Die spanische Inquisition: Ein staatliches Machtinstrument mit erheblichem Einfluss auf die Gründung einer einheitlichen Nation


Bachelorarbeit, 2012

34 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung und Fragestellung

1. Die spanische Inquisition aus Sicht der Kulturwissenschaften

2. Historischer Kontext
2.1 Spanien im mittelalterlichen Europa
2.2 Judenverfolgung und Gründung der spanischen Inquisition
2.3 Verfolgung der Mauren und moriscos
2.4 Ende der spanischen Inquisition

3. Organisation und Vorgehen
3.1 Organisation
3.2 Vorgehen der Inquisition und Prozess
3.3 Urteil und auto de fe

4. Religion-Institution-Nation
Die spanische Inquisition als nationsgründendes Element
4.1 Stabilisierung einer Institution
4.2 Nation-Building
4.2.1 Grundlagen des Nation-Building
4.2.2 Die spanische Inquisition als Instrument des Nation-Building
4.2.3 Die Prägung einer Nation
4.3 Folgen der spanischen Inquisition und ihr Einfluss auf die Gesellschaft

Fazit

Literaturverzeichnis

Eidesstattliche Erklärung

Einleitung und Fragestellung

Geht es um das Thema der spanischen Inquisition, assoziiert man mit ihr heute Verfolgung, qualvolle Folter und Verbrennung andersdenkender Menschen auf dem Scheiterhaufen. Oftmals wird die spanische Inquisition dabei mit den dunkelsten Flecken der spanischen Kultur in Verbindung gebracht und führt zu kontroversen Diskussionen. Die vorliegende Bachelorarbeit beschäftigt sich im Rahmen der hispanistischen Kulturwissenschaften mit den bedeutendsten Aspekten der spanischen Inquisition und erarbeitet die Hintergründe dieser prägenden Episode. Die Inquisition, die sich über mehrere Jahrhunderte in der spanischen Gesellschaft etabliert hatte, beeinflusste dabei nicht nur das alltägliche Leben, sondern auch die Zukunft des Landes. Die zentrale Aufgabe dieser Arbeit liegt darin, aufzuzeigen, inwiefern diese kirchliche Institution durch weltliche Machthaber gelenkt wurde, um deren politische Ziele einer staatlichen Einheit durchzusetzen. Während ihres Wirkens hatte die spanische Inquisition entscheidenden Einfluss auf die Herausbildung einer einheitlichen Nation mit katholischer Identität. Diese spanische Nation hat bis heute Bestand, weshalb eine Untersuchung ihrer Ursprünge und ihrer Verbindung zur spanischen Inquisition relevant erscheint.

Um die nötige Basis zu schaffen, beginnt diese Arbeit im ersten Kapitel mit einer Grundlagendiskussion zu zentralen kulturwissenschaftlichen Aspekten, um schließlich die Relevanz der Beschäftigung mit der spanischen Inquisition im Verlauf dieser Arbeit herauszuarbeiten. Kapitel 2 liefert einen Überblick über den historischen Kontext. Beginnend mit einem Abriss zur römischen Inquisition, die sich bereits vor Gründung der spanischen Inquisition im gesamten christlichen Europa etabliert hatte, folgt eine Darstellung der Situation im damaligen Spanien. Aufgrund der lokalen Entwicklungen lebten Christen, Juden und Mauren unter der sogenannten convivencia zunächst meist friedlich nebeneinander. Doch schon bald kam es zu Feindseligkeiten der Christen gegen Juden, später auch gegen Mauren. Die Ursachen dieser kontroversen Auseinandersetzungen mit Juden und Mauren und die daraus resultierenden Probleme mit den conversos und den moriscos bilden den zentralen Aspekt des zweiten Kapitels. Kapitel 3 liefert Einblicke in die Organisation und das Vorgehen der spanischen Inquisition. Dabei wird deutlich, wie diese Institution funktionierte und wodurch sie in der Lage war, über einen solch langen Zeitraum das Gesellschaftsbild der Iberischen Halbinsel zu definieren. In Kapitel 4, dem Hauptkapitel dieser Arbeit, folgen auf Basis der vorherigen Erarbeitungen, die kulturwissenschaftlichen Untersuchungen des Einflusses der spanischen Inquisition auf die Herausbildung einer gemeinsamen, spanischen Nation. Zum besseren Verständnis wird an dieser Stelle auf den Prozess des Nation-Building zurückgegriffen. Nation-Building ist ein alter Begriff, der bereits eine Zeit der Blüte und eine des Niedergangs erlebte. Er hatte sich bereits mit der Entkolonisierung Afrikas in den 1950er und 1960er Jahren etabliert, als die neuen afrikanischen Staaten danach strebten, eine moderne nationale Identität zu bilden und die Stammeskultur zu überwinden. Besonders in den letzten Jahren wurde der Begriff des Nation-Building dann wieder populär, vor allem in Verbindung mit den aktuellen Situationen in der arabischen Welt.[1] Die vorliegende Bachelorarbeit unternimmt jedoch den Versuch, die zentralen Prinzipien des modernen Nation-Building auf die spanische Inquisition des Mittelalters zu übertragen. Abschließend zeigt sie auf, dass die spanische Inquisition als politisches Instrument maßgeblich an der Bildung einer Nation beteiligt war und die Gesellschaft dadurch nachhaltig beeinflusste.

Bei den folgenden Ausführungen ist das Werk “Die spanische Inquisition“ von Henry Kamen als bedeutendste Quelle zu nennen. Kamen beleuchtet mit Hilfe anerkannter Einzeluntersuchungen neben den religiösen ebenfalls die soziologischen, kulturellen und wirtschaftlichen Antriebe der spanischen Inquisition, weswegen sich dieses Werk als objektive Grundlage für die folgenden kulturwissenschaftlichen Erörterungen anbietet. Ansgar Nünnings Werk “Einführung in die Kulturwissenschaft“ dient dabei als maßgebliche Grundlage zur kulturwissenschaftlichen Begriffsbestimmung und Jochen Hippler liefert mit seinem Werk “Nation-Building“ aus dem Jahr 2004 wichtige Anhaltspunkte der kulturwissenschaftlichen Untersuchungen im Rahmen des vierten Kapitels.

1. Die spanische Inquisition aus Sicht der Kulturwissenschaften

Diese Arbeit beschäftigt sich mit der spanischen Inquisition als bedeutenden Aspekt der spanischen Kultur, weshalb zunächst eine Definition der kulturwissenschaftlichen Grundlagen erfolgen sollte. Um den Begriff Kulturwissenschaften zu begreifen, muss zunächst der Ausdruck Kultur an sich genauer definiert werden.

Der Begriff Kultur durchlief im Laufe der Geschichte eine umfassende Entwicklung und stammt von dem lateinischen Wort cultura (Pflege, Landbau), welches wiederum auf das Verb colere (wohnen, bebauen, bestellen, pflegen) zurückzuführen ist. Bereits in der römischen Antike von ca. 800 v. Chr. bis etwa 500 n. Chr. unterschied man zwischen cultura agri als die naturbezogenen Tätigkeiten des Menschen zur Erzeugung landwirtschaftlicher Ergebnisse und cultus deorum als die religiöse ‘Pflege‘ des Übernatürlichen. Auch während des Mittelalters unterschied man lediglich zwischen dem religiösen cultus und der landwirtschaftlichen cultura. Während der Renaissance zwischen dem 14. und dem 17. Jahrhundert entwickelte sich die cultura zu einem abstrakten und selbstständigen Begriff mit erweitertem Bedeutungsfeld. Cultura oder ‘Cultur‘ beschreibt nun verbesser­bare wirtschaftliche, politische, rechtliche und religiöse Bedingungen und gilt als Gegenbegriff zum ungezähmten Naturzustand. Kultur kann somit im weitesten Sinne gegenüber der Natur als Produkt menschlicher Gestaltung beschrieben werden.[2]

Der deutsche Naturrechtsphilosoph und Historiker Samuel von Pufendorf beschrieb in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die menschliche Anstrengung, den unvollkommenen Naturzustand zu überwinden, als status civilis.[3] Dieser stand in Opposition zum status naturalis und war als normativer[4] Kulturbegriff aufzufassen. Aus dem rein normativen status civilis entwickelten sich im weiteren Verlauf der Begriffs- und Theoriegeschichte der Kultur ein deskriptiver und ein normativer Kulturbegriff. Der Begriff civilitas, der zunächst ‘Höflichkeit‘ als Verhaltensstandard des Adels meinte und mit Kultur weitgehend bedeutungsgleich gebraucht wurde, erfuhr durch den deutschen Philosophen Immanuel Kant in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine Bedeutungsveränderung. Kant wertete den Begriff Zivilisation ab und brachte ihn mit ‘äußerlicher und künstlicher Verfeinerung‘ in Verbindung. Die Bezeichnung Kultur hingegen erfuhr eine moralische Aufwertung und wurde ‘mit innerer Bildung‘ und der ‘Idee von Moralität‘ assoziiert. Kants Abwertung der äußerlichen Zivilisation durch einen mit Moral und Bildung beschriebenen Kulturbegriff sollte bis weit ins 20. Jahrhundert hinein den philosophischen Diskurs prägen, wobei der Begriff Zivilisation später mit dem Begriff Gesellschaft gleichgesetzt wurde.[5]

Erst 1923 begann sich das Problem der Beziehung zwischen Kultur und Gesellschaft zu neutralisieren, indem der Philosoph Ernst Cassirer Kultur als ‘symbolisches System‘ bezeichnete. 1944 stellte Cassirer fest: “Das eigentümliche des Menschen, das, was ihn wirklich auszeichnet, ist nicht seine metaphysische oder physische Natur, sondern sein Wirken.“[6] Durch sein Wirken bildet der Mensch sogenannte Symbole, die jeweils eigene Arten der Welterschließung darstellen. Jedes ‘Kulturprodukt‘ kann dabei als Symbol bezeichnet werden, es verfügt über einen materiellen, psychischen und historischen Inhalt und gibt Auskunft über die individuelle Weltanschauung. Eine Kultur besteht folglich aus einer Vielzahl von Symbolen, die wie einzelne Fäden das individuelle ‘Symbolnetz‘ einer Kultur prägen. Für Cassirer ist Kultur somit die Summe der Symbole, wobei Mythos, Religion und Wissenschaft durchaus unterschiedliche und auch untereinander konkurrierende Wirklichkeitsversionen schaffen können.[7]

Die Kulturwissenschaft beschäftigt sich mit dieser Vielzahl an Symbolen und untersucht Ursprung und Kontext des kulturellen Ausdrucks. Sie vergleicht dabei konkurrierende Theorien und vereinigt die kulturellen Aspekte verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen.[8] Dabei beschäftigt sich die Kulturwissenschaft häufig mit historischen Phänomenen, wie im Rahmen dieser Arbeit etwa mit der spanischen Inquisition. Die Geschichte dient somit als symbolische Verbindung historischer Ereignisse und individuellen Lebens. Eine Untersuchung der inneren Ursachen und äußeren Erscheinungsformen bestimmter historischer Geschehnisse kann Aufschluss darüber geben, wie und warum sich eine bestimmte Kultur entwickelte.[9] Nach Cassirers Theorie der Symbole bildet folglich auch die spanische Inquisition eines von vielen Symbolen im Symbolnetz der spanischen Kultur. Bereits während ihres über 300 Jahre andauernden Wirkens hat die spanische Inquisition die Entwicklung des Volkes, und somit auch dessen Kultur, nachhaltig beeinflusst. Diese historische Episode wirkt sich auch auf die Entwicklung der spanischen Nation aus, was im Rahmen dieser Arbeit ebenfalls untersucht werden soll. Um diese Zusammenhänge aufzuzeigen, wird im Folgenden zunächst die spanische Inquisition im historischen Kontext des europäischen Mittelalters erläutert.

2. Historischer Kontext

2.1 Spanien im mittelalterlichen Europa

Auf die römische Antike folgte das Mittelalter, das ab etwa 500 n. Chr. die Entwicklung Europas beeinflusste. In diesem Unterkapitel erfolgt zunächst eine Darstellung der römischen Inquisition, um darauf aufbauend die damalige Situation auf der Iberischen Halbinsel näher zu beleuchten.

Vor allem das Christentum als eine der großen Weltreligionen prägte Europa in allen Lebensbereichen und somit etablierte sich bereits im frühen Mittelalter zwischen den Jahren 500 und 1.050 n. Chr. neben dem Adel auch die Kirche in den führenden Schichten. Das Christentum förderte durch seine Kultur und Kirchenorganisation die religiöse Einheit des Kontinents, aber gleichzeitig auch die Abgrenzung gegenüber anderer Glaubensrichtungen, wie etwa dem Islam. Die Christianisierung Europas erstreckte sich über den gesamten Zeitraum des Mittelalters und erfolgte während der Anfangsphase meist “von oben“, das heißt durch die Taufe der Herrscher. Gemäß der zeitgenössischen Auffassung hatte das Volk seinem Herrscher zu folgen und die Bekehrung des Volkes blieb zunächst nur oberflächlich. Im Zuge der Phase des späteren wirtschaftlichen Aufschwungs in den großen Städten wurde die weitere Christianisierung durch zusätzliche und flächendeckende kirchliche Versorgung des Volkes vorangetrieben. Um europaweit die erwünschte Einheit des christlichen Glaubens durchzusetzen, waren den Inquisitoren[10] dabei viele Mittel recht. Andersdenkende wurden unerbittlich und grausam verhört und gefoltert. Das Rechtssystem der Kirche war zu dieser Zeit jedoch noch nicht entwickelt, so dass ein Gottesurteil die einzige Möglichkeit war, einen Verdächtigen der Tat zu überführen, wenn er nicht bereits auf frischer Tat ertappt wurde und die Tat somit augenscheinlich war.[11]

Das Verfahren des Gottesurteils basierte darauf, Gott “als Schöpfergott und damit der Gott der Ordnung der Welt“[12], über Schuld oder Unschuld entscheiden zu lassen. Durch das Vertrauen in einen Recht sprechenden Gott wurde die Wahrheit offenbart und ein Konflikt öffentlich beseitigt. Die Vollstreckung der Gottesurteile selbst stellte eine Gewalthandlung dar, wobei es eine Vielzahl an Methoden gab. So musste der Betroffene beispielsweise in kochende Flüssigkeit greifen und dabei einen Gegenstand heraufholen. Bei der Feuerprobe musste der Betroffene ein glühendes Eisen mehrere Schritte weit tragen. Entzündete sich die Wunde anstatt direkt zu heilen, galt dies als eindeutiger Schuldbeweis. Bei der Wasserprobe wurde der Betroffene in zuvor gesegnetes Wasser geworfen. Ein Schuldiger wurde laut Glauben vom reinigenden Wasser abgestoßen und schwamm obenauf.[13]

Die allgemeine Situation im Mittelalter des 12. Jahrhunderts führt schließlich dazu, dass die Kirche in der europäischen Bevölkerung immer mehr an Glaubwürdigkeit verliert. Die schlechten Lebensbedingungen in Armut unter Hunger und großer Not stehen im deutlichen Gegensatz zu den Reichtümern der Kirchenmänner, weswegen sich immer mehr Menschen von der katholischen Kirche, die aus Sicht des Volkes sündig im Reichtum lebt, abwenden. Gläubige suchen Halt in der Frömmigkeit und richten all ihre Hoffnungen auf ein gutes Leben nach dem Tod. Dieses Seelenheil bieten ihnen neue Kirchenbewegungen, gegründet durch die Katharer[14] und die Waldenser[15]. Diese leben im Gegensatz zu den katholischen Kirchenleuten in Armut und genießen dadurch eine starke Volksnähe. Es ist zu erwähnen, dass der Begriff ‘Ketzer‘, als landläufige und negativ konnotierte Bezeichnung für alle Irrgläubigen, von lat. cathari stammt und somit direkt auf die Katharer zurückzuführen ist.

Die Kirche reagiert heftig auf diese existenzielle Bedrohung und es entsteht sukzessive ein neues Prozessverfahren. Lat. inquisitio bedeutet ‘Untersuchung‘ und das Verfahren basiert auf speziell ausgebildeten Abgesandten des Papstes, die im 13. Jahrhundert anstelle der mittlerweile überforderten Bischöfe die Verantwortung für die Verfolgung der Ketzer übernehmen. Diese Inquisitoren stammen zum größten Teil aus den Orden der Dominikaner und Franziskaner, in Armut lebenden Mönchen, die beim Volk bekannt sind und kein rein kontemplatives Leben führen. Auch der Papst hat somit erkannt, dass vor allem Mitglieder der Bettelorden eine größere Nähe zum Volk haben. Die Inquisitoren sind mit einer Vollmacht ausgestattet und stellen Ankläger, Verteidiger und Richter in einer Person dar. Das neue juristische Verfahren per inquisitionem bedeutet übersetzt ‘durch Untersuchungen‘ und löst das Gottesurteil ab. Vom Verfahren her stellt die Inquisition trotz aller Grausamkeiten einen Fortschritt dar, da sie dem Angeklagten zumindest eine geringe Chance der Verteidigung bietet.[16]

Zu dieser Zeit unterschied sich die Bevölkerungssituation auf der Iberischen Halbinsel grundlegend vom Rest Europas. Zwar wirkte die römische Inquisition auch in Spanien und verfolgte Ketzer, jagte Hexen und Magier und verurteilte sie zu Häretikern; doch war das mittelalterliche Spanien aufgrund seiner kulturellen Vergangenheit auch geprägt von drei großen Religionen, die größtenteils friedlich nebeneinander lebten. Juden, Muslime und Christen praktizierten ihren Glauben in engster Nachbarschaft. “Das maurische Spanien, das seit 711 unter arabischer Herrschaft stand und eine der größten jüdischen Diaspora[17] beherbergte, war eine multikulturelle Gesellschaft.“[18] Dieser Schmelztiegel der Kulturen bewirkte ein hohes Maß an Toleranz und ließ die so genannte convivencia entstehen. Die convivencia als etablierter Ausdruck für das relativ friedliche Zusammenleben der Juden, Muslime und Christen hatte von 711 bis zum Abschluss der Reconquista[19] im Jahr 1492 Bestand.[20]

2.2 Judenverfolgung und Gründung der spanischen Inquisition

Lange Zeit wurden muslimische und jüdische Minderheiten von den Christen geduldet. Vor allem die Juden waren mit der Geschichte der Iberischen Halbinsel schon sehr lange eng verbunden. Zwar kam es auf der Iberischen Halbinsel bereits im 7. Jahrhundert zu einer Judenverfolgung durch die christlichen Westgoten, doch geriet diese dann aufgrund der in Spanien eindringenden Mauren und die Gründung des Kalifats in Córdoba zunächst wieder in den Hintergrund. In der folgenden Episode der arabischen Kalifate und Emirate in al Andalus[21] genossen Juden religiöse Toleranz und Freiheit. Im 12. Jahrhundert wurden sie dann wiederum von den Mauren verfolgt und flüchteten auf christliches Gebiet, wo sie unter toleranten christlichen Herrschern allgemein geduldet waren und wieder zu Wohlstand kamen.[22]

Während des Mittelalters war die Iberische Halbinsel besonders geprägt von territorialen Kämpfen und Feldzügen. Die christlichen Königreiche im Norden Spaniens standen mit den Kalifaten und Taifa-Königreichen des al Andalus in Konflikt. Im Rahmen der Reconquista weiteten sie ihr Herrschaftsgebiet Richtung Süden immer weiter aus und eroberten die ehemals beherrschten Gebiete Stück für Stück zurück.

Ab dem 14. Jahrhundert gegen Ende der Reconquista kam es schließlich immer häufiger zu Feindseligkeiten gegen die Juden. Hungersnöte, Pest und Seuchen verschlechterten die allgemeine Situation der Bevölkerung, die Wirtschaft war im Abschwung und die Wut entlud sich hauptsächlich an der jüdischen Minderheit. 1391 kam es zu einer Reihe verheerender Massaker und somit zu Pogromen[23] in allen großen Städten des Reiches. Im Juni 1391 wurden allein in Sevilla mehr als 4.000 Juden ermordet.[24] Diese Jahre bedeuteten das Ende der jüdischen Blütezeit in Spanien; doch stellt sich die Frage, wo die eigentlichen Ursprünge dieser Feindseligkeiten lagen. Zwar hatte religiöser Fanatismus einen großen Einfluss, doch schrieb ein Zeitgenosse, dass “das alles mehr aus Raubgier als aus frommer Überzeugung“[25] geschah. Im 13. Jahrhundert waren wissenschaftliche Leistungen und Einfluss der Juden sehr bedeutend. Jüdische Gelehrte und Schriftsteller zeichneten sich am Hof Alfonsos X. von Kastilien aus und der Beruf des Arztes war nahezu ein Monopol der Juden.[26] Die wichtigste Ursache für den Antisemitismus in Spanien lag jedoch in der finanziellen Aktivität. Als Steuereinnehmer und Beamte der Krone und der Aristokratie hatten jüdische Finanzleute attraktive Positionen. Auch als Minister, königliche Ratgeber, Pächter von Staatseinkünften, als Geldgeber für Feldzüge und als Hausmeister auf Gütern der Krone und des höheren Adels fand man Juden in bedeutenden Schlüsselpositionen.[27] “Außer der Rolle, die sie als Geldleute im Staat spielten, waren die Juden auch durch ihre soziale Position den Christen zuwider.“[28] Sie gehörten zum größten Teil der städtischen Bevölkerung an und bildeten eine machtvolle Mittelschicht. Durch Heirat hatten viele, einst jüdische Familien gefährlich enge verwandtschaftliche Verbindungen zur Aristokratie aufgebaut, da viele conversos in diese Kreise eingeheiratet hatten. Für einige Altchristen stellte dies eine klare Bedrohung der Vorherrschaft des Adels dar.[29]

[...]


[1] vgl. Hippler (2004), S. 16

[2] vgl. Ort (2008), S. 19

[3] vgl. Bollenbeck (1996), S. 55-61

[4] Normativ bedeutet allgemein normgebend, also Regeln aufstellend und dient der Beschreibung
von Theorien und Begriffen. Deskriptive Aussagen über die Realität hingegen können überprüft
und gegebenenfalls auch widerlegt werden. Stark vereinfacht geben normative Sätze wertend
vor, wie etwas sein soll, während deskriptive Sätze beschreiben, wie etwas sein könnte.

[5] vgl. Ort (2008), S.20 ff

[6] Cassirer (1990), S. 110

[7] vgl. Nünning (2005), S. 208

[8] vgl. Fauser (2006), S. 26

[9] vgl. Fleishman (1971), S. 11 ff

[10] Ein Inquisitor ist der geistliche Vorsitzende eines Inquisitionsgerichts. Im frühen Mittelalter exis-
tierte noch kein offizielles Inquisitionsverfahren. Bei den ‘Inquisitoren‘ des frühen Mittelalters
handelte es sich daher um Bischöfe, die im Dienste der Kirche auch die Aufgaben der späteren
Inquisitoren übernahmen.

[11] vgl. Basting (2009a) und Poprawka (2000), S. 1

[12] Schild (2008), S. 600

[13] vgl.Schild (2008), S. 600 ff.

[14] Die Katharer sind Anhänger einer christlichen Glaubensbewegung zwischen dem 12. und 14.
Jahrhundert. Ausgehend von Südfrankreich, gründeten die ‘Reinen‘ eigene Bistümer und setzten
eigene Bischöfe ein. Die Katharer predigten die Botschaft des Evangeliums und waren über-
zeugt, dass die Seele nur durch Askese gerettet werden kann. Nachdem sich ihnen, enttäuscht
von der katholischen Kirche Roms, immer mehr Christen anschlossen, wurden die Katharer im
Zuge mehrerer Kreuzzüge und durch die römische Inquisition verfolgt und vernichtet.

[15] Auch die Waldenser wurden im 12. Jahrhundert in Südfrankreich gegründet. Als religiöse Ge-
genbewegung zur römischen Kirche wurden auch sie durch die Inquisition verfolgt.

[16] vgl. Basting (2009a)

[17] Diaspora bezeichnet in diesem Zusammenhang jüdische Gruppen, die ihre Heimat verlassen
haben und unter den Christen auf der Iberischen Halbinsel leben.

[18] Leggewie (1992), S. 1

[19] Als Reconquista bezeichnet man die Rückeroberung der Iberischen Halbinsel durch die christli-
chen Nachfahren der Westgoten. Sie begann 718, wenige Jahre nach dem Einfallen der Mauren
in Andalusien und dauerte bis 1492, als mit Granada der letzte muslimische Herrschaftsbereich
zurückerobert wurde.

[20] vgl. Leggewie (1992), S. 1

[21] Al Andalus ist die arabische Bezeichnung für die zwischen 711 und 1492 muslimisch beherrsch-
ten Teile der Iberischen Halbinsel.

[22] vgl. Kamen (1969), S. 20

[23] Pogrom ist die gewaltsame Ausschreitung gegen Juden oder andere, abgrenzbare gesellschaft-
liche Gruppen.

[24] vgl. Kamen (1969), S.21

[25] López de Ayala (1962), S. 106

[26] vgl. Castro (1916), S. 462 ff

[27] vgl. Neumann (1944), S. 221

[28] Kamen (1969), S. 24

[29] vgl. Kamen (1969), S. 24

Ende der Leseprobe aus 34 Seiten

Details

Titel
Die spanische Inquisition: Ein staatliches Machtinstrument mit erheblichem Einfluss auf die Gründung einer einheitlichen Nation
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Romanisches Seminar)
Veranstaltung
Aspectos de la cultura española
Note
1,7
Autor
Jahr
2012
Seiten
34
Katalognummer
V207994
ISBN (eBook)
9783656353775
ISBN (Buch)
9783656353966
Dateigröße
539 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
inquisition, machtinstrument, einfluss, gründung, nation
Arbeit zitieren
Hannes Saas (Autor:in), 2012, Die spanische Inquisition: Ein staatliches Machtinstrument mit erheblichem Einfluss auf die Gründung einer einheitlichen Nation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/207994

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