Innovationsfeld Tempelhof: Möglichkeitsräume von Planungsinstrumenten


Diplomarbeit, 2012

111 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Gliederung

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1 Einleitung

2 Stadtentwicklung und Innovation: eine konzeptionelle Verknüpfung
2.1 Stadtentwicklung und -planung: eine Einführung
2.2 Innovation heute
2.2.1 Definition und Konzepte
2.2.2 Der Innovationsprozess
2.3 Innovation und gesellschaftliche Entwicklung
2.4 Über den Zusammenhang von Innovation und Stadtentwicklung
2.5 Das Analysegerüst: die Prinzipien innovationsorientierter Planung
2.5.1 Planung durch Verzicht auf (klassische) Planung
2.5.2 Charisma oder: die Organisation von Außeralltäglichkeit
2.5.3 Die Organisation lernförderlicher Netzwerke
2.5.4 Zwischenfazit I: Innovation und Stadtentwicklung

3 Forschungsvorgehen
3.1 Forschungsdesign
3.2 Fallauswahl
3.3 Datenbasis
3.4 Auswertungsverfahren
3.5 Eine Reflexion des Datenmaterials und des methodischen Vorgehens

4 Das Tempelhofer Feld
4.1 Vom Acker zum Flugfeld: die Geschichte eines Feldes
4.1.1 Die Mutter aller Flughäfen
4.1.2 Tempelhof: die Nabelschnur Westberlins in den Jahren 1948/49
4.1.3 Wechselvolle Nachkriegsjahre
4.2 Stadträumliche Verortung und soziostrukturelle Beschreibung der angrenzenden Quartiere
4.3 Das Spannungsfeld der Interessen
4.3.1 Positionen im Kontext der Schließung des Tempelhofer Flughafens
4.3.2 Positionen im Kontext einer möglichen Folgenutzung des Flughafens
4.3.3 Zwischenfazit II: Tempelhof als Konfliktfeld?

5 Die Planung um Tempelhof – Verlauf und Detailprüfung
5.1 Ein chronologischer Abriss über 23 Jahre Planung
5.1.1 Von den ersten Ideen zum Masterplan – der Zeitraum 1989 bis 1999
5.1.2 Die Schließung naht? Wir brauchen Konzepte – der Zeitraum 2006 bis 2010
5.1.3 Es geht schleppend voran – der Zeitraum 2010 bis 2012
5.1.4 Von der Planungsfülle zum Detail: ein Plädoyer für die Fokussierung
5.2 Planungsinstrumente auf dem Prüfstand
5.2.1 Erste Ideennetzwerke für das Tempelhofer Feld
5.2.2 Bürgerbeteiligung: Viele Menschen = viele innovative Ideen?
5.2.3 Das Team Ideenwerkstatt Tempelhof: ein buntes Kollektiv erarbeitet unkonventionelle Konzepte
5.2.4 Die Tempelhof Projekt GmbH – fragwürdige Maßnahmen zur Innovationsförderung
5.2.5 Raumpionierprojekte als kleine Innovationslabore auf dem Tempelhofer Feld
5.2.6 IBA – Der ,Ausnahmezustand auf Zeit’ als Innovationsmotor
5.2.7 Das Columbia-Quartier: Streit um die Adresse für innovatives Wohnen
5.2.8 Das alte Flughafengebäude wird Bühne des Neuen
5.2.9 Die Parklandschaft: hohe Ansprüche trotz geringer Mittel
5.2.10 Zwischenfazit III: mäßige Innovationspotenziale trotz vieler Planungsinstrumente

6 Fazit: Tempelhof bleibt Konfliktfeld

Literaturverzeichnis

Anhangsverzeichnis

Anhang

Danksagung

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Deckblatt

Abbildung 1: Der Adlerkopf vor dem Haupteingang des Flughafengebäudes

Abbildung 2: Das Flughafengebäude und der Radarturm

Abbildung 3: Der nuture Mini Art Golfplatz

Innenteil

Abbildung 1: Das Flughafengebäude des ersten Verkehrsflughafens der Welt (1923)

Abbildung 2: Neuer (links) und alter Flughafen (mitte)

Abbildung 3: Angrenzende Quartiere

Abbildung 4: Sozial-Monitoring 2010 für den Bereich des Tempelhofer Feldes

Abbildung 5: Ermittelte Akteure im Aushandlungsprozess um die Zukunft des Tempelhofer Feldes

Abbildung 6: Park der Luftbrücke von Kienast, Vogt und Partner/Bernd Albers (1999)

Abbildung 7: "Zukunft Tempelhofer Feld" - Planungsstand 03.2008

Abbildung 8: Das Columbia-Quartier aus der Vogelperspektive

Abbildung 9: Das Flughafengebäude aus der Vogelperspektive

Abbildung 10: Die Parklandschaft aus der Vogelperspektive

Abbildung 11: Entwurf von Gross.Max, Edinburgh/Sutherland and Hussey, Edinburgh

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Die Prinzipien innovationsorientierter Planung

Tabelle 2: Zuordnung der Planungsinstrumente zu den Prinzipien innovationsorientierter Planung

1 Einleitung

Jeder spricht heutzutage über Innovationen. Sie gelten als „Leitbild gesellschaftlicher Entwicklung“ (Güntner 2004: 5) und werden vor allem in Hinblick auf Herausforderungen infolge der Globalisierung, des demografischen Wandels und des wirtschaftlichen Strukturwandels vermehrt eingefordert. Gesucht werden im städtischen Kontext beispielsweise innovative Lösungen, um die negativen Folgen von Schrumpfungsprozessen und brachliegender Industriegebiete zu kompensieren oder neue Mobilitätskonzepte, mit deren Hilfe das Leben in der Innenstadt weniger belastend gestaltet werden kann. Aber auch Ideen sind gefragt, um die Stadtentwicklung trotz geringer finanzieller Ressourcen in geordnete Bahnen zu lenken.

Besonders Großstädte sind drauf angewiesen in Bezug auf verschiedene Problemlagen neuartige Lösungsansätze zu generieren. So verfügt beispielsweise Berlin infolge der Neuausrichtung des Flughafensystems und der damit verbundenen Schließung des Tempelhofer Flughafens über eine enorm große und zentral gelegene Freifläche von 386 ha, die viel Potenzial für die Stadtentwicklung bereitstellt und als urbane Parklandschaft in Zeiten des Klimawandels europaweite Beachtung findet. Jedoch fehlen dem Land die finanziellen Mittel, um die Fläche adäquat zu entwickeln und in die angrenzenden Bezirke zu integrieren. Daher wird beispielsweise für die Pflege der Parklandschaft, die jährlich mit 400.000 Euro zu Buche schlägt (vgl. Thomsen 2011), ein geeignetes Finanzierungskonzept gesucht.

Da Tempelhof indes schon aus dem historischem Kontext heraus ein Ort der Pioniere und Innovationen war – denke man z.B. an Otto Lilienthal und seine kühnen Flugversuche –, will die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt (SenStadt) als Vertreter des Eigentümers, das Land Berlin, an diese Tradition anknüpfen. So betont die SenStadt, dass in Tempelhof erneut Akzente gesetzt und innovative Wege begangen werden sollen. Es soll ein innovatives Parkbild unter möglichst geringem finanziellen Aufwand entstehen (vgl. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung 2010f: 8), das denkmalgeschützte Flughafengebäude wird als „Bühne des Neuen“ eine Plattform für innovative Produkte und zukunftsweisende Ideen (vgl. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung 2010e: 2). Die auf den zukünftigen Baufeldern angesiedelten Pioniernutzungen sollen Impulse für eine zukunftsfähige und innovative Stadtentwicklung geben (vgl. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung 2010i: 2).

Wie können jedoch Innovationsvorhaben aus solch unterschiedlichen Bereichen – Landschaftsplanung, Gebäudenachnutzung und Bottom-up-Initiativen – wirksam gefördert werden? Genau diese Frage müssen sich die Entwicklungsträger des Tempelhofer Feldes stellen, wenn sie ihre Innovationsansprüche erfolgreich umsetzen wollen. Eine mögliche Antwort auf dieses Themenfeld bietet die Stadt- und Regionalplanung und hängt mit Erfahrungen zusammen, die in Verbindung mit der Internationalen Bauausstellung (IBA) Emscher Park gesammelt wurden. Hier ist eine alte Industrieregion durch neuartige Planungs- und Steuerungsmodelle der Regionalentwicklung in eine zukunftsfähige Region von hoher Qualität transformiert worden (vgl. Ibert 2003: 24 ff.). Hintergrund für das Ausprobieren neuartiger Planungs- und Steuerungsmodelle sind Erfahrungen, dass sich klassische Stadtplanung mit den ihr zur Verfügung stehenden Instrumenten und Vorgehensweisen schwer damit tut, gewohnte Pfade zu verlassen und neuartige Lösungen zuzulassen. Die Neuen, in Verbindung mit der IBA genutzten Maßnahmen zur strategischen Förderung von innovativen Lösungen wurden im Rahmen eines Forschungsprojekts umfassend erfasst, strukturiert und als „Prinzipien innovationsorientierter Planung“ (Ibert 2003: 70 ff.) aufbereitet.

Die vorliegende Diplomarbeit greift diese Überlegungen auf und versucht, die im Zusammenhang mit dem Tempelhofer Feld genutzten (vorwiegend informellen) Planungsinstrumente hinsichtlich ihres Vermögens zu analysieren, strukturelle Neuerungen, also Innovationen zu begünstigen. Die Kernfrage dieser Diplomarbeit lautet daher: Welche Planungsinstrumente bieten Möglichkeitsräume, um den auf der semantischen Ebene geäußerten Innovationsansprüchen gerecht zu werden? Auf diese Weise soll herausgefunden werden, ob im Kontext des Tempelhofer Feldes lediglich über Innovationen gesprochen wird oder diese auch tatsächlich gefördert werden.

Folgende Fragen schließen sich daher an:

- In welchem Verhältnis stehen Innovation und Stadtplanung/Stadtentwicklung?
- Mithilfe welcher Prozesselemente lassen sich Innovationen in der Stadtplanung begünstigen?
Fragen bezüglich der Fallstudie Tempelhof:
- Welche Rolle spielt das räumliche Umfeld bei der (innovationsorientierten) raumbezogenen Planung?
- Welche Akteure engagieren sich bei der Zukunftsgestaltung des Tempelhofer Feldes und welche Interessen verbinden sie damit?
- Ist es gerechtfertigt, Tempelhof als ein Innovationsfeld zu bezeichnen?

Gliederung der Diplomarbeit

Einleitend werden im zweiten Kapitel die Themenfelder Stadtentwicklung und Stadtplanung als auch der Zusammenhang von Innovation und Stadtentwicklung erläutert. Daran anschließend wird gezeigt, mithilfe welcher Prozesselemente Innovationen in der räumlichen Planung gefördert werden können. Das dritte Kapitel widmet sich dem Forschungsvorgehen bestehend aus Untersuchungsdesign und Untersuchungsverfahren, das die Grundlage für diese Arbeit bildet. Im vierten Kapitel wird zum Hauptteil dieser Diplomarbeit, der Fallstudie zum Tempelhofer Feld, übergeleitet. Nach einem historischen Abriss zur Entstehung des Flughafens wird das Feld stadträumlich verortet. Nachfolgend wird auf die am Planungs- und Entwicklungsprozess beteiligten Akteure[1] und deren Interessen eingegangen. Das anschließende Kapitel fünf zeichnet den Planungsverlauf seit der Wiedervereinigung nach und es werden ausgewählte Planungsinstrumente nach ihrem Vermögen untersucht, Innovationen zu fördern. Aber auch Probleme der genutzten Instrumente bezogen auf die Ansprüche einer innovativen Nachnutzung sollen nicht unreflektiert bleiben. Am Ende des Analyseteils werden drei konkrete Projekte analysiert, in denen explizit Innovationsansprüche formuliert wurden. Abschließend werden im sechsten Kapitel die gemachten Aussagen zusammengefasst und ein Fazit gezogen.

2 Stadtentwicklung und Innovation: eine konzeptionelle Verknüpfung

Stadtentwicklung und Innovation, zwei Begriffe die zunächst nicht offensichtlich etwas miteinander gemein haben. Dennoch werden sie vor allem in den Raumwissenschaften als zwei untrennbare Sachverhalte gesehen (vgl. Koschatzky 2009: 6).

Das folgende Kapitel hat zum Ziel, diese Verbindung umfassend darzulegen. Daher werden zunächst kurz die Themenfelder Stadtentwicklung und Stadtplanung vorgestellt. Anschließend wird der Innovationsbegriff eingeführt, um diesen in Zusammenhang mit Stadtentwicklungsprozessen zu verorten. Abschließend wird es darum gehen, wie Stadtplanung Innovationen strategisch begünstigen kann, um die Herausforderungen bewältigen zu können, denen sich die Stadtentwicklung gegenüber gestellt sieht.

2.1 Stadtentwicklung und -planung: eine Einführung

Stadtentwicklung setzt sich, dem raumplanerischen Verständnis zufolge, zum einen mit der strukturellen Entwicklung der Stadt auseinander. Diese umfasst beispielsweise Dimensionen wie die demografische und die ökonomische Entwicklung. Zum anderen fokussiert sie die räumliche Entwicklung, die unter anderem baulich-räumliche und räumlich-funktionale Dimensionen beinhaltet. Beide Schwerpunkte, die strukturelle und die räumliche Entwicklung müssen miteinander in Verbindung gebracht werden, um die Implikationen des strukturellen Wandels auf die räumlichen Gegebenheiten erfassen zu können (vgl. Kuder 2009: 68). Heutzutage steht Stadtentwicklung durch Phänomene wie dem demographischen Wandel, der Globalisierung, Nachhaltigkeitsforderungen oder auch moderne Formen der Beteiligungskultur vor neuen Herausforderungen. Um die Entwicklung einer Stadt dennoch in geordnete Bahnen lenken zu können, stehen Instrumente wie z.B. der Stadt- oder Stadtteilentwicklungsplan zur Verfügung, aber auch die Instrumente der Stadtplanung kommen zum Einsatz (vgl. Stadt Passau 2010).

Stadtplanung wird von Albers und Wékel (2008: 11) kurz gefasst als „das Bemühen um eine den menschlichen Bedürfnissen entsprechende Ordnung des räumlichen Zusammenlebens – auf der Ebene der Stadt oder Gemeinde“ definiert. Als Voraussetzung für die Schaffung (bzw. Umnutzung oder Umgestaltung) eines Baugebietes nennen sie eine langfristige Entwicklungsplanung der Stadt. Dies bedeutet, dass ein Plan des Zielzustands erarbeitet werden muss, „an dem sich Struktur, Gestalt und Funktion nach Art eines ,Modells’ ablesen lassen“ (ebd.) und der zudem die Finanzierung, den Grunderwerb und nötige Baumaßnahmen berücksichtigt. Vorrangig beschäftigt sich Stadtplanung dabei mit der Nutzung des Bodens und mit der Art und Gestaltung von Plätzen, Straßen und Gebäuden.

Als gesetzliche Grundlage für die stadtplanerische Gestaltung gilt in Deutschland das Baugesetzbuch (BauGB). Dieses regelt, bezogen auf das allgemeine Städtebaurecht, die Bauleitplanung, wofür wiederum zwei Kategorien von Bauleitplänen zur Verfügung stehen: Der Flächennutzungsplan (FNP), der die beabsichtigte Bodennutzung in den Grundzügen darstellt und der Bebauungsplan (B-Plan), der die Entwicklungsvorstellungen des FNP für eine jeweilige Teilfläche konkretisiert (vgl. ebd.: 68). Diese rechtlich verankerten Planungsinstrumente werden auch als „harte“ oder „klassische“ Planungsinstrumente bezeichnet.

Stadtplanung ist heute, in einer Zeit des kontinuierlichen Wandels und der Forderung nach öffentlicher Mitbestimmung, nicht einfach nur der Entwurf eines Stadtgefüges durch einen Stadtplaner und die Handhabung der zur Entwicklung nötigen Mittel. Vielmehr muss sie Ansprüche und Bedürfnisse abwägen und bewerten, sowie Nebenwirkungen baulicher Maßnahmen abschätzen, was nur durch eine stärkere Kommunikation mit Bürgern und Betroffenen möglich ist (vgl. ebd.: 7). Seit einigen Jahren wird daher in den Planungswissenschaften von einem Wandel in der Planungspraxis gesprochen. Begrifflich wird dieser Wandel als „communicative turn“ (Healey 1992) beschrieben und skizziert den Trend, dass Planung seltener „als hoheitlicher Steuerungsakt, sondern als Kooperation zwischen privaten und öffentlichen Akteuren in Aushandlungsprozessen organisiert“ wird (Ibert 2003: 15). Ergänzend zu den „harten“ Planungsinstrumenten wie Bauleitplanung treten vermehrt „,weiche’, auf Überzeugung und Kommunikation ausgerichtete Instrumente, wie Moderation, Mediation oder Verhandlungen am runden Tisch“ (ebd.: 16) in den planerischen Alltag. Die planerische Leistung besteht somit nicht mehr ausschließlich darin, die mögliche Zukunft eines Projekts gedanklich vorweg zu nehmen, sondern vor allem Kooperationen zwischen verschiedenen Akteuren müssen stimuliert und moderiert werden. Ariane Bischoff et al. (2007: 16) spitzen diesen Gedanken weiter zu und bekräftigen: „Planung ist Kooperation“. Sie betonen weiterhin, dass es vielfältige Gründe gibt, auf eine partizipative Planung zu setzen. Hierzu zählen beispielsweise rechtliche Gründe, wie der §3 (Absatz 1) des BauGB, welcher festschreibt, dass Bürger möglichst frühzeitig in die Ziele und Zwecke der Planung eingeweiht werden müssen und sich dazu auch äußern können. Diese vorherige Erörterung mit den Bürgern soll verhindern, dass nach dem Beschluss von Plänen langwierige Klagewellen folgen, die besonders Kosten- und Zeitaufwendig sind.

Aber auch gewisse politische Funktionen werden partizipativen Planungsverfahren nachgesagt. Eine gute Zusammenarbeit mit Betroffenen kann beispielsweise die Demokratie fördern, indem die Bürger ihre Wünsche und Anliegen stärker berücksichtigt fühlen und es so weniger zu Protesten, z.B. durch Bürgerinitiativen kommt.

Zusätzlich entstehen aus der Partizipation der Bürger und Experten Vorteile für die Planung selbst. So bietet die Betroffeneninformierung auch eine Art Frühwarnsystem, indem Planer in der Diskussion der Pläne feststellen können, ob mit Widerständen zu rechnen ist und wie diese vermieden werden können. Zudem führt eine Beteiligung von Betroffenen nicht selten dazu, dass diese sich mit dem geplanten Projekt stärker identifizieren und gegebenenfalls sogar eigene Kräfte mobilisieren, um dieses zu unterstützen. Schließlich können durch den Einbezug heterogener Akteure und einen umfassenden Diskurs über das geplante Projekt auch neue Ideen entstehen, die in den ausgetretenen Pfaden klassischer, harter Planung oft nicht möglich gewesen wären (vgl. Ibert 2003: 16). An diesen Aspekt will die vorliegende Diplomarbeit anschließen, indem sie sich mit den Möglichkeitsräumen von Planungsinstrumenten befasst. Diesbezüglich werden vor allem die auf Kommunikation und Kooperation ausgerichteten informellen bzw. weichen Planungsinstrumente Beachtung finden. Möglichkeitsräume werden in Anlehnung an Haas (2003) als Denkräume verstanden, „in denen neue soziale, kulturelle oder wirtschaftliche Formen entstehen, angedacht oder erprobt werden“. Im Kern geht es somit um die Frage, inwiefern informelle Planungsinstrumente den Weg für neue Denk- und Handlungsweisen eröffnen können.

Zusammenfassend soll betont werden, dass Stadtentwicklung in enger Verbindung zur stadtplanerischen Tätigkeit steht. Stadtplanung erfolgt heutzutage weniger hoheitsstaatlich gelenkt, sondern baut auf der intensiven Partizipation zahlreicher Akteure auf. Aus dem Einbezug unterschiedlicher Akteure können viele Vorteile[2] und neue Ideen entstehen. Diese neuen Ideen, können schließlich zu Innovationen führen. Was Innovationen sind und in welchem Verhältnis diese wiederum zu Stadtentwicklungsprozessen stehen, soll im weiteren Verlauf geklärt werden.

2.2 Innovation heute

„Wer rastet, der rostet!“ (altdeutsche Redewendung, Verfasser unbekannt)

Mangelnde körperliche Aktivität wirkt sich nachteilig auf die Leistungsfähigkeit eines Menschen aus, wie das Sprichwort volkstümlich beschreibt. Stillstand wird gleichgesetzt mit einer negativen körperlichen Entwicklung. Die Redewendung lässt sich jedoch auch auf das moderne gesellschaftliche Fortschrittsverständnis übertragen, wonach sich alles bewegen, schneller ablaufen, wachsen und sich ständig erneuern muss, um Bestand zu haben. Einer der Hauptbegriffe, die mit diesem Fortschrittsverständnis in Zusammenhang stehen, ist Innovation. Abgeleitet vom lateinischen innovatio, bedeutet Innovation Erneuerung oder Veränderung (vgl. Georges 1861: 2115).

2.2.1 Definition und Konzepte

Die Ursprünge der Innovationsforschung gehen auf Joseph Alois Schumpeter zurück, der bereits 1912 die These aufstellt, „dass das Kennzeichen der kapitalistischen Wirtschaft [...] dynamisches evolutionäres Wachstum ist, welches sich vorrangig aus Innovationen speist“ (Weyer 2008: 147). Mit dieser Betonung von Innovationen als Motor der wirtschaftlichen Entwicklung, stellt er die damals vorherrschende neoklassische Theorie in Frage, die das Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage als Voraussetzung für eine geordnete wirtschaftliche Entwicklung herausstellt. „Das Definitionskriterium besteht“ für Schumpeter „darin, Neues zu tun oder etwas, was bereits gemacht wird, auf eine neue Weise zu machen“ (Schumpeter, Haberler & Böhm 1987: nach Ibert 2003, S.39). Während bei Schumpeter der Fokus somit noch auf Produktinnovationen („Neues tun“) und Verfahrensinnovationen („etwas, was bereits gemacht wird, auf eine neue Weise zu machen“) liegt, spezifizieren sich die Innovationsreferenzen in der jüngeren Zeit immer stärker aus. So differenziert Werner Rammert zwischen wirtschaftlichen, politischen, sozialen und künstlerischen Innovationen, betont aber zugleich, dass sich diese Liste noch erweitern ließe (vgl. Rammert 2010: 40 ff.). Weiterhin schlägt er vor, die Entstehung von Innovationen als einen sozialen Prozess zu untersuchen, bei dem die Relationen zwischen den Innovationsdiskursen (Semantik), den Praktiken des innovativen Handelns (Pragmatik) und den jeweiligen Innovationsregimen (Grammatik) Beachtung finden sollten. Dementsprechend breiter ist auch die von ihm formulierte Definition aufgestellt: „Neuerungen sollen alle Varianten heißen, die sich zeitlich von vorherigen Varianten absetzen und so auch auf der semantischen Ebene als neu definiert werden, die sich sachlich als Modifikation eines oder mehrerer Elemente oder ihrer Kombination als andere oder vorher unbekannte fremde Art entwickeln oder hergestellt werden, und die sozial als relevante Abweichung von der Normalität nach Konflikten zwischen interessierten Gruppierungen als Verbesserung akzeptiert und als neue Normalität in die institutionellen Regeln eingebaut werden oder sie sogar transformieren.“ (ebd.: 45 f.) Diese Definition ist ebenso wie das von Rammert vorgeschlagene relational-referentielle Innovationskonzept kein allgemeiner Konsens, da verschiedene Innovationsforscher unterschiedliche Definitionen und Konzepte vorschlagen.

2.2.2 Der Innovationsprozess

Trotz der Differenzen in Bezug auf eine einheitliche Definition und der Innovationskonzepte herrscht weitestgehend Konsens, dass Innovation in enger Beziehung zu anderen Begriffen wie dem der Idee oder der Kreativität steht (vgl. Fueglistaller, Müller & Volery 2008: 75 f.). So stellt eine Idee, einen geistigen Lösungsansatz zur Behebung eines Problems oder eines Sachverhalts dar. Kreativität meint darüber hinaus „das Generieren von neuen, brauchbaren Ideen [...]; also der schöpferische Prozess der Ideenfindung“ (ebd.: 75). Innovationen gründen schließlich auf beiden Denkfiguren, dem der Idee und dem der Kreativität. So müssen kreative Ideen praktisch umgesetzt, also realisiert (Invention) werden, in größere Kontexte hineinwachsen (Diffusion) und sich dort etablieren, um als Innovationen zu gelten. Somit kann man sich das Dreigespann Idee, Kreativität und Innovation auf einem Kontinuum vorstellen, wobei die Idee den Anfang bildet, die durch Kreativität gezielt gefördert wird und schließlich nach der (eventuellen) Invention in weitere gesellschaftliche Kontexte diffundiert, diese gegebenenfalls transformiert und zur Innovation wird.

Die entscheidende Schlüsselressource in diesem Prozess ist Kommunikation. Werner Rammert (2010: 34) schreibt dazu, dass „Innovationen [...] zunächst als solche ausgewiesen, ,markiert’ bzw. ,kommunikativ konstruiert’ werden [müssen], bevor sie in das Bewusstsein von Individuen eingehen können“. Wenn Innovationskommunikation systematisch von Organisationen betrieben wird, verfolgen diese meist das Ziel „Verständnis für und Vertrauen in die Innovation zu entwickeln sowie die dahinter stehende Organisation als Innovator zu positionieren“ (Zerfaß, Sandhu & Huck 2004: 4). Es geht also darum positive Erwartungen zu schüren, mit denen das Neue, die dahinterstehende Organisation und die Umstände bei deren Erzeugung legitimiert werden können. Vor diesem Hintergrund muss allerdings auch angemerkt werden, dass Organisationen den grundsätzlich positiv konnotierten Innovationsbegriff gelegentlich auch nutzen, um „von sich Reden zu machen“ (ebd.: 11), ohne dass tatsächlich im Sinne einer Innovationserzeugung gehandelt wird. Das Ziel solchen Handelns ist dann lediglich eine positive Bewertung in der Öffentlichkeit zu gewinnen (vgl. Zerfaß 2005: 14).

Dass das „Endresultat“ selten dem entspricht, was am Anfang intendiert wurde, liegt daran, dass alle Akteure im Innovationsprozess einen Lernprozess durchlaufen (vgl. Braun-Thürmann 2004: 12; Ibert 2005: 603). Dieser Lernprozess entsteht durch Kommunikation in sozialen Netzwerken oder Praktikgemeinschaften (vgl. Braun-Thürmann 2005: 65), wobei Erfahrungen ausgetauscht werden, die zur Anpassung der Idee oder des Produkts führen. In der Folge ist es enorm schwierig bzw. beinahe unmöglich am Beginn eines Prozesses ein innovatives Endresultat vorher sagen zu können (vgl. Ibert 2003: 68). Dieser Umstand, die Unvorhersagbarkeit des Endresultats, bringt insbesondere die Schwierigkeit mit sich, dass Innovationen nicht von allen gesellschaftlichen Akteuren mit offenen Armen empfangen werden. Auch in diesem Zusammenhang kam der entscheidende Anstoß vom Innovationspionier Schumpeter. Er beschreibt, dass der Innovationsprozess „unaufhörlich die alte Struktur zerstört und unaufhörlich eine neue schafft“ (Schumpeter 1950: 138), und weist somit darauf hin, dass die Entstehung des Neuen immer auch mit der Zerstörung des Alten verbunden ist. Dies bedeutet, dass infolge der Etablierung neuer Strukturen, alte überholte Strukturen überflüssig werden. Dass dies nicht im Willen der Akteure geschieht, die mit den alten Strukturen verhaftet sind, scheint nachvollziehbar. So sind es vor allem traditionelle Organisationen, die aufgrund eingefahrener Lösungswege beachtliche Beharrungstendenzen gegenüber Wandlungsprozessen aufweisen. Wenn strukturelle Neuerungen diese ausgetretenen Pfade bedrohen, geschieht es häufig, dass sich einige Akteure zur Wehr setzen, um an dem Bestehenden fest zu halten (vgl. Ibert 2003: 48).

2.3 Innovation und gesellschaftliche Entwicklung

Weitgehend Einigkeit herrscht weiterhin darüber, dass Innovationen heute als zentrales Element der modernen Gesellschaft und als Lösungsweg gelten, um Herausforderungen infolge der Globalisierung sowie der demografischen Veränderung wirksam entgegen treten zu können (vgl. Güntner 2004: 5). So gilt es z.B. in Bezug auf die negativen Folgen der Globalisierung innovative Mobilitätskonzepte zu finden, um der zunehmenden Umweltbelastung und dem Flächenverbrauch Einhalt zu gebieten. Aber auch neuartige Lösungskonzepte aus dem Bereich der Demografie werden gesucht, um den Folgen des Geburtenrückgangs bei gleichzeitiger Überalterung begegnen zu können. Diese Suche nach neuen Lösungsansätzen für verschiedenste Probleme manifestiert sich auch politisch indem beispielsweise das Jahr 2009 zum europäischen Jahr der Kreativität und Innovation erklärt wurde und die Bundesregierung ein Jahr später die „Hightech-Strategie 2020“ – ein nationales Gesamtkonzept für eine „missionsorientierte Innovationspolitik“[3] – vorstellte (Bundesministerium für Bildung und Forschung 2012). Mit diesen politischen Programmen sind jährlich steigende Ausgaben für den Bereich Forschung und Entwicklung (FuE) verbunden. Von Seiten der Wirtschaft wurden beispielsweise im Jahr 2010 57,8 Mrd. Euro in FuE-Aktivitäten investiert, während der Bund sich mit 12,7 Mrd. Euro beteiligte, was ungefähr 2,8 % des Bruttoinlandsprodukts entspricht (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung 2010: 40 ff.). Es ist offensichtlich, dass dem Bereich FuE und dem Generieren von Innovationen in der modernen Gesellschaft ein großer Stellenwert beigemessen wird, was sich in den enormen Fördersummen manifestiert.

Bisher haben wir neben den historischen Wurzeln und der begrifflichen Definition von Innovation vor allem verwandte Begriffe wie Idee und Kreativität kennen gelernt, aber auch erfahren, dass die Entstehung von Innovationen eng mit Kommunikations- und Lernprozessen aber auch mit Widerständen verbunden ist. Dennoch überwiegt heutzutage ein meist positives öffentliches Verständnis von Innovation, denn sie avancieren zum „Leitbild gesellschaftlicher Entwicklung“ und gelten als „Notwendigkeit im Projekt gesellschaftlicher Modernisierung“ (Güntner 2004: 5).

Da sich Disziplinen wie die Soziologie und die Stadt- und Regionalplanung seit ihrer Entstehung intensiv mit Prozessen des sozialen Wandels und der gesellschaftlichen Modernisierung auseinandergesetzt haben, beschäftigen auch sie sich, wenn auch teilweise kontrovers, mit diesem Phänomen (vgl. Braun-Thürmann 2004: 11; Degele 2002: 11 ff.). Kontrovers insofern, als dass Autoren wie Helmut Martens (2010: 371) oder Klaus Selle (2004: 46) den inflationären Gebrauch des Begriffs kritisieren und von einem „Passepartout“ bzw. einer bedeutungslosen Worthülse sprechen. Dennoch scheint es einen Zusammenhang zwischen Innovation und Stadtentwicklung zu geben, wie im Folgenden erläutert wird, was die systematische Auseinandersetzung mit diesen Themen durchaus begründet.

2.4 Über den Zusammenhang von Innovation und Stadtentwicklung

Städte und Stadtregionen sind heutzutage mit vielfältigen Problemen konfrontiert. So erfahren beispielsweise viele ländliche Regionen in Ostdeutschland eine massive Abwanderung der jüngeren Bevölkerung bei gleichzeitiger Überalterung, was nicht nur zu einem Verfall der überflüssigen Bausubstanz führt, sondern auch gravierende wirtschaftliche Folgen für die Region hat (vgl. Becker, Böhmer-Herbin, Sailer & Sturm 2002: 39 ff.; Christmann 2009: 1). Aber auch Großstädte wie Berlin stehen immer größeren Problemen gegenüber. Diese reichen von den negativen Begleiterscheinungen der Globalisierung wie Umweltbelastung, die zunehmende soziale Ausdifferenzierung, die sich räumlich in einer Spaltung der Stadt niederschlägt, über die schrumpfenden Ressourcen der öffentlichen Hand bei gleichzeitiger Forderung nach Lenkung der gesellschaftlichen Entwicklung, bis zum Strukturwandel von der Industriestadt zur postindustriellen Stadt, wodurch ehemalige Industriegebiete ungenutzt verfallen (vgl. Bodenschatz 2005: 264).

Da diese Probleme meist nur eine bestimmte Region betreffen, stehen sie in Bezug auf Ursache und Wirkung eng mit dem umgebenden Raum in Verbindung. Für die Bewältigung komplexer Probleme gibt es bislang kaum etablierte Instrumente oder zielgerichtete Strategien. Auch zeigen Maßnahmen, die sich in anderen Regionen bereits bewährt haben, nicht zwangsweise nach der Implementierung in neuen Räumen dieselbe Wirkung, da die Begleitumstände häufig zu verschieden sind. Daher ist meistens eine grundlegend andere Umgangsweise mit dem Vorhandenen notwendig (vgl. Ibert 2003: 23). Probleme von Städten und Stadtregionen müssen neu definiert werden, um bisher unbekannte Lösungen entwickeln zu können (vgl. ebd.). Diese müssen auf den jeweiligen Kontext zugeschnitten sein, bedürfen aber dennoch Freiraum, um sich entwickeln zu können. Städten wie Berlin kommen dabei die Ressourcen an urbanen kreativen Milieus und die großen Potenziale im Wissenschaftsbereich[4] zu Gute, um neue oder auch innovative Wege[5] aus Problemsituationen beschreiten zu können. Beispielsweise wird bezogen auf die negativen Folgen der Umweltbelastung derzeit intensiv an der Etablierung des Elektroautos gearbeitet, wobei Akteure aus Wirtschaft und Wissenschaft verstärkt zusammen kommen, um neue Lösungen zu entwickeln. Aber auch alte Industriebrachen werden bereitwillig an junge, kreative Akteure vermittelt, um diese neu zu beleben und den Akteuren Raum zur Verwirklichung ihrer Ideen zu bieten. Es geht also darum, regionale Kapazitäten zu aktivieren, um gravierenden Problemen mit neuen oder innovativen Lösungen zu begegnen und im internationalen Wettbewerb bestehen zu können. Bürokratische Institutionen spielen dabei eine entscheidende Rolle. Denn während Schumpeter den Unternehmer, der sich am Markt durchsetzen will und daher neue Wege geht, in den Mittelpunkt des Innovationsgeschehens stellt und somit die Innovationsfähigkeit der Gesellschaft von diesem abhängig macht (vgl. Schumpeter 1952: 99 ff. ), hat sich dieses Verständnis in der modernen Zeit teilweise gewandelt. So scheinen die eben angesprochenen ländlichen Regionen von den Folgen des demographischen Wandels so stark betroffen, dass sich auch Unternehmer schwer damit tun, in solchen Regionen eine Niederlassung zu gründen.

In solchen Fällen, in denen es die Gesellschaft nicht aus sich heraus schafft, eigene Lösungen zu generieren, kommen bürokratischen Institutionen wie dem Staat bzw. der öffentlichen Verwaltung als Innovator eine besondere Rolle zu (vgl. Ibert 2003: 68). Ihre Rolle muss es unter anderem sein, Flächen als Experimentierfelder zur Verfügung zu stellen, neue Kooperationen auszuprobieren und neue Lösungen zuzulassen, um Antworten auf die oben benannten Probleme finden zu können. Dabei geht es nicht darum, dass die bürokratische Verwaltung allein auf sich gestellt strategische Pläne entwirft, sondern Prozesse in einem Netzwerk aus Politik, zivilgesellschaftlichen Initiativen, privaten Investoren und öffentlicher Verwaltung müssen aktiv begleitet werden (vgl. Bodenschatz, Doehler-Behzadi, Giseke & Krautzberger 2006: 4). Solche neuen Kooperationen, beispielsweise in Form einer Public Private Partnership[6] (PPP), ermöglichen nicht nur die Mobilisierung privaten Kapitals für staatliche Aufgaben, sondern generieren auch neue Sichtweisen auf Probleme sowie ungeahnte Lösungsstrategien. Dabei darf die öffentliche Hand nicht in eine „Attitude des übertriebenen Rückzugs, der Apathie [...] verfallen“ (Bodenschatz 2004: 20) und seinen Partnern die Arbeit der Stadtentwicklung überlassen. Sie muss vielmehr ein mächtiger „Interventionsstaat mit möglichst funktionsfähigen, klassischen Steuerungsinstrumenten“ (Ibert 2003: 37) sein, um wichtige Sicherheits- und Ordnungsfunktionen übernehmen zu können. Auch wenn dies zunächst banal klingt, ist Innovationsplanung durch bürokratische Institutionen ein schwieriges Unterfangen: Erstens liegen deren Stärken im Planen und Lenken. Jedoch sind Innovationen weitgehend unplanbare Ereignisse, da sie kaum auf einem zielorientierten Weg erreicht werden können. Daher scheint die Planung von Innovationen paradox, weil versucht wird, das „Unkalkulierbare planend herzustellen“ (Siebel, Ibert & Mayer 2002b: 85). Zweitens stellt sich das Problem, dass Innovationen dabei meistens in nicht-innovativen Milieus organisiert werden müssen. Wie oben bereits beschrieben, findet die staatliche Intervention vor allem dort statt, wo die gewünschten Erneuerungen nicht von Seiten der Gesellschaft oder der Politik organisiert werden können. Der Grund hierfür ist meist, dass sich die Widerstände gegen strukturellen Wandel als zu mächtig erweisen und das örtliche Milieu eher auf bekannte als auf neue Lösungen vertraut (vgl. Siebel et al. 2002b: 86). Schließlich sind, drittens, bürokratische Institutionen äußerst schlecht für diese Aufgabe gerüstet. So gründet staatliches Handeln auf Mehrheitsentscheidungen. Innovationen sind jedoch selten mehrheitsfähig, da sie kaum mit den vorherrschenden Meinungen und Interessen kompatibel sind. Daher gilt als Faustregel: „Je stärker sich staatliches Handeln an Mehrheiten orientiert, desto weniger scheint es zur Innovation fähig.“ (Siebel et al. 2002b: 86) Zusätzlich zeichnen sich bürokratische Institutionen durch eingeschliffene Zuständigkeiten aus, wodurch neue Aufgaben und Abläufe schwer integrierbar sind. In der Folge neigt der Staat zu einer Tendenz des „institutionellen Immobilismus“ (Siebel et al. 2002b: 87), was die Planung von Innovationen als staatliche Aufgabe beinahe unmöglich erscheinen lässt.

Siebel, Ibert und Mayer (2001) beschreiben die Organisation von Innovationen durch bürokratische Institutionen daher als dreifach paradoxe Aufgabenstellung, denn sie ist „Planung des Unplanbaren, in einem innovationsfeindlichen Milieu durch einen für diese Aufgabe denkbar unbegabten Akteur.“ Wie es dennoch möglich ist, die Aufgabe der Generierung von Innovationen in staatliche Hände zu geben und dabei eventuell auch gute Ergebnisse zu erzielen, soll im folgenden Abschnitt geklärt werden.

In Anbetracht der bisherigen Aussagen und mit Bezug auf die zweite Fragestellung dieser Arbeit soll festgehalten werden, dass innovative Lösungen Antworten auf vielfältige Problemlagen heutiger Stadtentwicklung geben können. Diese Antworten müssen jedoch erst in einem aufwendigen Prozess gefunden werden, weshalb der Erzeugung von Innovationen in der modernen Gesellschaft ein hoher Stellenwert beigemessen wird und großzügige Fördersummen an die Seite gestellt werden.

2.5 Das Analysegerüst: die Prinzipien innovationsorientierter Planung

Im folgenden Abschnitt geht es um die Frage, welches Zusammenspiel planerischer Prozesselemente Möglichkeitsräume für die Entstehung von Innovationen in der raumbezogenen Planung eröffnen kann. Die vorhandene Literatur bezüglich der Förderung von Innovation in der raumbezogenen Planung stellt sich als sehr übersichtlich dar. Die wesentlichen Impulse in diesem Bereich kommen von der Arbeitsgruppe Stadtforschung der Carl von Ossietzky Universität in Oldenburg (vgl. Selle 2004: 44). Zu nennen wäre hier Walter Siebel, Oliver Ibert und Hans-Norbert Mayer die verschiedene Werke publizierten, die die Organisation von Innovation zum Inhalt hatten (vgl. Ibert 2003, 2004, 2005; Ibert & Mayer 2002; Siebel et al. 2001; Siebel, Ibert & Mayer 2002a). Mit Innovationen sind dabei nicht nur modellhafte technische Lösungen wie Plusenergiehäuser[7] oder Blockheizkraftwerke[8] gemeint, sondern ebenso hervorragende Lösungen für Probleme aus dem Sozialbereich, wie Segregation (soziale Innovationen[9] ) sowie neuartige künstlerische Schöpfungen (künstlerische Innovationen), die Räumen eine neue Qualität verschaffen.

Das theoretische Modell, das in dieser Diplomarbeit Anwendung findet, gründet empirisch auf den Ergebnissen eines DFG-Projekts von Oliver Ibert, in Kooperation mit Hans-Norbert Mayer und Walter Siebel über die Internationale Bauausstellung Emscher Park sowie die Weltausstellung EXPO 2000 in Hannover. Da bei beiden Projekten „Innovationen in nicht-innovativen Milieus“ forciert werden sollten, um strukturelle Probleme einer altindustriellen Region zu lösen bzw. stadt- und regionalplanerische Ziele umzusetzen, wurden die organisatorischen Bedingungen zur Erzeugung von Innovationen untersucht (vgl. Ibert 2003: 12; 2009: 18). Der daraus entstandene Anforderungskatalog an eine innovationsorientierte Planung soll im Folgenden vorgestellt werden. Da dieser Abschnitt auf drei Werke Oliver Iberts (Ibert 2003, 2005, 2009) zur innovationsorientierten Planung aufbaut, wird auf einen wiederholenden Verweis auf die Originalquellen verzichtet. Wörtliche Zitate werden jedoch weiterhin als solche gekennzeichnet.

Zunächst sollen Wege vorgestellt werden, mit deren Hilfe es überhaupt erst möglich wird, neue Lösungen zu generieren und diese nicht schon im Ansatz zu unterdrücken. Anschließend geht es darum, wie diese neuen Lösungen wirksam in Szene gesetzt werden können, um sie als Modelllösung zu etablieren. Schließlich geht es im letzten Abschnitt um die Frage, wie diese Modelllösungen in andere Kontexte diffundieren können, um alltagstauglich zu werden.

2.5.1 Planung durch Verzicht auf (klassische) Planung

„Die ,neue Stadtplanung’ im Sinne einer ,Nicht-Planung’ muss [...] unauffällig sein, nicht vorgeben, sondern ermöglichen.“ (Frey 2007: 27)

Klassische Stadtplanung setzt darauf, gedanklich einen baulichen Endzustand zu entwerfen und die dazu nötigen Handlungsschritte zu antizipieren. Dabei werden Kosten und Mühen in einer vorherigen, umfassenden Informationsanalyse rational abgewogen. Da Innovationen aber meist einen eher unplanbaren und zufälligen Charakter[10] haben (vgl. Rammert 2000: 3), scheinen Innovationserzeugung und formelle Stadtplanung zwei konträre Partner zu sein. Die dahinterstehende Logik wirkt plausibel: „Ist die Planung als Planung erfolgreich, dann liegt der Verdacht nahe, dass letztlich nichts wirklich neues entstanden ist“ (Ibert 2003: 68), denn Innovationen können kaum vorher schon bekannt sein. Daher empfiehlt Ibert drei Elemente – vage Ziele, oberflächliche Informationen und Revidierbarkeit – für eine ergebnisoffene Planung, um das Auftreten von Innovationen nicht bereits im Keim zu ersticken. Alle drei Elemente werden im Folgenden vorgestellt.

Vage Ziele

Da bei innovationsorientierter Planung die Ziele sowie die Lösungswege zu Beginn weitgehend im Verborgenen liegen, gilt es beides im Laufe des Prozesses schrittweise zu eruieren und gegebenenfalls zu revidieren. Dabei werden Mittel und Ziele stets aufeinander angepasst. Somit stellt innovationsorientierte Planung immer auch einen Lernprozess für alle Beteiligten dar. Jedoch kommt auch solch eine „Planung“ nicht ganz ohne eine ungefähre Orientierung aus. Leitbilder und Mottos kommen daher zu Beginn des Planungsprozesses zum Einsatz, um allen Beteiligten eine gemeinsame Stoßrichtung vorzugeben, und die es im fortschreitenden Prozess weiter zu spezifizieren gilt.

Oberflächliche Informationen

Die Grundüberlegung hinter diesem Prinzip ist, dass Informationsbeschaffung zu Beginn des Planungsprozesses ein arbeitsaufwendiges Unterfangen ist und dazu noch Gefahr läuft, unnötig zu sein, da Informationen allzu schnell veralten. Da bei innovationsorientierter Planung der Ausgang weitgehend offen ist, wird auf eine umfassende Informationsbeschaffung zu Beginn verzichtet. Vielmehr findet diese als ein iterativer Prozess mithilfe verschiedenster Akteure statt, bei dem ständig zwischen Informationsbeschaffung und Konzeptentwicklung gewechselt wird. Diese Informationsbeschaffung läuft bis zur Konkretisierung des Ziels immer parallel zum Planungsprozess mit, wodurch am Ende des Prozesses ein hoch verdichtetes Informationssammelsurium entsteht.

Revidierbarkeit

Formelle Festsetzungen zu Beginn des Planungsprozesses grenzen den Handlungsspielraum für spätere Entscheidungen ein. Da innovationsorientierte Planung vor allem auf einem „Trial and Error“[11] -Prinzip beruht, werden endgültige Entscheidungen so lange wie möglich aufgeschoben. Dies bedeutet, dass Abmachungen zwar getroffen werden, jedoch haben diese zu Beginn den informellen Charakter einer Handschlagvereinbarung und werden erst zum Ende hin konkretisiert und schließlich vertraglich festgeschrieben. So können Irrtümer revidiert werden, ohne einen bürokratisch hochaufwendigen Änderungsprozess ins Rollen bringen zu müssen.

Alle drei Maßnahmen halten somit den Spielraum für Entscheidungen so lang wie möglich offen und versuchen Fehlentscheidungen vorzubeugen bzw. ihnen Platz im Planungsprozess zu geben, ohne dass schwere Folgen entstehen.

Nachdem Bedingungen vorgestellt wurden, mit deren Hilfe strukturellen Neuerungen auftreten können, geht es im Folgenden um Sonderinstitutionen, die das Auftreten von Innovationen darüber hinaus wirksam unterstützen.

2.5.2 Charisma oder: die Organisation von Außeralltäglichkeit

„,Charisma’ soll eine als außeralltäglich geltende Qualität einer Persönlichkeit heißen, um derentwillen sie als [...] ,Führer’ gewertet wird.“ (Weber 2006: 243)

Diese Bedeutung des Charismas, das eine genuin menschliche Eigenschaft ist, geht auf Max Weber und seiner Beschreibung charismatischer Führer zurück (vgl. Weber 2006: 243 f.). Der Grundgedanke ist, dass bestimmte Personen außeralltägliche Fähigkeiten besitzen mit deren Hilfe „Veränderungen in einer Welt möglich sind, die von Wiederholungen, Routine und Tradition dominiert wird“ (Ibert 2003: 78). Charismatische Führer erkennen und ergreifen Gelegenheiten außerhalb der Routine und setzen ihre Freude am Gestalten auch ohne umfassende wirtschaftliche Vorabwägungen durch. Dabei werden sie, aufgrund ihrer Begabung zur Führerschaft, von Anhängern in persönlicher und finanzieller Weise unterstützt, wodurch die gesamte Gruppe eine Avantgarde-Position erfährt.

Dieses personengebundene Charisma gibt es auch in einer institutionalisierten Variante, das sich in Organisationsstrukturen integrieren lässt. Dieses institutionalisierte Charisma, das in Sonderinstitutionen wie Festen, Bühnen oder Sonderorganisationen eingeschrieben sein kann, schafft eine zeitlich, räumlich und sachlich eingegrenzte Außeralltäglichkeit. Diese begrenzte Außeralltäglichkeit kann, wie im Folgenden detailliert erläutert wird, die Entstehung von Innovationen positiv begünstigen.

Das Fest

Ein Fest ist ein besonderes Ereignis, das sich durch „organisierte Unordnung“ auszeichnet. Diese äußert sich insofern, als dass für eine bestimmte Zeit abweichendes Verhalten nicht nur möglich, sondern sogar weitgehend erwünscht ist, um einen klaren Kontrast zur sonstigen Normalität zu schaffen. Es weckt somit bei allen Beteiligten die „Erwartungshaltung, dass dort auch Ungewöhnliches zu passieren habe und Unkonventionelles zu besichtigen sein müsse“ (ebd. 82). Je weiter sich das Fest von der Normalität entfernt, desto stärker ist die charismatische Wirkung. Feste haben dabei mehrere, für die Forcierung von Innovationen wichtige Eigenschaften.

Ähnlich einem charismatischen Führer werden mithilfe des Festes unterschiedliche Ressourcen mobilisiert. Hierzu gehören zum einen Sonderausgaben, die auch angesichts leerer Kassen viel leichter zu legitimieren sind als im Alltag. Zu festlichen Anlässen wird die generelle Sparsamkeit zugunsten der kostenintensiven Öffentlichkeitswirksamkeit zurückgefahren. Dies geschieht meist in der Hoffnung, dass infolge der Veranstaltung die Konjunktur wieder angekurbelt und die hohen finanziellen Vorleistungen wieder eingespielt werden. Zum anderen haben Feste aber auch einen großen Einfluss auf das persönliche Engagement der Beteiligten. Allein die Aussicht an etwas Großem und Einmaligen beteiligt zu sein und diesem den persönlichen Stempel aufdrücken zu können, wirkt für viele motivierend. Beide Ressourcen, sowohl die finanziellen als auch die personellen, können leichter mobilisiert werden, weil allen Beteiligten klar ist, dass das Fest irgendwann wieder vorbei sein wird. Aber auch ansonsten langwierige Verwaltungsvorgänge werden infolge der zeitlichen Befristung oft beschleunigt und die Widerstände gegen unkonventionelle Vorhaben sinken, weil Kritikern bewusst ist, dass der Trubel bald ein Ende hat. Die begrenzte Zeitlichkeit spielt somit bei charismatischen Institutionen wie einem Fest eine wichtige Rolle für die Mobilisierung verschiedener Ressourcen und für das Auftreten von Widerständen.

Die Bühne

Charismatische Institutionen wirken nach außen, sie haben einen Bühneneffekt. Als Beispiel nennt Ibert den Bühneneffekt einer IBA, „auf der Architekten und Planer ihre Fähigkeiten einer kritischen Öffentlichkeit vorführen“ (ebd.: 85). Konkret benennt er Effekte der Public Relation (PR), da spektakuläre Ergebnisse, als Werbeobjekte inszeniert, Identifikation, Engagement und Begeisterung bei den Betrachtern auslösen. Nur durch eine umfassende Inszenierung und Erklärung in öffentlichen Veranstaltungen haben Neuerungen überhaupt die Chance verstanden zu werden, wodurch wiederum die Widerstände sinken und sie eventuell in weitere gesellschaftliche Kontexte diffundieren können. Diese Diffusion in fremde Kontexte ist wichtig, da Neuerungen erst dadurch zu etwas Besonderem, nämlich einer Innovation, werden (vgl. Kap. 2.2.2). Weiterhin täuscht eine gute Inszenierung auch über negative Begleitumstände, wie hohe Kosten oder langwierige Konstruktionsphasen hinweg, wodurch auch in Zukunft weiter an wegweisenden Innovationen gefeilt werden darf.

Die Sonderorganisation

Da Innovationen Flexibilität und Freiraum benötigen, werden Sonderorganisationen dazu genutzt, Widerstände und strukturelle Inflexibilitäten vor allem in klassischen, bürokratischen Verwaltungsstrukturen zu umgehen. Sonderorganisationen werden außerhalb etablierter, administrativer Strukturen gegründet und unterscheiden sich aufgrund zweier Merkmale. Zum einen in Hinblick auf den Grad ihrer Formalisierung – dieser reicht von informell organisierten Projektgruppen bis zu Organisationen mit vertraglich abgesicherten Rechtsstatus – und zum anderen bezüglich der Entfernung zu den Strukturen aus denen sie ausgegliedert werden – hier reicht das Spektrum von einer verwaltungsinternen Umstrukturierung (Sonderorganisation der Verwaltung) bis hin zu privatwirtschaftlichen Organisationen.

Vorteilhaft für die Erzeugung von Innovationen sind meist neu gegründete Projektgruppen, die vollständig aus den Verwaltungsstrukturen ausgegliedert werden, um freier agieren zu können. Solche offenen Organisationsstrukturen lassen sich leichter auf die neuen Problemstellungen zuschneiden, da den Mitarbeitern die neu anvertrauten Aufgaben meist interessanter erscheinen, sie dadurch mehr Engagement bei der Umsetzung aufbringen und auch Lösungen außerhalb des Standard-Repertoires ausprobieren.

Allen drei Institutionen ist gemein, dass sie, ähnlich wie das von Weber beschriebene personengebundene Charisma, eine faszinierende Wirkung auf Außenstehende ausüben und dabei gruppenintern zu Höchstleistungen anregen. Wie das qualitativ Neue jedoch konkret in netzwerkartigen Konstellationen erzeugt werden kann, soll Gegenstand des folgenden Abschnitts sein.

2.5.3 Die Organisation lernförderlicher Netzwerke

„Eine Transformation bedarf schließlich eines kontinuierlichen, routinierten internationalen Austauschs sowie einer wissenschaftlichen Begleitung. Erfahrungen mit Transformation andernorts müssen zur Kenntnis genommen werden – als Anregung oder Warnung“ (Bodenschatz et al. 2006: 4)

Diese Aussage des „Stadtforum Berlin 2020“[12] weist darauf hin, dass Transformationen ähnlich wie Innovationen das Ergebnis kollektiver Lernprozesse und reger Interaktionen sind. Dies ist auch der Grundgedanke des Netzwerkparadigmas, nach dem Innovationen, anders als bei Schumpeter, nicht von einzelnen Personen organisiert werden, sondern aus dem Zusammenwirken der Mitglieder eines Netzwerks entstehen (vgl. Christmann 2011: 201; Gillwald 2000: 24 ff.; Rammert 2010: 23). Dabei benötigen Netzwerke gewisse Qualitäten, die für sich genommen eine Art Balanceakt darstellen. Einerseits müssen die Netzwerkmitglieder beispielsweise in Bezug auf Fähigkeiten, Kompetenzen und soziokulturelle Herkunft möglichst heterogen sein, andererseits benötigt die Kommunikation ein hohes Maß an Vertrauen, um das implizite Wissen der jeweiligen Akteure auch an andere Netzwerkmitglieder weitergeben zu können. Man könnte diesen Zustand als eine vertrauensvolle Fremdheit beschreiben. Ein „Nebenprodukt“ dieses Balanceakts ist zudem, die Kopräsenz von Kooperation und Konkurrenz. Die Akteure müssen einander helfen, gut miteinander kooperieren aber gleichzeitig ein Mindestmaß an Konkurrenzdenken aufweisen und versuchen, im Wettbewerb die besten zu sein. So ist es denkbar, die Grenze des Möglichen immer weiter auszudehnen. Weiterhin ist ein mittleres Machtniveau förderlich, bei dem sich jedes Mitglied gleichberechtigt äußern kann. Das Problem unterschiedlich machtvoller Akteure ist oft, dass zu starke Akteure nicht auf Kooperation angewiesen sind oder sogar kein Interesse an grundlegenden Veränderungen haben. Ebenfalls brauchen Innovationen eine gewisse Redundanz, um verschiedene Lösungen für ein und dasselbe Problem bereit zu halten, wobei abschließend aus einem Lösungspool gewählt werden kann. Diese Prinzipien – die vertrauensvolle Fremdheit, die Kopräsenz von Kooperation und Konkurrenz, redundante Lösungen und ein mittleres Machtniveau - können erklären, wie innovationsfähige Milieus Neuerungen hervorbringen. Wie jedoch zunächst einmal innovationsfähige Milieus erzeugt werden, damit diese Prinzipien wirksam werden können, wird im folgenden Abschnitt geklärt. Dabei geht es darum zu zeigen, wie es gelingt, Rahmenbedingungen zu schaffen, durch die strukturveränderndes Lernen möglich ist.

Subjekt-Subjekt-Interaktionen

Es wurde schon mehrfach angedeutet, dass Innovationen aus der „kreativen Kombination des in einem Netzwerk präsenten Lösungsrepertoires“ (Ibert 2003: 98) entstehen. Ein solches Verständnis, auch das wurde weiter oben bereits angemerkt, hat sich seit den 1980er Jahren in der Stadtplanung etabliert (vgl. Kap. 2.1), indem verstärkt auf kooperative und kommunikative Planungsverfahren gesetzt wird. Die daraus resultierenden Vorteile sind vielfältig und reichen von mehr Informationen für die Planenden, über Konfliktvermeidung durch Partizipation der Bürger bis hin zu Demokratisierung der Gesellschaft durch Bürgerinitiativen (vgl. Bischoff et al. 2007: 23). Aber sie verstärken auch die Innovationsfähigkeit der Planung, da infolge der kommunikativen Akte, Lernprozesse bei allen Beteiligten auftreten, wodurch neue Möglichkeitsräume geschaffen werden. Beispielsweise kann durch eine gute Subjekt-Subjekt-Interaktion, bei der die Wünsche und Bedürfnisse der späteren Bewohner genauestens erfasst und in den Planungsprozess integriert werden, das ,Produkt’ viel besser nach deren Vorstellungen realisiert werden. Dieses Expertenwissen der Laien kann auch der versierteste Planer nicht ohne eine enge Kooperation mit den Betroffenen erfassen. Ein solches Vorgehen bietet sich vor allem bei Minderheiten wie Behinderten, Älteren oder auch alleinerziehenden Müttern an, da diese oft spezielle Anforderungen an Objekte, z.B. ihre zukünftige Wohnung, haben. Auch gilt es in solchen Kontexten auf ein mittleres Machtniveau zu achten, indem auf die Ideen der Betroffenen eingegangen und diese so lange kombiniert und restrukturiert werden, bis die Lösungen den Vorstellungen entsprechen und vielleicht sogar innovative Ansätze bereithalten. Auf keinen Fall darf die Idee der Betroffenen mit einem „geht nicht“ abgetan oder durch die Sicht der Planer überformt werden, da dies die Innovation im Keim ersticken würde. Hilfreich ist daher oft die Beteiligung eines Schiedsrichters, der die Diskussion moderiert und eine gemeinsame Entscheidungsfindung unterstützt. Dennoch sollte darauf hingewiesen werden, dass eine gelungene Subjekt-Subjekt-Interaktion auf mittlerem Machtniveau nicht nur zwischen Planern und Laien wichtig ist, sondern auch in vielen weiteren Kontexten eine wichtige Rolle spielt, in denen Positionen verhandelt werden. Dabei sollten die Akteure möglichst frei entscheiden können, ohne Rücksprachen halten zu müssen, um die Dynamik des freien Spiels der Kräfte nicht zu beschränken. Alle genannten Aspekte laufen auf zwei Stichworte hinaus: Die produktive Dynamik von Verhandlungen und ein mittleres Machtniveau. Beide sind essentiell für das Entstehen von innovativen Ideen infolge einer gelungenen Subjekt-Subjekt-Interaktion.

Steigerung der Verhaltensheterogenität

Die Steigerung der Verhaltensheterogenität gilt als zentrale Bedingung für Innovationserfolge und baut auf der Vermehrung autonomer Handlungseinheiten sowie auf dem Ersatz von Hierarchie durch Konkurrenz auf. Die Vermehrung autonomer Einheiten bedeutet, dass Abläufe dezentralisiert werden. Wenn Aufgaben nicht von einer zentralen Instanz durchgeführt werden, sondern sich auf Unterorganisationen verteilen, werden oft nicht nur neue Lösungen abseits der Routine ausprobiert, sondern es multipliziert sich automatisch das Lösungsspektrum. Ein Beispiel dafür wäre, wenn verschiedene Projekte zu einem Thema arbeiten. Dadurch erhöht sich die Chance, dass zumindest in einem der Projekte hochwertige Lösungen gefunden werden, was das Hauptziel innovationsorientierter Planung ist. Aber auch die Organisation einer Wettbewerbssituation schafft redundante Lösungen von meist hoher Qualität, da jeder Akteur schließlich aus dem Wettbewerb als Sieger hervorgehen will. Förderlich ist es dabei meist, wenn Lösungen von Einzelpersonen generiert werden, da diese in der Regel ebenso viele Lösungen produzieren, wie Gruppen in der gleichen Zeit und zum anderen Ideen meist unbedachter in die Praxis umsetzen, ohne sie vorher zu zerreden.

Die Integration von Fremdheit

Auf den besonderen Status des Fremden, der sich zwischen Kulturen bewegt und dabei Sichtweisen und Problemwahrnehmungen von einem Milieu in ein anderes transferiert, hatte bereits Georg Simmel hingewiesen. „Weil er nicht von der Wurzel her für die singulären Bestandteile oder die einseitigen Tendenzen der Gruppe festgelegt ist, steht er allen diesen mit der besonderen Attitüde des »Objektiven« gegenüber, die nicht etwa einen bloßen Abstand und Unbeteiligtheit bedeutet, sondern ein besonderes Gebilde aus Ferne und Nähe, Gleichgültigkeit und Engagiertheit ist.“ (Simmel 1908: 510)

[...]


[1] Es sei darauf hingewiesen, dass aus Gründen der besseren Lesbarkeit auf die gleichzeitige Verwendung weiblicher und männlicher Sprachformen verzichtet wird, weshalb sämtliche Personenbezeichnungen für beide Geschlechter gelten.

[2] Auch wenn in dieser Arbeit stets von den Vorteilen der informellen Planungsinstrumente die Rede ist, muss darauf hingewiesen werden, dass auch kommunikative Planung kein Erfolgsversprechen darstellt, da diese Verfahren ebenso mit spezifischen Grenzen versehen sind, die Heidi Sinning in ihrer Dissertation ausführlich beschreibt (vgl. Sinning 2002: 171 ff.).

[3] Ziel der Hightech-Strategie ist es, Deutschland durch die Förderung innovativer Zukunftsprojekte (Missionen) zum Vorreiter bei der Lösung globaler Herausforderungen zu machen (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung 2010: 21).

[4] Aktuell sind in Berlin vier Universitäten, zwei Kunsthochschulen, mehrere Max-Planck- und Frauenhofer-Institute sowie viele weitere wissenschaftliche Institutionen ansässig.

[5] Neuheit und Innovation stehen in einem engen Zusammenhang, wie die Innovationsdefinition von Werner Rammert (2010: 45) illustriert hat. Neuheit ist ein Merkmal von Innovation, jedoch zeichnet sich Innovation weiterhin dadurch aus, dass sie sich gegen Widerstände durchsetzt und aufgrund ihrer verbessernden Eigenschaften in neue Kontexte eingebaut wird und diese gegebenenfalls auch transformiert.

[6] Dieser Begriff beschreibt die Zusammenarbeit staatlicher und privater Akteure.

[7] Ein Plusenergiehaus produziert mehr Energie als die Bewohner des Hauses verbrauchen. Diese Energie stammt aus Solaranlagen, die an der Fassade oder auf dem Dach montiert werden (vgl. Bube 2010).

[8] Ein Blockheizkraftwerk produziert neben elektrischer Energie auch Abwärme, die nicht verloren geht, sondern vor Ort genutzt wird. Dadurch hat es einen höheren Nutzungsgrad als eine einfache Heizung oder ein Kraftwerk (vgl. Münch o.J. ).

[9] Eine soziale Innovation beschreibt Wolfgang Zapf als „neue Wege, Ziele zu erreichen, insbesondere neue Organisationsformen, neue Regulierungen, neue Lebensstile, die die Richtung des sozialen Wandels verändern, Probleme besser lösen als frühere Praktiken, und die deshalb wert sind, nachgeahmt und institutionalisiert zu werden.“ (Zapf 1989: 177)

[10] Dieses Unplanbare und Zufällige bezieht sich vor allem auf die Kosten und den Erfolg bei der Erzeugung des Neuen, denn beides ist vorher kaum prognostizierbar.

[11] Diese heuristische Methode um Probleme zu lösen baut auf dem Prinzip auf, dass Lösungen für ein Problem so lange probiert werden, bis es zu einer zufriedenstellenden Bewältigung gekommen ist.

[12] Das Stadtforum Berlin 2020 wurde von der früheren Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer ins Leben gerufen, um Stadtentwicklungsstrategien zusammen mit den Experten des wissenschaftlichen Beirats, Prof. Dr. Harald Bodenschatz, Dr. Marta Doehler-Behzadi, Prof. Undine Giseke und Prof. Dr. Michael Krautzberger, öffentlich zu diskutieren (vgl. Bodenschatz et al. 2006).

Ende der Leseprobe aus 111 Seiten

Details

Titel
Innovationsfeld Tempelhof: Möglichkeitsräume von Planungsinstrumenten
Hochschule
Technische Universität Berlin
Note
1,7
Autor
Jahr
2012
Seiten
111
Katalognummer
V205554
ISBN (eBook)
9783656322801
ISBN (Buch)
9783656324232
Dateigröße
4868 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Planungs- und Architektursoziologie, Stadtsoziologie
Schlagworte
Innovationsorientierte Planung, Stadtplanung, Flughafen Tempelhof, Architektursoziologie, Innovation, Planung, Stadtentwicklung, Ibert, Oliver, Tempelhofer Feld, kommunikative Planung, Planungsinstrumente, Berlin, Best Practice, Bodenschatz, Harald, Christmann, historische Entwicklung
Arbeit zitieren
Christoph Rechenberg (Autor:in), 2012, Innovationsfeld Tempelhof: Möglichkeitsräume von Planungsinstrumenten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/205554

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