Die Machtfrage innerhalb der Scheintoddebatte

Christoph Wilhelm Hufeland


Hausarbeit, 2012

19 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Die Scheintoddebatte
2.1 Die Angst in der Bevölkerung vor dem Lebendigbegrabenwerden
2.2 Die Grenzlinie zwischen Leben und Tod
2.3 Die Wiederbelebung von Scheintoten
2.4 Die Fäulnis als sicheres Todeszeichen
2.5 Die Idee der Lebenskraft und Maßnahmen zur eigenen Lebensverlängerung
2.6 Der Tod als göttliche Fügung

3 Neue Formen der Macht
3.1 Die Biomacht und der Eingriff auf das Leben
3.2 Die Pastoralmacht und die Polizey

4 Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Im 18. und 19. Jahrhundert war das Thema „lebendig begraben zu werden“ hoch aktuell. Die Angst davor als Lebendiger vorzeitig beerdigt zu werden, weitete sich aus und es entstand die sogenannte Scheintoddebatte. Auch heutzutage finden sich in den Medien vereinzelt noch Fälle, in denen über angebliche Scheintote berichtet wird.[1] Dabei ist eine ärztliche Bescheinigung über den Tod gesetzlich vorgeschrieben. Es wird geschätzt, dass nahezu zehnmal im Jahr fälschlicherweise ein Tod festgestellt wird.[2] Im Bestattungsgesetz ist verankert, dass sich der Arzt durch gründliche Untersuchung Gewissheit über den Eintritt des Todes zu verschaffen hat.[3] Auch bei den Leichenhallen ist vorgeschrieben, dass sie beispielsweise gut lüftbar, kühl und leicht zu reinigen sein müssen. Doch war das schon seit jeher so? Nachdem sich die Hausarbeit mit Fällen von Scheintoten im 18. Jahrhundert beschäftigt, soll die Scheintoddebatte inhaltlich beleuchtet werden und eine Antwort auf die Frage geben, weshalb sie entstanden ist. Wurde der Scheintod als Schicksal „hingenommen“ oder gab es Versuche den Scheintod durch Eingriffe zu verhindern? Eine weitere Frage ist, wieso es überhaupt dazu kam, dass nicht immer eindeutig der sichere Tod einer Person geklärt werden konnte? Die Zeichen des Todes schienen unsicher zu sein. Der Mediziner Wilhelm Christoph Hufeland lebte zur Zeit der Scheintoddebatte und verfasste einige Werke und Zeitschriften. Seine Werke sollen dabei als Quelle Hilfestellungen leisten, um Antworten auf die aufgeworfenen Fragen zu geben. Er verfasste unter anderem Anleitungen, die helfen sollten, Scheintote wiederzubeleben. Ebenso gab er Ratschläge, wie das Leben eines Jeden verlängert werden konnte. Nachdem einige seiner Anleitungen und Ratschläge herausgearbeitet werden sollen, befasst sich die Hausarbeit mit dem für Hufeland einzigen sicheren Todeszeichen, der Fäulnis. Hufeland und andere Mediziner hatten es zunächst schwer, Anerkennung für ihre wissenschaftlich medizinischen Beiträge zu erlangen. Doch welche Bedeutung hat es, wenn der Tod allmählich in die Domäne der Ärzte gelangt und die Menschen das Leben und den Tod nicht mehr als tödliche Fügung begreifen? Hat es dann nicht ebenso einen Einfluss auf die Position der Kirche? Wenn die Menschen den Medizinern Glauben schenken, können sie Einfluss auf ihr eigenes Leben nehmen. Auch der Staat hätte somit die Möglichkeit, in das Leben der Menschen einzugreifen. Der Philosoph und Soziologe Michel Foucault leitet hieraus neue Machtformen ab, die er Biomacht und Pastoralmacht nennt. Anhand seiner Quellen werden diese neuen Formen der Macht erläutert. Zugleich werden Auswirkungen, die für den Staat, die Bevölkerung und die Individuen damit verbunden sind, herausgearbeitet.

2 Die Scheintoddebatte

2.1 Die Angst in der Bevölkerung vor dem Lebendigbegrabenwerden

Rund um das 18. Jahrhundert verbreitete sich die Vorstellung der menschliche Körper könne auch dann noch Leben in sich tragen, selbst wenn er äußerlich tot wirkt. Die Zeichen für den Tod wurden somit unsicher. In der Bevölkerung machte sich daher die Angst breit, lebendig begraben werden zu können. Dieses Phänomen fand überwiegend in Deutschland, Frankreich und den skandinavischen Ländern statt.[4] Jede Person galt von nun an potentiell gefährdet, als Scheintoter vorzeitig beerdigt zu werden.[5] Die Verbreitung dieser Angst erfolgte unter anderem aufgrund zahlreicher Erzählungen über Scheintote. Allein Christoph Wilhelm Hufeland hatte einen erheblichen Beitrag zur Scheintotendebatte beigetragen. Hufeland, der von 1762 bis 1836 lebte, zählt zu einem der bedeutendsten Mediziner in seiner Zeit und war Arzt und Professor zugleich.[6] 1808 erschien in Berlin von Hufeland ein Werk über den Scheintod, das in alphabetischer Ordnung gegliedert ist.[7] Hier findet sich eine ganze Reihe von angeblich realen Beispielen Scheintoter. In seinem Werk ist die Rede einer schwangeren Scheintoten. Es wird beschrieben, wie eine junge Frau, die im achten Monat schwanger ist, verstirbt und in der Familiengruft beigesetzt wird. Ihr Gatte stirbt vor „Gram und Trauer“ nach einiger Zeit ebenfalls. Da er ebenfalls im Familiengrab beigesetzt werden soll, wird das Grab durch den Kirchendiener und den Totengräber geöffnet. Dabei stürzt der Kirchendiener vor Schreck und Entsetzen zu Boden und der Totengräber zittert fürchterlich, denn

„die verstorbene Gemahlin des Gutsherrn, angethan mit einem weißen Totenkleide saß in ihrem Sarg. Mit dem Rücken lehnte sie sich an die Mauer des Gewölbes, und auf ihrem Schoße lag ein Gerippe von einem ungeborenen Kinde. Das lange weiße Kleid war mit Blut befleckt, und ihr Gesicht grausam entstellt.“[8]

Der Kirchendiener und der Totengräber beschreiben, wie sich die Frau „in Angst und Verzweiflung […] das Gesicht und die Arme zerfleischt“ hatte.[9] Diese Handlung, sowie das ungeborene Kind auf ihrem Schoß, bedeuten, dass die Frau zum Zeitpunkt der Beisetzung noch nicht tot war. So wie in diesem exemplarischen Beispiel für eine scheintote Person, werden in Hufelands Werk die Qualen und Leiden von Scheintoten in den Erzählungen meist detailliert beschrieben. Die Geschichten, in denen nach der Beerdigung der Sarg durch Grabräuber oder die Liebhaber geöffnet wurden und eine ungewöhnliche, veränderte Haltung der Toten erkannt wird, wiederholen sich bei Hufeland. Ebenso finden sich zu dieser Zeit in anderen Schriften ähnliche Beschreibungen oder Geschichten. Typisch ist auch die Berichterstattung von Scheintoten, die bei einer Wiederöffnung des Sarges aus Verzweiflung ein „Tuchzipfel“ in ihrem Mund hatten.[10] Im Gegensatz zu vielen anderen Werken finden sich bei Hufeland jedoch nicht nur Beispiele von Scheintoten, sondern auch Hilfestellungen wie mit den Scheintoten umgegangen werden soll.

2.2 Die Grenzlinie zwischen Leben und Tod

Die Scheintoddebatte warf die Frage auf, ob die Grenze zwischen Leben und Tod in das Leben hin verschoben werden konnte.[11] Im Folgenden soll die Frage geklärt werden, warum es zu der großen Präsenz der Scheintoddebatte, sowie zur Diskussion über die Grenze zwischen Leben und Tod, gekommen ist. In Deutschland waren die Träger der Debatte primär gebildete Ärzte und Aufklärer.[12] Für den Verlauf, der sich schnell ausweitenden Debatte, trafen mehrere Faktoren zusammen. Ein Grund war der für die damalige Zeit rasche Fortschritt der Medizin und die daraus resultierende Kumulation medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse. Aus den medizinischen Erkenntnissen heraus rückte im Moment des Todes nun der tote Körper in den Fokus der Aufmerksamkeit. Im Gegensatz zuvor stand ausschließlich die Seele eines Toten im Vordergrund und es fanden keinerlei Eingriffe in den toten Körper statt. Einen weiteren Grund für die schnelle Verbreitung der Scheintoddebatte lässt sich auf die neuen Medien zurückführen. In der Öffentlichkeit fand die Aufklärung über die populären Medien wie Zeitschriften statt, mit Hilfe denen ein breites Spektrum der Bevölkerung erreicht werden konnte.[13] Unter anderem, aufgrund dieser Faktoren, wurde die Unsicherheit über die Todeszeichen zu einem heftig diskutierten Phänomen. Im Zentrum der Debatte über den Scheintod stand die Frage, welche Zeichen den Tod und welche das Leben ausmachen und wie diese zu erkennen sind. Hufeland sagt,

„der Mensch kann in einen totenähnlichen Zustand verfallen, in demselben mehrere Tage lang verharren, und nachher wieder zum Leben erwachen. Alle gewöhnlichen so genannten Kennzeichen des Todes sind ungewiß, selbst die Elektrizität und den Galvanismus[14] nicht ausgenommen.“[15]

Die Grenze zwischen Leben und Tod besaß keine eindeutige Trennlinie. Hufeland beschreibt den Scheintod als „ein Zustand, der auf keine Weise Leben, aber ebenso wenig Tod genannt werden kann“.[16] Besonders daran ist, dass der Scheintote aus seinem totenähnlichen Zustand ins Leben zurückkehren kann. Bisher war nur der Übergang vom Leben in den Tod bekannt. Nun kann der Körper die sogenannte Lebenskraft, auf die im weiteren Verlauf noch genauer eingegangen wird, zurückerobern und somit den Körper zum Erwachen bringen. Das Grenzgebiet erschloss sich bisher nur für Geister und Gespenster. Mit der neuen Erkenntnis der Verschiebung der Grenzen war das Grenzgebiet somit auch für den Menschen erreichbar.

2.3 Die Wiederbelebung von Scheintoten

Die Rückkehr in das Leben bzw. die Wiederbelebung von Scheintoten war unter anderem laut Hufeland keine Seltenheit. Laut Hufelands Angaben sollen allein in London zwischen 1774 und 1796 2.175 Menschen ins Leben zurückgerufen worden sein. Die meisten von ihnen waren ertrunken, erfroren oder wurden erhängt. In Amsterdam waren es zwischen den Jahren 1767 und 1793 990 gezählte Scheintote, die zurück ins Leben gefunden haben. Durch eine Rettungsanstalt in Hamburg wurden innerhalb fünf Jahren 107 verunglückte Menschen ins Leben zurückgerufen.[17]

Um mögliche Todesfälle verhindern zu können, gibt Hufeland Empfehlungen, wie mit Scheintoten umgegangen werden soll. Er möchte der Bevölkerung eine Anleitung bieten, wie in bestimmten Situationen zu handeln ist, um die Scheintoten nach Möglichkeit ins Leben zurückholen zu können.

[...]


[1] Mais, Alex: Scheintod und lebendig begraben (I). Von der Angst des Menschen lebendig begraben zu werden. 2011. O. S.

URL: http://www.onlinezeitung24.de/article/4070, letzter Zugriff: 19.04.2012.

[2] Vgl. Rüve, Gerlind: Scheintod. Zur kulturellen Bedeutung der Schwelle zwischen Leben und Tod um 1800. Bielefeld 2008. S.297.

[3] Siehe: Bestattungsgesetz (Bestattungsverordnung – BestattVO). Dritter Abschnitt. §9 Vornahme der Leichenschau. Baden-Württemberg 2009.

[4] Vgl. Kessel, Martina: Die Angst vor dem Scheintod im 18. Jahrhundert. Körper und Seele zwischen Religion, Magie und Wissenschaft. In: Schlich, T.; Wiesemann, C. (Hrsg.): Hirntod. Zur Kulturgeschichte der Todesfeststellung. Frankfurt 2001. S. 133.

[5] Vgl. Brink, Cornelia: „Ein jeder Mensch stirbt als dann erst, wenn er lange zuvor schon gestorben zu seyn geschienen hat“. Der Scheintod als Phänomen einer Grenzverschiebung zwischen Leben und Tod 1750-1810. In: Brednich, R.; Schneider, A.; Werner, U. (Hrsg.): Natur – Kultur. Volkskundliche Perspektiven auf Mensch und Umwelt. Münster 2001. S. 472.

[6] Vgl. Genschorek, Wolfgang: Christoph Wilhelm Hufeland. Leipzig 31980. S. 38f. u. 77f.

[7] Titel seines Werkes: „Der Scheintod, oder Sammlung der wichtigsten Thatsachen und Bemerkungen darüber, in alphabetischer Ordnung mit einer Vorrede von D. Christ. Wilh. Hufeland, Königl. Preuß. Kath und wirklichem Leibarzten“.

[8] Hufeland, Christoph Wilhelm: Der Scheintod, oder Sammlung der wichtigsten Thatsachen und Bemerkungen darüber, in alphabetischer Ordnung. Berlin 1808. S. 177.

[9] Hufeland 1808. S. 178.

[10] Vgl. Brink 2001. S. 473.

[11] Vgl. Kessel 2001. S. 134.

[12] Vgl. Kessel 2001. S. 138.

[13] Vgl. Kessel 2001. S. 135.

[14] Anmerkung: Durch das Aufsetzen von Metallplättchen auf freigelegte Muskelfaser konnten Kontraktionen hervorgerufen werden, die als Indiz für die im Körper vorhandene Lebenskraft betrachtet wurde.

[15] Hufeland 1808. S. III Vorrede.

[16] Hufeland 1808. S. 171.

[17] Vgl. Hufeland 1808. S. 3.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Die Machtfrage innerhalb der Scheintoddebatte
Untertitel
Christoph Wilhelm Hufeland
Hochschule
Universität Konstanz
Note
1,3
Autor
Jahr
2012
Seiten
19
Katalognummer
V206929
ISBN (eBook)
9783656338390
ISBN (Buch)
9783656340164
Dateigröße
601 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
machtfrage, scheintoddebatte, christoph, wilhelm, hufeland
Arbeit zitieren
Stefan Wiest (Autor:in), 2012, Die Machtfrage innerhalb der Scheintoddebatte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/206929

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