Belastung und Beanspruchung im eignungsdiagnostischen Verfahren


Hausarbeit, 2006

34 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Belastung und Beanspruchung
2.1 Abgrenzung zum Stressbegriff
2.1.1 Reaktionsorientierter Ansatz
2.1.2 Reizorientierter Ansatz
2.1.3 Transaktionaler Ansatz
2.2 Konzeptionelle Bewertung und Stressdefinitionen

3. Belastung und Beanspruchung im Assessment- Center
3.1 Das Assessment- Center – allgemeine Darstellung
3.2 Geschichtlicher Hintergrund
3.3 Exemplarischer Ablauf
3.3.1 Selbstvorstellung
3.3.2 Gruppendiskussion
3.3.3 Rollenspiel
3.3.4 Stegreifrede
3.3.5 Postkorb
3.3.6 Konstruktionsübung
3.4 Aufgabenstellungen und deren Anforderungen

4. Belastungsfaktoren in der AC- Situation
4.1 lange Anfahrtswege, wenig Schlaf
4.2 Wartezeiten
4.3 Handeln unter Ungewissheit
4.4 Zeitdruck 18
4.5 Beobachtungs- und Bewertungssituation
4.6 Aufgabenprobleme
4.7 Schutz der Privatsphäre
4.8 Rivalität
4.9 Machtverhältnis
4.10 Ungültigkeit üblicher Interaktionsformen
4.11 Rollenkonflikte
4.12 Autonomiebeschränkung
4.13 behavioral setting

5. Messung der psychischen Beanspruchung im Assessment- Center
5.1 Physiologische Maße
5.2 Leistungsparameter
5.3 Subjektive Schätzverfahren
5.4 Fazit für die Untersuchungsmethodik im Assessment- Center

6. Dimensionen der psychischen Beanspruchung
6.1 Analytische Anforderungen und daraus resultierende Beanspruchung
6.2 Soziale Anforderungen und daraus resultierende Beanspruchung
6.3 Emotionale Anforderungen und daraus resultierende Beanspruchung

7. Beanspruchungsfolgen

8. Zusammenfassung und Fazit

1. Einleitung

Zeit- und Leistungsdruck, Lärm, ungewohnte Situationen, Hitze und das Gefühl beobachtet zu werden, wirken auf Individuen belastend und verursachen Stress. Situationen in denen Menschen solchen Bedingungen ausgesetzt sind, gibt es im Beruf, in der Freizeit und in der Familie viele: ein Gespräch mit dem Vorgesetzten, Diskussionen in der Familie, ein öffentlicher Auftritt, eine Rede halten.

Eine spezielle Situation in der viele dieser Stressfaktoren zusammenkommen, sind eignungsdiagnostische Personalauswahlverfahren. Bewerber werden eingeladen, ihr Wissen und ihre Persönlichkeit zu präsentieren und sich gegen die Konkurrenz von vielen anderen Bewerbern durchzusetzen. Eines der beliebtesten und härtesten Ausleseverfahren unserer Zeit ist das Assessment- Center. Banken, Versicherungen, Industriekonzerne und zunehmend auch mittelständische Unternehmen nutzen dieses Verfahren, um die sozialen und fachlichen Kompetenzen der Bewerber im Auswahlprozess auszuloten.

Die Assessment- Center- Situation ist von Unsicherheit und Aufgabenvielfalt geprägt: Einzelsituationen, Rollenübungen, Präsentationen und Gruppenübungen werden miteinander kombiniert, um die Emotionale Stabilität (Ausgeglichenheit, Selbstbewusstsein, Aggressivität), Soziale Intelligenz (Kontaktfähigkeit, Durchsetzungsvermögen, Anpassungsfähigkeit) und das Leistungsverhalten (Pflichtbewusstsein, Ehrgeiz, Kundenorientierung) der Teilnehmer zu testen. Dieses multimethodale Verfahren, der ein bis dreitägigen Veranstaltungen simuliert spätere Arbeitsaufgaben und ermöglicht es ein umfassendes Bild des Bewerbers bei der Bewältigung künftiger Anforderungen zu erhalten. Die Bewältigung der gestellten Aufgaben erfordern unter anderem intensive kognitive Leistungen, rhetorische Fähigkeiten, Teamgeist und großes Selbstbewusstsein und fordern die Teilnehmer über einen ausgesprochen langen Zeitraum nahezu ununterbrochen. Diese hohen Anforderungen wirken sich auf die Teilnehmer psychisch und physisch sehr belastend aus und können unter Umständen enormen Stress verursachen.

In diesem Zusammenhang stellen sich einige Fragen:

Was ist unter Belastungen zu verstehen? Welche Faktoren beeinflussen das subjektive Belastungsempfinden in der Assessment- Center- Situation? Welche individuellen Auswirkungen können diese psychischen Belastungen auf die Teilnehmer haben? Wie wirkt sich die Beanspruchung auf die Leistungsfähigkeit in der Auswahlsituation aus? Im Rahmen dieser Arbeit soll zunächst das Belastungs- Beanspruchungs- Konzept erläutert, anschließend die Ergebnisse verschiedener Untersuchung zur Befindlichkeit der AC- Teilnehmer dargestellt und später ausführlich am Beispiel des Assessment- Centers beleuchtet werden. Die einzelnen Belastungsfaktoren des Assessment- Centers sollen herausgearbeitet und hinsichtlich ihrer Wirkung auf die Teilnehmer untersucht werden.

2. Belastung und Beanspruchung

Die Ausübung von Tätigkeiten körperlicher, kognitiver oder emotionaler Art stellt für den Ausübenden eine Belastung dar, die zur Beanspruchung führt. Das aus der Arbeitspsychologie entlehnte Belastungs- und Beanspruchungskonzept von Rohmert & Ruthenfranz (1975) definiert „alle objektiven, von außen her auf den Menschen einwirkende Größen und Faktoren“ als Belastung (engl.: stress). Aus der Bewältigung dieser Belastung resultiert die Beanspruchung (engl.: strain), die nach Laurig (1979) „die Gesamtheit der durch die individuellen Eigenschaften des einzelnen Menschen bedingten in diesen und für diesen entstehenden Auswirkungen der Arbeit und der Situation“ umfasst. Die Belastungs- Beanspruchungsthematik ist durch eine große Vielfalt von Konzepten, Inkonsistenzen und vielseitiger Begriffsverwendung gekennzeichnet. Schönpflug (1987) zu Folge lassen sich Belastungen (1) nach ihrer Herkunft, (2) nach ihrer Qualität, (3) nach den Möglichkeiten, sie zu beeinflussen, (4) nach der Möglichkeit ihr Auftreten hervorzusehen, (5) nach ihrer zeitlichen Struktur und (6) nach der Art ihrer Auswirkungen auf den Betroffenen klassifizieren. McGrath (1976) und Hoyos (1980) haben sich vor allem mit den Belastungen in der Arbeitswelt beschäftigt und nehmen folgende Klassifizierung vor:

Belastungen können bei der Bewältigung von Aufgaben mit zu hohen qualitativen oder quantitativen Anforderungen, z.B. durch Informationsüberlastung oder Zeitdruck aus der Arbeitsaufgabe selbst entstehen. Belastungen können, durch Faktoren, wie Verantwortung, Konkurrenzverhalten unter Mitarbeitern, fehlende Unterstützung und Konflikte aus der Arbeitsrolle resultieren. Des Weiteren können Belastungen aus der materiellen Umgebung(Umgebungseinflüsse wie Lärm, Kälte, Hitze) oder dem sozialen Umfeld(Betriebsklima, strukturelle Veränderungen im Unternehmen und Informationsmangel) entstehen. Das „behavioral setting“, d.h. Isolation, Dichte und Zusammengedrängtheit und das Person-System(Angst vor Aufgaben, Misserfolg, Tadel und Sanktionen, sowie ineffiziente Handlungsstile, familiäre Konflikte und fehlende Eignung) belasten Individuen ebenfalls. Abbildung 1 gibt einen Überblick über die Vielzahl der möglichen Belastungsfaktoren und deren Zusammenhang mit Belastung und den daraus resultierenden möglichen Beanspruchungen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Schematische Darstellung des Belastung- Beanspruchung- Zusammenhangs

[modifiziert nach Rohmert (1973)]

Demzufolge kann Beanspruchung nach physischen und psychischen Auswirkungen differenziert werden. Die physische Beanspruchung beschreibt die Auswirkungen der Belastung auf das Kreislaufsystem sowie Muskeln und Gelenke. Die psychische Beanspruchung kann in emotionale und mentale Beanspruchung unterschieden werden. Die Beanspruchung der Sinnesorgane stellt eine psychophysische Reaktion auf Belastung dar. Im Zusammenhang mit der Bewältigung von Assessment- Center- Situationen liegen die Anforderungen an die Teilnehmer vor allem in den Bereichen Denken, Verhalten, Wahrnehmen und Informationen verarbeiten. Diese psychischen Anforderungen führen in erster Linie zu psychischer Belastung und damit zu psychischer Beanspruchung. Die Definitionen zur Belastung und Beanspruchung wurden durch die Einführung der Deutschen Industrienorm auf die psychischen Teilaspekte spezifiziert und vereinheitlicht:

„Psychische Belastung wird verstanden als die Gesamtheit der externen Einflüsse, die auf den Menschen psychisch einwirken.

Psychische Beanspruchung wird verstanden als die individuelle, zeitlich unmittelbare und nicht langfristige Auswirkung der psychischen Belastung im Menschen in Anhängigkeit von seinen individuellen Voraussetzungen und seinem Zustand.“

(DIN EN ISO 10075- 1,-2 ; 2000, S. 3)

Vor allem psychische Belastung, Beanspruchung und deren Beanspruchungsfolgen werden oftmals synonym mit dem Begriff Stress gebraucht. Damit wird eine Abgrenzung des Belastungs- und Beanspruchungskonzepts vom nahe verwandten Stresskonzept erforderlich:

2.1 Abgrenzung zum Stressbegriff

Cannon´s Arbeiten (1914) zur Reaktion in Alarmsituationen und dem „Fight- or- Flight- Verhalten“ brachte den Stressbegriff erstmals in die wissenschaftliche Diskussion ein und wurde seitdem in mehr als 200 Definitionen thematisiert (Seefeldt, 2000). Vor allem den diversen wissenschaftlichen Disziplinen, die das Phänomen Stress aus jeweils unterschiedlichen Perspektiven betrachten, ist die uneinheitliche Begriffsauffassung zu verdanken (Cooper, Dewe & O´Driscoll, 2001). Die Stresskonzeptionen lassen sich je nach Konzeptualisierung und Sichtweise klassifizieren:

2.1.1 Reaktionsorientierter Ansatz

Der Stressbegriff aus dem Modell der „Notfallreaktion“ von Cannon wurde durch Seyle (1953) erweitert und durch das „Allgemeine Adaptationssyndrom“ weit verbreitet. Diesem zu Folge, stellt Stress eine allgemeine unspezifische Reaktion des menschlichen Organismus auf Anforderungen und Belastungen aus der Umwelt dar, die eine Störung des dynamischen Gleichgewichts des Organismus bewirkt. Diese körperliche Anpassungsreaktion läuft in den folgenden 3 Phasen ab:

- Phase der Alarmreaktion
- Phase des Widerstandes bzw. der Anpassung
- Phase der Erschöpfung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Das allgemeine Adaptationssyndrom (AAS) – nach Seyle ( 1956)

Nach Seyle kommt es unmittelbar nach Einwirkung der Stressoren zu einer Schockreaktion in Folge dessen ein Gegenschock einsetzt, bei der die Leistungsfähigkeit des Körpers durch Mobilisierung aller Energiereserven maximal erhöht wird. Phase 2 stellt die Gewöhnung und Anpassung (Adaptation) an die Belastungssituation dar. Die Widerstandsfähigkeit des Körpers wird für den Fall wiederkehrender Belastungen erhöht und bleibt in Alarmbereitschaft. Bei weiterer oder chronischer Belastung durch Stressoren bzw. fehlender Regenerationszeit folgt die Erschöpfungsphase: In Folge der Verschiebung des homöostatischen Gleichgewichts werden Stoffwechsel und Immunfunktionen verlangsamt, das Schlafbedürfnis steigt an, organische Erkrankungen können die Folge sein. Ein weiteres reaktionsorientiertes Stresskonzept ist das „Stress-Schwellenmodell“ von Cofer und Appley (1964). Dieses Stresskonzept berücksichtigt neben den biologischen Gesichtspunkten auch Verhaltensaspekte und definiert Stress als den Zustand eines Organismus, der dann eintritt, wenn das Individuum erkannt hat, dass sein Wohlbefinden oder seine Integrität in Gefahr ist und dass es alle verfügbare Energie zu seinem Selbstschutz und seiner Selbstverteidigung aufwenden muss.

2.1.2 Reizorientierter Ansatz

Dem reizorientierten Ansatz zu Folge, wirken alle aus der Umwelt, Lebenssituation oder Aufgabe kommenden Reize und Anforderungen als Stressoren und wirken schädigend auf den Menschen. Diesem Konzept liegt die Analyse bestimmter kritischer Lebensereignisse (life- events) bzw. Alltagsärgernisse (daily hassels) und deren psychophysischen Auswirkungen zugrunde. Die life- event- Forschung versucht diese Lebensereignisse hinsichtlich ihrer stressverursachenden Wirkung zu quantifizieren. Dabei werden sowohl physikalische als auch arbeitsorganisatorische sowie soziale Stressoren berücksichtigt. Dieser, auch „situationsbezogen“- genannte Ansatz vernachlässigt jedoch die individuelle Bewertung der Stressoren und welche Wirkung sie in Abhängigkeit von den persönlichen Bewältigungsstrategien hervorrufen. Schönpflug (1987) dokumentiert dies folgendermaßen: „Situationszentrierte Ansätze beruhen auf der Vorstellung, in der Belastungssituation falle dem betroffenen Menschen stets die Rolle des Opfers zu.“

2.1.3 Transaktionaler Ansatz

Lazarus und Launier (1978) erweiterten das reizorientierte Stress-Konzept in dem sie die individuelle Bewertung dieser Ereignisse berücksichtigten. Im transaktionalen Erklärungsmodell spielen die subjektiven Unterschiede aufgrund individueller kognitiver und emotionaler Vorgänge die zentrale Rolle. Diesem kognitiven Ansatz nach, ist Stress als Wechselwirkung von Person und Situation zu sehen und entsteht durch subjektive Einschätzungen und Bewertungsprozesse. Neben den Variablen Situationsdeutung, Persönlichkeitsfaktoren, kognitive Analysen und emotionale Bewertungen, wird der komplexe Wechselwirkungsprozess zwischen den Anforderungen der Situation und der handelnden Person berücksichtigt. Die Belastungssituation wird bezüglich ihrer Bedrohlichkeit in drei Stufen bewertet und hinsichtlich ihrer Bewältigungsmöglichkeiten abgeschätzt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: Transaktionales Stressmodell (nach Lazarus & Launier, 1978)

In der Phase der Primärbewertung wird die wahrgenommene Situation oder der konkrete Umweltreiz hinsichtlich ihrer Bedrohung beurteilt (sog. Ereigniswahrnehmung). Ist die Anforderung irrelevant, positiv oder stressbezogen? Wird die Situation stressbezogen eingeschätzt folgt die Beurteilung, ob sie einen Schaden, eine Herausforderung oder eine Bedrohung darstellt. Im Falle einer Bedrohung werden die Möglichkeiten der Bewältigung eingeschätzt (secondary appraisal). Unter Berücksichtigung der Situationsparameter, persönlichen Fähigkeiten und Erfahrungen werden die Strategien zur erfolgreichen Bewältigung bewertet (sog. Ressourcenwahrnehmung). Ist die Bewältigung der Bedrohung mangels intellektueller, sozialer, materieller oder körperlicher Ressourcen unmöglich, entsteht Stress. Im Falle der erfolgreichen Bewältigung, erfolgt eine Neubewertung (re-appraisal) der Gesamtsituation. Der Erfahrungsgewinn ermöglicht dem Individuum zukünftige, ähnliche Situationen oder Wiederholungen der Belastung anders einzuschätzen und bildet neue Bewertungsmaßstäbe. Objektive, äußere Belastungen rufen also in Abhängigkeit von den individuellen Bewältigungsstrategien, unterschiedliche subjektive, innere Beanspruchungen hervor. Unter diesen Bewältigungsstrategien (coping) werden alle kognitiven und verhaltensmäßigen Anstrengungen, mit internen und externen Anforderungen umzugehen, verstanden, die als die eigenen Ressourcen stark beanspruchend oder übersteigend bewertet werden (Lazarus & Folkman, 1984). Dabei stehen der betreffenden Person emotionsbezogene und problembezogene Handlungsoptionen zur Auswahl: Problemorientiertes Coping ist aufgabenbezogen und ermöglicht zwei Verhaltenalternativen: direktes Handeln (Aneignung neuer Kompetenzen und Änderungen von Arbeitsstrategien und Arbeitsorganisation) oder Unterlassen (ausweichen oder flüchten). Emotionsorientiertes Coping bezieht sich auf intrapsychische Bewältigung durch Mechanismen der psychischen Abwehr (Verdrängung, Verleugnung) oder gedankliche Auseinandersetzung mit der Situation (Informationssuche und -verarbeitung). Die Bedeutsamkeit des transaktionalen Stressmodells von Lazarus liegt nach Feldmann (1983) darin, dass einerseits die subjektive Bedeutsamkeit und Wertigkeit von Belastungen und andererseits, dass kognitive, emotionale und motivationale Einflussgrößen (Mediatoren) auf das Stressempfinden Berücksichtigung finden. Ein Reiz ist nicht deshalb stressend, weil er, wie Seyle annahm, eine bestimmte Intensität übersteigt, sondern wird durch die subjektiven Wahrnehmungen und Bewertungen einer Person zu einem Stressreiz.

2.2 Konzeptionelle Bewertung und Stressdefinitionen

Bedeutsam für den Stressgehalt einer Situation oder eines Ereignisses sind dem transaktionalen Ansatz zu Folge, neben objektiven Merkmalen einer Situation vor allem individuelle Empfindungen und Überlegungen der davon betroffenen Person. Greif (1989) bringt den Begriff der „aversiven Prognose“ in die Stress-Thematik ein und liefert so eine wichtige Grundlage für weitere Definitionen:

„Auf dieser Grundlage kann die „Stressreaktion“ als subjektiver Zustand definiert werden, der aus der Befürchtung (englisch „threat“ ) entsteht, dass eine stark aversive, zeitlich nahe und subjektiv lang andauernde Situation wahrscheinlich nicht vermieden werden kann. Dabei erwartet die Person, dass sie nicht in der Lage ist (oder sein wird) die Situation zu beeinflussen oder durch Einsatz von Ressourcen zu bewältigen.“ (Greif 1989, S. 435)

Semmer und Udris (1993) nehmen dazu wie folgt Stellung:

„Belastung und Beanspruchung sind in sofern neutral, als sie z.T. in der Umgangssprache- nicht in der Konnotation des Negativen, des Unangenehmen, des `Zuviel´ verbunden sind: Jede Belastung nimmt bestimmte Funktionen des Organismus in Anspruch. Von Streß sprechen wir hingegen dann, wenn es sich um eine als aversiv erlebte, von negativen Emotionen begleitete Beanspruchung handelt: Streß ist ein als unangenehm erlebter Spannungszustand; er wird ausgelöst durch eine negative Einschätzung der Situation und ihrer Entwicklungsmöglichkeiten (…)“ (S. 146)

Beiden Stressdefinitionen ist gemeinsam, dass Stress aus einem tatsächlichen oder subjektiv wahrgenommenen Ungleichgewicht zwischen den, aus einer Situation resultierenden Anforderungen bzw. Belastungen und der Einschätzung, diese mit den verfügbaren Ressourcen bewältigen zu können, resultiert. Nach Richter und Hacker (1998, S. 125) wird „Stress verstanden als Reaktion auf als unannehmbar oder bedrohlich erlebte, konflikthafte Fehlbeanspruchungen, erwachsend aus starken Über- oder Unterforderungen der Leistungsvoraussetzungen bzw. dem Infragestellen wesentlicher Ziele einschließlich sozialer Rollen. Stressreaktionen sind kennzeichnend für Situationen, in denen es den Betroffenen weder gelingt, den belastenden Umständen auszuweichen, noch durch eigenes Handeln eine Situationsveränderung zu erreichen.“ Ob die Person die Beanspruchung als Stress erlebt, hängt also entscheidend davon ab, ob eine Person- tatsächlich oder vermeintlich – in der Lage ist, einen potentiellen Stressor zu bewältigen (vgl. Ulich, 1998). Nach Scheuch und Schröder (1991, in Richter, 2000) wirken die genannten Faktoren belastend, wenn (aus der Sicht des Individuums) zwischen Fähigkeiten des Individuums und den leistungsbezogenen Anforderungen Divergenzen bestehen. Zu diesen zählen u.a. vorhandene Fähigkeiten und Fertigkeiten oder soziale und kommunikative Kompetenzen. Gleiche Belastungen, so die Autoren weiter, wie etwa bei objektiv gleicher Aufgabenschwierigkeit, können dabei völlig unterschiedlich erlebt und bewältigt werden. In diesem, als Person- Environment- Fit-Ansatz (van Harrison, 1978) bezeichneten Modell wird die allgemeine Hypothese aufgestellt, dass eine Nichtübereinstimmung zwischen Person und Umwelt zu einem Zustand psychischer Spannung (Beanspruchung) führt und negative Konsequenzen für die psychische und physische Gesundheit haben kann. In diesem Zusammenhang wurden die Begriffe „Disstress“ und „Eustress“ in die wissenschaftliche Betrachtung von Belastungen eingebracht. Wird die Situation als Herausforderung betrachtet bzw. werden die eigenen Kompetenzen als ausreichend für die erfolgreiche Bewältigung der Aufgaben eingeschätzt spricht man „Eustress“. Zur Bewältigung schwieriger Aufgaben ist dieses Maß an Stress erforderlich um Spannung und erhöhte Leistungsbereitschaft hervorzurufen. Dieser kurzfristige Stress wirkt sich positiv auf die Leistungsfähigkeit aus. Schätzt man die eigenen Fähigkeiten aber als unzureichend für die erfolgreiche Lösung der Aufgaben ein, erlebt man die Situation als unangenehm, belastend und stressig. Die Überlastung einer Person verursacht also negativen Stress (Disstress) und hemmt die Leistungsfähigkeit. In welchem Ausmaß die beiden Stressformen in der speziellen Situation des Assessment- Centers vorkommen und welche Folgen sie für die Teilnehmer haben soll in den folgenden Kapiteln beleuchtet werden.

3. Belastung und Beanspruchung im Assessment- Center

Die Inkongruenz zwischen den Anforderungen und Ressourcen kommt bei der subjektiven Wahrnehmung und Bewertung von Belastungen also eine zentrale Rolle zu. Die Angst, den Anforderungen nicht gewachsen zu sein kommt vor allem bei Auswahlverfahren und Eignungsdiagnostischen Verfahren zum Tragen: Wie erleben Teilnehmer die Assessment- Center- Situation? Wie werden die einzelnen Aufgaben und Anforderungen empfunden?

[...]

Ende der Leseprobe aus 34 Seiten

Details

Titel
Belastung und Beanspruchung im eignungsdiagnostischen Verfahren
Hochschule
FernUniversität Hagen
Autor
Jahr
2006
Seiten
34
Katalognummer
V208113
ISBN (eBook)
9783656355915
ISBN (Buch)
9783656359821
Dateigröße
632 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Belastung, Assessment Center, Beanspruchung, Eignungsdiagnostik
Arbeit zitieren
Kristin Schleicher (Autor:in), 2006, Belastung und Beanspruchung im eignungsdiagnostischen Verfahren, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/208113

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