Islamische Identität und Hybridität in Anna Pereras Roman "Guantanamo Boy"


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2013

22 Seiten


Leseprobe


Gliederung

1. Vorbemerkung Guantanamo Boy

2. Das Gefangenenlager Guantanamo Bay

3. Identität in ‚GB‘

4. Der islamisch – britische Jugendroman ‚GB‘ – die Beschreibung des Scheiterns eines hybriden Lebensentwurfes

5. Guantanamo Boy – eine moderne Variante der Robinsonade?

6. Schlussbemerkungen

7. Literatur

Vorbemerkungen Guantanamo Boy

Der 2009 erschienene Roman Guantanamo Boy[1] von Anna Perera repräsentiert ein jüngeres Werk islamischer Autoren im gegenwärtigen englischen Roman.

Inhaltlich knüpft er nicht nur an zentrale Themenbereiche wie Migration, Identitätssuche und Islam an, sondern er ergänzt und akzentuiert diese mit einem politischen Schwerpunkt. Perera forciert mit diesem Schritt die als traditionell anzusehende kritische Reaktion eines ' writing back' von Autoren mit islamischem Hintergrund gegenüber dem Westen.[2]

Die erste Entscheidung das US-Gefangenenlager Guantanamo Bay im Titel in Guantanamo Boy umzuwandeln, verweist nicht nur auf die Bedeutung dieser Gefangenenanlage für islamische Terroristen, sondern ist auch Kritik dafür, wie sich das demokratische Amerika durch den 11. September und seine Kriege im Nahen Osten verändert hat.

Die zweite (literarische) Entscheidung, einen 15-jährigen Teenager als Hauptperson auszuwählen und ihn als Zielscheibe und Opfer amerikanischer Machtpolitik zu präsentieren, verdeutlicht zusätzlich, wie schnell Menschen gleich welcher Herkunft, welchen Geschlechts oder Alters Opfer von fundamentalreligiösem oder staatspolitischem Terrorismus werden können. Sie ist auch Indiz dafür, wie fragil die Konzeption des modernen menschlichen Freiheitsbegriffs im Angesicht der weltpolitischen Gesamtentwicklung geworden ist.

Perera verweist in diesem Zusammenhang auf die Ohnmacht des modernen Menschen, Freiheit und Unabhängigkeit angesichts der Auseinandersetzung von Islam und Westen bewahren zu können.

Dass diese Auseinandersetzung noch nicht abgeschlossen ist, sondern einer inneren Dynamik folgt, die nicht zu kontrollieren ist, zeigt das Ende des Romans, das bewusst offen gestaltet ist.

Das Gefangenenlager Guantánamo Bay

Die Umformung des ehemaligen Marinestützpunktes Guantánamo Bay in ein Gefängnis für Terroristen von al-Qaida und Taliban-Kämpfer muss im Zusammenhang mit der amerikanischen Reaktion auf den 11. September und der Strategie des Global War on Terror (GWOT) gesehen werden.

Gegen Ende des Jahres 2001 bekamen die US-Streitkräfte immer mehr Taliban und al-Qaida- Kämpfer als Gefangene in ihre Hände. Die Amerikaner waren an diesen Personen sehr interessiert, da sie diese als Informanten gegen den Terrorismus nutzen wollten. Man entschied sich deshalb für eine gezielte Isolation dieser Gruppen und so wurde Guantánamo Bay als Gefängnis ausgewählt. Ursprünglich war es für 2000 Gefangene konzipiert, man reduzierte die Zahl aber auf rund 400. Mit der Entscheidung diesen Gefangenentypus zu isolieren, wurde die Frage des legalen Status immer wichtiger. Hierbei kristallisierten sich zwei Fragenkomplexe heraus:

1. Entspricht der Status der Gefangenen der Genfer Konvention von 1948?
2. Zieht die Annahme dieser Gefangenen als Nicht-kriegsgefangene im klassischen Sinne eine humanitäre Behandlung nach sich?

Die Antwort auf Frage 1 ist ein eindeutiges Nein. Denn die Kämpfer der Taliban und islamische Terroristen wurden nicht als Soldaten von feindlichen Staaten angesehen, weil sie immer wieder zivile Ziele angreifen (vgl. Feith, 2009, S.159 – 165).

Die Antwort auf die Frage 2 wurde im Pentagon heftigst diskutiert, aber die Richtung war durch die Bush Regierung schnell vorgegeben. Kämpfer der Taliban und Terroristen von al-Qaida wurden als „unlawful combatants“ (Risen, 2006, S.38) eingestuft, damit war ihre Behandlung keine Frage von Recht und Ordnung, sondern eine Angelegenheit der nationalen Sicherheit und deren Bedrohung. Eine humanitäre Behandlung war deshalb gesetzlich nicht zwingend nötig.

Politisch zogen die auf diese beiden Fragen folgenden Entscheidungen innen- und außenpolitische Konsequenzen nach sich, deren Ausmaß bis heute den Charakter Amerikas prägt.

Im Gegensatz zu seinem Vater George Herbert Walter Bush brach George W. Bush nach dem 11. September 2001 nicht nur mit der Tradition seiner Vorgänger im außenpolitischen Bereich, eine sensible Vorgehensweise gegenüber potenziellen Feinden zu praktizieren, sondern er veränderte auch das innenpolitische Gesicht Amerikas. So startete er nach einem internen Machtkampf zwischen FBI und CIA, den der CIA für sich entschied, sogar ein neues Spionageprogramm gegenüber Bürgern im eigenen Land (Risen, 2006, S.10/11).

Neben der Einbindung von Guantánamo Bay im Januar 2002 in den Global War on Terror war die Errichtung dieses und anderer Gefangenenlager das Bindeglied einer Entwicklung, die unter den Präsidenten Reagan und Clinton begann und die Amerika zusehends in den Verdacht brachte, internationales Recht zu brechen und mit Gefängnissen wie Abu-Ghraib und Guantánamo Bay zur „torture nation“ (Carroll, 2006, S. 497) zu werden, und zwar im Namen der Menschenrechte.

Die Legitimation von Lagern wie Guantánamo Bay oder Camp X-Ray, Bright Light oder Salt Pit unterlagen bis zur Obama-Ära keinerlei juristischer Prüfung (Bobbit, 2008, S. 386).

Diese Verselbstständigung zog Entwicklungen nach sich, die Amerika so nicht kannte. Foltermethoden, Einzelhaft und keinerlei juristische Hilfe waren an der Tagesordnung und offenbarten die hässliche Seite Amerikas im Kampf mit einem unsichtbaren Gegner. Methods of torture wie das Ertrinken simulierende Water boarding, das Einsperren in Käfige, vollständige Dunkelheit oder permanente Helligkeit sowie extrem laute Musik waren erlaubt in der Hoffnung, Geständnisse zu erpressen, deren Qualität so oder so fragwürdig war und ist.

Letztlich zeigte diese Vorgehensweise nichts anderes als einen militärischen und politischen Offenbarungseid der Bush Regierung in ihrem Kampf gegen den internationalen islamischen Terrorismus und stellte sie mit den potenziellen Gegnern auf eine moralische Stufe.

Identität in 'Guanatanamo Boy'

Anna Perera fokussiert die Identitätsproblematik von Guantanamo Boy als Handlungsort mit der längsten Zeitspanne durchaus im klassischen Sinne, fungiert doch die Insel als Handlungsort seit Defoes Robinson Crusoe (1719)[3] oder Goldings Lord of the Flies (1954)[4] als extremes Szenario, um die Charakterentwicklung ohne störende äußere Einflüsse skizzieren zu können. Perera verstärkt die räumliche Enge der Insel durch ein zweites einschränkendes Element, in dem sich ihre Hauptperson befindet. Sie platziert ihre jugendliche Hauptperson Khalid zusätzlich in den Rahmen des Gefangenenlagers Guantánamo Bay und dessen Zellentrakt, wo Isolationshaft und Folter vorherrschen. Sie verweist so auf das symbolische Gefangensein des modernen Menschen in machtpolitischen Strukturen und damit auf seine generelle Hilflosigkeit.

Das Ergebnis ist, neben der Betonung der Identitätsthematik, die Bedeutung der Fragilität von zentralen demokratischen Werten, wie die Freiheit des Einzelnen, das Recht auf Meinungsfreiheit oder die freie Ausübung von Religion.

Daneben kontrastiert sie einen westlichen liberalen Individualismus mit Reservoiren einer Kultur und Religion, die über Kräfte wie „community, a sense of belonging, a source of morality, a worldview that gives meaning and direction to their existence“ (Sadar, 1998, S. 65) verfügen.

Mit diesem Vergleich zwischen westlicher und islamischer Kultur und Religion verweist ' GB ' zusätzlich auf die zentrale Frage der Rolle des Menschen in der Moderne, die von Globalisierung und einer Neuverschiebung der politischen Kräfte geprägt wird. Ashcroft (2007) sagt hierzu in Anspielung auf Amerika:

“Both Imperialism and modern globalism are grounded in the

discourse of modernity” (ibid., 2007, S.9).

Die literarische Positionierung eines (heranwachsenden) Menschen zwischen US-Imperialismus und Globalisierung zeigt auf, wie schwach der Mensch angesichts von Kräften geworden ist, die er meint zu kontrollieren, es aber nicht kann. Denn die Moderne ist nach wie vor gekennzeichnet durch militärische und wirtschaftliche Eroberung im klassischen, kolonialen Sinne. Das Ergebnis ist „the imperial regulation of land, the discipline of the soul, and the creation of truth“ (Turner, 1990, S.4).

Seit dem 11.September 2001 und den Reaktionen des Westens ist endgültig klar geworden, dass es eine Trennung zwischen Imperialismus und Globalisierung gegeben hat. Das komplette soziale Leben der Menschen ist mehr denn je durch globale Elemente wie Massenproduktion, Massenkonsum und Massenkommunikation und die zunehmende Rolle von Massenmedien gekennzeichnet (vgl. Schulz (1997); Kaldor (2000); Eilders/Lüter, 2000, S.416; Scheufele/Gasteiger (2007).

[...]


[1] Perera selbst sagt über diesen Titel, der ihr spontan im Jahr 2006 in den Sinn kam, als Clive Stafford Smith, ein Anwalt für Menschenrechte, auf die Tatsache hinwies, dass es jugendliche Strafgefangene in Guantánamo Bay gibt: „The title came to me immediately. At that point I began reading and researching on a daily basis and formed an opinion and a story“ (Pauli, 3/3/2009).

[2] Vgl. Fanon, The Wretched of the Earth (1967), sowie Said, Orientalism (1978) und Cultural Imperialism (1994).

[3] Vgl. für Robinson Crusoe u. a. Freyer (1936), Walsh (1962), Nowak (1963) und Halewood (1964).

[4] Vgl. für Lord of the Flies u. a. Plack (1967), Jackson (1968) und Niven (1980).

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Islamische Identität und Hybridität in Anna Pereras Roman "Guantanamo Boy"
Autor
Jahr
2013
Seiten
22
Katalognummer
V207859
ISBN (eBook)
9783656351047
ISBN (Buch)
9783656351900
Dateigröße
24738 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
islamische, identität, hybridität, anna, pereras, roman, guantanamo
Arbeit zitieren
Matthias Dickert (Autor:in), 2013, Islamische Identität und Hybridität in Anna Pereras Roman "Guantanamo Boy", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/207859

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