Aneignung konvergenter Medien durch ältere Menschen

Drei Einzelfallstudien zum kontextuellen Verstehen der Aneignung konvergenter Medienangebote im Alter


Bachelorarbeit, 2011

50 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Begriffsklärung
2.1 Medienkonvergenz
2.2 Medienaneignung
2.3 Kontextuelles Verstehen der Medienaneignung
2.4 Konvergenzbezogene Medienaneignung

3 Forschungsstand: Ältere Menschen und neue Medien

4 Methodik
4.1 Sampling
4.2 Forschungsleitende Prinzipien
4.3 Der Leitfaden
4.4 Datenaufbereitung

5 Auswertung
5.1 Zusammenfassende Inhaltsanalyse
5.2 Erkenntnisse und Ausblicke

6 Literaturverzeichnis
6.1 Internetlinks

7 Anhang 1: Interviewleitfaden

1 Einleitung

Medien begleiten uns durch das gesamte Leben und sind in der industrialisierten Welt omnipräsent. Durch die zunehmende Verknüpfung der unterschiedlichen Einzelmedien miteinander wächst ein gewaltiges multimediales Netz und breitet sich in allen Lebensbereichen aus. Diese Entwicklung hat in den letzten Jahren stark zugenommen und ist als Phänomen der Medienkonvergenz oder aus Vermarktungssicht auch als „Cross-media“ bekannt. Die Medien wachsen zusammen, es gibt immer multifunktionellere Endgeräte und ein Produkt wird selten nur über ein Medium, sondern über die gesamte Medienpalette angeboten.

Neben dieser medialen Entwicklung ist eine weitere und davon unabhängige Entwicklung in den letzten Jahrzehnten von immer größerer Bedeutung gewesen: Der Anteil der älteren Generation in der Bevölkerung wächst stetig. In der Politik und Wirtschaft wurde schon längst erkannt, dass die Bedeutung dieser Entwicklung für die Gesellschaft gravierend ist - nicht nur, wenn es um die Rentenproblematik geht. Beide Entwicklungen, sowohl die der Medienkonvergenz als auch die der alternden Gesellschaft sind für die Medienforschung verhältnismäßig neu und noch ungenügend untersucht. Daher richtet sich der Fokus dieser Arbeit genau auf die Berührungspunkte dieser beiden Entwicklungen.

Die Rezipienten- und Nutzungsforschung beschäftigt sich erst seit einigen Jahren mit dem Untersuchungsgegenstand der Medienkonvergenz und konzentriert sich hierbei vor allem auf junge Nutzerinnen und Nutzer als Untersuchungsobjekte. Die Forschung weist zudem noch erhebliche Lücken auf, da sie lange Zeit quantitativ auf die Häufigkeit und Dauer der Nutzung beschränkt blieb. Erst seit kurzem wird sich tiefgreifender mit dem Aneignungsprozess auseinandergesetzt, das heißt mit der Frage, welche Prozesse vor, während und nach der Nutzung von konvergenten Medien ablaufen und welche Motive und Konsequenzen mit ihr verbunden sind.

Aber auch diese Forschungsarbeiten beziehen sich bislang nur auf die Aneignung bei Jugendlichen und Erwachsenen mittleren Alters, die höheren Altersgruppen werden bis zum heutigen Tag ausgespart. Eine ähnlich schleppende Forschungsentwicklung hat sich in den letzten Jahren in der allgemeinen Mediennutzungsforschung vollzogen, die lange Zeit aus sehr marktwirtschaftlich orientiertem Interesse heraus betrieben wurde und sich ebenfalls vor allem auf die Forschung an jüngeren und kaufkräftigen Bevölkerungsschichten konzentrierte. Erst spät wurde auch die wirtschaftliche Bedeutung der Älteren für die Medien entdeckt und rückte in den Blick der Forschung. Diese bezog sich aber auch vorerst auf quantitative Datenerhebungen von Nutzungsart und -dauer von Medien.

Ältere Menschen leben jedoch in der gleichen Welt wie jüngere, und das betrifft auch ihre Medienwelt. Ältere werden mit den Neuerungen im Mediensystem genauso konfrontiert und müssen mit ihnen umgehen. Im höheren Alter ergeben sich beispielsweise durch den Austritt aus dem Berufsleben neue zeitliche Freiräume, die auch medial gefüllt werden können und die den Medienkonsum beeinflussen können. Kombiniert ergibt sich also aus den oben beschriebenen beiden Entwicklungen ein wichtiges und bislang nicht untersuchtes Forschungsfeld: Die Aneignung konvergenter Medienangebote durch Ältere. Für diese Forschungsarbeit wird nicht nur das allgemeine Mediennutzungsverhalten untersucht, vielmehr sollen besonders die gezielten Interessen, Motive und Probleme Älterer im Rahmen der modernen Entwicklung der Medien am Beispiel der Medienkonvergenz beleuchtet werden. Dabei wird es nicht auf quantitativ messbare und repräsentative Daten ankommen, sondern eher auf die individuellen subjektiven Wahrnehmungen der untersuchten Personen bei der Selektion und dem Umgang mit konvergenten Medienangeboten. Jede der untersuchten Personen hat ihre eigene Biographie und ihr jeweiliges Medienhandeln ist in einen lebensweltlichen Kontext eingebettet. Zu untersuchen gilt es, inwieweit sich die Biographien und das Medienhandeln erklären und ob es im Leben der Probanden Gründe für die Art und Weise der Aneignung konvergenter Medienangebote gibt.

Wie bereits erwähnt, ist der Untersuchungsgegenstand ein bislang unberührter in der Medienforschung. Diese Bachelorarbeit kann dieses Forschungsdesiderat nicht schließen, ihr Ziel ist es vielmehr auf dieses hinzuweisen und Anregungen für ein weiteres und vertieftes Forschen zu geben. Anhand von Einzelfällen soll bewusst explorativ herausgearbeitet werden, wie das Aneignungsverhalten konvergenter Medienangebote Älterer aussehen kann, welche Bedeutung die Lebensbiographie der untersuchten Personen bei der Auswahl von konvergenten Medienangeboten haben kann und wie diese möglicherweise die subjektive Wahrnehmung und Bewertung der rezipierten oder abgelehnten Angebote und Technologien beeinflussen kann. Die Ergebnisse sind dabei völlig offen und die Arbeit braucht nicht dem Anspruch der inhaltlichen Repräsentativität gerecht zu werden. Es handelt sich um qualitative Einzelfallstudien, mit deren Hilfe versucht werden soll, subjektorientiert Besonderheiten aufzudecken. Insofern versteht sich diese Arbeit als eine Vorstudie, deren inhaltliche und methodologische Auswertung hilfreiche Hinweise für weitere Arbeiten und gegenstandsadäquate Untersuchungen gibt, wie das Forschen im anspruchsvollen Umgang mit Älteren und konvergenten Medienangeboten optimiert und präzisiert werden könnte.

Für den Erfolg dieser Arbeit müssen im Folgenden die Terminologien und Theorien, mit denen in dieser Arbeit operiert wird, beleuchtet und geklärt werden. Dabei soll ein ständiger Bezug zum vorliegenden Thema dieser Arbeit genommen werden, um fortwährend das Erkenntnisinteresse abzustecken und anhand der daraus gewonnen Erkenntnisse das Untersuchungsfeld, die Methoden sowie forschungsleitenden Fragen und Prämissen zu präzisieren.

2 Begriffsklärung

Medien und ihre Nutzung ändern sich im Laufe der Zeit. Mit diesen Veränderungen entstehen neue Begriffe und Theorien, die versuchen, den aktuellen Phänomenen der Medienwelt und der Gesellschaft gerecht zu werden. Durch den stetigen Wandel muss sich die Medienforschung immer wieder neuen Bedingungen anpassen und ihre Instrumente an die aktuellen Terminologien und Theorien angleichen. Zu einer der bedeutendsten aktuellen Entwicklungen gehört die der Medienkonvergenz. Die für diese Forschungsarbeit vorgenommene Betrachtung der konvergenzbezogenen Medienaneignung älterer Menschen erfordert es also, die Begrifflichkeiten Medienkonvergenz und Medienaneignung zunächst getrennt voneinander zu erläutern, um sie dann unter Berücksichtigung des kontextuellen Verstehens der Medienaneignung zusammenzuführen und deren Bedeutung für diese Untersuchung mit der Zielgruppe Älterer herauszuarbeiten.

2.1 Medienkonvergenz

Der Begriff der konvergenten Medien ist in den letzten Jahren zu einem Schlagwort geworden, das oft schwammig und einseitig verwendet sowie zu wenig differenziert wird, nicht zuletzt durch die rasante technische Entwicklung in der Welt der neuen Medien. Zunächst einmal ist festzuhalten, dass der Terminus konvergentes Medium so nicht funktioniert. Es handelt sich, will man die ganze Spannweite des Begriffs umreißen, mehr um ein medienübergreifendes Phänomen als um ein Einzelmedium. Spricht man von konvergenten Medien, ist nur die technische Seite von Medienkonvergenz in Form von einem Multimediaendgerät beschrieben. Denn Medienkonvergenz bezieht sich sowohl auf eine technische als auch eine inhaltliche Konvergenz. Um dieser ersten begrifflichen Schwierigkeit aus dem Weg zu gehen, soll im Folgenden nicht von konvergenten Medien, sondern von konvergenten Medienangeboten, dem Phänomen der Medienkonvergenz oder auf technischer Seite von medienkonvergenten Endgeräten gesprochen werden. Für die Forschungsarbeit ist es notwendig, auf beide Begriffsdimensionen einzugehen, da sowohl die technische als auch die inhaltliche Konvergenz von Bedeutung ist für das Verständnis und die Implikationen bei der Nutzung und Aneignung von konvergenten Medienangeboten durch ältere Menschen. Während dieses Annäherungsversuchs an das Phänomen der Medienkonvergenz soll ebenfalls geklärt werden, ab welchem Zeitpunkt eine Nutzerin oder ein Nutzer, egal welchen Alters, sich explizit ein konvergentes Medienangebot aneignet – eine Frage, auf die im Laufe dieses Abschnitts noch vertieft eingegangen werden soll, um dann Typen von konvergenten Medienangeboten definitorisch für die Forschungsarbeit festzulegen.

Unter technischer Medienkonvergenz ist die Entwicklung von neuen Endgeräten zu verstehen, die in der Lage sind, sämtliche oder zumindest eine Vielzahl an Einzelmedien in sich zu vereinen. Bevor es den Computer und das multitaskingfähige Mobiltelefon, den Fernseher mit integrierter Internetnutzung und ähnlich vielseitige Medienendgeräte gab, hatte jedes Medium seinen festgeschriebenen Träger. Die Zeitung wurde ausschließlich über das Trägermedium einer materiellen Zeitung aus Papier vertrieben, für das Radio gab es ein Radioempfangsgerät, für das Fernsehprogramm einen Fernseher, für persönliche Kommunikation ein Telefon und so weiter. Diese ganzen Einzelmedien samt ihren Funktionen können nun in einem Gerät vereint werden. Besonders hervorstechend ist der Computer vor allem in der Kombination mit dem Internet. Hier werden Text, Bild Ton und Video technisch zusammengeführt und sämtliche Einzelmedien in Form von Internetradio, Internetfernsehen, virtuellen Zeitungsausgaben, persönlichen Kommunikationsdiensten wie Chats oder Internettelefondiensten wie Skype nutzbar (Vgl. Weber/Drüeke/ Langewitz/Nagenborg in merzWissenschaft 2009/06: 86). Hinzu kommt als entscheidender Vorteil gegenüber den herkömmlichen Medien (zum Beispiel Radio versus Internetradio), dass sich die Nutzung zeitunabhängig und deutlich mobiler realisieren lässt (Vgl. Münch/Schuegraf 2009: 581). Wagner und Theunert beschreiben diese Seite der Medienkonvergenz als „das Zusammenlaufen von Übertragungswegen, also die Möglichkeit, durch die Digitalisierung verschiedenste Daten parallel über einen ‚Kanal’ zu übermitteln“ (Wagner/Theunert 2006: 17). Seit ein paar Jahren machen sogenannte „TriplePlay“-Angebote dies Zusammenlaufen von Übertragungswegen deutlich. Gemeint sind Angebote von Telekommunikationsanbietern, die zunehmend Fernsehen, Internet, Radio und Telephonie über ein Kabel aus einer Hand anbieten (Vgl Münch/Schuegraf 2009: 851). Für unsere Zwecke sollte es unerheblich sein, über welchen Weg die Nutzerinnen und Nutzer mit den Medienangeboten versorgt werden. Die bloße Nutzung von Internetangeboten am PC über das TV-Kabel zum Beispiel soll nicht als Nutzung konvergenter Medienangebote gewertet werden, die Nutzung von Internetangeboten z.B. über eine Konsole oder ein anderes medienkonvergentes Endgerät hingegen schon.

Für quantitative Forschungsarbeiten, die das Nutzungsverhalten von konvergenten Medienangeboten zu untersuchen versuchen, bereitet die technische Multifunktionalität der Endgeräte den Forscherinnen und Forschern das Problem, unterscheiden zu müssen, welche mediale Funktion die Nutzerinnen und Nutzer eines solchen Gerätes zu einem bestimmten Zeitpunkt nutzen. Es reicht also nicht mehr aus nach der Nutzung eines Gerätes zu fragen, da die technischen Entwicklungen zu einer „Entkopplung von Geräten und Dienstleistungen“ (Hasenbrinck 2004: 68) geführt haben. Erschwerend, aber entscheidend für die erfolgreiche Datenerhebung ist die Berücksichtigung des Kommunikationsmodus. Nach der Definition von Hasenbrinck stellt der Kommunikationsmodus „ein spezifisches Muster von Erwartungen und Handlungsweisen dar, mit denen die Nutzerinnen und Nutzer versuchen, eine bestimmte kommunikative Funktion zu realisieren“ Hasenbrinck 2004: 73). Gerade im Internet sind die Grenzen schwer zu erkennen, wann der Kommunikationsmodus verändert und ab wann die Nutzung von konvergenten Medienangeboten vorgenommen wird, da es sich nur um wenige Mausclicks handelt, die den Kommunikationsmodus verändern können (Vgl. Hasenbrinck 2004: 76). Es gilt also, neben der bloßen Nutzung von medienkonvergenten Endgeräten auch deren Motive und Kommunikationsmodi nachzuzeichnen.

Auf inhaltlicher Ebene beschreibt Medienkonvergenz die vielseitigen Wege, über die ein Medienprodukt distribuiert werden kann. Die bekanntesten Beispiele, an denen in der Literatur das Phänomen der inhaltlichen Konvergenz veranschaulicht wird, sind zum Beispiel Spider-Man und Harry Potter. So ist die ursprüngliche Vorlage bei den Spider-Man-Filmen ein Comic aus den 60er Jahren, der Film wird über Kino und Fernsehen, aber auch als DVD und neuerdings auf Blue-Ray Disc verkauft. Gleichzeitig gibt es für das Internet produzierte Trailer, eine Internetseite mit interaktiven Möglichkeiten und Spielen, ebenso, wie es für Spielekonsolen Spider-Man-Spiele gibt. Der Soundtrack zum Film ist auf CD und im MP3-Format erhältlich, es gibt Fanartikel und aktive Fans nutzen das Internet, um selbst kreativgestaltend Fanseiten und Foren aufzubauen, um sich über diese mit anderen Fans über Spider-Man austauschen zu können. Aber auch professionell gestaltete Fanzines komplettieren das Angebotsspektrum des Produkts Spider-Man. (Vgl. Wagner/Theunert 2006:18). Auch aus betriebswirtschaftlicher Perspektive konvergiert die Medienwelt und die bislang getrennt agierenden Medienbranchen, Produktionsstätten und Distributionseinrichtungen wachsen zusammen: „Die linearen Wertschöpfungsketten traditioneller Medien- und Kommunikationssektoren erodieren und entwickeln sich zu Wertschöpfungsnetzwerken“ (Loosen 2002:181 in Theunert/ Wagner 2002: 123). Dieser ökonomische Blickwinkel ist auch unter dem Begriff „Cross-media“ bekannt und beschreibt Medienkonvergenz vor allem aus der Sicht der Anbieter und ihren Promotionsstrategien eines Medienprodukts durch Verweise auf andere. Die Anbieter erhalten einen Promotions- und Synergieeffekt, der Nutzer erhält zusätzliche Information und die Möglichkeit einer besseren Orientierung (Vgl. Oberst/Hundt/ Oberst 2003: 181).

Die beiden begrifflichen Ebenen machen sich nach Theunert und Wagner aus Nutzerperspektive auf zwei Wegen bemerkbar: Entweder es handelt sich um die Nutzung von Einzelmedien zu einem Basisangebot, das medienspezifisch variiert wird (inhaltliche Konvergenz), oder die Nutzung eines multifunktionalen Geräts, das „den Zugang zur ganzen Palette medialer Repräsentationen“ (Wagner/Theunert 2006: 16) ermöglicht (technische Konvergenz). Dabei kann es sowohl vorkommen, dass die Nutzerinnen und Nutzer den vorgegeben Verknüpfungen zwischen den Angeboten und Medien folgen, oder aber eigenständige Verknüpfungen suchen, um ihren individuellen medialen und inhaltlichen Vorlieben gerecht zu werden (Vgl. ebd.). Gerade bei letzterer Variante ist also besonders stark davon auszugehen, dass der individuelle kontextuelle Hintergrund wichtig ist für die bewusste, den eigenen Interessen entsprechende Auswahl aus dem Medienensemble.

Historisch gesehen ist die Konvergenz von Medien keine neuartige Erscheinung. Sie hat jedoch durch die rapide Entwicklung und den Boom des Internets eine neue Bedeutung erhalten. Schon vor einigen Jahrzehnten gab es Bücher zu Fernsehserien und den passenden Soundtrack zum Film, damit mehr Einnahmen und eine höhere Reichweite durch ein Medienprodukt erzielt werden konnten (Vgl. Wagner/Theunert 2006: 19). Damals wie heute sind die Motive hinter einer solchen Vermarktung die gleichen: Synergie- und Promotionseffekte auf Anbieterseite und auf Nutzungsseite bessere Orientierung und eine gezielte Befriedigung der eigenen Interessen (Vgl. Theunert 2002: 253). Die Implikationen von konvergenten Medienangeboten sind also durchaus auch auf ältere zwischenmediale Verweise und Promotionsversuche übertragbar. Aus diesem Grund soll für die Forschung mit Älteren auch Spielraum zur Betrachtung solcher alt herkömmlicher Verweise zwischen Medien gegeben werden, da die Hintergründe und Motive der Medienaneignung im Vordergrund stehen sollen. In den Interviews soll also nicht nur auf neue Medien eingegangen werden, besonders in dem Fall, in dem eine solche Mediennutzung eher selten oder unbewusst vorkommt.

Neben dem Nachzeichnen der Aneignungsprozesse von technisch konvergenten Endgeräten wird gleichermaßen der inhaltliche Aspekt beleuchtet. Abschließend soll in diesem Abschnitt der Arbeit anhand von Typisierungen geklärt werden, welche Ausprägungen und Arten von inhaltlich konvergenten Medienangeboten in den Forschungsblick rücken sollen. Der erste seit Längerem bestehende Typ von weiterführenden Medienerzeugnissen zu einem bestimmten Medienprodukt ist bereits angesprochen worden. Zu ihm gehören zum Beispiel das Buch zum Film oder andersherum die Verfilmung eines Buches, der Soundtrack zum Film, die Videokassette/ DVD zum Musical, aber auch das Hörbuch oder E-Book zur physischen Ausgabe eines Schriftwerkes.

In einer zweiten, ebenfalls nicht allzu neuen Erscheinung sollen TV-Magazine und Fernsehzeitschriften berücksichtigt werden. Diese beinhalten Programmauskünfte über Inhalte, Genres und Schauspieler von kommenden Fernsehsendungen und bieten Orientierung durch Hinweise auf besonders lohnenswerte Sendungen. Dies kann in Form einer im Zeitschriftenhandel erhältlichen Zeitschrift geschehen, aber auch im Teletext bieten viele Fernsehsender seit Jahren einen programmübergreifenden Überblick an. Diese Typisierung geschieht in Anlehnung an Hasebrinck, der bemerkt, dass „streng genommen [...] auch das Zusammenspiel zwischen Programmzeitschriften und Fernsehen als konvergentes Angebot anzusehen ist (Hasebrink 2000: 97ff), wenn vielfältige Verweise zwischen beispielsweise Onlineangeboten und einzelnen Fernsehsendungen Medienkonvergenz ausmachen. In den gleichen Typ sollen Fanzines zu bestimmten Sendungen fallen. Die zweite Typisierung zeichnet sich also durch intermediäre Verweise aus, bei denen jedoch Internet und PC noch nicht involviert sind.

Erst in der dritten Typisierung soll das Hauptaugenmerk auf den Computer gerichtet sein. Zu ihr gehören die zahlreichen Internetangebote von Medienanbietern eines außerhalb des Internets liegenden Mediums: Die Homepages von Fernsehsendern und die Seiten zu Fernsehsendungen, Filmen und Serien; Die elektronische Ausgabe von Zeitschriften und Zeitungen; Homepages von Hörfunkanbietern beziehungsweise Hörfunksendungen und die Möglichkeit, Hörfunk im Stream oder per Podcast online zu hören; Homepages zu in der Öffentlichkeit stehenden und somit über den Rundfunk präsenten Personen (zum Beispiel Politiker, Musiker, Schauspieler). Innerhalb dieses Typs soll zusätzlich unterschieden werden zwischen Inhalten, die lediglich eine digitalisierte Form des Ursprungmediums darstellen und solchen Inhalten, die als Zusatzangebot explizit für die Internetpräsenz produziert wurden. Diese Unterscheidung ist von Bedeutung für die Eigenschaften, die Werte und den Nutzen, den die Probanden ihnen zuschreiben.

Als letzte Typisierung soll das gezielte und parallele Recherchieren und die selbstständige Suche nach präferierten Themen in verschiedenen Medien gesehen werden. Dazu gehören nicht nur das Recherchieren medialer Inhalte in verschiedenen Medien, sondern auch das Suchen außermedialer Gegenstände oder Themen in verschiedenen Medien, wie etwa das Einholen von Informationen zu einem Produkt im Internet bei gleichzeitiger Suche nach dem gleichen Gegenstand oder Thema in einer Fachzeitschrift. Zusammenfassend sind also die vier folgenden Typisierungen festgelegt:

1. weiterführende Medienprodukte zu einem Basisangebot
2. Zusatzinformationen oder Orientierungsinformationen durch Zeitschriften oder Teletext zu Medien und Medienerzeugnissen (ohne Verwendung von Internetmedien)
3. Homepages zu Medien/ Medienprodukten und in den Medien präsenten Personen
a. Digitalisierte Ausführung eines Mediums/ eines Medienproduktes im Internet
b. Zusätzliches und weiterführendes, explizit für das Internet produziertes Zusatzmaterial
4. Parallele Recherche in verschiedenen Medien zu einem präferierten Thema

Allen Typen ist gemein, dass in der Regel Verweise zwischen den Medien auf die konvergenten Angebote aufmerksam machen, um die Nutzerinnen und Nutzer eines Mediums zu einem weiterführenden Angebot zu führen. Wie bereits angesprochen, erfolgt dabei eine Unterscheidung nach Nutzerinnen und Nutzer, die den vorgeschriebenen Verweisen und Pfaden folgen und solchen, die eigene Verknüpfungen erschließen. Hasenbrinck unterscheidet zwischen Pushing Media und Pulling Media. Es gibt Medienangebote, die, wie zum Beispiel das Radio, passiv genutzt werden und an den Nutzenden herangetragen werden (Pushing Media) und solche, die vom Rezipienten gezielt angesteuert werden müssen (Pulling Media). Somit besteht bei den Pulling Media eine erheblich höhere Intentionalität und Selektivität (Vgl. Hasenbrinck 2004: 78). Ebenso verhält es sich bei konvergenten Medienangeboten und den intermedialen Verknüpfungen. Selbstverständlich reicht die zufällige Rezeption eines Medienerzeugnisses, das beispielsweise eine Internetpräsenz besitzt, nicht aus, damit die Rede von der Nutzung, geschweige denn der Aneignung eines konvergenten Medienangebots sein kann. Sobald aber ein Verweis bewusst wahrgenommen wird und auf diesen, egal ob befolgend oder ablehnend reagiert wird, fällt dies in das zu untersuchende Feld von Mediennutzung und –aneignung konvergenter Medienangebote durch Ältere, das für diese Arbeit wichtig ist - und mehr noch, wenn eigenständig nach solchen Verknüpfungen gesucht wird.

2.2 Medienaneignung

Zunächst bedarf es einer Darlegung des Aneignungsbegriffs. Dieser hat sich in der Medienforschung durchgesetzt, möchte man die gesamte Bandbreite der Mediennutzung beleuchten. Denn Medien werden nicht einfach von den Rezipienten passiv genutzt und wirken auf diese nach Lazarsfelds veraltertem Stimulus-Response Modell einseitig und direkt (Vgl. Schenk 2002: 22). Der Aneignungsbegriff umfasst die Beschreibung eines vielschichtigen Prozesses zwischen Individuum und Medium, der über die bloße Nutzung hinausführt und die Integration in das komplette Leben des Rezipienten berücksichtigt sowie dessen Einfluss und Rückwirkungen auf die Mediennutzung erfasst. „Mediennutzung ist dabei die Fähigkeit, aktiv, ziel- bzw zweckgerichtet Medien auszuwählen und einzusetzen (Schorb/Hartung/Küllertz 2009: 99). Aus diesem Grund sprechen Schorb und Theunert bei dem gesamten Komplex des Umgangs mit Medien auch von Medienhandeln (Vgl. Schorb/Theunert 2000: 34). Die Subjekte handeln aktiv mit den Medien, sie selektieren und wählen aus und nutzen oder ignorieren Medienangebote. Zum besseren Verständnis der individuellen und verschiedenen Mediennutzungsverhalten wird der Prozess der Medienaneignung neben der Nutzung, die quantitativ messbar ist, in drei qualitative Dimensionen untergliedert: die der bloßen Wahrnehmung[1], die der Bewertung und die Dimension der Verarbeitung. Auf diese gilt es sich in der qualitativen Medienforschung zu beziehen. Die Wahrnehmung beschreibt das Realisieren und Erkennen von auditiven und visuellen Reizen. Die Inhalte und verschiedenen Handlungsmöglichkeiten der medialen Darstellungsformen während der Nutzung werden von Person zu Person unterschiedlich wahrgenommen. Fortwährend erfolgt eine Bewertung des rezipierten Inhaltes und der Handlungsoptionen, der Umstände und charakteristischen Eigenschaften, die ein Medium mit sich bringt. Dabei spielen Erfahrungen aus der Alltagswelt eine bedeutende Rolle. Da die Medien ein Teil der Alltagswelt sind, werden die Medien selbst in diesen Erfahrungen und in der Bewertung aufgrund dieser Erfahrungen widergespiegelt. Das Wahrgenommene wird mit bereits Gesehenem abgeglichen und gewichtet, es wird eingeordnet in die außermediale Welt und den lebensweltlichen und medialen Erfahrungskontext der Nutzerinnen und Nutzer. Es werden also Verknüpfungen zur Gesellschaft und zum eigenen persönlichen Umfeld und Leben sowie eine diesbezügliche Bedeutungszuschreibung vorgenommen. Der letzte Schritt, die Verarbeitung, ist ein länger dauernder und komplexerer Prozess, der über die Nutzungszeit hinausgeht. In dieser dritten Stufe wird die Mediennutzung interpretiert und ihr Wert für die Realität der Nutzerinnen und Nutzer wird ausgemacht (vgl. Wagner/Theunert 2006: 16ff). Hier entscheidet sich, ob und inwieweit die Medienangebote Einfluss auf das Leben und die Einstellung der Nutzerinnen und Nutzer nehmen.

[...]


[1] Wahrnehmung im Bezug auf konvergente Medienangebote soll in dieser Arbeit die Wahrnehmung eines Angebots an sich bedeuten. Nicht gemeint ist eine bewusste Wahrnehmung des Angebots als ein konvergentes Angebot.

Ende der Leseprobe aus 50 Seiten

Details

Titel
Aneignung konvergenter Medien durch ältere Menschen
Untertitel
Drei Einzelfallstudien zum kontextuellen Verstehen der Aneignung konvergenter Medienangebote im Alter
Hochschule
Universität Leipzig  (Medienpädagogik)
Note
2,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
50
Katalognummer
V206782
ISBN (eBook)
9783656336358
ISBN (Buch)
9783656350194
Dateigröße
583 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Medienpädagogik, konvergente Medien, Medienkonvergenz, Medienaneignung, Aneignung, Ältere
Arbeit zitieren
Stephan Jung (Autor:in), 2011, Aneignung konvergenter Medien durch ältere Menschen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/206782

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