Preisbildung an deutschen Aktienmärkten: Eine empirische Analyse


Bachelorarbeit, 2012

64 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Verzeichnis der Übersichten

Variablenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung und Zielsetzung

2 Theoretischer Bezugsrahmen
2.1 Preisbildung auf dem deutschen Kapitalmarkt
2.2 Stand der Forschung
2.3 Hypothesen

3 Methoden
3.1Untersuchungsdesign
3.2 Zur Behandlung von Finanzmarkt-Zeitreihen
3.3 Bivariates Vektorautoregressionsmodell

4 Empirische Analyse zur Informationsverarbeitung an deutschen Aktienmärkten
4.1 Parallele Preisentwicklung an den Börsen Frankfurt und Stuttgart
4.2 Impuls-Antwort-Folgen
4.3 Diskussion der Ergebnisse

5 Fazit

Anhang

Literaturverzeichnis

Ehrenwörtliche Versicherung

Verzeichnis der Übersichten Seite

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Variablenverzeichnis

Variablenbezeichnung bei Stata in Klammern

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Eine der wichtigsten Funktionen des Aktienmarktes ist der Preisbildungsprozess. Marktteilnehmer reagieren auf neue Informationen, indem sie ihre daraus resultierenden Erwartungen in Aktienpreise einfließen lassen. Die ständige Aufnahme und Verarbeitung neuer Informationen führt zu einem kontinuierlichen Preisanpassungsprozess hochfrequenter Wertpapiere. Die miteinander konkurrierenden Wertpapierbörsen werben damit, markteffizient und gut informiert zu sein. Betrachtet man die Preise deutscher Aktien, die national an parallelen Märkten gehandelt werden, lassen sich dort für denselben Titel unterschiedliche Preise feststellen, die sich jedoch nie unendlich weit auseinander entwickeln. Es scheinen unterschiedliche Informationen an den einzelnen Handelsplätzen vorzuliegen respektive werden Informationen unterschiedlich bewertet und in den Aktienkursen verarbeitet. Die gegenseitige Affinität der Preise lässt auf eine Interaktion und einen Informationsaustausch zwischen den Märkten schließen.

Um zu ermitteln, an welcher Stelle Informationen in den Markt gebracht werden, ist es von großem Interesse, wie sich die Aktienmärkte untereinander beeinflus­sen und welcher Markt den Preisbildungsmechanismus dominiert. Hierfür ist zu untersuchen, ob die Preisentwicklung an einem bestimmten Markt Reaktionen auf den restlichen Märkten verursacht. Außerdem ist zu klären, ob die geo­graphische Herkunft des börsennotierten Unternehmens Einfluss darauf hat, welcher Markt den Prozess der Informationsverarbeitung einleitet. Der deutsche Aktienmarkt wurde in Bezug auf diese Fragestellung noch nicht untersucht. Kor­respondierende Forschungsergebnisse internationaler Studien liefern jedoch erste Anhaltspunkte und lassen sich auf zwei Standpunkte verdichten. Demnach ist entweder die marktführende Leitbörse richtungsweisend oder die preisrelevanten Informationen gehen von der dem no­tierten Unternehmen geographisch nächstgelegenen Börse aus. Dies soll für den deutschen Aktienmarkt an Einzelfällen überprüft werden. Hierzu werden die parallelen Aktienpreis-Verläufe der Unternehmen Commerzbank, Bayer, Siemens und Porsche an den beiden größten deutschen Wertpapierbörsen in Frankfurt und Stuttgart analysiert. Unter Anwendung eines vektorautoregressiven Modells wird ermittelt, ob ein signifikanter dynamischer Zusammenhang zwischen der gemeinsamen Vergangenheit der parallelen Aktienpreise besteht und ob einer der beiden Märkte im Preisbildungsprozess dominierend ist. Zur Verbesserung der Interpretierbarkeit der Ergebnisse wird außerdem der Ansatz der Impuls-Antwort-Folgen (IAF) angewendet.

Der Aufbau dieser Arbeit gliedert sich wie folgt: In Kapitel 2 werden die theoreti­schen Ausgangspunkte der Untersuchung dargelegt und das Funktionieren der Preisbildung an deutschen Aktienmärkten erörtert. Des Weiteren wird der bisherige Stand der Forschung auf diesem Gebiet konturiert, woran sich Hypothesen anschließen. In Kapitel 3 werden Datenbasis und Methodik der Untersuchung erläutert. Weiterhin wird auf die Besonderheiten von Finanzmarktzeitreihen eingegangen. Die Auswertung und Diskussion der Ergebnisse findet in Kapitel 4 statt bevor die Arbeit in Kapitel 5 mit einem Fazit schließt.

2 Theoretischer Bezugsrahmen

2.1 Preisbildung auf dem deutschen Kapitalmarkt

Der Aktienmarkt ist ein Segment des Kapitalmarktes. An verschiedenen Handelsplätzen werden Unternehmensanteile in Form von Aktien gehandelt, die sich im Inland anhand ihrer Wertpapierkennnummer (WKN) und international mit der International Securities Identification Number (ISIN) eindeutig identifizieren lassen. Es ist festzustellen, dass die Preise identischer Aktien zum Zeitpunkt t an unterschiedlichen Aktienmärkten voneinander abweichen, sich jedoch nicht unendlich weit voneinander entfernen. Im Folgenden soll der Preisbildungsprozess auf deutschen Aktienmärkten und die Börsenstruktur[1] näher beleuchtet und Grundbegriffe des Börsenhandels eingeführt werden. Im Übrigen werden ökonomische Vorüberlegungen zum oben beschriebenen Sachverhalt angestellt.

Es gibt in Deutschland sieben Wertpapierbörsen, an denen unter anderem Aktien gehandelt werden: Die Deutsche Börse in Frankfurt und die Regionalbörsen mit Sitz in Berlin, Hamburg, Hannover, Düsseldorf, Stuttgart und München. Für bör­sennotierte Unternehmen bestehen zahlreiche Gründe, parallel an mehreren Börsen gelistet zu sein; so zum Beispiel bessere Liquidität der Wertpapiere, eine höhere Publizität, Reputationsgewinne aufgrund des Images der jeweiligen Börse und positive Marketingeffekte infolge der multiplen Präsenz. Stellte die re­gionale Erreichbarkeit für Anleger früher einen wichtigen Aspekt zur Wahl des Handels­platzes dar, so bestehen heute infolge der zunehmenden Digitalisierung und hohen Informationsdichte durch das Internet andere Prioritäten. Die Auswahl er­folgt durch wenige Mausklicks, wobei die Wertpapierfirmen per Richtlinie dazu verpflichtet sind, den Ausführungsplatz zu Gunsten des Kunden hinsichtlich der Kosten, Ausführungswahrscheinlichkeit und -schnelligkeit nach dem Bestausfüh­rungsprinzip (engl. Best Execution) zu wählen. Aufgrund der Wettbewerbssitua­tion benötigen die einzelnen Börsen eine regelmäßige Konkurrenzanalyse und ein gut funktionierendes Informationssystem im Vergleich zum Ein-Börsen-Modell. Angesichts der Dominanz der Leitbörse in Frankfurt haben sich die Regionalbörsen auf Nischen spezialisiert, wie Fonds (Hamburg) oder Derivate (Stuttgart) und bieten zusätzliche Services an, wie beispielsweise kostenlose Orderbucheinsicht (Berlin). Die Frankfurter Wertpapierbörse (FWB)[2] mit der Deutsche Börse AG als Trägerin dominiert insbesondere durch ihr führendes elektronisches Handelssystem Xetra mit 97 % Marktanteil den deutschen Aktienmarkt.[3] Aufgrund ihrer Größe und der Ansiedlung in der Finanzmetropole Frankfurt wird ihr eine überlegene Rolle auf dem deutschen Wertpapiermarkt zugeschrieben. Den zweiten Rang beansprucht die Baden-Württembergische Wertpapierbörse zu Stuttgart GmbH[4] für sich, die besonders stark im Anleihen- und Derivatehandel und führend im Privatanlegersegment ist.[5] Im Folgenden liegt der Fokus ausschließlich auf diesen beiden Handelsplätzen.

Die Preise auf dem Aktienmarkt bilden sich durch Angebot und Nachfrage, wobei die jeweilige Börse die Rahmenbedingungen für den Handel zur Verfügung stellt. Angeschlossen sind Banken und Onlinebroker; Privatanleger haben keinen direkten Zugang. Verschiedene Institutionen überwachen den Preisbildungsprozess und das Funktionieren des Marktes mit der Intention, Markttransparenz zu gewährleisten und opportunistisches Verhalten aufgrund von Informationsasymmetrien zu unterbinden. Hierzu zählen die Börsenaufsicht, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und die Handelsüberwachungsstelle (HÜSt).

Zu unterscheiden ist zwischen den Begriffen Parkett- und Computerbörse. Der Handel einer Parkettbörse (auch „Präsenzbörse“) findet im Börsenraum statt, wo sogenannte Skontroführer als Intermediär zwischen Angebot und Nachfrage agieren, indem sie alle Kauf- und Verkaufsorders in einem elektronischen Orderbuch erfassen und EDV-gestützt abwickeln. Bei der Computerbörse handelt es sich um die vollelektronische Erfassung und Preisfindung ohne menschliche Einwirkung vor Ort. Die deutschen Computerbörsen Xetra für den Kassamarkt und Eurex für den Terminmarkt gehören der Deutsche Börse AG in Frankfurt an. Des Weiteren sind zwei Prinzipien der Preisfeststellung voneinander abzugrenzen: Im Rahmen des Auktionshandels werden mehrmals täglich Aktienkurse nach dem Meistausführungsprinzip festgestellt. Diese ergeben sich aus den Kombinationen von Angebot und Nachfrage im Orderbuch, bei denen der größtmögliche Umsatz zustande kommt. Beim Market-Maker-Prinzip treten Banken oder Wertpapierhändler als Gegenpartei der Marktteilnehmer auf, indem sie die angebotenen Wertpapiere nachfragen beziehungsweise bei hoher Nachfrage weitere Liquidität spenden. Dieses Prinzip wird speziell bei illiquiden Wertpapieren zur Regulierung des Ungleichgewichtes zwischen Angebot und Nachfrage angewendet. Die beiden hier betrachteten Börsen weisen hybride Mischformen der beschriebenen Marktmodelle auf. Die Börse Frankfurt bietet neben dem vollelektronischen Handel über Xetra, der den Großteil des Umsatzes ausmacht, den Parketthandel Xetra Frankfurt Specialist an. Die Preisfeststellung erfolgt elektronisch und die einstigen Skontroführer treten hier als Spezialisten mit der Aufgabe der Liquiditätssicherung und Koordination auf. Bei fehlender Liquidität greifen Market-Maker in die fortlaufende Auktion ein, die in Frankfurt als Designated Sponsors bezeichnet werden.[6] Auch in Stuttgart erfolgt der Parketthandel über ein elektronisches System in Form des fortlaufenden Auktionshandels, bei dem Expertise und Liquidität durch sogenannte Quality-Liquidity-Providers (QLP) zur Verfügung gestellt werden. Der deutsche Aktienhandel findet börsentäglich parallel von 08:00 bis 20:00 Uhr statt mit Ausnahme von Xetra, wo zwischen 09:00 und 17:30 Uhr gehandelt wird. Jeder innerhalb eines Handelstages realisierte Preis wird in Form von Tick-Daten im Internet veröffentlicht. Die Intervalle (Lags) zwischen den einzelnen Preisfeststellungszeitpunkten (Ticks) können je nach Liquidität von wenigen Sekunden bis zu mehreren Stunden oder gar Tagen variieren. Hochfrequenter Handel zeichnet sich durch eine Vielzahl täglicher Ticks aus.

Die Gewinnung und Verarbeitung finanzmarktrelevanter Informationen sind aufgrund der Digitalisierung heutzutage sehr dynamisch und schnelllebig. Zu den wichtigsten und schnellsten Informationsquellen zählen das Internet, das Fernsehen und die Presse. Die Veröffentlichung neuer Unternehmenskennzahlen, Analystenschätzungen zur Entwicklung der Kurse und Dividenden bestimmter Aktien und Informationen zur aktuellen wirtschaftlichen und konjunkturellen Situation werden von Marktteilnehmern herangezogen. Wertpapier-Emittenten sind überdies gesetzlich dazu verpflichtet, für den Kurs der Aktie relevante Insiderinformationen unverzüglich in Form von ad-hoc-Mitteilungen zu publizieren[7]. Hinzu kommt die Informationsübertragung per Mundpropaganda, die insbesondere in der geographischen Nähe eines gelisteten Unternehmens zu beobachten ist und den Handel beeinflusst.[8] Der Aktienmarkt gilt als relativ informationseffizient, da es eine überschaubare Anzahl von Börsen gibt, die überdies miteinander konkurrieren, was die Informationsdichte noch verstärkt. Die Börse Stuttgart beispielsweise bietet auf ihrer Internetseite einen Überblick über die Preisentwicklung einer Aktie an allen deutschen Börsen inklusive Tick-Daten an. Der historische Verlauf einer Aktie und der beobachtbare Preisunterschied an den einzelnen Handelsplätzen beeinflusst die Erwartungen der Anleger. Hayek (1945) interpretiert den Preis als Kommunikationsmechanismus, der die Erwartungen der anderen Marktteilnehmer reflektiert.[9] Ein Anleger, der eine bestimmte Aktie aufgrund der ihm vorliegenden Informationen als unterbewertet beurteilt und von zukünftig steigenden Kursen ausgeht, wird diese kaufen et vice versa. Es scheinen regional unterschiedliche Informationen und Erwartungen vorzuliegen respektive werden diese unterschiedlich bewertet und verarbeitet. Basierend auf den Annahmen der Selbstregulierungsfunktion des Marktes[10] indizieren steigende Aktienkurse einen zunehmenden Kaufdruck und fallende Kurse einen entsprechenden Verkaufsdruck. Das Handelsvolumen dient als Indikator für die Stärke der Informationsverarbeitung an den einzelnen Börsen, geht man davon aus, dass ein Marktteilnehmer bei Vorliegen mutmaßlich nützlicher Informationen sofort handelt, was wiederum Einfluss auf den restlichen Markt hat und weitere Reaktionen nach sich zieht.[11]

Die Beobachtung der parallelen Kursverläufe einer Aktie an unterschiedlichen Börsen zeigt, dass die Preise nicht identisch sind, sich aber auch nie unendlich weit auseinander bewegen, wie Übersicht 1 für die Preisentwicklung der Aktien vier deutscher Unternehmen veranschaulicht. Demzufolge muss es eine Beziehung zwischen den beiden Preisen geben. Als erste Erklärung dient die Überlegung, dass Anleger versuchen, durch Arbitrage einen Gewinn zu erzielen. Das heißt, sie kaufen am Handelsplatz mit dem aktuell niedrigsten veröffentlichten Preis und verkaufen dort, wo aktuell der höchste Preis notiert ist. Damit der Spread die Transaktionskosten übersteigt, ergo ein Gewinn resultiert, ist ein

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Übersicht 1: Paralleler Verlauf der Börsenkurse vier deutscher Unternehmen an den Börsen Frankfurt und Stuttgart im Zeitraum 13.08.─17.08.2012

hohes Handelsvolumen erforderlich. Auf diese Weise verändern sich die Preise

durch den Marktmechanismus wie oben beschrieben und passen sich einander kontinuierlich an. Ferner ist zu beachten, dass aufgrund des Bestausführungsprinzips eine Verbindung zwischen den Preisen der einzelnen Handelsplätze besteht. Über diese augenfällige Korrelation hinaus soll im weiteren Verlauf untersucht werden, welcher dynamische Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zwischen den Preisentwicklungen einer Aktie an zwei parallelen Börsen besteht und ob ein Markt den anderen in den Prozess der Preisanpassung dirigiert; ergo, ob ein leitender und ein folgender Markt existieren.

2.2 Stand der Forschung

Der parallele Verlauf von Wertpapierpreisen und die Interaktion zwischen Aktienmärkten wurden in der Vergangenheit bereits untersucht. Dabei existieren zwei Hauptansätze, die mehrfach zitiert und modifiziert wurden: Granger und Gonzalo (1995) sowie Hasbrouck (1995) gehen von einer gemeinsamen, nicht direkt beobachtbaren Komponente in parallelen Wertpapierpreisen aus. Die Existenz dieser gemeinsamen Komponente (engl. common factor) begründen sie auf der Theorie, dass Wertpapierpreise[12] durch Arbitrage verbunden seien und sich nie unendlich weit auseinander entwickeln, woraus eine Kointegrationsbeziehung resultiere. Sie versuchen, den common factor zu quantifizieren und anhand seiner Veränderung den Beitrag des jeweiligen Marktes zum Prozess der Informationsverarbeitung in Preisen (engl. price discovery) zu messen. Beide nutzen das Vector Error Correction Model (VECM) als Ausgangspunkt. Bailliea, Booth und Tseb (2002) vergleichen beide Ansätze und zeigen, dass sie verbunden sind und zu ähnlichen Ergebnissen führen. Sie unterscheiden sich in der Behandlung der Varianz der Fehlerkorrekturterme und der Dimension, in welcher der Beitrag zum Price-Discovery-Prozess gemessen wird. Während Hasbrouck den Beitrag zur Veränderung eines Preises ermittelt, eruieren Granger und Gonzalo den Prozess der Preisanpassung.

Granger und Gonzalo (1995) typisieren den common factor als gemeinsamen stochastischen Trend und zerlegen ihn zunächst in eine permanente und eine transitorische Komponente, weshalb ihre Methode auch als permanent-transitory-method (PT) bezeichnet wird. Als Ursache für Preisunterschiede postulieren sie die Fehlerkorrekturterme Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten des VECM. Sie messen auf jedem Markt den relativen Einfluss der Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten auf die Veränderung der permanenten Komponente. Die Einflussquote, als Funktion der Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten auf dem jeweiligen Markt, sei ein Indikator für die Stärke des Price-Discovery-Prozesses. Als Leitmarkt identifizieren sie jenen, der sich am wenigsten an die Preisentwicklung der anderen anpasst.

Hasbrouck (1995) bezeichnet den Beitrag eines Marktes zum Price-Discovery-Prozess als Information Share (IS)[13]. Er ergründet den Beitrag eines Marktes zur Varianz der Veränderungen des gemeinsamen Faktors, welchen er als impliziten effizienten Preis bezeichnet[14]. Dieser sei die Random-Walk-Komponente der jeweiligen Zeitreihe. Er stützt seine Annahme eines gemeinsamen effizienten Preises auf die Ausführungen von Garbade und Silber (1983) und deren 1979 durchgeführte Untersuchung an der New York Stock Exchange (NYSE). Sie kamen zu dem Ergebnis, dass die NYSE den Price-Discovery-Prozess dominiert, während die Regionalbörsen ihr überwiegend folgen und prägten die Begriffe „dominante“ und „Satelliten“-Märkte.[15] Vor diesem Hintergrund versucht Hasbrouck zu messen, wie stark die Preisvariation innerhalb eines Marktes durch die historischen Preisveränderungen in allen betrachteten Märkten erklärt wird. Ausgehend davon, dass Preisschwankungen die Verarbeitung von Informationen reflektieren, konkludiert er, dass jener Markt die meisten Informationen einbringe, dessen Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten auch den größten Beitrag zur Volatilität des effizienten Preises leiste. Als Indikator dienen die Beiträge der jeweiligen Märkte zu dessen Varianz, für die er Grenzwerte (Schranken) definiert, innerhalb derer ein Beitrag als hoch oder niedrig gilt. Dabei verfüge derjenige Markt über den größten IS, der die größte Entfernung vom effizienten Preis verursacht. Des Weiteren könne abgelesen werden, welcher Markt sich zuerst bewege („who moves first“[16] ). Sein Modell wendet er auf den amerikanischen Kapitalmarkt an. Er untersucht die hochfrequenten Aktienkurse der 30 im Dow-Jones-Index gelisteten US-Unternehmen an der NYSE und allen regionalen Aktienmärkten der USA (aggregiert als „non-NYSE“[17] ). Hasbrouck stellt fest, dass der Price-Discovery-Prozess größtenteils von der NYSE ausgeht (Median: IS 92,7 %). Für mittelgroße Unternehmen ermittelte er außerdem eine starke Korrelation zwischen Marktanteil am Handelsvolumen und Information Share. Sein Untersuchungsresultat bestätigt somit die These von Garbade und Silber (1979), dass eine große Leitbörse (hier die NYSE) existiere, welche die Informationsverarbeitung dominiere, während die Regionalbörsen (hier non-NYSE) ihre Preisbildung an das Verhalten der Leitbörse anpassen.

Die Untersuchung von Eun und Sabherwal (2003) hat die Preisbildung von 62 Aktien kanadischer Unternehmen an der NYSE und der Toronto Stock Exchange (TSX[18] ) zum Gegenstand. Hier wird der Aspekt beleuchtet, welcher Zusammenhang zwischen der geographische Lage des Unternehmens und der Börse beim Price-Discovery-Prozess besteht. Die Analyse ergibt, dass sich die Preise der NYSE meistens an jene der TSX anpassen. Die TSX als Heimatmarkt der kanadischen Aktien dominiert demgemäß den Preisbildungsprozess gegenüber einer ausländischen Börse, obwohl es sich dabei mit der NYSE um die größte Börse der Welt handelt. Ferner ist zu beobachten, dass mit zunehmendem US-Marktanteil an Aktien mittelgroßer Unternehmen auch der amerikanische Einfluss auf die Preisbildung steigt. Eun und Sabherwal leiten daraus ab, dass der Handel mit Wertpapieren mittelgroßer Unternehmen insgesamt eine stärkere Informationsverarbeitung aufweise als der Handel mit Wertpapieren sehr großer oder kleiner Unternehmen.[19] Die These, dass der Heimatmarkt einer Aktie bei grenzüberschreitendem Handel die Preisbildung dominiert, bestätigen Kehrle und Peter (2009). Sie untersuchen ebenfalls kanadische Aktien an der NYSE sowie der TSX und stellen einen noch signifikanteren Einfluss des Heimatmarktes (TSX) fest als Eun und Sabherwal.

Grammig, Melvin und Schlag (2005) bedienen sich der Methodik von Hasbrouck, um die Aktienpreise der deutschen DAX-Unternehmen Daimler-Chrysler, Deutsche Telekom und SAP in New York (NYSE) und Frankfurt (Xetra) während paralleler Handelszeiträume zu vergleichen. Neben der Rolle der USD/EUR-Wechselkursänderungen soll der Einfluss des Handelsplatzes auf den Price-Discovery-Prozess untersucht werden. Als Lag-Länge werden zehn Sekunden gewählt. Die Analyse ergibt einen IS zwischen 79,8 und 99,1 % für Xetra. Insbesondere bei der Preisbildung der Deutsche-Telekom-Aktie beträgt der IS der NYSE nahezu null; für das global aufgestellte Unternehmen SAP verzeichnet New York zumindest einen geringen IS. Der Price-Discovery-Prozess des Unternehmens, welches am stärksten im Heimatmarkt operiere, finde folglich auch dort statt, was mit den Feststellungen von Eun und Sabherwal (2003) und Kehrle und Peter (2009) korrespondiert.

[...]


[1] Der Begriff „Börse“ gilt im allgemeinen Sprachgebrauch als Synonym für Wertpapiermärkte.

[2] Im Folgenden Börse Frankfurt genannt.

[3] Vgl. http://www.boerse-frankfurt.de/de/handelsqualitaeten, aufgerufen am 01.09.2012.

[4] Im Folgenden Börse Stuttgart genannt.

[5] Vgl. https://boerse-stuttgart.de/de/boersenplatzstuttgart/boersenplatzstuttgart.html, aufgerufen am 25.08.2012.

[6] Vgl. www.boerse-frankfurt.de/de/wissen, aufgerufen am 01.09.2012.

[7] Vgl. § 15 WpHG.

[8] Vgl. Hong et al. (2010), S. 18.

[9] Vgl. Hayek (1945), S. 526 f.

[10] Vgl. Smith (1937), S. 423.

[11] Vgl. Hasbrouck (1995), S. 1189─1191.

[12] Wenn im Folgenden von Preisen die Rede ist, sind darunter parallel verlaufende Preise identischer Wertpapiere an unterschiedlichen Märkten zu verstehen.

[13] Vgl. Hasbrouck (1995), S. 1182.

[14] Vgl. Ebenda, S. 1177.

[15] Vgl. Garbade/Silber (1979).

[16] Vgl. Hasbrouck (1995), S. 1184.

[17] Vgl. Ebenda, S. 1187.

[18] Früher TSE.

[19] Vgl. Eun/Sabherwal (2003), S. 573.

Ende der Leseprobe aus 64 Seiten

Details

Titel
Preisbildung an deutschen Aktienmärkten: Eine empirische Analyse
Hochschule
Universität Siegen  (Finanzmärkte, Kostenrechnung, Controlling)
Veranstaltung
BWL - Finanzmärkte, Finanzcontrolling
Note
1,3
Autor
Jahr
2012
Seiten
64
Katalognummer
V205769
ISBN (eBook)
9783656331902
ISBN (Buch)
9783656332732
Dateigröße
10690 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Finanzmarktökonometrie, Hasbrouck, VECM, Stata, Aktien, Kurse, VAR, Vektorautoregression, Controlling, BWL, Bachelor, Regression, Empirisch, Preisbildung, Markt, IAF, Impuls Antwort Folgen, Zeitreihen, NYSE, Porsche, Bayer, Siemens, Commerzbank, Statistik
Arbeit zitieren
Sonja Schneider (Autor:in), 2012, Preisbildung an deutschen Aktienmärkten: Eine empirische Analyse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/205769

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Preisbildung an deutschen Aktienmärkten: Eine empirische Analyse



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden