellen Bedeutungen und damit auf das „Ineins“ von Macht und Sexualität. ( Helfferich, Cornelia: Anlaufstelle für vergewaltigte Frauen – Abschlussbericht der wissenschaftlichen Begleitforschung. Stuttgart; Berlin; Köln: Kohlhammer Verlag, 1997, S.14).

3.1 Sozialprofessionelle Beratung

Mit dem in dieser Arbeit verwendeten Begriff Beratung ist die sozialprofessionelle Beratung gemeint als eine Hauptdisziplin in der sozialen Arbeit. Ich stütze mich hierbei auf die Definition sozialprofessioneller Beratung des Deutschen Berufsverbandes für Soziale Arbeit e.V. (Vgl. Schulz-Wallenwein/ Maus, 2002). Institutionelle Beratungsarbeit, wie diese in Einrichtungen zur Beratung für Frauen mit sexualisierter Gewalterfahrung stattfindet stützt sich auf verschiedene Formen und Grundhaltungen der jeweiligen Institution, an welche die Einrichtung angebunden ist. Diesem liegt aber übergeordnet eine allgemeine Definition, was Beratung sein soll, zugrunde, wie sich diese z.B. in der „Qualitätsbeschreibung Sozialprofessionelle Beratung“ des Bundesverbandes Sozialer Arbeit findet. Darin wird Sozialprofessionelle Beratung folgendermaßen definiert:

Sozialprofessionelle Beratung ist eine subjektangepasste, biographiebezogene, situationsadäquate, kommunikativ vermittelte und vereinbarte Unterstützungshandlung zur Verbesserung der Einsichts-, Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit von Einzelnen, Gruppen und Institutionen.“ (Schulz-Wallenwein/ Maus, 2002)

Es geht weiter um Entwicklungsmöglichkeiten (Empowerment). Sozialprofessionelle Beratung ist eine bestimmte Form der Kommunikation und bedient sich der Vermittlung von Informationen, verschiedener professioneller Interventionstechniken, der Eigenkräfte und Erkenntnispotentiale der Ratsuchenden/zu Beratenden. Hier stellt sich die Frage, ob die Webseiten der Beratungsstellen dieser Definition gerecht werden bzw. ob die Beratungsstellen auch das anbieten, was von sexualisierter Gewalt betroffene Frauen suchen und ob diese Angebote auf den Webseiten von den Hilfe suchenden Frauen auch als diese erkannt werden.

„Sozialprofessionelle Beratung“ zeigt in ihren Grundelementen alleine schon, dass es sich hier um einen sensiblen Bereich handelt. Dabei kennzeichnen die folgenden drei Grundelemente die „Sozialprofessionelle Beratung“:

- Freiwilligkeit als handlungsleitende Fiction
- situative Asymmetrie
- Problembezug

Diese Grundelemente zeigen deutlich, dass Beratung ein sehr sensibles Thema ist und daher die Anonymität des Internets Hilfesuchenden Schutz beim ersten Kontakt mit den Informationsangeboten der Beratungsstellen geben könnte. In dieser Arbeit soll untersucht werden ob dies auch von den Betroffenen so empfunden wird. Ferner ergibt sich die Frage ob Betroffene vor direkter Kommunikation zurückschrecken (siehe unten) und daher das Internet bei der Überbrückung von Barrieren helfen kann. Oder ob es umgekehrt der Fall ist, dass betroffene Frauen den direkten Kontakt mittels direkter Kommunikation gegenüber der Internetkommunikation bevorzugen.

Die Beratung über Beratungsstellen findet in Form institutionalisierter Beratung statt, da sie über die Träger (Anstellungsträger) direkt in das Gefüge gesellschaftlicher Institutionen eingebunden ist. Damit ist sie mit deren Handlungslogiken und Erwartungen konfrontiert. Daraus können sich Konfliktsituationen zwischen Hilfesuchenden und Beratungsstellen ergeben. Handlungslogiken von Beratungsstellen könnten u.a. dazu führen, dass das Internetangebot von Beratungsstellen nicht zur Nachfrage von Hilfesuchenden passt. Auch dieser Aspekt soll der vorliegenden Arbeit untersucht werden.

Weiter setzt der Beratungsanlass voraus, dass Ratsuchende einen Mangel oder in der Beratung eine Chance zur Weiterentwicklung oder Klärung erleben, wie z. B., dass sie

Informationen benötigen, einordnen und Entscheidungen treffen können und/oder soziale Probleme oder Konflikte haben sich in einer Krise befinden fachliche Unterstützung wünschen (z. B. Konzeptentwicklung, Qualitätsentwicklung, Kosten-/ Wirtschaftlichkeitsrechnung) (Schulz-Wallenwein/ Maus, 2002)

Bei Frauen, die sexualisierte Gewalt erfahren haben, kann davon ausgegangen werden, dass alle genannten Punkte für einen Beratungsanlass zutreffen könnten. Daher ist die Frage interessant, welcher Anlass bei den Betroffenen dazu führt, dass sie mit Beratungsstellen in Kontakt treten. Wobei sich diese Studie ausschließlich auf die Kontaktaufnahme über das Internet bezieht.

3.2 Kommunikation im Internet

Als Grundhypothese wird in dieser Studie davon ausgegangen, dass die von Habermas und Schulz von Thun beschriebenen Kommunikationsmodelle auch für die Kommunikation im Internet gelten.

Diese Studie soll klären auf welche Weise und mit welchem Ziel das Internet als Kommunikationsknotenpunkt im Kontakt zwischen betroffenen Frauen und den Beratungsstellen dienen kann. Dabei muss zuerst die Frage geklärt werden wie und mit wem betroffene Frauen kommunizieren und was das Ziel dieser Kommunikation für die betroffenen Frauen ist. Kommunikation ist der Austausch oder die Übertragung von Informationen und somit ein wesentlicher Bestandteil bei der Nutzung des Internet. Dabei ist das Internet lediglich ein technisches Hilfsmittel für Kommunikation. Es gibt verschiedene Modelle zur Darstellung der Aspekte einer Kommunikation. Es gibt unterschiedlichen Zugangsweisen zur Beschreibung von Kommunikationsprozessen, welche wiederrum zu unterschiedlichen Kommunikationsbegriffen, Kommunikationsmodellen und Kommunikationstheorien führen. Diese umfassen z. B. das „Nachrichtenquadrat“ von Prof. Dr. Friedemann Schulz von Thun (Schulz von Thun, 1981), welches verschiedene Bedeutungsebenen einer Kommunikation zwischen einem Sender und einen Empfänger betrachtet oder die von Jürgen Habermas entwickelte Theorie der “kommunikativen Kompetenz” (TdkH, Bd. I), die “Sprechakte” in den Zusammenhang der objektiven, der sozialen und der subjektiven Welt stellt .

Das Internet als Kommunikationsmittel wird nun genauer beleuchtet. Dabei gilt: „Unter cvK soll [...] jene Kommunikation zusammengefasst werden, bei der aufseiten der Empfänger einer Botschaft ein Computer zur En- und Dekodierung zum Einsatz kommt.“ (Hartmann, 2004). Das netzbasierende Medium Webseite, als Kommunikationsmittel, zeigt die Besonderheiten der computervermittelten Kommunikation. Diese umfassen verschiedene veränderte Kommunikationsformen, die auch „neue Kommunikationsformen“ genannt werden. Diese und ihre Anwendungen realisieren interpersonelle Kommunikation in unterschiedlichen (sozialen) Kontexten. Verschiedene Unterscheidungsdimensionen auf denen die cvK verortet werden kann, zeigen einen Überblick über die Möglichkeiten und Ausformungen der Kommunikation über netzbasierte Medien auf: Die Anzahl und Güte der Sinneskanäle. Es sind verschiedene und vielfältige Sinnesmodalitäten an der jeweiligen Kommunikationsform auditiv und visuell beteiligt. Meist wird die Anzahl und Art der Sinneskanäle durch das Medium bzw. die Kommunikationstechnologie selbst festgelegt. Die Dimension der synchronen (zeitgleichen) vs. der asynchronen (zeitversetzte) Kommunikation. Asynchrone Kommunikation zeichnet sich immer durch die fehlende Möglichkeit eines sofortigen Feedbacks aus. Dazu gehört der Austausch per E-Mail.

Nach Kuhn (2001) ist die Kommunikation über eine Webseite, die hier untersucht wird, eine Kommunikation vom Typ Face-to-File (FF) (Typ 2 der Definition nach Kuhn): Bei dieser Form der Kommunikation erfolgt ein einseitiger Informationsaustausch. Beispielsweise erfolgt diese Art der Kommunikation beim Lesen eines Textes auf einer Webseite, ohne dass ein Rückkanal genutzt und Feedback an den Autor bzw. den Autoren gesendet wird. Diese Kommunikation erfolgt ohne prosodische, haptische und soziale Informationen. Außerdem ist diese Art der Kommunikation non-verbal und stark formalisiert. Damit unterscheidet sie sich von der Face-to-Face Kommunikation (Typ 1) (FTF / F2F), die direkt und unmittelbar stattfindet (Chatrooms nach Döring 1999), wie auch von der Face-File-Face Kommunikation (FFF) (Typ 3), bei der Informationen ausgetauscht werden und ein Feedback über einen Rückkanal erfolgt. Blogs oder Foren zählen zu der zuletzt genannten Face-File-Face Kommunikation. Es stellt sich die Frage was die Webseite als webbasiertes Kommunikationsmittel zwischen Betroffenen und Beratungsstellen leisten kann bzw. ob sie überhaupt, in dem untersuchten Kontext, das geeignete Kommunikationsmittel gegenüber anderen Formen der Internetkommunikation ist.

Multimedialität sowie die Interaktivität sind allgemein positive Aspekte der computervermittelten Kommunikation. So können Text-, Ton- und Bildelemente in einer Kommunikation relativ schnell zusammengefügt werden und Inhalte veranschaulicht beziehungsweise vermittelt werden. Außerdem sind die Inhalte zeit- und ortsunabhängig abrufbar. Dies könnte in dem untersuchten Zusammenhang dazu führen, dass die Kommunikationsbarriere für hilfesuchende Frauen niedrig ist. Dieser Aspekt ist zentral in der vorliegenden Arbeit. Die Kommunikationssituation im Internet zeigt verschiedene Besonderheiten auf, die für betroffene Frauen in ihrer speziellen Situation von Vorteil sein könnten. Zu den Besonderheiten gehören vier charakteristischen Eigenschaften, die mehr oder weniger ausgeprägt in den einzelnen Kommunikationssituationen auftreten können (Hartmann, 2004): Die Kommunikationspartner befinden sich nach situativem Kontext mehr oder weniger isoliert voneinander. Es besteht eine Anonymität anderer Personen, denn die Kommunikationspartner (Sender und Empfänger) verfügen über eingeschränktes voneinander. Gleiches gilt für die Identifizierbarkeit der eigenen Person: Inwiefern wissen die Empfänger etwas über die Identität des Senders? Eine Kopräsenz ist in vollem Maße ist nur in Face-to-face-Situationen gegeben, da die Kommunikationspartner die gleiche Umgebung teilen. Bei online-Kontakten hingegen gibt es keine Kopräsenz.

Die Kommunikation über eine Webseite hat, wie fast anderen Formen der computervermittelten Kommunikation, den Nachteil, dass sie ohne verbale und nonverbale Verständigungsmittel wie Gestik, Mimik, Stimmlage, Betonung etc. auskommen muss. Somit liegt eines der Probleme der rein text- und computerbasierenden Kommunikation im Nichtvorhandensein des unmittelbaren Hörerrückmeldeverhaltens in Form von Mimik oder auch Gestik, welche im direkten Gesprächskontakt mit z.B. einer Klientin eine wesentliche Rolle einnehmen. Man kann seinen Text bzw. seine Botschaft nicht unmittelbar revidieren oder erklären, außer der Kommunikationspartner würde sein Unverständnis direkt im Antworttext kundgeben. Ein weiteres Problem ist die Entpersonalisierung durch das Internet und die Kommunikation, die nicht mehr Face-to-Face stattfindet.

Da sich meine Fragestellungen und Annahmen bezüglich der Relevanz des Internet für die Soziale Arbeit, speziell die Beratungsarbeit an einem Klientel ausrichten, das sich seine Hilfeform aktiv wählt, möchte ich im folgenden zwei theoretische Grundlagen näher ausführen, die sich mit allgemeinen Theorien zur Medienwahl von Nutzern computerbasierender Information und Kommunikation beschäftigen. Die Medienwahl wird durch soziale, situative und personale Faktoren bestimmt. Dabei wirken nicht die technischen Eigenheiten der Medien unmittelbar auf die Medienwahl, sondern diese wird durch die personalen und v.a. sozialen Determinanten beeinflusst (Hartmann, 2004).

Das von Reicher, Spears und Lea 1995 entwickelte SIDE-Modell (Social Identity Deindividuation Model) beschäftigt sich mit den Folgen der physischen Isolation und der visuellen Anonymität, die die Kommunikationspartner während der computervermittelten Kommunikation erleben, und ist somit wohl das komplexeste Modell der computervermittelten Kommunikation (Hartmann, 2004).

Die soziale und personale Identität sind zentrale und wichtige Konzepte des SIDE-Modells. Die personale Identität ergibt sich aus den individuellen Eigenschaften und deren Bewertung im interpersonellen Vergleich (Hartmann, 2004). Die soziale Identität wird als das Gefühl einer Person verstanden, das sich aus der Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen, z.B. Geschlecht, ethnischen Gruppen oder Alters- und Berufsgruppen ergibt. Sie besteht aus verschiedenen Teilidentitäten, da eine Person ja mehreren Gruppen gleichzeitig angehören kann. Diese sind dann nach Situation und Kontext unterschiedlich „aktiv“ oder salient (Hartmann, 2004). Die soziale Identität tritt besonders in Situationen zutage, in denen die Deindividuation einer Person betont wird (Hartmann, 2004), wie es in der comuterbasierenden Kommunikation der Fall ist.

Das SIDE-Modell wurde entwickelt, um Vorhersagen über die Folgen eben dieser Deindividuation zu machen. Es werden zwei Aspekte unterschieden: Anonymität und Identifizierbarkeit (Hartmann, 2004). In anonymen Situationen ist es schwer oder überhaupt nicht möglich, andere Personen individuell wahrzunehmen. Aufbauend auf die Theorie der sozialen Identität nach Tjfel (1978) und der Selbstkategorisierungstheorie von Turner (1982) wird mit dem SIDE-Modell angenommen, dass Personen sich unter anonymen Situationen normkonformer verhalten als in Situationen, in der sich Individuen gegenseitig identifizieren können.

Identifizierbarkeit als zweiter wichtiger Aspekt bezeichnet daher das Wissen einer Person, das andere sie erkennen können. Dabei unterscheidet man das Erkennen durch Gruppen, denen man selbst angehört (Ingroup) und fremden Gruppen (Outgroup) (Boos, 2005, in: Hartmann, 2004). Neben der Unterscheidung zwischen Anonymität und Identifizierbarkeit gliedert sich das SIDE-Modell in zwei Teile: den strategischen und den kognitiven Aspekt (Hartmann, 2004). Im Gegensatz zu den Modellen der rationalen Medienwahl liegt beim Modell der Theorie des sozialen Einflusses (Social influence model: Fulk, Schmitz & Steinfeld 1990) das Hauptaugenmerk auf dem Einfluss sozialer Kontextbedingungen auf die Medienselektion (Hartmann, 2004). Die Einstellung gegenüber verschiedenen Medien hängt demnach nicht allein von individuellen Nutzungserfahrungen ab, sondern auch von Meinungen, Einstellung und Verhalten anderer Personen. Gruppennormen nehmen hier eine besondere Stellung ein, da sie die Meinungen und Wertvorstellungen des zugehörigen sozialen Kontextes widerspiegeln (Hartmann, 2004). Die Theorie des sozialen Einflusses geht auch davon aus, dass den jeweiligen Verhaltensweisen unterschiedliche Nützlichkeitsbewertungen zugewiesen werden können, die ausschlaggebend für die spätere eigene Medienwahl sind. In empirischen Studien konnte nachgewiesen werden, dass der soziale Kontext sich stärker auf Nützlichkeitsbewertung auswirkt und die persönliche Erfahrung eher auf die Nutzungsintensität (Hartmann, 2004).

3.3 Betroffene sexualisierter Gewalt als KlientInnen der Sozialen Arbeit

3.3.1 Sexualisierte Gewalt

Sexualisierte Gewalt existiert in fast allen Gesellschaften und soziale Bedingungen beeinflussen ihre Verbreitung. Die einzelnen, von Opfern häufig als singuläre, unvergleichbare, traumatisierende Ereignisse mit gravierenden Folgen für ihre Persönlichkeit und ihr Leben erfahrenen Gewalttaten summieren sich Jahr für Jahr zu einer ähnlich hohen Ziffer, die nur geringfügig schwankt. Diese Regelhaftigkeit zeigt, dass sexualisierte Gewalt ein Strukturmerkmal unserer Gesellschaft ist, ein „sozialer Tatbestand“. (BMFSFJ, 1997) Auch neuere Studien und Arbeitsberichte spezifischer Einrichtung belegen, dass diese Regelhaftigkeit besteht.

Um den Begriff sexualisierte Gewalt von anderen Gewaltformen abzugrenzen ist es notwendig folgende Aspekte einzubeziehen: Als sexuell kann eine Handlung dann bezeichnet werden, wenn diese sich auf geschlechtliche Merkmale eines oder beider Beteiligten beziehen. Obwohl das Strafgesetzbuch den Begriff sexuelle Handlung dahingehend einschränkt, dass sexuelle Handlungen im Sinne des Gesetzes nur solche seien, die in Bezug auf das geschützte „Rechtsgut” der Selbstbestimmung von einiger Erheblichkeit sind (§ 184g Nr.1 StGB) und sexuelle Handlungen vor einem anderen nur solche, die vor einem anderen vorgenommen werden und deren Vorgang von diesem auch wahrgenommen wird (§ 184g Nr. 2 StGB), muss der Begriff sexuelle Handlungen darüber hinaus begriffen werden. Denn die gesetzliche Einschränkung bezieht sich lediglich auf rechtlich relevante Inhalte nicht aber tatsächlich mögliche Handlungen, die vor oder an einer anderen Person vorgenommen werden, dieser aber verborgen bleiben sollen und tatsächlich bleiben, aus Sicht des Handelnden einen sexuellen Bezug haben, bzw. sich in der subjektiver Wahrnehmung als sexuelle Handlung darstellen.

Gewalterfahrungen, insbesondere sexualisierte Gewalt, stellt ein Erleben von Hilflosigkeit Kontrollverlust und Ohnmacht dar. Reaktions- und Verteidigungsmechanismen führen nicht zum Schutz. Die Grenzen des Individuums werden massiv überschritten und besonders im Falle sexualisierten Gewalt auch die individuellen Körpergrenzen. Situationen, welche als die Integrität und das Leben bedrohend empfunden werden, führen zu traumatischen Reaktionen die Folgesymptome mit sich tragen. Dies gilt vor allem für sogenannte „man made disaster“ (durch Menschen verursacht).

Im Folgenden lege ich verschiedene Unterscheidungsformen der sexualisierten Gewalt dar, auch um das Ausmaß möglicher Gewalt zu verdeutlichen. Belege für die jeweilige Häufigkeit würden den Rahmen dieser Arbeit überschreiten, finden sich aber in der einschlägigen Literatur.

Die sexualisierte Gewalt beginnt mit herabsetzendem, anzüglichem Reden über körperliche Merkmale, Aussehen, Kleidung bzw. unerwünschten ‚Komplimenten’ oder Kommentaren über das Aussehen. Sexuelle Belästigung im Alltag umfasst unerwünschte Einladungen, Annäherung in schriftlicher oder mündlicher Form, frauenfeindliche Sprache, Diskriminierungen in den Medien. Sexualisierte Gewalt meint auch Äußerungen mit diskriminierenden, sexistischen Inhalten, Beschimpfungen und Bedrohungen. Mit tätlicher sexualisierter Gewalt sind alle Formen sexuell motivierter Handlungen, wie aufgedrängte Berührungen, Küsse, dem Erzwingen von sexuellen Handlungen, sexueller Missbrauch und Vergewaltigung gemeint. Weiterhin gelten Zwangsprostitution, Sextourismus, Kinderpornographie, Exhibitionismus, rituelle Gewalt in Sekten & Kulten, systematische Vergewaltigung als Kriegswaffe oder Foltermethode als Formen der tätlichen sexualisierten Gewalt.

Gewalt kann durch Personen aus dem nahen- oder familiären Umfeld oder durch fremde Personen verübt werden. Der Täterkreis kriminell organisierter Gewalt kann beiden Gruppen angehören. Eine weitere Unterscheidungsmöglichkeit ist die Häufigkeit der individuellen Gewalterfahrung: einmalige Gewalt, mehrfache Gewalt, andauernde Gewalt. Es gibt keine Altersgruppe, beginnend mit dem Säuglingsalter, über Kindesalter, Jugend bis hin zum Erwachsenen in allen Lebensstadien, die nicht von sexualisierter Gewalt betroffen ist. Die Formen der Gewalt sind vielfältig, allgemein wird unterschieden in sexuelle Belästigung, Nötigung, sexuellen Missbrauch, Vergewaltigung, sogenannter ritueller Gewalt. Die letztgenannte Form der Gewalt lässt sich unter organisierter Gewalt subsumieren, da aber die durch die Täter stattfindende Kontextuierung dieser Gewalt diese in einen eigenen Zusammenhang stellt, wird diese auch eigenständig benannt. Sexualisierte Gewalt erfolgt immer in Kombination mit sonstiger körperlicher-ökonomischer- und psychischer Gewalt, psychischer Manipulation, Bedrohung von Leib und Leben, Zwang, etwa sexuelle Handlungen am Täter oder an Dritten auszuführen, der Verabreichung von Drogen, Freiheitsberaubung. Häufig ist die ausgeübte Gewalt mit Schweigegeboten durch die Täter gekoppelt. All diesen Gewaltformen gemeinsamen ist der Angriff auf die eigene Integrität, die Bedrohung der eigenen Sicherheit, der Verlust in das Vertrauen sich selbst schützen zu können sowie Verunsicherung im Kontakt mit anderen Menschen.

3.3.2 Frauen als Betroffene sexualisierter Gewalt

Die häufigste Form sexualisierter Gewalt ist die sexualisierte Gewalt gegen Frauen. Etwa 75% der Opfer sexualisierter Gewalt sind Mädchen und Frauen. ((BMFSJ, 2005, Abb. 1)) sind Die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2004 herausgegebene repräsentative Prävalenzstudie weist nach, dass jede siebte Frau nach dem 16. Lebensjahr mindestens einmal sexuelle Gewalt im Sinne einer strafrechtlichen Definition erfahren hat. 58% aller Frauen haben Formen sexueller Belästigung erlebt. Innerhalb von Partnerschaften gaben 23% Erfahrungen körperlicher Gewalt und 7% Erfahrungen sexualisierter Gewalt an. Davon nannten 69% der Betroffenen mehrfache Gewaltsituationen. (BMFSFJ, 2004) Aus der nicht nur mit dieser Studie belegten Häufigkeit sexualisierter Gewalterfahrungen von Frauen ergibt sich ein entsprechender Bedarf an Beratung und Unterstützung. Jedes Mädchen bzw. jede Frau kann Opfer sexualisierter Gewalt werden unabhängig von ihrem Bildungsstand, Nationalität, Einkommen, Religion, Alter oder ethnischer Zugehörigkeit. Opfer wie Täter gehören allen sozialen Schichten an. Somit stellen Betroffene sexualisierter Gewalt, als Klientinnen in der sozialen Arbeit, ein eigenes Arbeitsfeld dar.

Mittlerweile gibt es für Frauen vielfältige, auf ihre Bedürfnisse ausgerichtete Angebote, wie zum Beispiel: Beratungsangebote von Frauen für Frauen, Gruppen, Notrufe, Wohngemeinschaften (betreutes Wohnen) Mädchennotdienst, Mädchenhäuser, Beratung zu sexuellem Missbrauch, Frauenhäuser.

Viele dieser Angebote bzw. der Projekte haben ihren Ursprung in der zweiten Frauenbewegung der 70ziger Jahre und stehen im Zusammenhang mit dem Engagement gegen Gewalt, Vergewaltigung und andere Gewalt gegen Frauen und der Enttabuisierung des Themas. (bff, 2007) In der Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Strukturen, Geschlechterverhältnissen, Frauen- bzw. Selbsthilfegruppen wurden spezifische Arbeitsansätze entwickeln und fortlaufend weiterentwickelt.

Wichtige Grundhaltungen in dieser Arbeit sind die daraus entstandenen Arbeitsansätze der geschlechtsspezifischen Arbeit, der Parteilichkeit für die Betroffenen, Transparenz, der Schaffung von Frauenräumen, dem Anspruch auf Gleichberechtigung und der Selbstbestimmung der Frau.

Um die Situation von Frauen nach sexualisierten Gewalterfahrungen darzustellen, sollen im folgendem zumindest die wichtigsten Aspekte betrachtet werden. Aus der Praxis sowie der einschlägigen Literatur geht hervor, dass sexualisierte Gewalt für die Betroffenen ein einschneidendes und in vielen Fällen traumatisches Erlebnis darstellt, dessen Auswirkungen von individuellen Faktoren vor, während und im Anschluss des Ereignisses abhängen. Weiterhin findet sich in allen für diese Arbeit recherchierten Quellen, z.B. den Selbstdarstellungen der einzelnen Projekte, den für die Arbeit verwendeten Studien und der Fachliteratur, ein deutlicher Hinweis darauf, dass ein Zusammenhang besteht zwischen einer gesellschaftlichen Haltung zum Thema sexualisierter Gewalt, Stigmatisierung, Scham und Schuldumkehr der Opfer, Anzeigeverhalten der Betroffenen, bestehender Rechtsprechung und daraus resultierender Verurteilung der Täter.

Zwar hat sich in den vergangenen Jahren ein neuer gesellschaftspolitischer Anspruch entwickelt. Dies zeigt zum Beispiel die Einrichtung und Zielsetzungen des Runden Tisches „Sexueller Kindesmissbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich“ der Bundesregierung 2010. Oder das im März diesen Jahres inkraftgetretene Gesetz zur Einrichtung und zum Betrieb eines bundesweiten Hilfetelefons "Gewalt gegen Frauen". Jedoch basieren diese Zielsetzungen und Gesetzesgrundlagen auf der Verbesserungsnotwendigkeit bestehender Zustände.

Zur psychischen und gesundheitlichen Situation von Frauen nach sexualisierter Gewalterfahrung: Die Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) »Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland« von 2004 stellt heraus, das sexualisierte, wie auch alle anderen Formen von Gewalt in einem hohen Maß zu psychischen Folgebeschwerden führen. Wie in Abbildung I zu sehen, sind dabei Ängste, Depression, Schlafstörungen und Suizidalität die häufigsten Folgen sexualisierter Gewalt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1 Psychische Folgen von Gewalt

Innerhalb der Studie wurden Folgebeschwerden dieser Art je nach Gewaltform von 56% bis über 80% der Betroffenen benannt. Häufig sind ebenfalls soziale und psychosoziale Folgen wie Trennung, Scheidung, Wohnungswechsel, Kündigung des Arbeitsplatzes, die Notwendigkeit einer Therapie bei jeder dritten bis siebten betroffenen Frau. Sowie eine insgesamt deutlich stärkere gesundheitliche Belastung. (BMFSFJ, 2004)

Eine im Zusammenhang auch mit sexualisierter Gewalt immer wieder dargestellte Diagnose ist die „Akute Belastungsreaktion“: Eine vorübergehende Störung, die sich bei einem psychisch nicht manifest gestörten Menschen als Reaktion auf eine außergewöhnliche physische oder psychische Belastung entwickelt, und die im Allgemeinen innerhalb von Stunden oder Tagen abklingt. Die individuelle Vulnerabilität und die zur Verfügung stehenden Bewältigungsmechanismen spielen bei Auftreten und Schweregrad der akuten Belastungsreaktionen eine Rolle. Die Symptomatik zeigt typischerweise ein gemischtes und wechselndes Bild, beginnend mit einer Art von "Betäubung", mit einer gewissen Bewusstseinseinengung und eingeschränkten Aufmerksamkeit, einer Unfähigkeit, Reize zu verarbeiten und Desorientiertheit. Aus diesem Zustand kann ein weiteres Sich zurückziehen aus der Umweltsituation folgen oder aber ein Unruhezustand und Überaktivität. Vegetative Zeichen panischer Angst wie Tachykardie, Schwitzen und Erröten treten zumeist auf. Die Symptome erscheinen im allgemeinen innerhalb von Minuten nach dem belastenden Ereignis und gehen innerhalb von zwei oder drei Tagen, oft innerhalb von Stunden zurück.[…] Weiterführend wäre die Diagnose Posttraumatische Belastungsstörung bzw. die Diagnosen der dissoziative Störungen, die ursächlich in mit Verbindung mit traumatisierenden Ereignissen gesehen werden.

Dies trifft auf eine angespannte Versorgungssituation. Es gibt eine begrenzte Anzahl Beratungsstellen. Diese wiederrum haben sehr unterschiedliche Rahmenbedingungen, finanziellen Grundlagen, Arbeitsbedingungen, Organisationsformen und Angebotsstrukturen. In größeren Städten gibt es mehr differenzierte Angebote als in ländlichen Regionen (BMFSJ, 1997). Es bestehen lange Wartezeiten auf ambulante wie stationäre Therapieplätze. Dementsprechend ist weder eine kurzfristige Möglichkeit zur Krisenintervention noch das Angebot notwendiger langfristiger Therapien zu einem späteren Zeitpunkt gesichert. Dies bestätigen auch Aussagen von Frau Prof. Dr. Barbara Kavemann (Kavemann, 2007), die Untersuchungen zu dieser Thematik für das Land Berlin durchgeführt hat, u.a. mit dem Ergebnis, das die Versorgung nicht der Dimension des entspricht. Sie benennt als Problem beispielsweise das die Nutzung nicht dem tatsächlichen Bedarf entspricht, die Versorgung ist nicht immer Zielgruppen- und Bedarfsgerecht angeboten wird und vor allem das Problem der fehelenden Kapazität der bestehenden Einrichtungen. Auf der Seite Betroffenen nennt Frau Porf. Dr. Barbara Karvemann etwa als Gründe, warum Vergewaltigungen durch die Betroffenen nicht angezeigt werden, dass diese das Geschehene nicht als Vergewaltigung benennen und die Befürchtung, dass dieses von der Polizei nicht anerkannt wird. Weiterhin werden folgende Aspekte genannt: Angst vor Unglauben, Beschuldigung, Bewertung, ein Misstrauen gegenüber Behörden, das Freunde und Familie von davon erfahren, vor wiederholter Gewalt und Bedrohung. Außerdem werden Loyalitätskonflikte und die Problematik, sich verständlich zu machen, vor allem für Migrantinnen und Frauen mit Behinderung aufgezeigt. In der 2007 veröffentlichten Dokumentation Sexuelle Gewalt – Entwicklung und Standortbestimmung eines facettenreichen Themas des Kinder – und Frauenschutzes von Frau Prof. Dr. Kavemann werden als Barrieren bei der Hilfesuche durch die Betroffenen zusammenfassend folgendes aufgezeigt: Bei vielen von Gewalt Betroffenen ist eine Beratungsferne festzustellen. Es fehlen Kenntnisse, was von Beratung erwartet werden kann, bzw. es herrschen falsche Vorstellungen von Beratung. Es bestehen Befürchtungen, dass die Beraterin eigene Entscheidungen der Klientin nicht respektiert. Migrantinnen haben eher eine Vorstellung von Schutz als von Beratung. Es gibt teilweise große Orientierungsprobleme im Hilfesystem. Die Unterstützungsangebote werden als zersplittert wahrgenommen. Weitere bekannte Barrieren sind Sprachschwierigkeiten, Einschränkungen und Behinderung oder familiäre Verpflichtungen. Und es lägen Erkenntnisse über weitere Barrieren vor, die zeigen, wie hochschwellig das Unterstützungsangebot von Frauenhäusern und Beratungsstellen mit ihrer Komm-Struktur ist und wie wichtig es ist, dass Schwellen gesenkt werden und die Zugänglichkeit verbessert wird. (Kavemann, 2007)

Gemessen an der oben genannten Definition für die sozialprofessionelle Beratung und dem Fakt, das Kommunikation ein wesentlicher Bestandteil dieser Arbeit ist, werden in dieser Arbeit die Theorien und Grundlagen der Mediennutzung auch auf die Nutzung des Mediums Internet durch beratende Einrichtungen übertragen. Dabei sind jedoch die spezifischen Bedingungen und Bedürfnisse der Zielgruppe zu berücksichtigen. Es werden die genannten Vor- und Nachteile computerbasierender Darstellung und Vermittlung von Inhalten untersucht. Oben wurde dargestellt, dass nicht jedes Medium für jeden Kommunikationszweck geeignet ist. Ob die Kommunikation über Webseiten für die Kommunikation zwischen Betroffenen von sexualisierter Gewalt und Beratungsstellen geeignet ist, zum Beispiel welche Bedeutung den verschiedenen Ebenen von Kommunikation nach Schulz von Thun, zukommt soll in der vorliegenden Untersuchung Berücksichtigung finden. Ausgehend von der Annahme, dass in der Kommunikation zwischen Sender (Beratungsstelle) und Empfänger (Potentielle Klientin) die beabsichtigte Botschaft über das Medium Internet transportiert wird und es sich somit um eine Form der nonverbalen Kommunikation handelt.

Außerdem bleibt festzustellen, ob sich die von Betroffenen wie BeraterInnen genannten Bedürfnisse bezüglich der Gestaltung, Nutzung und Inhalte von Webseiten sowie die dargestellte Situation von Frauen nach sexualisierter Gewalterfahrung in den Onlineangeboten widerspiegeln und das Medium Internet die Möglichkeiten bietet, einzelne dieser Aspekte zumindest in dem möglichen Rahmen stärker zu berücksichtigen.

Ende der Leseprobe aus 95 Seiten

Details

Titel
Die Relevanz des Internet in der Beratungsarbeit mit von sexualisierter Gewalt betroffenen Frauen
Untertitel
Studie zur Nutzung von Webseiten durch Beratungsstellen und Betroffene
Hochschule
Fachhochschule Potsdam
Veranstaltung
Soziale Arbeit
Note
1,7
Autor
Jahr
2012
Seiten
95
Katalognummer
V208519
ISBN (eBook)
9783656358923
ISBN (Buch)
9783656360322
Dateigröße
1060 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
sexualisierte Gewalt, Beratung, Frauen, Internet
Arbeit zitieren
Andrea Paul (Autor:in), 2012, Die Relevanz des Internet in der Beratungsarbeit mit von sexualisierter Gewalt betroffenen Frauen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/208519

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